janwModerator
Beiträge: 8488Registriert: 11.10.2003
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So gesehen, stehen wir anscheinend vor einem Scherbenhaufen der Bildungspolitik der letzten 30 Jahre, seit 1975 etwa...
Woran das liegt? Am "Material" der Schüler, liest man.
Begabung, so wissen wir heute, wird etwa zur Hälfte durch Anlagen und durch die Förderung oder Hemmung durch die Umwelt gesteuert. Geht man von der Überlegung aus, daß die früheren gesellschaftlichen Eliten nicht von ungefähr entstanden, sondern durch Selektion nach Begabung sich rekrutierten, so überrascht die Malaise keineswegs - das Gymnasium Ende der 60er Jahre vereinigte somit den fähigen Anteil der Schülerschaft, gleichbedeutend mit der Fähigkeit des Elternhauses, das Schulgeld zu bezahlen. Die Hereinnahme von Schülern aus unteren gesellschaftlichen Schichten konnte da nur zu einer Absenkung des Leistungsniveaus führen.
Ein Gedankengang, der die Wirklichkeit nicht ganz falsch beschreibt, gleichfalls von großer sozialer Sprengkraft, reaktionär geradezu, ist, so daß ich ihn mir nicht zu eigen mache.
Gewiß ist es so, daß Begabung eine vererbbare Komponente hat, auch kann man sich vorstellen, daß unter materiell besseren Bedingungen die Förderung der Kinder besser ausfällt.
Der Umkehrschluß, daß demnach Kinder aus ärmeren Schichten weniger begabt sind, ist auf den Einzelfall bezogen jedoch falsch, und das Verweigern von Bildungsschancen IMHO ein Verbrechen.
Letztlich im Abbau struktureller Bildungshindernisse den alleinigen Grund für den Niedergang des Gymnasiums zu sehen, greift IMHO ebenfalls zu kurz, andere Ursachen spielen hier mit hinein, und es muss die Frage erlaubt sein, wo wir jetzt stünden, hätte es die Reformen der 70er Jahre nicht gegeben.
Die Situation in den 70er Jahren war nicht nur gekennzeichnet durch eine ungleiche Verteilung von Bildungs- und Aufstiegschancen in der Gesellschaft, sondern auch durch einen absehbaren Wandel in der Arbeitswelt, neue Qualifikationen wurden zunehmend nachgefragt, die nicht im Wege der Berusausbildung durch Lehre zu bewerkstelligen waren.
Ein Gymnasium, das den Bedarf an zukünftigem akademischen Nachwuchs an den Universitäten plus ein paar Leute für Leitungspositionen in Verwaltung und Wirtschaft sowie Lehrern deckte, passte nicht mehr in die Zeit.
In meinen Augen waren die Reformen notwendig, ob sie richtig durchgeführt wurden, ist sicher zu fragen. Ich habe aber, und damit bewege ich mich hier auf Glatteis^^, das Empfinden, daß die Probleme durch Änderungen im Aufwachsen der Kinder verstärkt, wenn nicht wesentlich verursacht wurden, konkret durch die Durchsetzung des Fernsehers im kindlichen Alltag, parallel dazu die Verdrängung des Buches.
Dieses Medium ist in meinen Augen verantwortlich nicht nur für den Verlust an gedanklicher Vorstellungskraft, sondern auch für den Verlust an Konzentrationsvermögen. Daß wer nicht liest und schreibt, auch die Rechtschreibung schwerer verinnerlichen kann, liegt dazu auf der Hand.
Sicher, man soll das Kind nicht mit dem Bade ausgießen, zwei, drei mal Sesamstraße pro Woche schaden sicher nicht, auch die Sendung mit der Maus und Löwenzahn waren oder sind gut gemeint und gut gemacht, aber die permanente Überflutung mit bewegten Bildern über Stunden, und das teils schon im Kindergartenalter, konnte IMHO nicht folgenlos bleiben.
Was die Lehrmethoden und ihre Ergebnisse betrifft, über die Diskursfähigkeit einer Gymnasialen Oberstufenklasse 1965 sollte man sich IMHO nicht zu vielen Illusionen hingeben. Wohl aber waren faktische Grundlagen sicher breiter vorhanden und besser verankert als oft heute, der Grundstein, auf dem Einsichten und Meinungen reifen können.
Ob man deshalb zur damaligen Paukschule zurückkehren sollte, ich meine nein. Sicher muss vieles gelernt werden, auch auswendig, daran führt kein Weg vorbei. Aber die Lehrmittel heute bieten doch Möglichkeiten, den Lernstoff breiter zu verankern, als es mit reinem pauken möglich ist.
Lehrmittel, die allerdings richtig eingesetzt werden müssen. Didaktik ist gefordert, und daran fehlt es vielen Lehrern, und zunehmend der Lehrerausbildung - tragischerweise wird hieran gespart.
Ein weiteres Problem zuguterletzt - was soll gelernt werden?
Wir leben in einer Zeit der wachsenden Wissensvermehrung, Wissen entsteht da neu, das auch an den Schulen vermittelt werden muss. Man nehme nur mal das Fach Biologie - in den 70er Jahren langte es, Genetik mit den Mendelschen Regeln, Erbkrankheiten und dem Genbegriff im Sinne des "Ein Gen - ein Phän" abzuhandeln, alles weitere war nicht bekannt oder gerade so neu, daß es noch nicht relevant war.
Lernen zu lernen, lernen, sich in einer Welt ständig wachsenden Wissens auf dem Laufenden zu halten, wird zu einer Schlüsselqualifikation werden, der Schule jedoch - in keiner Weise gewachsen ist.
Ganz zum Schluss noch dieses: Wer über den Niedergang des Gymnasiums klagt, der werfe einen kleinen, ganz kurzen, Blick auf die Realschulen und Hauptschulen. Was sich dort anbahnt, die Krise derer, die nicht Elite sein können, nicht im Fokus auch nur irgendeines Bildungsstaatssekretärs stehen, keinen Platz mehr in unserer Gesellschaft, die wesentlich sich als Arbeitswelt definiert haben werden, diese Krise ist die wahrhaft gefährliche, für unsere Gesellschaft, für unser Land.
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