Defizite beim Selbstvertrauen und -wertgefühl

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Maurice
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Mo 23. Jan 2006, 15:43 - Beitrag #1

Defizite beim Selbstvertrauen und -wertgefühl

Ich will nicht jammer. Ich kann jammern nicht leiden. Denn es ist ein Zeichen von Schwäche und diese ist mir zuwider. Ich versuche daher, nicht zu unsachlich zu schreiben. Es löst zwar keine Probleme, wenn man über sie schreibt, aber manchmal wirkt es etwas entlastend.
Es soll hier nicht nur um micht gehen, sondern es soll ein Austausch unter Betroffenen stattfinden. Natürlich kann sich auch jeder andere zu Wort melden. Ich will nicht, dass dieser Thread zu einem Ort der Selbstbemitleidung und gegenseitigen Mitleidsbezeugungen wird. Denn auch Mitleid (so wie ich es verstehe) ist ein Zeichen von Schwäche. Vielmehr soll hier versucht werden im Diskurs zur gemeinsamen Selbstaufklärung beizutragen. Ich schreibe zuerst ein paar persönliche Gedanken, die kommentiert und diskutiert werden können oder an die eigene Gedanken angehängt werden können.

Bei mir äußern sich die Defizite am häufigsten in Form von Versagensängsten. Ich zweifle häufig an meinen eigenen Erfolg. Speziell was die berufliche Zukunft angeht. Dies gepaart mit einer häufig auftretenden Willensschwäche erzeugt bei mir ein Gefühl der Ohnmacht und Machtlosigkeit. Meine Idealisierung von Kraft, die sich zuweilen übersteigert, interpretiere ich als Reaktion auf dieses Gefühl der Schwäche. Die Symphatie für Nietzsches Propaganda des Herrenmenschen wird so verständlich. Der Wunsch nach Stärke wird aber nicht versucht zu verwirklichen, da dies durch den Zweifel am Erfolg verhindert wird.
Es ist nicht so, dass ich keine Erfolge zu verbuchen hätte, doch scheinen diese ohne Wirkung zu sein. Die Erfolge sind in meinen Augen notwendig und selbstverständlich. Eine sehr gute Note erfreut mich nur kurz und verliert schnell an Glanz. Irgendetwas muss ich ja ansatzweise können. Wirklich gut bin ich deshalb noch lange nichtm sonst würde ich mehr Leute überzeugen können. Entsprechend schmerzhaft sind daher manche Widersprüche, wenn sie das Vertrauen in meine Meinung in Frage stellen.
Auch Lob ist in meinen Ohren nur selten von Bedeutung. Entweder wird etwas gelobt, was in meinen Augen ein notwendiger Erfolg ist oder das Lob stammt von einer Person, auf deren Urteil ich wenig Wert lege. Interessanterweise liegen mir gerade die Beurteilungen derjenigen am Herzen, die mir durch ihre Fähigkeiten überlegen sind. In der Schule waren es die ein oder anderen Lehrer. In der Uni sind es jetzt die meisten Dozenten. Ich fühle mich ihnen gegenüber verpflichtet, gute Leistungen abzugeben. Mache ich Fehler, so habe ich ein schlechtes Gewissen, mit dem Gefühl sie enttäuscht zu haben. Beurteilungen von Personen, die mit mir auf gleicher oder auf einer geringeren Stufe stehen, sind mir nur selten von Bedeutung.
Manche sagen, dass man geliebt werden muss, um sich selbst lieben zu können. Egal auf wieviele diese Regel zutreffen mag, für mich ist das Geliebt-werden keine hinreichende Bedingung. Die geringe Wertschätzung bleibt. Allein die Feststellung, dass man für jemanden einen hohen Wert besitzt, reicht nicht aus, um sich selbst mit Stolz zu betrachten.

Feuerkopf
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Mo 23. Jan 2006, 16:03 - Beitrag #2

Wenn du dich schon nicht lieben willst, dann habe wenigstens Respekt vor dir. Wenn du nicht wertschätzt, was du kannst, wer soll es dann tun?
Bestätigung aus sich selbst zu ziehen ist viel stabilisierender für das Ego, als vom Werturteil anderer abhängig zu sein, deren Kriterien man kaum nachvollziehen kann.

Maurice
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Mo 23. Jan 2006, 16:07 - Beitrag #3

Das Problem an deinem Lösungsversuch ist nur, dass ich keine Willensfreiheit habe. :rolleyes:

Feuerkopf
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Mo 23. Jan 2006, 16:30 - Beitrag #4

Das ist die intellektuellste Ausrede, ich ich bisher gelesen habe. ;)

Da du determiniert bist, durch wen oder was auch immer, kannst du dich also bequem auf dem Sofa zurücklehnen und sagen: So bin ich halt, ich kann nicht anders.

Das ist gequirlte Hühnerkacke, Maurice.
Wenn du deine Situation als unbefriedigend empfindest, so kommst du gar nicht drumherum, dich und deine Motive mal selbst zu hinterfragen.
Um es mal mit Peter Lustig zu sagen: Klingt komisch, ist aber so.

Ipsissimus
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Mo 23. Jan 2006, 16:36 - Beitrag #5

reales eigenes Leistungsvermögen - realer eigener Leistungswille - proklamierter eigener Leistungswille - gesellschaftlich abverlangte Leistungen - Statuswille

die fünf gehen und gehen nicht Hand in Hand. Das ist ein Grundphänomen des Lebens, frag mich nicht, wieso das so ist. Am günstigsten für den Abbau von Versagensängsten wäre die Anpassung des Statuswillens an das reale eigene Leistungsvermögen (falls letzteres deutlich geringer sein sollte, als der Statuswille verlangt). Da übliche Sozialisation das verhindert, bleibt kaum anderes übrig als zu warten, bis die Hölle absolviert ist, in der Hoffnung, daß im Laufe eines Lebens sich ein gelassener Gleichgewichtszustand einstellt.

Daß das reale Leistugnsvermögen tatsächlich einmal unter den gesellschaftlich abverlangten Leistungen liegt, kommt kaum vor, bzw. nur dann, wenn der Statuswille in einen Leistungsbereich zwingt, der eigentlich nicht leistbar ist.


davon abgesehen halte ich es für Irrsinn, den Wert der eigenen Person an der eigenen Leistungsfähigkeit festzumachen und diese noch mit der Leistungsfähigkeit und/oder Erwartungen anderer abzugleichen. Ich gestehe Nietzsche zu, daß er ein Verzweifelter war, der sich in Größenwahn gerettet hat. Daraus ein Lebensmodell abzuleiten halte ich für ein Vabanque-Spiel

Maurice
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Di 24. Jan 2006, 12:56 - Beitrag #6

Feuerkopf du hast imo verkürzt geantwortet, weshalb ich so dreist war und das auch getan habe. :P

Also nochmal ausführlicher:
Klar die Aussage "ich habe keine Willensfreiheit" ist kein Blankocheck für jegliches handeln, da es ja immerhin immer ich bin, der etwas tut.
Wenn du nicht wertschätzt, was du kannst, wer soll es dann tun?

Die eigene Wertschätzung der eigenen Leistungen steht in keiner notwendigen Beziehung zu der Beurteilung durch andere. Würde ich z.B. ein Essay schreiben, von dem meine Mutter begeistert wäre, dann würde sie es auch dann noch toll finden, wenn ich unzufrieden mit ihm wäre.

Wenn du dich schon nicht lieben willst, dann habe wenigstens Respekt vor dir.
Bestätigung aus sich selbst zu ziehen ist viel stabilisierender für das Ego, als vom Werturteil anderer abhängig zu sein, deren Kriterien man kaum nachvollziehen kann.

Das klingt für mich so, als ob ich nur sagen müsste "oh ja es ist besser, wenn ich Respekt vor mir selbst habe und dass ich mich nicht von Wertschätzungen anderer abhängig mache, also mache ich das in Zukunft nicht mehr" und Peng! schon habe ich mich geändert. Eben ganz willensfrei und über sich selbst erhaben.
Aber so läuft das jeder nun mal nicht. Ich sehe natürlich ein, dass es besser wäre, wenn ich mehr Respekt vor mir hätte, aber das bewirkt noch lange nicht, dass ich mehr Respekt vor mir habe. Ich kann mich eben nicht in absoluter Willensfreiheit selbst nach belieben formen.
Mir wäre es ja auch lieber, wenn ich ein besseres Verhältnis zu mir hätte, aber ich weiß nicht, wie ich das erreichen soll.

Mir fällt gerade ein, dass ich vor ein paar Monaten einen spontanen Text in die Richtung geschrieben hatte. Ich überlege mal, ob ich ihn hier demnächst mal posten sollte.

aleanjre
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Di 24. Jan 2006, 13:21 - Beitrag #7

Die Regel, dass man Liebe erfahren muss, um lieben zu können,setzt im Kleinkindalter an. Wer in den ersten 6 Lebensjahren stabile Liebe und Anerkennung erfährt, entwickelt ein positives Selbstwertgefühl. Das kann in späteren Jahren dann noch gestört werden, durch Trauma, Liebesentzug, Misserfolge. Es aber erst in späteren Jahren aufbauen zu wollen, ist sehr, sehr schwierig.
Man kann immer auf zweierlei Weisen in den Spiegel blicken und sich selbst erkennen: Man sieht ein Ganzes mit Fehlern. Oder man sieht ein Ganzes. Wenn du deine Ansprüche immer so hoch schraubst, dass du sie unmöglich erreichen kannst, Maurice, ist Frust und Versagensangst vorprogrammiert. Du willst 1000% erreichen. Erhoffst, dass du 150% schaffst. Die 97% die du dann tatsächlich bringst, empfindest du als gräßlich. Du siehst nicht, was du alles erreicht hast. Sondern nur, was fehlt. Deshalb klingt jedes Lob automatisch wie Hohn in deinen Ohren, fragst dich, warum denn niemand erkennt, wie fehlerhaft das doch ist!
So, wie Ipsi es schon sagte: Passe deine Erwartungshaltung an dich selbst an! Lege die Latte niedriger. Gesund wäre, wenn du 110% anstrebst, 90% erwartest und dich freust, weil du dich selbst übertroffen hast!
Wenn du auf deinen Tag zurückblickst, suche nicht nach den Dingen, die du alle nicht geschafft hast. Sondern betrachte, was du alles geschafft hast. Schreibe es dir vielleicht auf, was du an einem Tag vollbringen konntest. Du wirst feststellen, dass es sehr viel ist als du meinst, wenn du nur einmal den Blick fort von den Fehlern gelenkt hast. Dieses Gefühl: Heute war ich fleißig, ich habe viel erreicht! - ist die wichtigste Grundlage, um den nächsten Tag erwartungsvoll, nicht bereits vorfrustriert zu beginnen. Es ist ein langer, mühsamer Weg, die Perspektive auf sich selbst ändern zu können. Es liegt wie immer an dir, ihn zu beginnen.

Maurice
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Di 24. Jan 2006, 14:18 - Beitrag #8

Wie du sagst Alea, es ist eine Sache der Perspektive.
Du siehst ein Verhältnis von 1000% zu 150% zu 97%. Ich sehe ein Verhältnis von 90% zu 50% zu 20%. Wer hat nun recht mit seiner Einschätzung?
Wenn du recht hast (was ich nicht ausschließen will), dann wäre eine sinnvolle Konsequenz, wenn ich meine Ansprüche senke. Wenn ich aber recht habe (was ich auch für möglich halte), dann wäre die Senkung der Ansprüche keine gute Reaktion. Dann wäre wohl eine höhere Produktivität erfolgsversprechend. Eingenommen von meiner Perspektive, erscheint mir natürlich der zweite Weg als der richtige.

Die Idee mit der Liste finde ich gut, das sollte ich mal ausprobieren. Ehrlich gesagt habe ich aber auch Angst davor, da ich glaube, dass mich das Ergebnis nicht erfreuen wird.
Im Grunde mache ich das auch gedanklich an einigen Tagen und komme dann (fast) immer zum Ergebnis, dass ich viel mehr hätte tun können und deshalb das, was ich getan habe, zuwenig war.


Mal abgesehen davon: Will sonst niemand mehr aus der Couch-Perspektive schreiben? Ich werde doch wohl kaum der einzige hier mit solchen Problemen sein. Na los traut euch! ;)

Ceitlyn
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Di 24. Jan 2006, 14:51 - Beitrag #9

Für mich klingt es als betrachtetest du Menschen mit/in zweierlei Maßen: jene deren Meinung (bzgl dir oder anderer Menschen etc) wichtig ist, und jene deren Meinung dir nichts bedeutet.
Das ist weder neu noch ungewöhnlich noch überraschend, ich weiß.


Jedoch wenn ich meine Leistungen, das was ich schaffe/tue, beurteile und dieses Urteil, diesen Maßstab nach jenen ausrichte, die ich eh schon höher ansetze in meinem Urteil über sie (und damit ihr Urteil über mich und andere/s), dann kann ein solcher Mensch - meiner Meinung nach - nie wirklich zufrieden sein, mit diesem Urteil über das eigene Tun.
Du wirst jemandem, den du als höher als du selbst betrachtest, niemals erreichen können, niemals gerecht werden können. Dafür müsstest du sie von ihrem (nun, eigentlich deinem) Podest stürzen

Ich fühle mich ihnen gegenüber verpflichtet, gute Leistungen abzugeben. Mache ich Fehler, so habe ich ein schlechtes Gewissen, mit dem Gefühl sie enttäuscht zu haben. Beurteilungen von Personen, die mit mir auf gleicher oder auf einer geringeren Stufe stehen, sind mir nur selten von Bedeutung.



Theoretisch würde es deinem Selbstwertgefühl helfen, dein Urteil über dein Schaffen, dein Tun nicht an jenen die du bewunderst auszurichtigen, sondern an jenen die dir "selten von Bedeutung" sind.
Praktisch: "Wirklich gut bin ich deshalb noch lange nicht sonst würde ich mehr Leute überzeugen können." oder einfach nur dich ;)




PS: Couch empfinde ich als unbequem: es ist leichter sich selbst aus der Perspektive eines andern zu betrachten.

Lykurg
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Di 24. Jan 2006, 15:06 - Beitrag #10

Maurice, vielleicht solltest du deinen Philo-Prof mal nach seiner Einschätzung der 20% fragen, ich meine den mit den 14 P. ;) - Nein, schon klar, der Schritt würde mir auch äußerst schwerfallen. Eine gewisse Steigerung deiner Lage wäre, wenn du anfängst, Personen, die deine Leistungen positiv beurteilen, weniger hoch einzuschätzen bzw. ihr Urteilsvermögen (bedingt, und natürlich nur innerlich) bezweifelst. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das nicht sogar teilweise der Fall ist... Dir sollte klar sein, daß ein solches Verfahren dem eigenen Selbstvertrauen komplett den Boden entziehen muß, egal wie gut die eigentliche Grundlage ist. Insofern ist es schlichtweg sinnlos.

Meine persönliche Couch hatte ich ja schon im Oberstufenthread aufgeschlagen, nach mehr steht mir derzeit nicht der Sinn.^^

Feuerkopf
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Di 24. Jan 2006, 16:59 - Beitrag #11

Maurice,
ich verstehe dich und deine Haltung besser, als du vermutlich denkst. Diese Gnadenlosigkeit sich selbst gegenüber kenne ich und habe viele Jahre darunter gelitten.
Ziele hoch zu stecken, ist sicher kein Fehler, auch nicht, sich "Bewerter" zu suchen, die wirklich kompetent auf ihrem Gebiet sind.
Lykurg hat aber etwas wirklich wichtiges angemerkt:
Eine gewisse Steigerung deiner Lage wäre, wenn du anfängst, Personen, die deine Leistungen positiv beurteilen, weniger hoch einzuschätzen bzw. ihr Urteilsvermögen (bedingt, und natürlich nur innerlich) bezweifelst. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das nicht sogar teilweise der Fall ist... Dir sollte klar sein, daß ein solches Verfahren dem eigenen Selbstvertrauen komplett den Boden entziehen muß, egal wie gut die eigentliche Grundlage ist. Insofern ist es schlichtweg sinnlos.


Das entspricht einer grausamen Art der Selbstsicht. "Ich bin unzulänglich. Also muss jeder, der mich positiver bewertet als ich mich selbst, auch unzulänglich sein und kann meine Wertschätzung nicht verdienen - weil er mich wertschätzt und ich bin doch unzulänglich."

Du schreibst:
Das klingt für mich so, als ob ich nur sagen müsste "oh ja es ist besser, wenn ich Respekt vor mir selbst habe und dass ich mich nicht von Wertschätzungen anderer abhängig mache, also mache ich das in Zukunft nicht mehr" und Peng! schon habe ich mich geändert. Eben ganz willensfrei und über sich selbst erhaben.
Aber so läuft das jeder nun mal nicht. Ich sehe natürlich ein, dass es besser wäre, wenn ich mehr Respekt vor mir hätte, aber das bewirkt noch lange nicht, dass ich mehr Respekt vor mir habe. Ich kann mich eben nicht in absoluter Willensfreiheit selbst nach belieben formen.
Mir wäre es ja auch lieber, wenn ich ein besseres Verhältnis zu mir hätte, aber ich weiß nicht, wie ich das erreichen soll.


So einfach ist es natürlich nicht und auch immer von Rückfällen in alte Muster begleitet. Wenn du aber anfängst, dich mit freundlicheren Augen zu betrachten, so wie Alea das vorgeschlagen hat, wirst du feststellen, dass du schon eine ganze Menge "geleistet" hast.
Wenn du es dann noch schaffst, Fähigkeiten und Leistungen abseits deiner Ausbildungslaufbahn mit einzubeziehen, dann wirst du ein kompletteres Bild von dir bekommen. Du stellst auf einmal fest, dass du die Fähigkeit hast, jemanden froh zu machen. Du hast vielleicht ein besonders gutes Gehör für Musik. Oder du bist besonders geschickt im Häkeln. Oder backst den weltbesten Marmorkuchen. Oder kannst Leute zum Lachen bringen.
Verstehst du, was ich meine? Du bist viel mehr als der eifrige Student, der mal ein richtig guter Lehrer werden will. Du bist auch noch Freund, Sohn, Kumpel, etc. pp.
Der Tipp mit dem Aufschreiben ist sehr gut. Auch die kleinen Puzzlestückchen tragen zu dem Gesamtbild "Maurice" bei.
Das geht nicht von heute auf morgen, aber: Today is the first day of the rest of your life! :knuddel:

Psychotherapeuten haben keine Couch, sondern Sessel. Die mit der Couch sind die Psychoanalytiker. :schlaumeiermodus aus:

aleanjre
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Di 24. Jan 2006, 23:27 - Beitrag #12

Feuerkopf, genau darum ging es mir.
Mauric: Einfach mal alles aufschreiben, was man über Tag so alles tut. Dabei Freizeit, Arbeit und hauswirtschaftliches einfach mal gleichwertig betrachten. Kaum etwas von dem, was Mensch über Tag so tut, ist wirklich sinnlos.
Smalltalk mit Familienangehörigen? Keine Zeitverschwendung, sondern Informationsaustausch und sozialer Kontakt. Entspannen bei einem kleinen Ballerspielchen? Schult die Reflexe. Lesen von Triviallektüre? Wenig ist so trivial, dass man nachher nicht etwas mehr weiß als vorher. Auch Nicht - Fachwissen bildet!
Kochen, Essen, trinken, duschen... - na, der Körper will gepflegt werden!
Und immer so weiter! Es zählt nicht nur, ob du deine Fachliteratur in Rekordzeit durchackerst und brillante Essays am Fließband lieferst. Dein Leben wird nicht danach bewertet, wie viele philosophische Bücher du gelesen hast. Sondern was du dir selbst und den Menschen in deinem Umfeld geben konntest.

Padreic
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Mi 25. Jan 2006, 23:38 - Beitrag #13

@Maurice:
Vieles von dem, was du schilderst, kommt mir von mir selbst bekannt vor; wenn vielleicht auch in schwächerem Ausmaße. Auch mir geht es oft so, dass ich mich über meine Leistungen nicht recht freuen kann; wohl auch, weil ich sie immer an den besten Leistungen, die ich bisher mache, zu messen pflege. Manchmal passiert es natürlich, dass ich überrascht bin, dass etwas besser wurde als erwartet, und ich mich dann freue; aber das ist dem Charakter der Überraschung gemäß auch selten.
Als charakteristische Erinnerung ist in mich eingeprägt eine Landesrunde der Mathematik-Olympiade, wo ich erfuhr, dass ich volle Punktzahl errungen hatte und mich kein bisschen gefreut habe.

Warum sich auch über Leistung freuen...warum daraus sein Selbstwertgefühl schöpfen...warum überhaupt ein Selbstwertgefühl? Ich denke, man kann auch durchaus glücklich sein (zumindest in Maßen), wenn man kein ausgeprägtes solches hat. "Ich bin vielleicht nicht viel wert, aber was soll mich das am Glücklichsein hindern?"
In der Praxis ist natürlich alles viel schwerer als in der Theorie.

Das mit dem Lob finde ich übrigens sehr natürlich. Wenn man jemanden loben will, so dass es von wert ist, so muss man seine Taten beurteilen können. Und das wird man vor allem dann können, wenn man dem zu lobenden in dem Gebiet überlegen ist. Lob von von mir fachlich hochgeschätzten Mitmenschen hat mir auch immer viel bedeutet.
Wobei das zwar in gewissem Maße, aber eben auch nur in gewissem Maße auf persönlicheres, also nicht fachliches Lob bezieht; da macht es wohl auch mehr aus, inwieweit man die Person mag, die einen lobt.

Baloth
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Fr 27. Jan 2006, 04:09 - Beitrag #14

Hätte nie gedacht, dass jemand anders meine Gedanken so gut in Worte fassen könnte!

Wenn ich mich beschreiben müsste dann würde es wie folgt lauten:

Ich habe bisher noch nichts zu meiner Zufriedenheit erledigt, ich bin ein absoluter Perfektionist und muss immer mindestens 100% erreichen! Werde ich gelobt, obwohl ich meine Erwartungen untertroffen habe, denke ich, dass derjenige aus Freundlichkeit nett über mich spricht, aber ganz anders denkt!
Ich weiß, was ich an mir verändern WILL, denke aber ich schaffe es sowieso nicht, und fange darum erst garnicht an! Wenn ich weiß, dass ich etwas nicht schaffe, versuche ich gar nicht erst es richtig zu machen und denke mir: "Das geht sowieso wieder in die Hose!", also erledige ich diese Aufgaben nur halbherzig...

Ich möchte mich ändern, weiß aber, dass ich nie perfekt sein werde und bleibe deshalb wie ich bin!


Einige Beispiele:

Ich finde mich unattraktiv, habe aber nicht die Durchhaltungskraft mich zu verändern, also bleibe ich wie ich bin!

Ich besitze keinerlei herrausragende Fähigkeiten (Kann nichts besonders gut) bin also in allem maximal ein Mittelmaß und es wird immer jemand geben, der es besser kann als ich, also versuche ich gar nicht erst meine Fähigkeiten zu verbessern.

Ich könnte noch tausende solcher Beispiele bringen! Denke aber Ihr habt in etwa verstanden, wie es mir geht...

Feuerkopf
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Fr 27. Jan 2006, 10:40 - Beitrag #15

Was ist eigentlich schlimm daran, durchschnittlich zu sein?

Der Durchschnitt ist doch nur ein statistischer Begriff. Jeder von uns liegt mal über-, mal unterhalb der Norm, ob es Gewicht oder Größe oder Zensurenschnitte angeht. Der eine singt etwas besser, der ander malt recht gut und der dritte kann flink rechnen.
Diese Fähigkeiten, so sie einem auch Freude bereiten, kann man schulen, trainieren und zum persönlichen Optimum entwickeln. Wie war das noch? Erfolg sind 20 % Talent und 80 % Schweiß. :cool:

Mit durchschnittlichen Fähigkeiten hat man das Rüstzeug, um das Leben gut in den Griff zu bekommen. Wenn ich dann noch schaffe, meine besonderen Talente zu fördern, ohne mich am völlig unrealistischen Vergleich mit Genies auf diesem Gebiet zu verschleißen, dann sollte ich doch mit einer gewissen Zufriedenheit in den Spiegel gucken können. Dann kann ich eines Tages sagen: Ich habe meine Möglichkeiten genutzt.

Mich von vornherein selbst zu entmutigen, indem ich mir Vorbilder suche, denen ich niemals werde das Wasser reichen können, kann dann zum probaten Entschuldigungsgrund für Antriebsarmut werden.

Maurice
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Fr 27. Jan 2006, 13:07 - Beitrag #16

@Lykurg:
Maurice, vielleicht solltest du deinen Philo-Prof mal nach seiner Einschätzung der 20% fragen, ich meine den mit den 14 P.

Wie soll der Prof denn beurteilen, wieviel Prozent meines Potentials ich umsetze? ;)
Naja im Grunde kann das niemand sicher bestimmen, weil es allein schon eine heikle Sache ist, ein Potential zu bestimmen. Aber es reicht wohl zu sagen "Potential nicht genutzt" = "man hätte mehr geleistet, wenn man gewollt hätte".

@Feuerkopf:
Das entspricht einer grausamen Art der Selbstsicht. "Ich bin unzulänglich. Also muss jeder, der mich positiver bewertet als ich mich selbst, auch unzulänglich sein und kann meine Wertschätzung nicht verdienen - weil er mich wertschätzt und ich bin doch unzulänglich."

Das trifft ja zum Glück nicht auf mich zu. Ich halte den Prof, der mir 14 Punkte gegeben hat, immer noch für kompetent. ;)

Es zählt nicht nur, ob du deine Fachliteratur in Rekordzeit durchackerst und brillante Essays am Fließband lieferst. Dein Leben wird nicht danach bewertet, wie viele philosophische Bücher du gelesen hast. Sondern was du dir selbst und den Menschen in deinem Umfeld geben konntest.

Wenn du es dann noch schaffst, Fähigkeiten und Leistungen abseits deiner Ausbildungslaufbahn mit einzubeziehen, dann wirst du ein kompletteres Bild von dir bekommen. Du stellst auf einmal fest, dass du die Fähigkeit hast, jemanden froh zu machen. Du hast vielleicht ein besonders gutes Gehör für Musik. Oder du bist besonders geschickt im Häkeln. Oder backst den weltbesten Marmorkuchen. Oder kannst Leute zum Lachen bringen.
Verstehst du, was ich meine? Du bist viel mehr als der eifrige Student, der mal ein richtig guter Lehrer werden will. Du bist auch noch Freund, Sohn, Kumpel, etc. pp.

Ich zitiere mal die beiden Abschnitte zusammen, weil sie ja (wenn ich sie richtig verstehe) dasselbe sagen.
Zum einen habt ihr recht, dass es noch andere Fähigkeiten gibt und dass man nicht nur nach schulischen Leistungen bzw. Leistungen in der Arbeitswelt beurteilt wird. Man darf dabei aber nicht die Relativität der Bewertungen durch die Abhängigkeit von Subjekten vergessen. Verschiedene Menschen bewerten Dinge nach verschiedenen subjektiven Kriterien. Ich gehe von keinen objektiven (im Sinne von meta-subjektiven) Bewertungen aus, mit denen man den objektiven Wert einer Sache feststellen könnte. Wert besitzt immer nur etwas für ein Lebewesen. Um sagen zu können, auf was es ankommt, muss man eine subjektive Position einnehmen. Ich bestreite nicht, dass es vielen Leuten nicht nur darauf ankommt, wieviel Erfolg ich auf der Uni bzw. in der Arbeitswelt habe, wieviele Bücher ich lese und wieviele gute Texte produziere. Die Frage ist, ob in meinem Fall deren Perspektive eine Rolle spielt. Die Menschen legen nun mal verschieden Maß an sich und andere an. Und scheinbar zählt für mich dieser Produktivitätsaspekt deutlich mehr, als für andere. Wahrscheinlich zu viel. Und wenn mir die Beurteilung derer, die ein anderes Maß anlegen, nicht wichtig ist, dann wird eine positive Beurteilung ihrerseits wenig relevant für mich sein.

Im Grunde gibt es ja nur zwei Möglichkeiten: Präferenzen verwirklichen oder ändern. Ich weiß nicht, was schwieriger ist.

e-noon
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So 29. Jan 2006, 13:22 - Beitrag #17

@Letzten Satz: Beides wäre imo am besten ^^ Mach dir weniger Erwartungsdruck, und versuch gleichzeitig, mehr zu schaffen :D

Ich sehe ein Verhältnis von 90% zu 50% zu 20%. Wer hat nun recht mit seiner Einschätzung?
Du schon mal nicht. Sagen wir, du willst 100% erreichen - dein volles Potential ausschöpfen. Gleichzeitig kennst du deine Stärken und Schwächen, weißt, dass du so motiviert und ausdauernd (noch?) nicht bist. Du erhoffst also etwa 90%, wobei du dir schon sicher bist, dass du da wegen Faulheit etc nicht hinkommst, kommst auf etwa 80% und fühlst dich so: . klein mit Hut.

Sinnvoll wäre nun imo, 85% anzustreben; die sind leichter zu erreichen, motivieren somit eher zur Leistung als sich unter Leistungsdruck zu setzen. Gleichzeitig sagst du dir: Das schaff ich jetzt aber, versuchst, keine Gedanken an einen möglichen schlechten Ausgang zu verschwenden, und schaffst dann tatsächlich 85%. Damit hättest du dein Potential gesteigert, aber gleichzeitig deine ERwartungen so verringert, dass du sie auch erfüllen kannst. Und dein Selbstwertgefühl müsste logischer WEise steigen. :cool:

Seraph
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So 29. Jan 2006, 21:05 - Beitrag #18

Im Grunde läuft es darauf hinaus, sich in einer realistischen Weise zu ändern.

Ein Verwandter von mir sagte einmal: "Der Optimismus ist da, um sich ein Ziel zu setzen und der Realismus um dieses zu erfüllen."

Du musst dir selbst bewusst machen, wer du bist, was du kannst und was du nicht kannst und dies anerkennen. Es bringt z. B. nichts, sich schlecht zu fühlen, weil man etwas nicht kann, denn am Ende gibt es immer etwas, was man nicht kann. Dagegen kann man halten, dass man etwas kann und froh sein kann wenigstens dieses zu können.

Zudem brauch man nicht unzufrieden zu sein, wenn man versucht hat seine volle Leistung zu geben, diese aber nicht erreicht hat. Der Versuch allein zählt, der Wille.

Es kommt also auf den Willen an. Du musst dir bewusst machen, wer du bist und was du kannst und dementsprechend dich selbst definieren. Weiterhin, darfst du nicht stolz oder traurig sein, denn beides ist kontraproduktiv. Es bringt nichts stolz zu sein, weil es nur eine Emotion ist, die einen blind werden lässt (dadurch das man stolz wird). Es bringt nichts, traurig oder schlecht gelaunt zu sein, weil dies die Sache auch nicht bessert.

Man sollte tun was man kann, was von einem mglw. erwartet wird, ohne Angst haben zu müssen, dass es nicht ausreicht, weil man sowieso nichts dagegen tun kann, sollte dieser Fall eintreten. Man kann hinterher lediglich die Unternehmung starten, besser werden zu wollen.

Wichtig ist also, bescheiden und ehrlich sich selbst gegenüber zu sein und nicht unbegründeterweise vor etwas angst zu haben, obwohl kein wirklicher Grund dazu besteht.

Man muss die Erwartungen die man sich selbst stellt, und die von einem anderen erwartet werden, analysieren und sich darauf einstellen. Dabei sollte das Ziel nicht uneingeschränkter Erfolg sein, sondern der Wille Erfolg haben zu wollen und ein zufriedenstellendes Ergebnis erreicht zu haben.

Es läuft also auch alles auf die grundlegenden Tugenden des menschlichen Charakters hinaus.

Eine Hilfe ist es, wenn man sich klar macht, was passiert, wenn man einen Fehler macht. Ein Blumentopf fällt etwa herunter. Man kann ihn ersetzen. Deine Note war nicht zufriedenstellend - sie hat aber dennoch ausgereicht und man erhält weitere Chancen sich zu beweisen.

Es ist also Realismus, der hier leicht mit Optimismus zu verwechseln ist, hingegen aber nur in die optimistische Richtung tendiert.

Maurice
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So 29. Jan 2006, 23:32 - Beitrag #19

@Sarah: Und wie kommst du darauf, dass ich 80% leiste?


@Seraph: Wow schön mal wieder was von dir zu hören. Und dann auch noch gleich so ausführliche Posts. Sehr lobenswert! :pro:

Zudem brauch man nicht unzufrieden zu sein, wenn man versucht hat seine volle Leistung zu geben, diese aber nicht erreicht hat. Der Versuch allein zählt, der Wille.

Das ist ein wichtigere Punkt. Nur fehlt es mir wie gesagt nach eigenen Einschätzungen an Willen. :(

Du musst dir selbst bewusst machen, wer du bist, was du kannst und was du nicht kannst und dies anerkennen.

Tja sich bewusst machen... imo kann man das so leicht sagen, doch ist das dann nicht so einfach. Sich seiner Selbst bewusst werden, Erkenntnis über sich erlangen, über sich Bescheid wissen, ist das überhaupt möglich? Erstellen wir eigentlich nicht nur mehr oder weniger komplexe, kohärente und plausible Theorien über uns und andere? Ja über alles in der Welt? Woran soll ich erkennen, dass ich mich erkannt habe und nicht falsch liege mit meiner Einschätzung? Wie soll ich wissen, ob und was ich über mich weiß?

Feuerkopf
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Mo 30. Jan 2006, 00:52 - Beitrag #20

Woran soll ich erkennen, dass ich mich erkannt habe und nicht falsch liege mit meiner Einschätzung? Wie soll ich wissen, ob und was ich über mich weiß?


Erfahrung. Du weißt doch auch, ob du so gut schwimmen kannst, dass du eine bestimmte Strecke schaffst, ohne abzusaufen. Du weißt, wie weit deine Fähigkeiten im Eislaufen reichen oder im Skatspielen. Das sind auch Fertigkeiten, wenn auch auf etwas weniger intellektuellem Gebiet.
Mein Ex sagte immer: "Taste and try before you cry." Da ist was dran.

Maurice, du bist der klassische Fall von "Wenn Männer zu viel denken". ;)

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