was für mich zählt, Lykurg, ist nicht die Zugehörigkeit zu einer Ideologie, sondern sind die Absichten; und bei diesen wiederum die tatsächlichen und nicht die proklamierten. Natürlich erwecken Differenzierungen den Eindruck, wir redeten über unterschiedliche Sachen - so mag es dann als etwas Verschiedenes erscheinen, ob ein Adliger seine Leute in Leibeigenschaft hält, oder ob ein Manchester-Unternehmer seine Arbeiter bezahlt. Daß die Lebensumstände der Arbeiter gegenüber der Leibeigenschaft sich in nichts gebessert haben, wen interessiert das schon angesichts der x-prozentigen Lohnsteigerung, selbst wenn diese Lohnsteigerung die Versorgungssituation in nichts verbessert. Es hat sich nichts am Umstand noch am Ausmaß der Ausbeutung, nur an der Art der Ausbeutung etwas geändert
Will sagen: es gibt gewiss eine Diversität der Ideologien, aber dahinter verbirgt sich oft genug eine Analogie bis zur Identität der Absichten. Ich gebe zu, hinter der Hochglanzfassade sind die wirklichen Absichten oft schwer zu erkennen; wichtiger als die Herrschaft über die Medien insgesamt ist heute fast die Herrschaft über die PR und Werbung. Wieder ein Hinweis darauf, daß "die Wirklichkeit an sich" belanglos ist, und nur das zählt, was uns über sie glauben gemacht wird.
Es bleibt dir unbenommen, Lykurg, streng zu unterscheiden nach Unterdrückung und Ausbeutung durch Feudalherren, Unterdrückung und Ausbeutung durch Kirche, Unterdrückung und Ausbeutung durch Bolschewisten, Unterdrückung und Ausbeutung durch Wirtschaftsimperialismus, Unterdrückung und Ausbeutung durch Imperialismus und Kolonien-"Erwerb", Unterdrückung und Ausbeutung durch die Strukturen der Welthandelsorganisation und der Weltbank usw.; aus meiner Sicht der Dinge ist das irrelevant, weil sich nichts an den Sachverhalten ändert, sondern nur an den Begründungen - was für die Opfer völlig irrelevant ist.
Ich habe übrigens nirgends irgendwelche Zahlen gegeneinander abgewogen^^ mir geht es auch nicht um eine Apologetik des Sozialismus, den ich kritisch genug sehe, wenn ich ihn nicht gerade veteidigen muss, weil er in Grund und Boden gestampft werden soll, während gleichzeitig analoge Sachverhalte zu denen, die ihm vorgeworfen werden, bei seinem Counterpart großzügig übergangen werden. Der Liberalismus hat für eine kleine Gruppe Menschen die Zugehörigkeit zur Machtelite eröffnet; er hat auch zu einer Neustrukturierung der Machteliten geführt. Das mag für die Eigenwahrnehmung der Eliten selbst wichtig sein. Für die Opfer hat sich dadurch nichts geändert.
Zahlenabwägungen hinsichtlich vorsätzlich herbeigeführter, menschenverursachter gewaltsamer Todesfälle:
es ist weniger die große Zahl, als vielmehr die Art der Todesherbeiführung, die den Unterschied ausmacht. Selbst wenn die große Zahl irgendwann vom Quantitativen ins Qualitative umschlägt, scheint sie mir sekundär gegenüber dem Leid des Einzelschicksals. Jeder Mensch stirbt nur seinen eigenen Tod. Von daher beurteile ich einen Killer, der im Laufe seines Berufslebens 100 Menschen augenblicklich, schmerzlos und ohne Vorankündigung getötet hat, so daß es für seine Opfer von einem Augenblick zum anderen leidensfrei vorrüber war, milder als einen, der "nur" 10 Menschen getötet hat, diese aber qualvoll hat verrecken lassen.
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