Ist Brandenburg ein rechtsstaatsfreier Raum, und darf man das sagen?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
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Fr 19. Mai 2006, 22:42 - Beitrag #1

Ist Brandenburg ein rechtsstaatsfreier Raum, und darf man das sagen?

Vor einigen Tagen hat Uwe-Karsten-Heye, ehemaliger Regierungssprecher, geäußert, daß man Menschen mit dunkler Hautfarbe, die zur Fußball-WM kommen, davor warnen müsse, zu bestimmten Zeiten in Brandenburg unterwegs zu sein.
Der Aufschrei, den dies verursacht hat, insbesondere bei führenden Vertretern der brandenburgischen Landesregierung, bringt mich auf die Frage, ob Heye entweder überdramatisiert oder ob er damit einen Kern des Regierungsversagens angesprochen hat, daß tatsächlich staatsfreie Räume in Brandenburg bestehen und dieser Zustand gewissermaßen als un-denkbar wahrgenommen wird.

Wenn ich mitbekomme, daß staatliche Stellen selbst deutschen Jugendlichen, die sich gegen Ausländerfeindlichkeit einsetzen, die dafür gar öffentlich belobigt werden, nahelegen, umzuziehen, daß in einzelnen Regionen rechte Bürgerwehren bestehen, die ihre Region als "ausländerfrei" deklarieren usw. hat Heye in meinen Augen nicht übertrieben.

In meinen Augen sind wir Zeuge dessen, daß sich in Brandenburg tatsächlich Staatsfreie Räume entwickelt haben, ein aus Systemsicht unhaltbarer Zustand eigentlich - und der Staat schaut zu.
Bemerkenswerterweise gerade die Regierung, deren Ministerpräsident als "Deichgraf" mit den Ruf der größten Volksnähe sich erworben hat, den Ruf des in einer Notlage tatkräftig Helfenden.
Deren Ministerpräsident diejenige Partei, die sich traditionell eigentlich gerade gegen Ausländerfeindlichkeit positioniert, führen wollte, bis er gesundheitlich bedingt davon absehen musste.
Oder sind die Maßstäbe seit Schröder entgültig verrutscht, ist Platzeck gar ein U-Boot? Oder erleben wir nur den schlagenden Beweis, daß Politik schlimmer und überall nichts ist als ein schmutziges Geschäft, nur meist einigermaßen ansehnlich gestrichen? Wobei dann für die abgeplatzten Stellen gilt, daß der Kaiser neue Kleider hat?

Bauer-Ranger
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Sa 20. Mai 2006, 05:39 - Beitrag #2

Nun Jan, ich denke nicht, dass das wirklich ein mit herkömmlichen politischen Mehoden zu lösendes Problem ist und vor allem ist es nicht neu, dass es "Staatsfreie Räume" gibt.
Ich kann nur für Göttingen sprechen, aber hier ist bekanntermaßen eine linke Hochburg, hier kann sich die NPD nicht mehr als eine Postfachnummer erlauben, denn alles andere würde zerstört werden.
Bei der letzten NPD-Demo vor genau einer Woche waren hier 6000 Polizisten für 100 bis 200 NPD-Anhänger und etwa 5000 Gegendemonstranten. Die hohe Zahl ist aufgrund der nicht durchführbaren NPD-Demo vom Herbst 2005 zu erklären. Und genauso wie es eben linke Hochburgen gibt, in denen sich kein rechtsradikaler zu erkennen geben darf, gibt es rechte Hochburgen, in denen ohne erhöhtem Polizeiaufkommen keine Sicherheit für Linke oder Ausländer gewährleistet werden kann. Und die Polizei kann eben keine 365-Tage-Sicherheit für bestimmte politische oder ethnische Gruppen in bestimmten Gegenden gewährleisten und so bleibt es ein von diesen bestimmten Gruppen zu meidendes Gebiet. Für etwas neues halte ich das bestimmt nicht und wenn man nach den rechtsstaatlichen Grundsätzen in unserer Gesellschaft handelt, so bleibt keine andere Wahl, als solche Randgruppen enweder mit überhöhtem Polizeiaufkommen zu schützen oder dem ganzen dem "natürlichen" Reviergehabt dieser Gruppen nachzugeben, was mangels finanziellen Möglichkeiten Realität geworden ist.
Dass die Politik das Ganze aufgrund von überhöhtem Polizeiaufkommen bei Demos in solchen Gegenden in gewissem Maße vertuschen kann dürfte klar sein und somit halte ich es für richtig, dass ein Politiker einmal die Wahrheit in diesem Punkt sagt und auf diese Situationen aufmerksam macht, aber wie gesagt ist dies nichts neues.

mfg Michi

janw
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Sa 20. Mai 2006, 10:03 - Beitrag #3

Gut, Göttingen ist sicher ein Beispiel, aber eines, das zumindest manche Politik gerne beseitigen würde, und Skinheads wissen über die Lage bescheid. Es gibt sicher noch andere kleinräumige no-go-areas für bestimmte Gruppen, sei es für Schalke-Anhänger in Dortmund zu bestimmten Zeiten - aber eben kleinräumig und leicht zu umgehen, indem mensch eben "in zivil" dort herumläuft.
Brandenburg und Teile Mecklenburgs erscheinen mir da in einem anderen Licht, mit Bürgerwehren, die explizit für eine "ausländerfreie" Region kämpfen oder eine solche verkünden, und wo Polizei und Staat offenbar landkreis- oder bezirksregierungsweit wegsehen.
Und diese Regionen werden noch gefördert, von jedem Steuerzahler mit dem Soli.

Lykurg
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Sa 20. Mai 2006, 10:35 - Beitrag #4

Von "Bürgerwehren" der Antifa habe ich noch nicht gehört, aber immerhin findet man an diversen Stellen im Netz eindeutig diesbezüglich geäußerte Ansprüche (etwa hier, stammend von http://projekte.free.de/schwarze-katze/texte/gast01.html):
12) Neubrandenburger Antifa aus BRD schrieb am 14.Juli 2001 um 22:26 Uhr:
Bei uns in der Stadt (Neubrandenburg) wollten heute die Nazis groß aufmarschieren, und haben sich riesige Plätze reserviert um dort aufzumarschieren. Doch am ende haben sie sich riesig blamiert, da nur 150 Faschos kamen, und es mit 2000 Gegendemonstranten zu tun bekamen. Da hatten sie dann auch ziemlich schiss, und nachdem sie in ihren demolierten Autos abgehauen sind, mußten ein paar faschos sogar von der Polizei zum Zug gebracht werden, weil die antifa Leute ihren Bus auseinandergenommen haben. Außerdem hab ich noch nie so viele Eier auf so wenig Leute fliegen sehen hehehe Unser Neubrandenburg bleibt faschofrei, das haben wir heute klar gemacht!!!

Ich meine nicht, daß sich das Verhalten beider Seiten zueinander wesentlich unterscheidet; der Unterschied liegt in der Aggression gegenüber Dritten (bei Rechtsradikalen gegenüber Ausländern, Behinderten, Farbigen und Obdachlosen; bei Linksradikalen gegenüber Polizisten und gelegentlich Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft, dazu eine Masse an Sachbeschädigungen). Beides ist selbstverständlich inakzeptabel, und gegenüber beidem sollte die Politik unterschiedslos vorgehen. Jedenfalls ist die von Bauer-Ranger erwähnte Tendenz, die Probleme totzuschweigen, äußerst fragwürdig.

Ich bin übrigens der Überzeugung, daß die Ursachen für eine derartige Entwicklung weit längerfristig sind, als daß man sie einer Regierung anlasten könnte, insofern spreche ich Platzeck und die Brandenburger SPD frei, janw^^ - ich sehe darin eher ein längerfristiges Mentalitätsproblem (übrigens kein rein auf die neuen Bundesländer beschränktes; es gibt diesbezügliche Brennpunkte auch etwa in den Hochhaussiedlungen westdeutscher Großstädte).
Und diese Regionen werden noch gefördert, von jedem Steuerzahler mit dem Soli.
janw, ich fände es völlig inakzeptabel, den Aufbau Ost in diesen Regionen, die offensichtlich gerade aufgrund der Perspektivlosigkeit und dumpfen Feindschaft gegenüber all dem, was von außen kommt, auszusetzen. Damit verschwände mE jegliche Möglichkeit, diesen Kreislauf aus Gewalt und Abkapselung zu durchbrechen.

janw
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Sa 20. Mai 2006, 11:47 - Beitrag #5

Zitat von Lykurg:janw, ich fände es völlig inakzeptabel, den Aufbau Ost in diesen Regionen, die offensichtlich gerade aufgrund der Perspektivlosigkeit und dumpfen Feindschaft gegenüber all dem, was von außen kommt, auszusetzen. Damit verschwände mE jegliche Möglichkeit, diesen Kreislauf aus Gewalt und Abkapselung zu durchbrechen.

Sicher, in einer Weise hast Du recht... Aber kann/darf Staat Leute fördern, die kollektiv Hass und Ausgrenzung verbreiten?
Gut, gegenüber weltanschaulichen Dingen, Meinungen, Gewissen hat Staat neutral zu sein, das gilt auch für Rechte und ihre Mitläufer.

Vielleicht ist die Förderung in eine falsche Richtung gelaufen, vielleicht muss auch einfach mehr Polizei auf die Straße, zumindest diese "Bürgerwehren" energisch in die Schranken weisen.
Warum spricht Politik nur bei linker Gewalt offen vom durchzusetzenden Gewaltmonopol des Staates?!

Nein, Herr Platzeck und Herr Schönbohm müssen sich dazu bekennen, daß in ihrem Land nicht mehr Recht und Ordnung für alle gelten. Und dafür sorgen, daß dieses sich ändert, daß jedmensch bei Tag und Nacht in Eberswalde und Baruth und anderswo herumlaufen kann, ohne sehr sicher im Krankenhaus zu enden.

Oder es wird Zeit, sie in Haftung zu nehmen, persönlich :cool:

Lykurg
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Sa 20. Mai 2006, 12:13 - Beitrag #6

Haben die Organe des Staates, die diese Förderung betreiben - es geht ja nicht um Zahlung eines bestimmten Geldbetrages pro Person, sondern um Infrastrukturprojekte! - ein Recht dazu, sich um die Gesinnung eines Teiles (!) der Einwohnerschaft dieser Gegenden zu kümmern? In meinen Augen ist das sowohl Schnüffelei als auch eine absolut widerrechtliche Benachteiligung, gestützt auf kollektive Vorverurteilung. Strafbare Handlungen gehören gerichtlich geahndet, und das Klima einiger dieser Gegenden bedarf offenbar eines kräftigen Durchlüftens. Aber deswegen darf man ihnen keinesfalls etwa Strom und Wasser abdrehen! Die Einwohner solcher Landstriche haben als deutsche Bürger und Steuerzahler einen Anspruch auf Rechssicherheit wenigstens dahingehend, daß sie nicht einfach kollektiv abgeschnitten und aufgegeben werden können.

Traitor ist hier wohl teilweise anderer Meinung (siehe credo-Thread), ich denke aber, daß wir uns darauf einigen können, daß eine solche Aufgabe, wenn man sie denn beschlösse, keinesfalls aufgrund von politischen Meinungen eines Teils der Bevölkerung dieser Landstriche getroffen werden dürfte. Wie klein wäre dann der Schritt dazu, ihnen das Wahlrecht zu entziehen... schrittweise, ganz einfach, weil sich bald kein Politiker mehr hintraut, da die Einwohner auf "die aus Berlin, die uns den Strom abgestellt haben", nicht mehr sonderlich gut zu sprechen sind; außerdem verfallen die Zufahrtsstraßen, und irgendwann macht man sich eben nicht mehr die Mühe, dort Wahlurnen aufzustellen - so einfach ist das.

Die Forderung nach persönlicher Haftung gellt in meinen Ohren etwas populistisch; soweit es sich auf die politische Konsequenz eines Karriereendes bezieht, mag das noch angehen (auch wenn ich in Anbetracht der fälligen Pensionen ggf. eher eine 'Strafversetzung' befürworten würde^^), allerdings bleibe ich dabei, daß diese Probleme längerfristiger Natur sind. Ebenso wie man den letzten drei Bundesregierungen nicht die Gesamtverantwortung für die derzeitige Staatsverschuldung oder Österreich-Ungarn die für den Ersten Weltkrieg auferlegen kann, sind auch in diesem Zusammenhang Kräfte wirksam, deren Aufhebung mir weder kurzfristig noch ausschließlich regional begrenzt möglich erscheint.

janw
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Sa 20. Mai 2006, 13:03 - Beitrag #7

In gewisser Weise sehe ich das auch so, in Meinungen darf Staat sich nicht einmischen, muss hingegen für vergleichbare Lebensverhältnisse sorgen und für grundlegende Versorgung mit Infrastruktur, Müllwesen, Schulen usw.
Aber eben auch für Sicherheit und dafür, daß diese nicht von anderen, Unbefugten, und dann noch mißbräuchlich in die Hand genommen wird.

Man könnte natürlich auf den Gedanken kommen, da die Region per se auf Dauer perspektivlos erscheint - ist ausdrücklich nicht meine Vorstellung - sie zu evakuieren und den Wölfen und Elchen zu überlassen. Die Leute würden dann in Kreuzberg und München angesiedelt, wo sie erleben, wie es ist, selbst als etwas fremdartig wahrgenommen zu werden. Oder, vielleicht lieber in Bogenhausen und Bad Homburg und Blankenese?

Nun, immerhin hat Platzeck Herrn Heye jetzt ein Gespräch angeboten. Mal sehen, was dabei heraus kommt...

Ipsissimus
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Sa 20. Mai 2006, 16:48 - Beitrag #8

Und genauso wie es eben linke Hochburgen gibt, in denen sich kein rechtsradikaler zu erkennen geben darf, gibt es rechte Hochburgen, in denen ohne erhöhtem Polizeiaufkommen keine Sicherheit für Linke oder Ausländer gewährleistet werden kann.


Bauer-Ranger, siehst du die Schieflage?


in den linken Hochburgen dürfen sich Ausländer, und auch farbige, frei bewegen

eines Tages kam ein SPDler an meine Tür und bat um ein Gespräch. Ich bat ihn herein, und wir redeten

eines Tages kam ein CDUler an meine Tür und bat um ein Gespräch. Ich bat ihn herein, und wir redeten

eines Tages kam ein FDPler an meine Tür und bat um ein Gespräch. Ich bat ihn herein, und wir redeten

eines Tages kam ein Christ an meine Tür und bat um ein Gespräch. Ich bat ihn herein, und wir redeten

eines Tages kam ein Kommmunist an meine Tür und bat um ein Gespräch. Ich bat ihn herein, und wir redeten

eines Tages kam ein Faschist an meine Tür und bat um ein Gespräch. Ich sagte ihm: "Verschwinde"

Ein Freund erregte sich darüber, und ich mußte mich erklären. Ich antwortete ihm:

"SPDler, CDULer, FDPler, Christ und Kommunist können in ihrem Wahn fehlgeleitet sein. Dies ist verzeihbar, wenn auch nicht konsequenzenlos. Ich rede mit ihnen allen.

Der Faschist ist als Inidividuum ein Sadist. Er möge sich verpissen."

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Sa 20. Mai 2006, 18:08 - Beitrag #9

Sehe ich ähnlich, Ipsi, obwohl ich wohl einen Faschist, der das Gespräch sucht, versuchen würde, von seiner "Überzeugung" abzubringen (ich weiß, das war nur bildlich gesprochen und so).

Keine Ahnung, inwieweit das so zutrifft mit Brandenburg; aber sogar hier in meinem Umkreis gibt es Orte, von denen man sagt, dass da überdurchschnittlich viele Rechte leben. Wie man dem entgegenwirken kann, weiß ich auch nicht so genau... aber Versorgung abstellen kanns nicht sein, ganz klar. Ich würde Kampagnen vorschlagen und Polizisten mit Gefahrenzuschlag in die Gegend beordern; wenn irgend möglich, Diskussionsrunden durchführen und die Mitläufer oder Unbeteiligten schützen, die mit der Sache nichts (mehr) zu tun haben wollen. Außerdem: Perspektiven schaffen! Wem es gut geht, wer mit sich zufrieden sein kann und respektiert wird und wer darüber hinaus noch über Bildung verfügt, ist mit sehr viel geringerer Wahrscheinlichkeit offen für rechtes Gedankengut, denke ich.

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Sa 20. Mai 2006, 19:44 - Beitrag #10

Ich habe die Schieflage schon erkannt, ich wollte mit meinem Satz ja nicht beide Sachverhalte gegeneinander aufwiegen, sondern sie aneinanderreihen.

janw
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Sa 20. Mai 2006, 20:20 - Beitrag #11

Zitat von Lykurg:Ich bin übrigens der Überzeugung, daß die Ursachen für eine derartige Entwicklung weit längerfristig sind, als daß man sie einer Regierung anlasten könnte, insofern spreche ich Platzeck und die Brandenburger SPD frei, janw^^ - ich sehe darin eher ein längerfristiges Mentalitätsproblem (übrigens kein rein auf die neuen Bundesländer beschränktes]

Nun, die Lage in Brandenburg hat sich schon seit 10 Jahren so entwickelt, ohne daß nennenswert gegengesteuert worden wäre - wegsehen und dann und wann hinterher pressewirksam Betroffenheit über einen Mord bekennen, das ist traurige Regierungstradition dort, von iirc durchgehend SPD-Regierungen!
Die flächenhafte Ausdehnung und die gesellschaftliche Durchdringung ist das Problem, das ist etwas völlig anderes als die paar Autonomen und militanten Antifas in Göttingen oder ein paar Skins in Hamburg-Steilshoop.
Wobei ich Ipsis Auffassung von den Skins als Sadisten teile, sie war mir nur ersten nicht in die Finger geflossen.

Zitat von e-noon:Wem es gut geht, wer mit sich zufrieden sein kann und respektiert wird und wer darüber hinaus noch über Bildung verfügt, ist mit sehr viel geringerer Wahrscheinlichkeit offen für rechtes Gedankengut, denke ich.


e-noon, ich empfehle Dir eine gelegentliche Lektüre der beiden Zeitungen "taz" und "Junge Freiheit", beides politisch randständige Zeitungen mit dem Anspruch des Einsatzes gewisser Hirnleistungen.
Die Autoren in der "Jungen Freiheit" sind nicht alle geistig arm und materiell auch nicht, aber es fehlt ihnen an jeder Form von Mitmenschlichkeit, sie sind im Sinne des Hohen Liedes der Liebe tönendes Erz, denn es fehlt ihnen die Liebe.
Linke mögen Feinde einer bestehenden Gesellschaftsordnung sein, Rechte sind Feinde der Menschheit.

Lykurg
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Sa 20. Mai 2006, 20:52 - Beitrag #12

janw, das Gefühlsurteil beim Lesen der Jungen Freiheit erscheint mir tatsächlich als ein solches (mit allen dazugehörigen Stärken und Schwächen). Ich habe eben (zum ersten und auf absehbare Zeit wohl letzten Mal) ein wenig hineingesehen. Die Positionen gehen mir deutlich zu weit, ich fühlte mich mehrfach zum Widerspruch gezwungen, aber sie erzeugten keinen Brechreiz (was mir bei der schon häufiger gelesenen taz regelmäßig passieren kann). Ich habe in der taz schon mehrfach Artikel gelesen, die ich ganz einfach als menschenverachtend empfand - und vielleicht liegt auch die Gefährlichkeit der intelligenten Rechten gerade darin begründet, daß sie sich nicht in einer derartigen Ekelschreibe ergehen, sondern ihre Absichten besser verdecken. Dein letzter Satz gilt meines Erachtens nur, wenn du einige der extremsten Beispiele als unlinks bezeichnest, was es mE etwas zu leicht macht. Für die Bewegungen insgesamt (oder wenigstens den Randbereich der Rechten, verglichen mit dem Kernbereich der Linken) dürfte es aber stimmen.

Daß das Ausmaß der Gewaltbereitschaft im Osten größer ist als im Westen, habe ich nicht bestreiten wollen, die Perspektiven sind ja auch geringer. Zudem sehe ich dahinter aber auch erhebliche Altlasten - durch sozialistische Strukturen und den plötzlichen Abbruch, der doppelten Demontage von Werten bei (Existenz und) Untergang der DDR. Ich wollte nur darauf hinweisen, daß es müßig wäre, das Problem gänzlich damit zu erklären oder auf die neuen Bundesländer zu beschränken und dabei vor den in geringerem Umfang stattfindenden Gewalttaten im Westen die Augen zu verschließen.

Ipsissimus
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Sa 20. Mai 2006, 23:03 - Beitrag #13

es scheint mir ein wesentliches Problem zu existieren, das die klare Sicht verstellt^^ dieses lautet: wir müssen die Dinge irgendwie so interpretieren, daß jene, die überleben, das gute Gefühl haben, berechtigterweise überlebt zu haben, ihre Möglichkeit auf Zukunft verdient zu haben. Wir interpretieren also um, interpretieren Überlegenheit streng evolutionär als "recht haben"

nicht mit mir

die Ärsche im Osten sind doppelt gearscht: zum einen werden sie um ihre Zukunft betrogen, wie ein vergewaltigtes Kind. Zum anderen wandeln sie sich, wie die meisten erfolglos oder gar nicht therapierten vergewaltigten Kinder in Täter, die antun, was ihnen angetan wurde.

Unsere lieben Medien - mal wieder^^ - suggerieren die Unverständlichkeit, die Einzeltäterschaft. In Wirklichkeit wäre es viel unverständlicher, wenn dies alles nicht geschähe. Wir können das Vermögen der wenigen, die es schaffen, ohne Hilfe ihr Leben in den Griff zu bekommen, als Standard erklären. Wir lügen uns gern die Hucke voll.

da Phänomen ist allerdings kein Östliches. Da ist es nur am schlimmsten, weil es dort die meisten vergewaltigten Menschen gibt, Daß diese in blinder Wut zurückhauen und dabei sich den Falschen anschließen und die Falschen treffen, wußten schon ganz andere auszunutzen

janw
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Sa 20. Mai 2006, 23:47 - Beitrag #14

Überleben hat verschiedene Ursachen, letztlich ist es "by chance" und damit ohne Wertaussage über die überlebt habenden.

Zitat von Lykurg:Daß das Ausmaß der Gewaltbereitschaft im Osten größer ist als im Westen, habe ich nicht bestreiten wollen, die Perspektiven sind ja auch geringer. Zudem sehe ich dahinter aber auch erhebliche Altlasten - durch sozialistische Strukturen und den plötzlichen Abbruch, der doppelten Demontage von Werten bei (Existenz und) Untergang der DDR.


Nun, es würde IMHO reichen, die sozialistischen durch totalitäre Strukturen zu ersetzen, letztlich hat jede Diktatur das Zeug, Menschen zu ent-menschen.
Mir fehlt auch in der "Welt" die Liebe...^^

Ipsi, die Sache hat nur den einen Haken, daß der Fremdenhass in anderen Regionen der Ex-DDR und auch in Tschechien, Polen usw. nicht so flächenhaft verankert ist wie in Brandenburg, obwohl ich die kollektive Vergewaltigung in Leipzig oder Zwickau nicht geringer ansehen würde.
Oder liegt es an der dort besseren wirtschaftlichen Entwicklung?

Die Einzeltäterschaft suggerieren übrigens auch unsere Schlapphüte: Heute wurde verkündet, die rechtsextremen Bewegungen seien im Rückgang - weil die DVU und Reps Mitglieder verloren haben. Daß die rechte Bewegung sich ent-institutionalisiert, eben flächenhaft Besitz ergreift, wollen sie wohl nicht sehen. Der Kaiser ist nackt, aber das soll keiner wissen^^

e-noon
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So 21. Mai 2006, 09:55 - Beitrag #15

Was heißt "Einzeltäterschaft suggerieren" für euch? Dass es keine Einzeltäterschaft gibt, oder dass ein Subjekt von überwältigend schlechten Umständen dazu bewegt wird, eine Straftat auszuführen, und dass diese Umstände verschwiegen werden, um den Schwerpunkt auf die Einzeltat zu legen?

Ipsissimus
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So 21. Mai 2006, 10:24 - Beitrag #16

es bedeutet, daß es den Staatsorganen ein Anliegen ist, diese Sachen so dazustellen, daß die Systematik dahinter verschleiert wird. Diese Systematik ist das eigentliche Problem, und da dafür noch jede systematische Lösung fehlt, wird anhand des Umstandes, daß es immer wenige "einzelne" Täter sind, der Einzelfall, die Einzeltäterschaft suggeriert. Es darf möglichst niemand auf die Idee kommen, dahinter verberge sich ein strukturelles und charakterisierendes Problem gesellschaftlicher Strukturen, ein Charaktermerkmal unserer Gesellschaft als ganzer mithin.

janw
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So 21. Mai 2006, 10:53 - Beitrag #17

Das Suggerieren von Einzeltäterschaft ist dabei praktisch schon die konstitutive Methode des politischen Handwerks - sei es, daß im Wirtschaftsbereich betrogen wird, Manager sich selbst überzogene Prämien genehmigen, Lobbys maßgeblichen und ihnen nicht zukommenden Einfluss auf Politik nehmen, Talkmaster durch gezielte Gastauswahl eigenwirtschaftliche Interessen bedienen... - stets wird es als Einzelfall, wird der Betreffende als Schwarzes Schaf inmitten einer Herde redlicher Unschuldslämmer hingestellt. Dabei sowohl die in bestimmten Bereiche flächendeckenden Filze - man denke an das öffentliche Vergabewesen im Baubereich - vertuschend wie auch, daß es Bereiche gibt, wo Menschen tatsächlich versuchen, ehrlich und gut miteinander umzugehen. Die gibt es nämlich auch - noch.

Schlimm, daß mensch beim Ausdruck "geistig-moralische Wende" immer einen Pfälzer sprechen hört...

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Mo 22. Mai 2006, 18:05 - Beitrag #18

Ich habe eben in den Nachrichten von einer Gruppe junger Männer gehört, die ein Kind zusammengeschlagen und ihm auch eine Zigarette im Auge ausgedrückt haben... Ich muss sagen, bei mir wirkt die "Einzeltäterschaft - Propaganda". :o

Ich hätte kein Problem damit, solche Subjekte einfach aus der Gesellschaft zu entfernen, wenn die ihnen angeblich so schlecht bekommt. Ich finde nicht, dass es einen rechtfertigen oder entschuldigenden Grund für so eine Tat gibt, ob einer nun berufliche Perspektiven hat oder nicht.

Mir als Deterministin könnte mans noch am ehesten vorwerfen, aber ich finde: Die hätten einfach anders handeln sollen! Und da sie dazu nicht in der Lage waren, hätten sie, wenn es nach mir ginge, in dieser Welt nichts mehr verloren!

Lykurg
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Mi 24. Mai 2006, 00:21 - Beitrag #19

Ein widerlicher Fall, ja; aber abgesehen von seiner besonderen Grausamkeit (vergleichbar dem ins Koma geprügelten Familienvater in Potsdam?) in meinen Augen nicht allzu deutlich unterscheidbar. Nach dem, was ich las, fühlten sich die Angeklagten vor Gericht mit ihrer Tat ganz wohl; und wenn vielerorts derartige Banden entstehen, deren Unrechtsbewußtsein und Handeln mit der Gesetzeslage nicht mehr in Einklang zu bringen ist, sehe ich die Möglichkeit rapide schwinden, das als Einzelfälle aufzufassen.

Allerdings... "in der Welt nichts mehr verloren" - das klassische Schlüsselwegwerfen finde ich bei 16jährigen Mittätern auch keine Lösung. Ich weiß nicht, ob solche Taten durch Abschreckung überhaupt verhindert werden können. Irgendwie versagt hier mein Einschätzungsvermögen völlig - aber auch diesen Verbrechern muß eine entfernte Chance geboten werden; in jedem anderen Fall wäre die Gesellschaft nicht besser als sie.

Die struktuelle Begünstigung solcher Taten sehe ich aber (trotz der Filzvergleiche) nicht; Gewalt gegen 'Fremde' dürfte stark abhängig von Gesamtgesellschaftsanteil und "Fremdheitsgrad" der potentiellen Opfer sein; wobei zusätzliche Faktoren (wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung) sich positiv auswirken. Ein solches Modell reicht mE aus, die genannten Fälle sowohl im nationalen als auch im internationalen Rahmen abzuwägen, ohne systembedingte Grundlagen dessen anzunehmen. Aber man möge mich gerne richtigstellen.

Ipsissimus
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Mi 24. Mai 2006, 09:09 - Beitrag #20

"einzelne Täter" bleiben es sicher, aber diese einzelnen Täter entstammen einem "Sumpf", und dieser Sumpf generiert sich anhand gesellschaftlicher Wirklichkeiten. Die Tat ist nur Symptom. Und der Sumpf ist in weiten Teilen Deutschlands bereits die Hauptgeländeform.

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