Zum Sinn von Geburts- und Jahrestagsfeiern

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janw
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So 4. Jun 2006, 12:12 - Beitrag #1

Zum Sinn von Geburts- und Jahrestagsfeiern

Anlässlich eines entsprechenden Ereignisses eines hiesigen Ereignisnegierers stellt sich mir die Frage, wie und mit welchem Sinnhintergrund sich die Praxis des Geburts-und Jahrestagsfeierns entwickelt hat.

Inspirierend hierfür war für mich ein Zitat von Lykurg, das sich in etwas soziologengerechterer Form ;) so liest:

Zitat von Lykurg, in Adorno-Stil^^:Geburtstage (wie übrigens auch Geburtsorte) dienen der herausgehobenen Verankerung des Individuums im kollektiven Rekognitionskontext. Sie geben damit den Gruppenmitgliedern Gelegenheit, bei Erreichen des Jahrestages (oder des Ortes) einen konsensualen sozialen Konnex zu bilden, fördern insofern den internen soziokulturellen Konnex der Gruppe.


Dies erstmal zur Diskussion gestellt...

Feuerkopf
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So 4. Jun 2006, 16:36 - Beitrag #2

Jan,
ich sach nur eins: Paaaaartyyy! :sekt: :party3:

Vielleicht geht es darum, im Fluss der Zeit kleine Inseln zu schaffen, um innezuhalten und sich der Personen und Gelegenheiten zu erinnern, die einem wichtig sind.

janw
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So 4. Jun 2006, 18:00 - Beitrag #3

Vielleicht geht es darum, im Fluss der Zeit kleine Inseln zu schaffen,

Metaphore, you´re a woman! ;)

Ich finde es bemerkenswert, daß sehr viele Menschen auf der Welt sich recht wenig damit befassen, oft gar nicht wissen, wie alt sie sind. Ist Geburtstag feiern ein europäisches/westliches Phänomen?

Feuerkopf
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So 4. Jun 2006, 18:04 - Beitrag #4

Katholiken feiern traditionell eigentlich den Namens- und nicht den Geburtstag.
In Eritrea/Äthiopien haben sich die Leute diese Sitte bewahrt. Aber streng genommen hat das Kind da nur einen anderen Namen. ;)

Maurice
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Mo 5. Jun 2006, 11:50 - Beitrag #5

Der von Janw zu beginn zitierte Text leuchtet mir ein. Tja aber was tun, wenn man als Individuum nicht in der Gemeinschaft vernkert werden will? Ich bin da ziemlich unentschlossen... Jedenfalls ist "Party" für mich kein Argument für Geburtstage. Ich mag keine Partys. :rolleyes:

PS: Mittlerweile fange ich schon an, zu vergessen, wie alt ich bin und wann mein Geburtstag ist. Das äußerst sich in der Form, dass ich meistens mittlerweile kurz nachdenken muss, wenn mich jemand zu einem der beiden Daten fragt. ^^*

Traitor
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Mo 5. Jun 2006, 12:10 - Beitrag #6

Ich erinnere an diese Diskussion.

Und noch zum neuen Aspekt des mauriceschen Datenvergessens und der von Jan erwähnten Nicht-Internationalität: Faszinierend. Üblicherweise ist der Mensch ja versessen auf Informationen, die ihm die Welt und sein Leben strukturieren, und das Zählen der Jahre ist da eine sehr elementare und naheliegende Datensammlung. Dass das Feiern nicht universell ist, ist verständlich, aber das eigene Alter an sich sollte doch üblicherweise von hohem Interesse sein. Hier denke ich auch, dass weitverbreitete Unwissenheit in anderen Kulturen nur an organisatorischen Schwierigkeiten, etwa dem hohen Anteil nicht aufgefangener Waisenkinder in der Dritten Welt, liegt.

Maurice
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Mo 5. Jun 2006, 12:35 - Beitrag #7

Um deine Bewertung noch zu verstärken: Bei sehr alten Menschen ist das vielleicht weniger verwunderlich, wenn sie so elementare Daten vergessen oder sich nicht mehr so dafür interessieren. Ich selbst bin aber noch langen icht in dem Alter, verhalte mich aber trotzdem so. ^^

Ich habe mir bisher noch nicht ausführlich Gedanken gemacht, woran das liegt. Wenn es jemand ernsthaft interessiert, soll er es sagen, dann versuche ich mal hier, spontan ein wenig darüber zu reflektieren. ;)

janw
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Mo 5. Jun 2006, 12:38 - Beitrag #8

Maurice, ob Du zur Gesellschaft dazu gehören willst oder nicht, bleibt Dir unbenommen, aber Gesellschaft erachtet Dich per se als Teil von ihr und begehrt, ihren eigenen internen Konnex durch das Feiern auch Deines Geburtstages zu stärken ;)
Nein, und ganz ehrlich steckt da auch und vor allem Wertschätzung für Dich dahinter. :)

Traitor, gar nicht mal alle Völker haben einen Zeitbegriff wie wir, nicht alle können zählen. Für den Zeitbegriff scheinen mir religiöse Vorstellungen nicht ganz unwesentlich zu sein, neben dem erleben von Jahreszeiten in weniger äquatornahen Regionen.
Konkret haben das Christentum und der Islam Vorschriften für bestimmte Anlässe zu bestimmten Zeiten, die ein Verfolgen der Zeit unerlässlich machen. Zeit spielt auch eine Rolle für Völker, die saisonal wechselnden Tierherden hinterher wandern oder Ackerbau treiben. Wer in Regenwäldern lebt, braucht indes keine Zeit und vielfach auch keine Zahlsysteme, die über die eigenen Hände hinaus gehen.

Feiern an sich tun sie aber alle, irgendeinen Anlass gibt es immer, zusammen zu kommen.
Party muss sein.

Lykurg
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Mo 5. Jun 2006, 12:55 - Beitrag #9

Zeitrechnung als wesentliche Lebenshilfe ist im fruchtbaren Halbmond schon ziemlich früh belegt, und deren Mythologie (etwa das Gilgamesch-Epos) operieren auch mit Angaben der Lebensalter. Dazu, einen bestimmten Jahrestag zu wählen, war der Schritt dann nicht weit, insbesondere durch die bei den Babyloniern einen hohen Rang einnehmende Sterndeutung - ein Herrscher verknüpfte sein Geburtsdatum mit einem möglichst günstigen Horoskop. Das übernahm insbesondere Alexander, nach ihm eine Reihe von römischen Kaisern. Der tatsächliche Geburtstag spielte dabei keine Rolle mehr, das zelebrierte Datum war ein reines Werkzeug der Machtlegitimation.
Eine amüsante Nachblüte dessen findet sich bei Queen Elizabeth II., die ja bekanntermaßen ihren Geburtstag (21. April) an einem der ersten Samstage im Juni feiert, um besseres Wetter (wohlwollende Götter^^) auf ihrer Seite zu haben (schon Edward VII. machte es so). Feiern wie diese dienen dem Fortbestand der Monarchie.

Die Tatsache, daß andere Völker ihre Lebensjahre nicht zähl(t)en, fällt teilweise mit einer hohen sozialen Stellung des Alters zusammen - ich finde darin eine gute Übereinstimmung, denn ebenso wie die "gefühlte Würde" nicht genau mit seinem gezählten Alter übereinstimmen kann, drückt eben dieses "gefühlte Alter" eine Orientierungsmöglichkeit aus. - Daß es dabei zur Hochstapelei kommt, sei dahingestellt; die angeblich ältesten Menschen der Welt lebten vor einigen Jahren in Georgien, Männer, die ihr Geburtsdatum bei Einführung einer Paßbehörde nachträglich hatten angeben müssen und durch eine etwas freiere Interpolation nebenbei auch dem sowjetischen Wehrdienst entgingen.

Traitor
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Mo 5. Jun 2006, 18:50 - Beitrag #10

Traitor, gar nicht mal alle Völker haben einen Zeitbegriff wie wir, nicht alle können zählen. Für den Zeitbegriff scheinen mir religiöse Vorstellungen nicht ganz unwesentlich zu sein, neben dem erleben von Jahreszeiten in weniger äquatornahen Regionen.
Die chinesische Philosophie mag der Ansicht sein, dass der Lauf der Zeit zyklisch ist, das heißt aber noch lange nicht, dass ein Chinese seine Zeit als zyklisch wahrnimmt. Der tatsächliche alltägliche Umgang mit der Zeit dürfte international deutlich weniger variieren, als die Diversität in Philosophie und Religion den Anschein erwecken mag. Und dass es Völker geben soll, die nicht zählen können, höre ich zum ersten Mal... Bei manchem Naturvolk wird sicher kein tagesexakter Kalender geführt, aber eine grobe Vorstellung vom Ablauf der Zeit, sei es durch den Mond oder die auch in Äquatornähe noch vorhandenen periodischen Naturvorgänge, sollten auch diese haben.
Da halte ich Lykurgs implizite These, dass das Beharren auf exakten Zahlen als dem Respekt eher abträglich unterlassen wird, für überzeugender.

janw
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Mo 5. Jun 2006, 19:15 - Beitrag #11

Es mag vielleicht mittlerweile eine Ausnahme sein, aber es gibt immer noch Völker, für die Zeit keine wesentliche Rolle spielt - zum Ausdruck kam dies kürzlich in einem sehr guten Fernsehbeitrag über die Baumhausmenschen in Papua.
Und diese sind wohl nicht die einzigen...

Lykurg
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Di 6. Jun 2006, 08:51 - Beitrag #12

Zitat von Traitor:Und dass es Völker geben soll, die nicht zählen können, höre ich zum ersten Mal...
Ein klassisches Beispiel der Sprachwissenschaft sind die brasilianischen Pirahã, die kulturell bedingt praktisch keine Zahlwörter haben und Mengen größer drei nur sehr ungenau abschätzen können. Einer von mehreren Berichten darüber findet sich hier. Aufschlußreich ist auch der englische Wiki-Artikel zu ihrer Sprache, sie haben offenbar auch keine Farbwörter außer hell und dunkel]
Maurice, ist das nicht ideal?^^[/size]

Maurice
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Di 6. Jun 2006, 14:53 - Beitrag #13

Zitat von janw:Maurice, ob Du zur Gesellschaft dazu gehören willst oder nicht, bleibt Dir unbenommen, aber Gesellschaft erachtet Dich per se als Teil von ihr und begehrt, ihren eigenen internen Konnex durch das Feiern auch Deines Geburtstages zu stärken.

Iirc sprach ich von Gemeinschaft, nicht von Gesellschaft. Zu der Gesellschaft gehöre ich notwendig dazu. Inwieweit ich Teil einer Gemeinschaft bin und dies sein will, ist eine andere Frage. :P

Nein, und ganz ehrlich steckt da auch und vor allem Wertschätzung für Dich dahinter.

Mag sein, aber wenn eine solche Wertschätzung vorhanden ist, dann bekomme ich sie lieber in anderer Form gezeigt, als in Gratulationen. ]Party muss sein.[/QUOTE]
NÖ! :D

@Lykurg: Naja ideal nicht. Ich finde es schon wichtig, weiter als bis Drei zählen zu können. ;)


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