Überwachung vs Freiheit

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Lykurg
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Di 18. Jul 2006, 18:44 - Beitrag #41

Ich habe irgendwann in den letzten Tagen eine kleine Tabelle mit Häftlingszahlen pro 100.000 Einwohner in verschiedenen Ländern gesehen, die ich leider eben nicht wiederfinden konnte. Ich erinnere mich nur noch an die Zahlen 98 für Deutschland und (ca.) 790 für die USA... Der Aussagewert einer solchen Statistik ist natürlich schon insofern eingeschränkt, als die Haftzeiten andere sind, die Aufklärungsrate zu hinterfragen wäre etc. - aber da ich bei allem Zweifel am US-Justizsystem nicht annehme, daß vier Fünftel der Gefängnisinsassen dort unschuldig sind, kann man immerhin eine deutlich höhere Kriminalitätsrate dort - trotz deutlich abschreckenderer Strafmaße - annehmen. Zugegebenermaßen sind die Gesellschaften im Bezug auf ihren Industrialisierungsgrad wesentlich besser vergleichbar als in vielen anderen Belangen - aber an den entsprechenden Wert eines wirklich vergleichbaren Beispiellandes kann ich mich leider gerade nicht erinnern.

Maurice
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Di 18. Jul 2006, 18:56 - Beitrag #42

Ich finde die Gegenüberstellung von USA und BRD kein guter Vergleich. Klar gibt es viele Gemeinsamkeiten, aber eben auch viele Unterschiede.

Ipsissimus
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Mi 19. Jul 2006, 16:30 - Beitrag #43

wie kommst du darauf, daß Strafandrohungen in der Mikroskala Wirkungen zeigen würden, Maurice? Mit Strafandrohungen kannst du Kinder beeindrucken, aber schon beim Spickzettelschreiben stößt du an die Grenzen; denke an den Massensport "Übertretung von Verkehrsregeln", Massensport trotz Strafandrohung usw.

ich_von_hier
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Mi 19. Jul 2006, 17:15 - Beitrag #44

Ich glaube, dass Straftaten nicht nur allein durch Strafandrohungen verhindert werden. Auch die Aufdeckungswahrscheinlichkeit ist maßgebend. Wenn jemand genau weiß, "mich erwischt keiner", dann kann man so viel Drohen wie man will.

Der Vergewaltiger hat sicher auch in der Annahme gehandelt: Den Täter (mich) finden die nie, also brauch ich vor Strafe keine Angst haben, also kann ich die Tat durchführen.

Strafandrohung allein reicht nicht aus. Man braucht auch Mittel zur Aufklärung. Wobei wir wieder beim Thema der Gendatenbank/ anderer Überwachungsmaßnahmen wären.

MfG ich_von_hier

Maurice
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Mi 19. Jul 2006, 17:52 - Beitrag #45

@ich_von_hier: Klar ohne Kontrollinstanz bringen Strafandrohungen im Normalfall nix. Außer wenn der Täter ein schlechtes Gewissen bekommt, was aber wohl nur selten der Fall sein wird. ^^

@Ipsi: Naja ich für meinen Teil habe in der Schule fast nie gespickt, weil ich Angst hatte, erwicht zu werden. In der Schule hab ich nur 2-3 gespickt und das nur bei einer Lehrerin, von der ich mir sicher war, dass sie das e nicht merkt. Bei allen anderen war mir das Risiko zu hoch und ich hab ein par Mal sogar miterlebt, wie jemanden das Heft abgenommen wurde, weil er beim Spicken erwischt wurde. Der oder die hat dann auch eine 6 bekommen.
Und wenn Strafandrohungen mich zu weniger Straftaten motivieren, warum dann nicht auch andere Menschen? Oder willst du behaupten, ich bilde mir nur ein, dass die Androhung einer 6, mich vom Spicken abgehalten hat, obwohl mir das aus der Innenperspektive ganz und gar evident ist?

Ipsissimus
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Fr 21. Jul 2006, 12:54 - Beitrag #46

Menschen sind verschieden, Maurice. Vielleicht nicht so sehr, wie sich das ein hemmungsloser Individualismus wünschen würde, aber dennoch deutlich. Es gibt sicher Leute, die sich durch Strafandrohungen abschrecken lassen, andere, die das nicht tun; und ob diejenigen, die sich abschrecken würden, ohne die Androhung kriminell würden, müßte auch erst bewiesen, oder wenigstens plausibel gemacht werden.

An meiner Schule, vor 30 Jahren, wurde gespickt, was das Zeug hält, und die gelegentliche 6 war halt der Preis, den man für die vielen gelungenen Versuche zu zahlen hatte^^

Maurice
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Fr 21. Jul 2006, 13:19 - Beitrag #47

Hier sieht man mal wieder schön, wie Mensch auf Grund von unterschiedlichen empirischen Daten und induktiven Schlüssen, zu verschiedenen allgemeinen Einschätzungen gelangen. Imo passt da meine SIg doch wieder mal ganz gut. ^^

Ich behaupte auf Grund der Erfahrungen die ich gemacht habe, dass Strafandrohungen etwas bringen, da sie mindestens ein paar Menschen von Verbrechen abhalten. Das begründe ich damit, dass ich mich so wahrgenommen habe, dass ich idR nicht gespickt habe, weil es eine Strafandrohung und eine reale Chance erwischt zu werden gab. Sobald eines von beiden reduziert wurde, sank bei mir auch die Hemmschwelle, zu spicken. Nun gehe ich davon aus, dass ich nicht der einzige Mensch auf der Welt bin, der sich so zu Strafandrohungen verhält.

Ich glaube, wenn Strafandrohungen nur relativ wenig bringen, dann liegt das weniger an den Strafandrohungen, sondern an der Einschätzung des Individuums nicht erwischt zu werden. Es bringt also wenig bis nichts, nur die Strafandrohungen zu erhöhen, sondern es muss auch suggeriert werden, dass die Kontrollmechanismen verbessert werden.

PS: Ein weiteres Beispiel dafür, dass Strafandrohungit bei der entsprechenden Suggestion, bei einem Vergehen erwischt zu werden, Einfluss auf das Verhalten hat, ist die Geschichte mit dem CD-Brennen. Anfangs wussten einige nicht einmal, dass das idR illegal ist und niemand dachte daran, dass man entdeckt werden würde. Nachdem nun diese Kampagne gegen Raubkopien groß in den Medien lief und mehrere Berichte von wegen Strafanzeigen gegen Raubkopierern, habe ich von einigen Beaknnten gehört, dass sie weniger oder gar keine CDs mehr brennen, weil sie zuviel Angst haben erwischt zu werden und sie nicht in den Knast gehen wollen.

Lykurg
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Fr 21. Jul 2006, 13:53 - Beitrag #48

Der Zusammenhang zwischen Bekanntheitsgrad der wachsenden Aufklärungsrate und geringerer Bereitschaft zur Tat müßte dann aber auch für Kapitalverbrechen entsprechend gelten... die Aufklärung von raffiniert verschleierten Morden hat sich ja als ein großes Unterhaltungsgenre der Neuzeit erwiesen - ohne daß deshalb tatsächlich weniger Morde stattfänden.
Ich behaupte auf Grund der Erfahrungen die ich gemacht habe, dass Strafandrohungen etwas bringen, da sie mindestens ein paar Menschen von Verbrechen abhalten.
Das allein wäre aber kein Grund, sie tatsächlich zu befürworten. Denn ebenso offensichtlich wie, daß Strafen nützen können, ist der durch sie angerichtete Schaden - Haftentlassene haben auf dem heutigen Arbeitsmarkt kaum eine Chance, sie werden in Kriminellenkarrieren abgedrängt. Hier müßte also gegeneinander abgewogen werden; dazu kämen die Kosten des Strafvollzugs und der Strafverfolgung.

Ein weiterer Effekt, der hier mit hineinspielt, ist das Auftreten von Trittbrettfahrern. Würden Verbrechen durch ihre breite Tataufnahme, die polizeiliche Untersuchung, Gerichtsverfahren und das weitere Ergehen des Verbrechers bis zu seiner Haftentlassung nicht in dieser Breite in den Medien berichtet, würden möglicherweise eine ganze Anzahl von Menschen gar nicht erst auf die Idee kommen, es (vielleicht erfolgreicher) nachzuahmen. Insofern wäre interessant, wie eine Gesellschaft ohne Strafen sich nach ihrem anfänglichen Kollaps weiterentwickeln würde...


Eigentlich wäre es hier gar nicht nötig, den advocatus diaboli zu spielen, aber es macht solchen Spaß^^

Maurice
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Fr 21. Jul 2006, 14:04 - Beitrag #49

Du sagst ja selbst ohne Strafen würde es zu einem Kollaps kommen. Und der würde erst dann überwunden sein, wenn sich neue Herrschaftsverhältnisse gebildet haben, die neue Ordnung durch Strafen sichern.
Mit dieser Menschheit sehe ich nur zwei Optionen: Strafen oder Anarchie.
Und Anarchie kommt für mich nicht in Frage...

Ipsissimus
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Fr 21. Jul 2006, 14:22 - Beitrag #50

PS: Ein weiteres Beispiel dafür, dass Strafandrohungit bei der entsprechenden Suggestion, bei einem Vergehen erwischt zu werden, Einfluss auf das Verhalten hat, ist die Geschichte mit dem CD-Brennen. Anfangs wussten einige nicht einmal, dass das idR illegal ist und niemand dachte daran, dass man entdeckt werden würde. Nachdem nun diese Kampagne gegen Raubkopien groß in den Medien lief und mehrere Berichte von wegen Strafanzeigen gegen Raubkopierern, habe ich von einigen Beaknnten gehört, dass sie weniger oder gar keine CDs mehr brennen, weil sie zuviel Angst haben erwischt zu werden und sie nicht in den Knast gehen wollen.


und doch auch gleichzeitig ein Beleg für das Gegenteil, denn der Umlauf an Raubkopien ist nicht geringer geworden, es hat lediglich dazu geführt, daß die darauf verwendete Intelligenz erhöht wurde^^

Was ist z.B. Premiere imstande, gegen die Cerebro-Karte auszurichten? Exakt nichts

Maurice
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Fr 21. Jul 2006, 14:30 - Beitrag #51

Wie kommst du darauf, dass nicht weniger Raubkopien gemacht werden? Es ist doch offensichtlich, dass weniger Leute als zuvor brennen. Also muss es auch weniger Raubkopien geben. Ausnahme wäre freilich, wenn die nun geringere Zahl an Raubkopierern mehr Raubkopien erstellen. Das wäre aber trotzdem eine Reduzierung der Verbrecher, bei gleichbleibender Zahl von Verbrechen. Das wäre aber immerhin schon ein Fortschritt.

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Fr 21. Jul 2006, 16:46 - Beitrag #52

Nein, das wäre die bei mir bereits angesprochene Professionalisierung des Verbrechens, die letztlich eine Steigerung der Schwere der Delikte begünstigt. Wer professionell brennt, um damit Geld zu verdienen, der ist auch dazu gezwungen, die CDs heimlich zu transportieren; wenn er schon CDs schmuggelt, warum nicht auch Zigaretten - und schon sind wir einen Schritt weiter in Richtung Bandenkriminalität...

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Fr 21. Jul 2006, 18:16 - Beitrag #53

Willst du mir damit weißmachen, dass Strafandrohungen und verschärte Kontrollmechanismen, die Verbrechensrate steigern? x_X

Also es sollte doch wenigstens ein paar Leuten die Lust an der Kriminalität vergehen, wenn sie merken, dass das Risiko gefasst zu werden steigt.

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Fr 21. Jul 2006, 18:28 - Beitrag #54

Sicher, letzteres habe ich nicht verneint, nur sehe ich beide Möglichkeiten, und kann aufgrund meiner Unwissenheit^^ nicht abwägen, welche von beiden sich stärker auswirkt. Vermutlich ist es von Fall zu Fall unterschiedlich - jedenfalls würde ich mich scheuen, eine klare, eindimensionale Aussage im Sinne von "Schärfere Strafen senken die Kriminalitätsrate" zu tätigen.

Maurice
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Fr 21. Jul 2006, 20:06 - Beitrag #55

Aha und wie sollte eine "nicht-eindimensionale" Aussage ausehen? Schärfere Strafen verringern die Kriminalitätsrate und verringern die Kriminalitätsrate nicht? :confused:

Lykurg
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Fr 21. Jul 2006, 22:14 - Beitrag #56

always decisions... ;)

Schärfere Strafen, kombiniert mit erhöhter Aufklärungsquote, können günstigenfalls die Kriminalitätsrate senken, ungünstigenfalls sogar erhöhen, verändern aber in jedem Fall das Verbrecherprofil.

Lykurg
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So 20. Aug 2006, 11:21 - Beitrag #57

Leute, dreht mehr Videos!

Orientieren wir uns doch nochmal an der Überschrift... Auf der ersten Seite war verschiedentlich auch Videoüberwachung angesprochen worden.

Der schnelle Fahndungserfolg gegen den libanesischen Kofferbombenbastler war ja offensichtlich der Kombination aus Kamerabildern am Bahnhof und Gendaten zu verdanken (woher sie die wohl hatten?). Nun sind Anschläge dieser Art ja nicht nur in Zügen, sondern etwa auch in Bussen oder an anderen Brennpunkten des öffentlichen Lebens denkbar. Ich denke daher, daß es sinnvoll ist, über eine Ausweitung der Videoüberwachung (natürlich unter strengen Auflagen hinsichtlich der Datenverarbeitung und Löschung) nachzudenken.

Ferner bräuchte man eine Software, die im Fall eines konkreten Verdachts die Kamerabilder mit Paßfotos abgleichen kann - natürlich nur als eine
zusätzliche Informationsmöglichkeit, nicht als "hinreichendes Beweismittel". Ich rechne auf entsetzte Reaktionen... ;)

Maurice
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So 20. Aug 2006, 13:44 - Beitrag #58

Aber nein Lykurg man sollte die Videoüberwachung so schnell wie möglich abschaffen! Du siehst ja wie sehr sie unsere Freiheit einengt: Jetzt können die Leute nicht einmal mehr so rumbomben, wie sie wollen! Und erst verbieten sie uns das Bomben und morgen machen sie Auschwitz wieder auf. :(

ich_von_hier
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Mo 21. Aug 2006, 01:58 - Beitrag #59

Nun ja, es gibt da Vorteile (mehr Sicherheit) sowie Nachteile (Überwachung). Aber genau darum geht es in dem Threat ja. Momentan ist eine Diskussion darüber eigentlich sinnlos, da wir von der aktuellen Situation zu stark beeinflusst werden. (Die Amerikaner hat so eine ähnliche Situation (gut, da hat der Anschlag funktioniert) immerhin zu dem Patriot Act geführt. Und auch in Deutschland durften zeitweise Passagierflugzeuge abgeschossen werden.
[align=center]"Ein Volk gibt niemals seine Freiheit auf, außer in irgendeiner Verblendung." - Edmund Burke

"Es nützt der Freiheit nichts, dass wir sie abschaffen, um sie zu schützen."[/align]

MfG ich_von_hier

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Mo 21. Aug 2006, 03:02 - Beitrag #60

Zitat von Lykurg:Der schnelle Fahndungserfolg gegen den libanesischen Kofferbombenbastler war ja offensichtlich der Kombination aus Kamerabildern am Bahnhof und Gendaten zu verdanken (woher sie die wohl hatten?).

Ausschlaggebend waren wohl vor allem die Kamerabilder, was die Gendaten betrifft, verstehe ich das eher als genetisches Material, das in den Koffern gefunden wurde und nun mit Genmaterial von dem Festgenommenen verglichen werden kann. Je nach Menge des Materials in den Spuren dauert es iirc 1-3 Tage, bis durch die PCR die das Material in den Spuren genügend vermehrt worden ist, die Analyse dauert etwa einen Tag, wenn ich das richtig erinnere vom Studium.

Mehr Kameras an Bahnhöfen sind sicher eine Maßnahme, allerdings wird es sicher schnell Möglichkeiten geben, sie zu umgehen. Sonnenbrillen,...
Wer wirklich bomben will, der wird dies weiterhin versuchen und auch schaffen.
Wir bleiben dann damit zurück, daß unsere Schritte lückenlos verfolgt werden können.

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