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Mi 26. Jul 2006, 12:50 - Beitrag #1 |
Freihandel und das Scheitern der Doha-GesprächeIch las eben ein bißchen in der taz, weil mich die Haltung der Linken zum absehbaren Scheitern der Doha-Gespräche interessierte. Denn bei aller kritischen Haltung der Linken zum globalen Handel ging ich davon aus, daß die von der WTO klar beabsichtigte Förderung der Entwicklungsländer durch Aufhebung des westlichen Agrarprotektionismus eine gewisse Zustimmung finden müsse. Zudem fand ich heute morgen in einem Artikel der 'Financial Times Deutschland ' so deutliche Angriffe auf die USA als einen durch die mächtige Agrarlobby völlig handlungsunfähigen Totalblockierer der Gespräche, daß ich fast sicher annahm, auch in der taz die eine oder andere Spitze dagegen zu sehen. Meine diesbezügliche Erwartung wurde nicht erfüllt; stattdessen fand ich einen Artikel, der auf das bilaterale Handelsabkommen USA-Kambodscha einging - und staunte sehr über den wirtschaftsfreundlichen Tonfall darin. Ist Wirtschaft also für 'die' Linken^^ grundsätzlich gut, wenn sie Deutschland nicht direkt betrifft?
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Die rechten Christen führen keinen Krieg - Jacob Böhme
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Mi 26. Jul 2006, 15:43 - Beitrag #2 |
na ja, ob man die TAZ wirklich noch als "links" orientiert einstufen muss, sei mal dahingestellt^^ ich würde sie eher als grüne Kaffeeklatschvorlage bezeichnen
abgesehen von der Verunglimpfung^^ - warum sollte die neoliberale Infiltration vor den Linken haltgemacht haben? Die größte ehemals linke Partei Deutschlands, die SPD, hat mit den Inhalten, für die sie noch unter dem Godesberger Programm stand, nicht mehr das geringste zu tun, und das, was in Deutschland noch am ehesten an eine linke Partei erinnert, die DKP, wird kaum in einer derart harmlos gewordenen Zeitung wie der TAZ zu Worte kommen. Insofern würde ich meinen, daß es in Deutschland keine linke Stimme mehr gibt, und die Frage damit in sich zusammenfällt, weil es alles nur noch neoliberale Positionen sind. Ach so, da war natürlich noch diese komische Partei, die Linke, oder so ähnlich. Oskars neue Spielwiese. Na ja, von mir aus sollen sie als links gelten. Nur daß ich es Oskar nicht glaube. |
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Wer bist du, dass du die Qual lindern kannst und es nicht tust ...
-------------------------------------------------------------------------- ... nicht das Licht und nicht die Finsternis ... die Schatten, die leisen Übergänge ... |
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Mi 26. Jul 2006, 15:56 - Beitrag #3 |
Naja, auch die taz hat kluge Köpfe^^
Der Unterschied der "Linken" zum Rest des Spektrums ist IMHO im wesentlichen der, daß Freiheit nicht als Selbstzweck gesehen wird, sondern daß alles Folgen hat und Freiheit potentiell Verlierer erzeugt, somit Freiheit nicht ohne Verantwortung zu denken ist. In diesem Sinne ist ein freier Welthandel wünschenswert, wenn - und das ist die crux - er den bisher Ausgegrenzten nicht absehbar neue Ausbeutung u.a. bringt. Daß die usa sich durch die Hörigkeit der Regierung gegenüber der eigenen Agrarlobby selbst als Vorreiter der Freiheit ad absurdum führen und dabei die als Selbtszweck empfundene Ausbreitung der Freiheit behindern, ist eben für das Zentralorgan des Neoliberalismus (FTD) eine gehässige Zeile wert, die taz freut sich eher, wenn die eigentlichen Ziele - nämlich Teilhabe unter Verbesserung von Lebensbedingungen überhaupt erreicht werden - ob nun mit einem Vertrag für alle über WTO oder über bilaterale Abkommen, die oft sogar günstiger sein können, weil sie regionale Besonderheiten stärker berücksichtigen. Die aber auch das Problem haben, daß da ein Standard-Dumping in den Abkommen stattfinden kann. Die Kambodscha-Lösung klingt ganz gut, was das betrifft. Das Problem ist nämlich, daß letztlich etliche "Schwellen"- oder "Entwicklungs"-Länder bestimmte Produkte gar nicht mehr selbst produzieren, in dem Sinne, daß dort eine örtliche Bevölkerung damit einen eigenen Lebensunterhalt und markrfähige Waren erzeugt, sondern daß z.B. Konzerne wie Unilever, Henkel, Nestle usw. auf riesigen Flächen in Brasilien und Indonesien Agroindustrie betreiben, ohne Rücksicht auf irgendwelche Verluste. So wurde und wird die einstige Regenwaldinsel Borneo in eine Palmölplantage verwandelt, die letzten Orang-Utans werden bald in Zoss leben und die Penan und Dayak in den Gjettos der Städte, und in Brasilien sorgen Sojaplantagen von Nestle dafür, daß das Pantanal bald Geschichte sein wird. Dieser Form von Agroindustrie noch mehr Tore zu öffnen, kann IMHO nicht Sinn einer verantwortungsvollen Welthandelspolitik sein, sie muss vielmehr darauf dringen, daß Freiheit auch stets mit Standards verbunden sein muss - die sicher regional angepasst sein können. Aber was Standards betrifft, sind die usa mittlerweile selbst Schlusslicht. Bald wird nämlich die Nordküste Alaskas zum Erdölfeld ausgebaut, Bush hat den Schutz des Gebietes aufgehoben. |
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Der Fehler ist die Grundlage der Erkennntnis
Heute schon gechattet? Man muss versuchen zu lernen, dass man sein Sein, sein Leben nur suchen kann, indem man für die anderen tätig ist. Darin liegt die Wahrheit. Es gibt keine andere. J.P.Sartre, zit.n. Rupert Neudeck |
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Mi 26. Jul 2006, 16:25 - Beitrag #4 |
Man nenne mir ein geeignetes rotes Blatt - immerhin werde ich nach den Semesterferien wieder zum Essen reichlich mit Gratiszetteln versorgt.
![]() Halten wir die Leute doch lieber noch ein bißchen in Abhängigkeit, statt ihnen mögliche Freiheiten zu geben]bilaterale Abkommen, die oft sogar günstiger sein können, weil sie regionale Besonderheiten stärker berücksichtigen[/QUOTE]... die aber andererseits durch die jeweilige Aushandelung und all die regionale Besonderheiten berücksichtigenden Zusatzregelungen in der Handhabung extrem kompliziert; damit teuer und letztlich unproduktiv sind. Auf eine weltweite Regelung hätte man gegebenenfalls Detailabkommen draufsatteln können, die den jeweiligen Befindlichkeiten entgegenkommen - aber eben nur, wenn die Leute sich das wirklich ans Bein binden wollen, was in Anbetracht der Chancen eher fraglich wäre. Ob die kambodschanische Textilindustrie der Umwelt einen großen Gefallen tut, weiß ich auch nicht. Zweifellos ist etwa Gold- oder Ölförderung ein schmutzigeres Geschäft. |
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Die rechten Christen führen keinen Krieg - Jacob Böhme
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Mi 26. Jul 2006, 18:39 - Beitrag #5 |
Naja gut, die taz hat die streng ideologischen Pfade verlassen - aber ich weiß nicht recht, ob das nicht letztlich sogar positiv ist für die Sache, für die Menschen und ihre Umwelt, die von realen Problemen geplagt sind, die real zu lösen sind, auch wenn die Probleme teilweise vielleicht ideologisch gar nicht existieren dürften.
Man darf auch nicht vergessen, daß zu Straßenkampf-Zeiten der Neoliberalismus in seiner heute formulierten Form noch in den Windeln lag, wenn überhaupt lag. Daß mithin das Auftreten des Neoliberalismus auch eine Veränderung seiner Gegenüber nach sich zog und notwendig machte. Vielleicht heißt die heutige Speerspitze attac...
Naja, viel schlimmer als die indischen Gerber- und Färbebetriebe kann es wohl kaum kommen. Es sind wohl überwiegend Spinnereien und Nähereien in Kambodscha. Die sind teilweise etwas energieaufwändig, ansonsten besteht vor allen Dingen die Gefahr von Kinderarbeit und Ausbeutung. |
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Mi 26. Jul 2006, 19:57 - Beitrag #6 |
Wenn die taz überhaupt irgendeine Relevanz hat, dann kann es ja nur gut für die Sache sein, schließlich sind die realen Lösungen, die etwa in Bitterfeld oder Tschernobyl zu besichtigen waren (und ich schweige von den Tausenden von schlimmeren, aber weniger bekannten Fällen von Umweltverseuchungen 'weil ist egal und gehört mir nicht'), nicht eben die besten Ansätze gewesen. Auch zur Erfüllung auch nur der grundsätzlichsten Bedürfnissen unter den Ärmsten oder zur Erreichung eines gewissen Wohlstands in der Arbeiterschaft als Lieblingsklientel der meisten sozialistischen Herrschaftssysteme war, sagen wir es so, der strengste ideologische Pfad niemals der erfolgreichste. Das verabsolutiere i[size=84][size=84]ch erwartungsgemäß^^ dahingehend, daß es, je weniger Sozialismus herrscht, längerfristig desto besser für die Armen ist. Ich rechne dabei aber nicht mit allzu begeisterter Zustimmung von meinen beiden Vorrednern. - Wobei sich wieder die Frage stellt, ob es gut für die Sache als solche ist, wenn ihre humanitären Ziele unter größtmöglicher Nichtbeachtung ihrer Ideologie und Methodik erreicht werden - die Menschen könnten dabei ihre Freiheit gebrauchen (oh, böse), ihre eigenen Gedanken zu denken und zu anderen Lösungen zu kommen. ![]() --- Daß Kinderarbeit und Sklaverei in Kambodscha in recht erträglichem Maße praktiziert werden, war ja auch Teil des Artikels; vielleicht sind wenigstens hierbei derartige Vereinbarungen recht wirksame Druckmittel. [/size] [/size] |
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Die rechten Christen führen keinen Krieg - Jacob Böhme
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Mi 26. Jul 2006, 21:00 - Beitrag #7 |
Naja, der Kapitalismus ist ja durchaus nicht frei von ökosozialen Sündenfällen, auch nicht, was ihre ordentliche rechtliche Aufarbeitung angeht.
Ich sage nur...Harrisburg, Sellafield, Seveso, Bhopal,...und die kapitalistischen Erzminen in der "3. Welt" stehen Bitterfeld und Wismut in nichts nach - es sieht nur keiner, weil die Polizei jede ungebetene Berichterstattung unterbindet. Immer waren letztlich Kapitalinteressen verantwortlich für Schlamperei, Nichteinhaltung von Sicherheitsbestimmungen oder Verhinderung derselben. In gewisser Weise kann man das auch für die sozialistischen "Pendants" annehmen - der "Wettstreit der Systeme" erforderte aus der Sicht der Funktionäre eine solche Produktionsweise. Genauso, wie das Shareholder Value es erfordert, in Papua-Neuguinea schwermetallhaltigen Minenabraum über 170 km in einem Fluss und seinem Überschwemmungsgebiet zu entsorgen, dieses damit um 20 m aufzuhöhen und die angrenzenden Küstengewässer auf Dauer zu verseuchen. Steuern werden von dem Konsortium dabei keine gezahlt. Oder das Nigerdelta mit Ölabfällen vollaufen zu lassen. Eine Katastrophe wie in Tschernobyl erschien geeignet, diesen Wettkampf der Systeme in Gefahr zu bringen und "durfte" deshalb nicht stattfinden - zumindest aus Sicht derer, deren Stühle in Gefahr waren. Das macht die Katastrophe nicht besser, wirft vielmehr ein Bild auf den geistig-moralischen Zustand der Sowjetunion zu der Zeit, und wohl auch schon früher. Freiheit ist kein Selbstzweck, sondern immer Mittel zum Zweck. Damit ist sie aber immer in der Gefahr, daß ihre Nutzung Unfreiheit hervorruft. |
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Sa 29. Jul 2006, 17:21 - Beitrag #8 |
Das Argument vom Wettstreit der Systeme finde ich hier wenig überzeugend; etwa in meinem gerade verschlungenen chinesischen Bericht spielen außenpolitische Erwägungen gegenüber der Industrialisierung des ganzen Landes als Selbstzweck bzw. zur vermeintlichen Verbesserung der Lebensstandards keine wesentliche Rolle. Und spezifische Katastrophen wie etwa der "efffizienzsteigernde" Kantinenzwang auch in ländlichen Kollektiven mit mehreren Stunden Weg zur Kantine, verbunden mit dem Einschmelzen der persönlichen Kochgeschirre zur (völlig erfolglosen) Stahlproduktion, wären in einer konkurrierenden Wirtschaft ebensowenig wahrscheinlich wie der Bau eines Bewässerungskanals ohne Zufluß - mitten in der Steppe. (Gebaut in den drei Hungerjahren, in denen mindestens 20 Mio. Menschen wegen 'geplanter' Mißernten verhungerten).
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Die rechten Christen führen keinen Krieg - Jacob Böhme
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So 30. Jul 2006, 00:52 - Beitrag #9 |
China steht nicht in demselben Wettstreit mit einem anderen Teil der Welt, wie die Sowjetunion und ihre Trabanten dies taten - Bitterfeld und Tschernobyl sind vor dem Hintergrund des Kalten Krieges zu sehen, der aus östlicher Sicht ein Wettlauf der Systeme war mit dem Ziel, letztlich die wirtschaftliche (und damit letztlich politische) Überlegenheit des sozialistischen Systems zu beweisen.
China ist da noch was anderes, vielleicht mehr von Selbstzwecken dominiert - oder zumindest propagandistisch so verkauft. Wie gesagt, Bitterfeld ist Alltag im Kapitalismus. Schau mal nach, wie in Papua Neuguinea, in Malaysia, in Brasilien und sonst Schwermetalle abgebaut werden. Das sieht da ähnlich aus, nur noch etwas großflächiger. Und was unsinnige und umweltschädliche Milliardenprojekte betrifft, da haben wir mit dem Rhein-Main-Donaukanal ein Paradebeispiel im Land. |
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