Ich meine mich zu erinnern, daß Hannah Arendt es war, die für die Lüge im Raume des Politischen den Begriff der "Regie der Wahrheit" prägte.
Ob sie es nun war oder ein anderer, ich verstehe den Satz so, daß auf dünnem Eise geht, der von politischen Menschen Wahrheit verlangt, Wahrheit im Sinne dessen, was die objektivistischen Wissenschaften uns als existent suggerieren.
Günter Grass ist zweifellos ein Vertreter dieser Gattung, ein "zoon politikon" in dem, wie er Gesellschaftliches, Angelegenheiten der Gemeinschaft zum Thema seiner Literatur macht und gemacht hat.
Von Anbeginn war Einmischung für ihn Programm, das Einnehmen von Position und das Durchhalten dieser auch in Zeiten des Gegenwindes, einer durchaus ehrenhaften Position dazu, für Freiheit und Ablehnung von Totalitarismen, auch gegen deren Fortdauer in der Demokratie durch nahtlose Übernahme einschlägig bekannten Personals.
Ein Denkmal wurde so geschaffen, in den Augen der Betrachter, die jenes zu erblicken glaubten, was doch praktisch ausgeschlossen ist in einem Jahrhundert zweier Weltkriege, vierer Staaten und zweier Diktaturen auf deutschem Boden, einen Streiter ohne Tadel.
Dieses Denkmal ist gestürzt, so will es manchem scheinen, und manchem andern schwankts erheblich, gar manchem, weil es weichen soll.
Gemach, gemach, so möchte man ihnen zurufen, denn gar so einfach ist die causa nicht.
Was ist passiert?
Ein Jugendlicher, erfüllt vom jugendlichen Tatendrang, geprägt von der Ideologie, die sein bisheriges Werden als Teil der Gesellschaft bestimmte, geplagt von der Enge seines bürgerlichen Elternhauses, bewirbt sich in der Mitte des Krieges bei der U-Boot-Flotte. Einer von vielen seines Alters, zum ersten Mal in der Situation, selbst etwas in ihrem Leben zu bestimmen, ausbrechen zu wollen aus ihrer Enge, der gewohnten.
Er wird nicht genommen, erhält aber etwas später einen Einberufungsbefehl zu einer Truppe, die Not und Schrecken verbreitete - wie wir heute wissen. Er wusste es wohl nicht und erfuhr erst nach und nach, während des Zusammenbruchs der Diktatur, wo er gelandet war.
Der erlebte Schrecken und was über die Diktatur bekannt wurde nach ihrem Ende, das machte ihn zu jenem Streiter, als der Günter Grass bekannt geworden ist. Das Wissen um die eigene Teilnahme an dem Grauen, so ist dem Interview zu entnehmen, belastete ihn mit einem Gefühl der Schuld.
Zitat von Günter Grass in der FAZ:Währenddessen? Nein. Später hat mich dieses Schuldgefühl als Schande belastet. Es war für mich immer mit der Frage verbunden: Hättest du zu dem Zeitpunkt erkennen können, was da mit dir vor sich geht? ...
Belastete ihn über nunmehr 60 Jahre, bis er nun das Schweigen brach über dies, das gewiß Teil seines Lebens ist.
Und doch Teil einer Zeit des Lebens, die eher zum Unfertigen noch zu rechnen ist.
Den Fehltritt dennoch als Schuld zu empfinden ab dem Moment der Offenbarung des wahren Wesens der Dikatur, und diese Schuld vor sich und vor der Welt zu hüten, das ist zum ersten konsistent im Zusammenhang mit Grass´Wirken in der Zeit, zum zweiten psychologisch nicht unverständlich - wie der Welt erklären, worüber man sich selbst eine Erklärung schuldig bleiben muss?
Gewiss, 60 Jahre sind viel Zeit, doch liegt es im Ermessen anderer, zu bestimmen, wieviel Zeit erlaubt ist?
Gewiss, die Zeit scheint gut gewählt, die Biographie steht vor der Tür, die, wie das Interview verheißt, aber nicht ohne dieses Stückchen Leben zu denken ist, es ist wohl, was dem Buche Leben einhaucht, so verstehe ich Grass unterschwellig.
Verständlich durchaus, daß der Biograph ob dieser Nachricht, uneingeweiht, wenig amüsiert ist. Man mag dies geißeln und zumindest diesem gegenüber Offenheit einfordern.
Doch, wiederum gemach. Ist nicht stets der Biographent Herr der Geschichte wie seines Lebens, entscheidet nicht er allein, was erscheint und was der Welt verborgen bleibt, auch, wie es dann erscheint?
Nun zu der Wirkung, die Grass entfaltete in jenen 60 Jahren, leidet sie darunter, was nun geschicht?
Es lohnt sich, genau zu sehen, was und wen Grass da kritisierte in den 50ern und später - einen Kanzler, Adenauer, der im vollen Leben die Diktatur durchlebte, als Opfer? [weiß ich leider gerade wirklich nicht] Der hernach den niedren Schergen zu neuer guter Position verhalf, es zumindest nicht unterband.
Dessen Programm offen "Keine Experimente!" war, was Kontinuität in vielerlei Personen und manchem Geiste bedeutete.
Die Zahl der NS-Richter in den Gerichten der damaligen Zeit ist Legion, wie auch der Beamten in Verwaltung, auch in sensiblen Bereichen. Die Verschleierung der 12 Jahre als "die dunklen Jahre", wo finstere Gesellen ungesehen die Macht im Staate an sich rissen, war Programm in jener Zeit, und Grass ist einer, der den Schleier riss von jenem Trugbild.
Dies getan zu haben und manches mehr, auch wenn mit 17 fehlgetreten und durch das Schicksal von Schlimmrem noch verschont, das ehrt ihn weiterhin in meinen Augen.
Gewiss, man mag sich fragen, ob sein Protest beim Staatsbesuche von Reagan bei Kohl in Bitburg in diesem Lichte angemessen war, doch galt gewiss der Besuch dort nicht den 17jährigen Irregeleiteten der Rückzugsgefechte. Die Mehrzahl derer, die dort liegen, sind Täter, die aktiv unterstützten und ausführten, wofür ihrer Truppe gräulich Ruhm vorausging. Ausgerechnet sie beim Staatsbesuch zu ehren, ist instinktlos, nach wie vor.
So diente denn letztlich am Denkmale zu kratzen dazu, jene zu rehabilitieren, die wahrhaft unrühmlichen Angedenkens sind, sein sollten zumindest meinethalben.
Vielleicht ergibt jedoch die Frage sich, ob faul nichts ist in einem Staate, da Menschen denkmalsgleich erhoben werden.