"Er hat mich indirekt zum Mörder gemacht."

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Maurice
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Do 7. Sep 2006, 11:01 - Beitrag #1

"Er hat mich indirekt zum Mörder gemacht."

Da wohl jeder etwas vom Fall "Natascha Kampusch" gehört hat, kann ich mir eine große Vorgeschichte sparen. Ich selbst habe das Interview teilweise gesehen und fand vor allem eine Aussage aus philosophischer Sicht besonders interessant: "Er hat mich indirekt zum Mörder gemacht." Ihr Entführer hat ihr immer wieder gesagt, dass er sich umbringen würde, falls sie es schafft zu fliehen, was er dann auch getan hat. Der zitierte Satz legt nahe, dass sie sich Vorwürfe macht oder zumindest sich nicht sicher ist, ob sie sich Vorwürfe machen soll. Sie scheint sich für den Selbstmord ihres Entführers zumindest mitverantwortlich zu fühlen.
Was meint ihr, ist Natascha für den Tod ihres Entführers verantwortlich, wenn ja sollte man hier von "Schuld" sprechen? War es moralisch geboten, erlaubt oder verboten zu fliehen? Welche moralische Relevanz hat die Drohung "ich bring mich um, wenn du fliehst" für die Flucht?
Da dies vor allem ein moralisches Thema ist und ich mit Moral wenig anfangen kann, weil mir die Innenperspektive diesbezüglich zu fehlen scheint, kann ich hier nur "von außen" beurteilen und die Frage "war es moralisch was sie getan hat" nicht beantworten. Ich bin also auf eure Antworten gespannnt.

PS: Meine Fragestellung legt zwar nahe, den Thread unter "Philosophie" zu posten, da aber der Fall deutlich mehr interessieren sollte, als die Philosophie-User, poste ich ihn hier. Man verschiebe ihn, wenn man anderer Meinung ist als ich. ;)

Lykurg
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Do 7. Sep 2006, 11:31 - Beitrag #2

Ihre Flucht hat seinen Selbstmord mit herbeigeführt - insofern trägt sie mE tatsächlich eine Schuld - und daß das auf ihrem Gewissen lastet, kann ich sehr gut nachvollziehen. Das dürfte auch in der Absicht des Entführers gelegen haben, wenn er nicht nur seine Liebe damit zum Ausdruck bringen wollte.
Ihre Flucht war dagegen mE moralisch geboten, schon zur Erfüllung des Wertes der persönlichen Freiheit, auch um den Kummer und die Ungewißheit ihrer Familie zu beenden. Diese Notwendigkeit überwiegt den zwangsläufigen Selbstmord des Entführers in meinen Augen bei weitem. Wäre sie geblieben, hätte sie wesentliche Teile ihres Lebens für seines geopfert - und da er genau diese Zwangssituation mit der Entführung herbeigeführt hatte, ohne ihr eine Wahl zu lassen, war ihr Handeln mE in aller Konsequenz richtig.

Windsbraut
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Do 7. Sep 2006, 11:42 - Beitrag #3

(Ich fand die junge Frau erstaunlich reflektiert und reif. Eine starke Persönlichkeit!)

Nein, nach meinem Empfinden trägt an einem Selbstmord niemand anderer die Schuld als der Selbstmörder selbst. In diesem Sinne ist die Bezeichnung "Selbstmörder" recht aussagekräftig. Der Entführer hat aus freiem Willen heraus sein Leben beendet. Nur er konnte das entscheiden und durchführen.

Außerdem hat er sich umgebracht, um der Strafe von außen zu entgehen, was IMO ebenfalls gegen eine "Schuld" seines Opfers spricht. Es geschah aus Selbstschutz, wenn man so will.

Ich habe es auch nicht so empfunden, dass sie sich verantwortlich fühlt, vielmehr dass ihr bewusst ist, dass der Selbstmord eine weitere Vergewaltigung ihrer Seele war, indem er ihr ein schlechtes Gewissen dafür machen wollte. Sie bezeichnete ja auch den Fahrer der Schnellbahn als "Mörder", bzw. wies darauf hin, dass ihr Entführer ihn dazu gemacht habe. Sie meinte - so wie ich es verstanden habe - damit, dass selbst sein Selbstmord noch Menschen gegen ihren Willen einbezogen hat. Die höchste Form der Egozentrik, sozusagen.

Maurice
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Do 7. Sep 2006, 12:00 - Beitrag #4

Sehr interessant: Zwei Posts und zwei gegensätzliche Ansichten.

@Windsbraut: Meinst du echt nicht, dass sie sich Vorwürfe macht? Wenn das nämlich nicht der Fall ist, halte ich ihre Selbstbezeichnung als "Mörder" sehr unpassend. Warum sollte sie sich als "Mörder" bezeichnen, wenn sie keine Schuldgefühle hat?

Der Entführer hat aus freiem Willen heraus sein Leben beendet. Nur er konnte das entscheiden und durchführen.

Wahrscheinlich, aber können wir uns dessen sicher sein? Da fehlt uns einfach die Innenperspektive des Entführers oder zumindest Aussagen von ihm. Die meisten oder zumindest sehr viele werden ihn ja als "geistig krank" bezeichnen und wenn er sich aus dem Gefühl des Zwanges umgebracht hat, inwieweit kann man dann noch von einer willensfreien Handlung sprechen? Und angenommen er hätte sich aus einem inneren Zwang heraus selbst umgebracht, würde das seine Tat in ein anderes Licht rücken?

Lykurg
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Do 7. Sep 2006, 12:21 - Beitrag #5

Dann reiche ich mal die Schlüsselpassage nach:
Zitat von orf.at:Und der Herr Priklopil hat an diesem Tag sowohl mich ... Ich war mir ja völlig bewusst, wie ich geflohen bin, dass ich damit auch ihn zum Tode verurteile, weil er mir immer mit Selbstmord drohte. Er hat sowohl mich als auch den Herrn, der ihn zu dem Bahnhof fuhr, und auch den Schnellbahnschaffner indirekt zu Mördern gemacht.
Da ich das Interview nur gelesen, nicht gesehen habe, fehlt meiner Bewertung natürlich ein erheblicher Teil des Wahrnehmungsspektrums. Ich bleibe aber bei meiner gegensätzlichen Ansicht.^^ Allerdings kann man ihre Auflistung, mit wem sie Mitleid empfindet (nämlich mit Prikopils Mutter, Freunden, Nachbarn und Bekannten) dahingehend deuten, daß sie sich für die öffentliche Bloßstellung des Entführers stärker verantwortlich macht als für den Selbstmord - aber das ist Spekulation.

janw
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Do 7. Sep 2006, 18:53 - Beitrag #6

Ich kann Lykurg nur zustimmen...und Windy nicht widersprechen^^

Insofern, als er ihr offenbar mehrfach glaubhaft versichert hat, er würde sich im Fall ihrer Flucht umbringen, war diese wahrscheinliche Folge Teil ihrer Handlungskalkulation und ist als eingetretene Folge Teil ihrer Handlungsreflektion. Man kann also durchaus von Verantwortung für seinen Tod sprechen - wobei diese hier aber im Verhältnis steht zur Verantwortung für sich selbst.
Daß sie sich selbst befreien wollte, ist völlig verständlich, gleichfalls, daß es geboten war in der Situation. Letztlich muss nämlich auch die Möglichkeit berücksichtigt werden, daß er irgendwann, nach Erkenntnis der Sinnlosigkeit seines Tuns, final Schluss gemacht hätte. Vielleicht sogar recht bald...

Ich habe ihren Ausdruck auch durchaus so empfunden, daß sie das Empfinden der eigenen Verantwortlichkeit durchaus auch innerlich nicht unberührt lässt - bemerkenswert allerdings, daß sie gleichzeitig auch den Zugschaffner zum Mittäter werden lässt, das erinnert etwas an die Selbstvorwürfe von Zugführern angesichts von Selbstmorden auf Bahngleisen.

Ihr Gefühl für die Verantwortlichkeit für das Geschehene äußert sich auch recht deutlich in ihren Aussagen bezüglich der Mutter des Mannes, konkret darin, daß diese nun nicht nur ihr Weltbild und den Glauben an die Welt, sondern auch noch ihren Sohn verloren hat.

Alles in allem Verantwortlichkeit, aber keine Schuld im moralischen Sinne - denn sie hatte letztlich keine andere Wahl.

Zitat von Maurice:Wahrscheinlich, aber können wir uns dessen sicher sein? Da fehlt uns einfach die Innenperspektive des Entführers oder zumindest Aussagen von ihm. Die meisten oder zumindest sehr viele werden ihn ja als "geistig krank" bezeichnen und wenn er sich aus dem Gefühl des Zwanges umgebracht hat, inwieweit kann man dann noch von einer willensfreien Handlung sprechen? Und angenommen er hätte sich aus einem inneren Zwang heraus selbst umgebracht, würde das seine Tat in ein anderes Licht rücken?

In den Äußerungen der Frau Kampusch sind genügend Hinweise enthalten, die mit etwas Einfühlungsvermögen und Lebenserfahrung eine Skizze dessen ergeben, was in dem Mann wohl vorgegangen ist.
Sicher eine schwere Persönlichkeitsstörung, die er aber wohl in der Lage war zu kaschieren - sich eben als der "nette hilfsbereite junge Mann" zu geben.
Dabei wohl Bewusstheit um diesen Sachverhalt, insofern Verantwortlichkeit und willensfreies Handeln. Da klingt für mich nichts an von wirklicher Persönlichkeitsspaltung oder spontanem Kontrollverlust - möglich schon eher eine gewisse Angst vor so etwas.

Daß sicher viele ihn als "geistig krank" bezeichnen werden, ändert für mich nichts an der Falschheit und Gefährlichkeit dieser Zuweisung - letztlich liegt darin für mich eine gewisse Verhamlosung, weil damit IMHO ausgeblendet wird, wie nahe am Abgrund das "Normale" steht. Das Böse ist banal, in gewisser Weise...
"Sperrt die Bestie weg!" würden viele schreien, wenn er noch lebte.
Was wäre eigentlich, wenn er sich eine 16 jährige aus Thailand geholt hätte?

Maurice
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Fr 8. Sep 2006, 00:15 - Beitrag #7

Wo wir mal wieder bei der Frage wäre "Wie soll man "krank" definieren?"... ich kann mich da erinnern, dass es da mal eine hitzige Diskussion drüber gab. ^^

Alles in allem Verantwortlichkeit, aber keine Schuld im moralischen Sinne - denn sie hatte letztlich keine andere Wahl.

Hmm dem würde ich jetzt nicht zustimmen. Meines Verständnisses nach hatte sie sehr wohl eine andere Option: Weiter Gefangene bleiben. Klar wollte sie das nicht und es wäre nicht die für sie richtige Entscheidung gewesen. Aber dennoch hätte sie auch weiter bei ihrem Entführer bleiben können, wenn sie gewollt hätte. Demnach hatte sie meiner Auffassung nach die Wahl, ob sie flieht oder nicht.
Willst du ihr diese Wahlfreiheit abstreiten? Oder meintest du das im alltäglichen Sinne von "sie hatte keine andere Wahl" wo zwar nicht geleugnet wird, dass derjenige eine andere Wahloption hatte, sondern damit gemeint ist, dass derjenige keine akzeptable Alternative hatte?

Hach ich verliere mich mal wieder in Details ^^* ...

janw
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Fr 8. Sep 2006, 01:18 - Beitrag #8

Ich meinte es im Sinne von "keine angesichts ihrer selbstwahrgenommenen Situation und Perspektive akzeptable Alternative".
Sie war brutal geraubt worden, über Jahre "mit Zuckerbrot und Peitsche" behandelt worden, ihr Entführer hatte sein Schicksal mit ihrem verbunden, eine psychologisch sehr perfide Methode, und sie fühlte sich ihrer Freiheit beraubt.
Ihr Entführer verhielt sich so, daß eine Flucht praktisch unmöglich war, die Perspektive war für sie mindestens eine Fortdauer des Status quo, wenn nicht Schlimmeres.
Flucht war für sie die einzige Option, und sie hat ihre Chance genutzt. Für ihr Leben. Für ihre Würde. Für das, was der Entführer ihr nicht nehmen konnte.

MartinR
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Fr 8. Sep 2006, 01:33 - Beitrag #9

Er hat sich nicht in suizidaler Absicht vor einen Zug geworfen, weil sie geflüchtet ist, sondern weil er sich der akuten Verhaftung entziehen wollte.

Ich habe dieses Zitat heute zufällig in den "Nachrichten" mitbekommen.
Ich finde das "öffentliche Interesse" ehrlich widerlich.

Abgesehen davon: Ihr wurde Unrecht angetan. Sie hat selbstverständlich jedes Recht zur Verteidigung oder Flucht. Was mit "ihm" passiert, darf sie dabei nicht interessieren.

janw
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Fr 8. Sep 2006, 02:53 - Beitrag #10

Zustimmung insoweit, als die drohende Verhaftung sicher ein akut treibendes Motiv war - allerdings hatte er ja bereits mehrfach damit gedroht, sich umzubringen, wenn sie flüchten sollte.

Das öffentliche Interesse, nun ja, man lese den Offenen Brief der FAZ. Medien sind eine selbstreferentielle Macht, mit allen damit verbundenen Problemen.
Und durch diese Diskussion sind wir nun auch Teil des Problems. :rolleyes:

Gut, daß sie es geschafft hat, zu überleben und jetzt zu entkommen. Möge ihr das Leben gelingen.

Feuerkopf
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Fr 8. Sep 2006, 10:01 - Beitrag #11

Setzt Schuld nicht auch die Freie Wahl voraus? Natascha Kampusch lebte acht Jahre lang in einer Zwangssituation. Also stimmen schon die Voraussetzungen für die Freiheit der Wahl nicht. Dann wurde die Suiziddrohung als Druckmittel gegen sie benutzt, noch eine Einschränkung.
Nein, mit moralischer Schuld hat das nichts zu tun. Die Verantwortung für sein Tun liegt ganz allein bei dem Selbstmörder.

Maurice
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Fr 8. Sep 2006, 10:23 - Beitrag #12

Habe zwar noch keinen Link zum vollständigen Interviwe gefunden, aber auf Spiegel.de gibt es immerhin einen Ausschnitt: http://www.spiegel.de./videoplayer/0,6298,13079,00.html
Für diejenigen, die das Interview nicht gesehen haben und daran Interesse haben oder für die, die ihre Eindrücke nochmal überprüfen wollen.

@Feuerkopf:
Setzt Schuld nicht auch die Freie Wahl voraus?

Ich tue mich schwer mit dem Prädikat "Schuld". Das hat sowas moralisch und subjektives... Ich nehme dazu deshalb keine persönliche Stellung, sondern verweie nur darauf, dass die meisten Leute wohl sagen würden, dass man für die Folgen einer Entscheidung nur dann verantwortlich ist, wenn die Entscheidung frei war. Wenn ich aber Satre richtig verstanden habe, dann meint er, dass wir für alle unserer Taten verantwortlich sind. Selbst wenn uns jemand eine geladene Waffe an den Kopf hält und wir auf Grund dessen Unrecht tun, sind wir für das Unrecht verantwortlich.
Wie gesagt ich versuche lediglich wiederzugeben, weil ich es selbst vermeide, den Ausdruck "Schuld" zu verwenden.

MartinR
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Fr 8. Sep 2006, 10:36 - Beitrag #13

Die Medien müssen ja nicht über alles berichten.

So einen extrem Fall hatten wir ja schon vor vielen Jahren mal. Da hat die Presse während einer laufenden Geiselnahme mit den Geiselnehmern Interviews gemacht, was diese ja eher noch angestachelt hat, weiter zu machen.
Ich will damit sagen, viele Menschen haben ein Interesse an solchen Storys. Und sowas im Fernsehen zu sehen ist für viele einfacher, als einen Roman-Krimi zu lesen.
Das bedeutet aber nicht, daß die Presse einen derart mit soetwas bedienen MUSS. Es gibt sicherlich wichtigere Dinge im Leben zu berichten, als Verbrechen auf der Welt.

Ich hoffe zwar, daß sie gut verhandelt hat und eine Menge Geld für diese Interviews bekommt (verdient hat sie es sicherlich!), aber dennoch ist diese Notgeilheit der Menschen schon eher unerträglich.
Was senden denn die Privaten schon noch an Nachrichten....(!?) Ich bin da echt froh, wenn die noch eine Meldung über die Wahl des Bundespräsidenten bringen...

Ebenso rege ich mich immer - und immer noch immer wieder - über diese ewige Berichterstattung über das World-Trade-Center auf. Auch nur reine Sensationsgeilheit. Außerdem wird damit den Verbrechern auch noch Kohle ins Feuer geworfen!

Ich habe mich so weit es geht versucht der Sache zu entziehen. Also weder groß in der Presse darüber gelesen noch Fern gesehen. Man kann nur leider nicht immer umschalten, wenn die was darüber berichten. Im Moment wäre man einfach ein Permanentzapper. Daher habe diesen Auszug aus dem Interview mit genau obigem Satz leider mitbekommen.

Ich sehe diese Diskussion aber mehr als generelle Fragestellung. Immerhin ist dieser Thread ja nicht über das Thema dieser Entführung sondern um Schuld, Unschuld und Moral und nur auf Grundlage einer einzelnen Aussage.


Wenn ich auch nicht Feuerkopfs Meinung über die "Freiheit der Wahl" teile - sie hat ja schon eine Wahl gehabt zu fliehen oder nicht - so stimme ich jedoch gänzlich überein, daß sie keinerlei Verantwortung für sein tun trägt. Meiner Meinung nach hätte sie ihn sogar aktiv töten dürfen. Gerichte würden das vielleicht anders sehen. Aber ich würde ein paar Jahre Staatshaft sicherlich den Jahren ihrer Art Haft vorziehen. Was dann das den Eintag im Strafregister angeht, ist das wohl für jeden moralisch nachzuvollziehen.

Ipsissimus
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Fr 8. Sep 2006, 12:06 - Beitrag #14

sie darf genau das tun, was zu tun und womit zu leben sie bereit ist^^ ob andere dann zu der Meinung kommen, sie habe dies doch nicht gedurft, ist erst mal zweitrangig

ich glaube nicht, daß diese gesamte Situation von der Logik eines moralischen Systems geprägt ist, sondern von einer Logik, die das Sosein zweier Psychen in absoluter Konfrontation gegenüberstellt. Sie ist so, daß sie frei sein wollte, und dies mit Umsicht und Geduld auch erreicht hat. Er war so, daß er sie haben wollte als seinen Besitz, darüber hinaus war er bereit, sich den Konsequenzen seines Wollens per Selbstmord zu entziehen.

Man kann sagen, beide Seiten haben erhalten, was sie gewollt haben und müssen jetzt mit den Konsequenzen ihres Wollens leben^^

Lykurg
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Fr 8. Sep 2006, 20:31 - Beitrag #15

Ich hätte es - auch wenn sie, so wie ich sie einschätze, dazu wohl nicht in der Lage gewesen wäre - ebenfalls als 'Notwehr' akzeptiert, wenn sie ihn zum Erreichen ihrer Freiheit hätte töten müssen (etwa bei einem entdeckten Fluchtversuch). Und ich hatte bereits ausgedrückt, daß die schiere Notwendigkeit ihrer Flucht das Inkaufnehmen seines Suizids rechtfertigte.

Dennoch trägt sie mE eindeutig eine Verantwortung für seinen Tod, ich habe, weil danach gefragt war, sogar den weit stärkeren Begriff der 'Schuld' gewählt: Sie hat diesen zweifellos für sie und die Gesellschaft richtigen Weg im vollen Bewußtsein seiner Konsequenzen gewählt (eine im Wortsinn tragische Situation - nur daß der Begriff inzwischen so abgeschmackt-verbraucht ist, daß er sich verbietet). - Dennoch stimme ich in besonderem Maße Ipsissimus' Ausführungen zu, insbesondere dem gelungenen Schlußsatz.

Elbereth
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Fr 8. Sep 2006, 22:15 - Beitrag #16

Ich finde sie hat überhaupt keine Schuld. Sein Tod war zwar die Konsequenz ihres Verhaltens, aber jeder Mensch ist für seine Taten selbst verantwortlich. Es ist im Prinzip das gleiche, wie wenn der Freund/Freundin sagt, ich bringe mich um wenn du mich verlässt. Muss man dann sein Leben lang mit einem Menschen zusammen bleiben, den man nicht liebt, um nicht Schuld an seinem Tod zu sein? Man kann ja noch weitere, viel absurdere Beispiele finden, es gibt ja leider immer wieder Menschen die mit der Selbstmorddrohungen ihre Mitmenschen erpressen (wollen). Meiner Meinung nach hat man in dem Fall genauso viel (wenig) Verantwortung wie der Meteorologe der Regen vorhersagt, und sich daraufhin jemand umbringt, der gutes Wetter haben wollte... sollte er besser lügen? Ich finde nicht. Es ist natürlich auch ein Unterschied, ob man von den Selbstmorddrohung weiss, aber auch in dem Fall sollte man sich meiner Meinung nach nicht davor erpressen lassen (es sei denn es ist ein Mensch den man liebt, dann wird die Sache viel komplizierter, aber hier war das ja allem anschein nach nicht der fall)

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Fr 8. Sep 2006, 23:09 - Beitrag #17

also ich tu mich da ein bischen schwer mit dem Fall......
Was den Selbstmord angeht hat der Selbstmörder selbst schuld den ihn zwingt ja keiner sich umzubringen. Er tragt auch noch mehr Schuld den er richtet sich ja wie in dem Fall nicht nur sich selber hin, sonder belastet auch noch die menschen seiner Umgebung. In dem Fall hier sein opfer, bzw den Lokführer usw...

Aber warum ich mich damit schwer tu ist eher folgendes... die Frage die mir die meiste zeit durch den Kopf geht warum hat sie es erst jetzt zur Flucht geschafft ? Wenn sie doch mit ihm einkaufen war, udn auch sonst in der offentlichkeit, spätestens mit 14 oder 15 hätte sie doch schon längst ne chance gehabt zu fliehen selbst wenn sie immer vor Ihm hat laufen müssen und er gedroht hat die Leute umzubringen die sie um Hilfe bittet ich denke mal selbst ihr muss klar gewesen sein das er das nicht wahr machen kann. Warum ist sie erst jetzt geflohen 8 jahre nach der Entführung ? das ganze finde ich etwas seltsam und eigenartig....

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Sa 9. Sep 2006, 11:48 - Beitrag #18

Sie ist ganz bestimmt nicht schuldig an dem Tod ihres Peinigers.
Ihre Anschuldigung an sich zeugt von falschen Gefühlen da Sie demnach eine gute Beziehung zu ihm gehabt hatte.... was nach 8 Jahlen durchaus möglich is. Abel..kommisch ist mir auch, warum sie erst jetzt den Fluchtversuch unternommen hat. Meiner Meinung müsste Sie unter diesen widrigen Umständen solche Gelegenheiten kaltbütig ausnützen. Abel...
ich glaub da war diese ambivalente Beziehung zum Priklopil doch zu stark.

Lykurg
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Sa 9. Sep 2006, 12:08 - Beitrag #19

Zitat von Elbereth:wenn der Freund/Freundin sagt, ich bringe mich um wenn du mich verlässt. Muss man dann sein Leben lang mit einem Menschen zusammen bleiben, den man nicht liebt, um nicht Schuld an seinem Tod zu sein?
Meiner Meinung nach "ja". Wobei ich, wie oben gesagt, die Übernahme dieser Schuld durch das Verlassen unbedingt notwendig finde. Aber das hebt die Schuld nicht auf, sie hat dadurch nur einen sehr geringen Stellenwert für die Bewertung. Sie hätte anders handeln können, auch wenn die Konsequenz noch so bitter und auf Dauer undenkbar gewesen wäre.
Man kann ja noch weitere, viel absurdere Beispiele finden, es gibt ja leider immer wieder Menschen die mit der Selbstmorddrohungen ihre Mitmenschen erpressen (wollen).
Ich weiß, aber diese Drohung zu ignorieren, läßt einen Menschen nicht 'unschuldig', wenn sie wahrgemacht wird.
Meiner Meinung nach hat man in dem Fall genauso viel (wenig) Verantwortung wie der Meteorologe der Regen vorhersagt, und sich daraufhin jemand umbringt, der gutes Wetter haben wollte... sollte er besser lügen?
Nein, der wesentliche Unterschied ist, daß er es von diesen Menschen nicht explizit weiß, genausowenig wie er von anderen nicht weiß, die sich vielleicht im entgegengesetzten Fall umbringen. Er ist (ohne diese Information) in seinem Handeln gebunden an die ihm vorhandenen Wetterdaten und deren öffentliche Auswertung, und befindet sich somit in einer völlig anderen Situation.

janw
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Sa 9. Sep 2006, 12:17 - Beitrag #20

D´accord zu Ipsi.

Was ihre erst jetzt erfolgte Flucht betrifft...nun, sie berichtet in dem Interview, daß sie schon früher versucht hat, Leuten in Geschäften Zeichen zu geben, aber nie verstanden wurde, bzw. von ihrem Entführer dann fortgedrängt wurde.

Gefühle...können Menschen über längere Zeit zusammen leben, ohne welche zu einander zu entwickeln?
Ich denke, zwischen Hass und Liebe ist ein breites Spektrum. Sicher wäre Hass zwar das, was Außenstehendem als allein verständliche Emotion erscheinen würde, vielleicht würde aber letztlich auch der Hassende selbst am Hass zerbrechen.

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