Moment, nein, ich bin grundsätzlich dafür, beides zu sehen. Es ist auf keinen Fall gleichgültig, wenn Leute, und sei es als Kind, in so etwas hineingeraten. Das prägt offensichtlich fürs Leben. Andererseits hat es eben nicht denselben Stellenwert, wie wenn jemand sich "bei vollem Bewußtsein" und aus einer unabhängigen Position heraus zu etwas entschließt. Aber das ist in keinem der drei Fälle gegeben; vielleicht am ehesten noch bei Christa Wolf. Die "Nichteinsicht" hatte Grass etwa gegenüber Kiesinger, Kohl und anderen - wohl auch, weil sie die falsche Parteizugehörigkeit hatten. Jens und Wolf wurden dagegen verteidigt - vielleicht auch, weil in den späteren Jahren etwas in ihm arbeitete (war das "Tagebuch einer Schnecke" ein Markstein dafür? Vielleicht.)scheinheilige Nichteinsicht, daß andere ebenfalls durch die Umstände hineingezogen werden konnten.
Ich bin mir jetzt nicht sicher, wie Du das meinst, meinst Du jetzt, Grass habe diese Nichteinsicht gehabt? Eher doch wohl nicht, wenn er Walter Jens und Christa Wolff (für die nächste Diktatur) gleichfalls in Schutz nimmt...oder?
Andererseits war das Betonen der Hineinziehbarkeit junger Menschen doch auch mein Reden, dem Du heftig widersprochen hast, denn es bedeute kompletten Relativismus usw.
Ich auch. Widerspruchlos ist die ganze Sache jedenfalls nicht, das wäre ja auch viel zu einfach.^^*Etwas verwirrt bin*
Das sehe ich voll und ganz genauso; Kaniuks Selbstdiagnose, da seien gewissermaßen Urerfahrungen hochgekrochen, wirft ein bezeichnendes Licht auf beide Seiten.Die Diskussion mit Kaniuk erscheint gleichfalls unerfreulich
Das sehe ich auch nicht - und kann auch das nur hoffen. Die Argumentation "Ich bin ein Freund Israels, deswegen kritisiere ich es so scharf, ich will ihm ja nur helfen" habe ich jedenfalls schon zu oft gehört, um sie ernstnehmen zu können. Es geht hierbei nicht um eine Eingrenzung auf "dafür sein oder dagegen sein", sondern das notwendige Problembewußtsein dafür, daß israelkritische Äußerungen (gespielt über die Bande des europäisch-amerikanischen Verhältnisses zu Israel) massive Auswirkungen auf das Mächtegleichgewicht im Nahen Osten haben können.Wie er mit derlei Äußerungen "Israel helfen" will, bleibt dann unklar, oder ist die Äußerung nur äußerst mißverständlich, aus dem Zusammenhang gezerrt, vielleicht gezielt instrumentalisiert?
Ich bin ebenfalls nicht der Meinung, daß man mit dem Antisemitismus-Vorwurf zu leichtfertig umgehen sollte; daß es sich dabei wie bei unsäglichen Vergleichen um ein sehr leicht ausuferndes und dabei an Wirkung verlierendes Mittel handelt. Es hat aber innerhalb der Linken zeitweise durchaus auch einen echten Antisemitismus gegenüber Juden in Europa und den USA gegeben (der möglicherweise auch heute noch vereinzelt durchbricht) - und ich weiß nicht, inwieweit vielleicht auch Grass mit dessen Vertretern zusammengekommen ist. Man müßte das unbedingt bei Ginster nachlesen, bevor man über Grass' mutmaßlich antisemitische Tendenzen spricht - mea culpa.


