Bundewehreinsatz in Afghanistan

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Yanāpaw
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Mo 6. Nov 2006, 00:34 - Beitrag #1

Bundewehreinsatz in Afghanistan

Mich würde interessieren wie die hier vorherrschende Meinung zum Anliegen unserer Bündnispartner, das Einsatzgebiet der Bundewehr in umkämpfte Regionen auszuweiten, ausfällt.

Dieses Anliegen ist Resultat folgender Fakten:

85 Prozent der Angriffe entfallen auf Provinzen im Süden und Osten Afghanistans, nur 15 Prozent auf den eher stabilen Westen und die nördliche Region, wo die Bundeswehr ihre 2700 Soldaten stationiert hat.



In den vergangenen Wochen haben sich kanadische und britische Isaf-Soldaten im Süden des Landes heftige Schlachten mit den Taliban geliefert. Während der inzwischen beendeten Offensive "Medusa" starben fünf kanadische und 14 britische Soldaten, 1500 Rebellen sollen getötet worden sein.


Die Nato geht aber noch immer von 4000 Taliban-Kämpfern aus.



Quelle


Die Reaktion unserer Regierung sah zusammengefasst so aus:

->Berufung auf NATO Aufgabenverteilung
->Verweis auf die vielen anderen Auslandseinsätze und demzufolge fehlende Kapazitäten
->Verweis auf fehlende finanzielle Mittel

Ergo eine klare Absage mit interpretationsbedürftiger Grundlage.


Es steht viel auf dem Spiel. Doch was machen Regierung und Parlament? Sie berufen sich legalistisch auf die beschlossene Aufgabenteilung und verweigern Hilfe im Süden. Politisch mag das klug sein, weil die Öffentlichkeit keine Soldaten im Fronteinsatz will.



Was natürlich ein Dilemma bedeutet, das die WELT so sieht

Moralisch aber steuert Berlin auf Bündnisverrat zu. Wir müssen uns entscheiden: Entweder nehmen wir Verantwortung in der Gemeinschaft wahr, dann gehören Kampfeinsätze bei legalen internationalen Missionen unvermeidlich zur Realität. Oder wir sagen Uno und Nato ganz offen, dass wir ein Mitglied zweiter Klasse sind und nur die Logistik liefern. Unlauter aber ist es, ständig von Verantwortung zu reden, während man die Alliierten allein im Bomben- und Kugelhagel stehen lässt


Quelle


Ist es gerechtfertigt in dieser Situation von "Verrat" zu sprechen?

Lykurg
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Mo 6. Nov 2006, 01:33 - Beitrag #2

Ich habe ein massives Problem damit, weil mE mit der derzeitigen Ausstattung der Bundeswehr eine solche Ausweitung des Einsatzes unverantwortlich wäre. Das Fehlen eines gepanzerten Mannschaftstransporters ist nur das augenfälligste Beispiel für die Sicherheitsrisiken, die aufgrund jahrzehntelanger Einsparungen am Wehretat bestehen und so kurzfristig wohl kaum auszugleichen wären. Dazu kommt noch, daß - wie etwa die Leichenschändungen zeigen - die Ausbildung offensichtlich erhebliche Mängel aufweist. Wenn es schon in den angespannten, aber vergleichsweise ruhigen Einsatzgegenden zu solchen Verstößen gegen Menschenverstand, Moral und Missionsinhalte kommt, ist nicht damit zu rechnen, daß die Truppe unter der ihr fremden Dauerbelastung eines Kampfeinsatzes ausschließlich Verhaltensweisen zeigt, die dem Wunschbild vom "Staatsbürger in Uniform" entsprechen.

Dazu kommt die Überlastung durch die zu große Anzahl von Einsatzgebieten; die Strukturen der Bundeswehr waren niemals für so viele Einsatzorte zugleich ausgelegt. In dieser Lage zusätzliche, nicht dagewesene Verpflichtungen zu übernehmen, erscheint kaum ratsam. Auch für Deutschlands Nato-Partner ist es besser, mit den eigenen Truppen unter relativ geringen Verlusten kleinere Erfolge zu erzielen, als der Rückzug ihrer deutschen Bündnistruppen aufgrund untragbarer Verlustzahlen.

janw
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Mo 6. Nov 2006, 03:07 - Beitrag #3

Im Wesentlichen d´accord zu Lykurg, aber noch folgendes dazu:

Wenn ich mir ansehe, wie die deutschen, britischen, amerikanischen usw. Soldaten agieren, dann zeigen sich mir da himmelweite Unterschiede in "kultureller" Hinsicht, was die Attitüde gegenüber den Menschen dort betrifft, die Art, wie man wahrgenommen werden möchte, welche Ziele jenseits des Militärischen verfolgt werden.
In meinen Augen sind diese Unterschiede vielleicht sogar mit ursächlich für die Entwicklung der Lage in Afghanistan, indem im Süden und Osten der Aufbau noch weniger fühlbar ist (das Gefühl der Menschen, wie und ob es aufwärts geht, ist IMHO ganz wesentlich für den Erfolg) als im Norden und vor den hochgerüsteten Briten und Amerikanern sogar die Zivilbevölkerung in Angst und Schrecken gerät.
Vielleicht treibt das den Taliban eher noch Unterstützer zu.
Wenn dem aber so ist, dann haben Soldaten der Bundeswehr, deren Philosophie von Anfang an eine andere war, dort nichts verloren, wenn sie sich nicht gemein machen wollen mit verlängerten Armen der CIA-Folterpolitik.

Daß auch deutsche Soldaten vor Mißverhalten nicht gefeit sind, haben wir jetzt erfahren müssen - allerdings in schon 3 Jahre alten Geschehnissen.
Was "kulturell" dahinter steht, zeigt sich IMHO aber, wenn quer durch die politische Landschaft hierzulande dieses Verhalten vorbehaltlos verurteilt und nach Ursachen gefragt wird und wenn benannt wird, daß innere Führung eben eine permanente Aufgabe ist und die Folgen der psychischen Belastung einbeziehen muss.

Ich denke, vor diesem Hintergrund müsste eher überlegt werden, ob man nicht verstärkt auf einen "kulturellen" Wechsel bei den anderen Truppen drängen müßte, damit eben die Erscheinungen von Besatzerarmeen aus dem Land verschwinden.

Lykurg
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Mo 6. Nov 2006, 11:11 - Beitrag #4

Hinsichtlich der dauernden Herausforderung des Konzepts der "Inneren Führung" im Einsatz stimme ich dir klar zu. Die Kritik am Verhalten der Bündnispartner greift aber mE insofern etwas zu kurz, weil schon von Anfang an zu erwarten war, daß der Einsatz in den der Bundeswehr zugewiesenen Provinzen sich einfacher gestalten würde. Der Nordosten war zu großen Teilen nie in der Hand der Taliban, sondern wurde von der Nordallianz und ihren Opiumbaronen kontrolliert. Solange die Bundeswehr ihnen nicht ins Handwerk pfuscht, besteht dort kaum Spannungspotential. Die Gebiete im Süden und Osten dagegen, entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze, sind fest in der Hand der Taliban [zumindest gewesen], die dort und in Pakistan ihre Koranschulen hat. Die Rolle des pakistanischen Geheimdienstes, der in der Grenzregion wohl ebenfalls sein undurchsichtiges Süppchen kocht, ist hierbei auch nicht zu unterschätzen. Diese grundsätzlichen und massiven Unterschiede mit unterschiedlichem Verhalten der Besatzungstruppen wegzuerklären, erscheint mir fragwürdig.

Yanāpaw
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Mo 6. Nov 2006, 11:18 - Beitrag #5

Lykurg,

wie Sie richtig anmerken, ist ein erschreckender Mangel an für Kampfhandlungen in Krisenregionen adeqatem Material zwangsläufiges Resultat der Sparmaßnahmen gewesen, aber wusste man das nicht bereits vor der Zustimmung zum Einsatz an sich und zum Einsatzumfang im Speziellen? Das die Taliban nach ofiziellem Ende der Kampfhandlungen in Afghanistan nicht pazifistisch waren und dass die sog. Warlords stehende Heere unterhielten /halten, die der gesamten ISAF-Truppe zahlenmäßig weit überlegen sind, war ebenfalls vorher bekannt. Warum also stimmt man einem solchen Einsatz zu, wissend, dass die Notwendigkeit Kontigenten von Bündnispartnern zu helfen auftreten könnte? Auch die enorme Gefahr durch Minenfelder und Blindgänger, als Zeugen des russisch-afghanischen Krieges waren vorher bekannt. Warum stimmt man so einem Einsatz zu, wenn man dafür weder Gerät noch finanzielle Mittel hat? Warum predigt man interventionalistische Diplomatie und Pazifismus und beteiligt sich dann an - auf zweifelhaften "Beweisen" basierenden - Präventivkampfhandlungen und Aggressionen gegen souveräne Staaten unter dem Deckmantel von Aufbauhilfe, was aber nichts anderes als eine Billigung der vorigen Verfahrensweise ist? Und wenn man sich an solchen Unterfangen beteiligt, dann ist man mE in der Pflicht diese mitzutragen, oder die Konsequenzen zu ziehen und klare - mit dem Handeln kongruente -Aussagen zu tätigen, in sofern stimme ich der Autorin der WELT in einigen Punkten zu.


Was Ihre Anmerkung zur Leichenschändung angeht, so ist meines Wissens nach zu bedenken, dass nicht allein die Ausbildung maßgeblich ist, die BW schult sehr viel mehr kulturelle und soziale Hintergründe eines Einsatzgebietes, als vergleichbare andere Heere; weitaus wichtiger ist meiner Meinung nach, dass der "Bürger in Uniform" Spiegel der Gesellschaft sind, der Anteil der Perspektivlosen und zweifelhaft Gesinnten in der Truppe nimmt immer mehr zu, die Auswahlpraxis an sich versagt meines Erachtens. Die Notwendigkeit in einer Wehrpflichtigenarmee Kontigente zu erfüllen beeinflusst die Aufnahmekriterien maßgeblich und nicht zum Besseren, wie mir scheint. Ob eine Berufsarmee die bessere Wahl wäre, würde den Rahmen sprengen und am Thema vorbei gehen, daher nur die Anmerkung, dass diese mE nach eine bessere Handhabe zur Rekrutenauswahl hätte.



janw,

ich stimme Ihnen weitestgehend zu, allerdings stellen sich mir einige Fragen:

->War das Auftreten der US-Amerikanischen Soldaten ursächlich für das Verhalten der Zivilbevölkerung und der Taliban, oder war die ständige Gefahr durch die Taliban ursächlich für das Verhalten der Soldaten, das wiederum das Verhaltender Zivilbevölkerung bedingte?

->Inwiefern sind die in Afghanistan stationierten Streitkräfte verlängerte Arme des US-Amerikanischen Geheimdienstes, diese Institutionen haben keine gemeinsame Basis, davon abgesehen, dass ich es auch nicht gut finde, Institutionen pauschal zu verurteilen, weil Einzelne Fehlverhalten zeigen.

Ipsissimus
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Mo 6. Nov 2006, 11:28 - Beitrag #6

was die Bundeswehr anbelangt, erinnere ich mich zunächst mal an die Diskrepanz zwischen dem öffentlichkeitswirksamen, medial vermittelten Bild des mündigen Staatsbürgers in Uniform, und den faktischen Verhältnissen in den Kompanien, die während meiner Grundwehrdienstzeit von Kleingeistigkeit, Gängelung, Rechtsradikalismus auf breiter Front und Kadavergehorsam geprägt waren. In der Presse mag das Bild von den Friedensbringern gezeichnet werden - den Mannschaftsdienstgraden in den Kampfkompanien ist klar, daß sie dafür gedrillt werden, ohne Murren zu sterben, wenn es der Befehl erfordert. Ich kann mir nicht vorstellen, daß dies bis heute wesentlich anders geworden ist.

Hinzu kommt, daß das Bild, welches die PR von einer Organisation zeichnet, im Wesentlichen das Bild ist, welches die Leitung von dieser Organisation zu vermitteln bestrebt ist. Wir können also getrost davon ausgehen, daß die Wirklichkeit zumindest großer Teile des Heeres eine ganz andere ist.

Ich glaube nicht, daß in Afganistan seitens der Bundeswehrsoldaten irgendetwas überraschendes geschieht; auch die Betroffenheits-Heuchelei der Medien ist vorhersehbar. Insofern gibt es kein reales Problem, sondern nur Medienprobleme, basierend auf politischen Vorgaben.

Ob die armen Jungs nun tatsächlich überfordert sind, ist die Frage. Ich habe irgendwo mal gelesen, daß derzeit etwa 12000 deutsche Soldaten auf "Friedenssicherungsmissionen" im Ausland tätig sind. Wenn das schon eine Überforderung darstellt ...

Und wenn tatsächlich die Mehrheit der Bevölkerung gegen derartige Bundeswehreinsätze ist, muss man sich halt mal nach dem Demokratieverständnis unserer Politiker erkundigen. Aber das muss man mittlerweile sowieso, und noch in ganz anderen Bereichen und Dimensionen.

Lykurg
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Mo 6. Nov 2006, 11:48 - Beitrag #7

Yanāpaw (wir verwenden üblicherweise das Du), sicher waren die Problematik mangelhafter Ausrüstung und der an die Grenze gehenden Belastung bereits früher bekannt, aber der Einsatz war - bisher entsteht zumindest der Eindruck - mit vertretbaren Abstrichen zu bewältigen. Unliebsame Erscheinungen wie die Leichenschändungen waren ebenso zu erwarten wie die bisherigen Verluste durch Minen und Anschläge. Ein solcher Einsatz ist sicherlich nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, und das wurde er mE auch nicht. Die Notwendigkeit einer Intervention, die generelle Rechtfertigung des Afghanistankrieges, würde ich im Wesentlichen humanitär begründen, also mit der Terrorherrschaft der Taliban, insbesondere der buchstäblich mörderischen Unterdrückung der Frauen.

Eine klare Aussage wäre insofern: Die Bundeswehr tut, was im Rahmen ihrer Möglichkeiten steht. Ob damit eine Ausweitung des Einsatzes vereinbar ist, ist von Kennern der Lage (also Militärs, nicht Politikern...) genau zu prüfen. Falls sie politisch gewollt, aber militärisch nicht machbar ist, sind entsprechende Änderungsvorschläge an die Politik zu machen, bevor einem Einsatz zugestimmt werden kann. Die Problematik der Wehrpflicht wäre hierbei gesondert zu diskutieren; ob die ins Ausland geschickten Truppenteile sich charakterlich so stark von einer Berufsarmee unterscheiden, entzieht sich allerdings meiner Urteilsfähigkeit.

Ipsissimus, da scheint sich zumindest bis zu meiner Wehrdienstzeit eher wenig geändert zu haben... Den Rechtsradikalismus "auf breiter Front" habe ich zum Glück nicht selbst erlebt, er tritt aber sicherlich in manchen Einheiten weiterhin auf. Die "Überforderung" durch 12.000 Soldaten im Auslandseinsatz besteht einfach darin, daß die Bundeswehr nicht als offensive Armee konzipiert war, der größte Teil der Einheiten und Gerätschaften für einen defensiven Einsatz in Deutschland im Rahmen einer Nato-Verteidigung gegen "Rotland" beschafft wurde, die nun in langjährigen, sich gegenseitig überholenden Reformprozessen einer neuen Verwendung zugeführt werden. Große Kampfverbände abzustellen, übersteigt die Kapazitäten einer solchen Ausrichtung jedenfalls bei weitem.

Ipsissimus
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Mo 6. Nov 2006, 11:56 - Beitrag #8

wobei aber zu bedenken ist, daß diese 12000 Leute mitsamt der Logistik zu großen Teilen aus den Reihen der schnellen Eingreif-Verbände rekrutiert sind, also aus Teilen des Heeres, deren Ausrichtung auf reine Verteidigung von vornherein nicht gegeben war

Yanāpaw
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Mo 6. Nov 2006, 12:34 - Beitrag #9

Lykurg,

deinen (Meine Mutter würde mir den Kopf epillieren, wenn ich Älteren das Privileg der Wahl der Anrede vorenthielte, mit der Zeit manifestiert sich das und läuft so beiläufig unter Anstand aka. Furcht vor Haupthaarneugestaltung weiter. Ich ging einfach mal davon aus, dass du älter bist, weil ich noch recht jung bin ^^) Ausführungen stimme ich zu, insbesondere dem, dass die strenge Auslegung weniger Koranpassagen durch die Taliban eine inaktzeptable Unterdrückung von Frauen und Andersgläubigen bedingt hat und eine Intervention der Staatengemeinschaft erforderte. Was mir dabei bitter aufstößt, ist der Hintergrund der Talibanherrschaft, eine eingesetzte ehemalige Marionetten-"regierung", die ursprünglich eine von den USA - zum antibolschiwistischen Zweck - mit Sach- und Geldleistungen subventionierte Minderheit war. Nach dem, aus US-Amerikanischer Sicht erfolgreichen, Ende des russisch-afghanischen Krieges war das Fleckchen Erde nicht mehr von Interesse und der Blick wandte sich ab. Als Konsequenz des 11/09/2001, ging man zweifelhaften Hinweisen nach und versucht mit Bomben die Kreatur zu erchlagen, die man selbst erschuf und deklariert das ganze als Einsatz für die Benachteiligten firmierend als "Enduring freedom". Ich beklage die Divergenz zwischen vordergründiger Motivation und tatsächlichen Bewegründen, die leider in den seltensten Fällen so hehre sind.

Auch das die Bundeswehr im Rahmen ihrer Möglichkeit agiert ist sicher richtig, beantwortet aber nicht die Frage, ob die Verfahrensweise Zurücklehnen-und-Zuschauen beim Tod Verbündeter angebracht ist. Schließlich wäre es durchaus machbar weitere Truppenteile zu entsenden, wenn auch fragwürdig.


Ipsissimus,


Ihr Einwand ist zwar berechtigt, aber insbesondere die schnellen Eingreifverbände sind nicht nur zum Zweck der Logistik und dem Aufbau der Infrastruktur gedacht, vielmehr gibt es innerhalb der schellen Eingreifverbände Truppenteile die für den Einsatz in Kampfhandlungen in Krisenregionen vorgesehen sind. Allerdings sind Großteile dieser Verbände bereits in anderen Einatzgebieten unterwegs.
Ihrer Aussage, dass das Verhalten deutscher Soldaten im Einsatz nicht überraschend sei, kann ich nicht zustimmen, da wie bereits gesagt erhebliche Kosten und Mühen auf sich genommen werden um das Verhalten deutscher Soladten im Auslandseinsatz vorab zu bestimmen. Insbesondere wenn man bedenkt, dass das Einsatzgebiet der deutschen Beteiligung an der ISAF-Truppe mit das am wenigsten gefährliche ist, war ein solches Fehlverhalten mE nicht antizipierbar.
Inwiefern machen Sie politische Vorgaben für die Heuschelei der Medien verantwortlich?

Ipsissimus
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Mo 6. Nov 2006, 13:09 - Beitrag #10

Yanãpaw, auch für mich bitte die nicht ehrfurchtserheischende Variante der Adressierung, da mein Alter selbige trotz Avanciertheit noch nicht hergibt^^

hinsichtlich des ersten Absatzes bliebe dann nur anzumerken, daß versäumt wurde, die realen Dimensionen möglicher Auslandsaufenthalte korrekt zu antizipieren und entsprechende Erweiterungen der schnellen Eingreifverbände zu organisieren

Hinsichtlich des zweiten Absatzes möchte ich fragen, ob du konkrete Erfahrungen mit der Bundeswehr hast, z.B. durch Grundwehrdienst oder ähnliches. Ich spreche nicht vom medial vermittelten Bild der Bundeswehr, sondern von dem Bild, das nur jemand hat, der sich ihren Riten und Anforderungen unterzogen hat. Die Diskrepanz zwischen diesen Erfahrungen und dem medialen Bild könnte nicht größer sein. Ich hatte zwei Unteroffiziere kennengelernt, denen ich in großem Respekt gegenüber stand, weil es gebildete, sensible Menschen waren. Zwei. Von etwa 40, die ich erlitten hatte, weil es kleingeistige, dumme bis an die Grenze zur Blödigkeit, rechtsradikale, ungebildete und größtenteils bösartige Arschlöcher mit Hang zu massivem Machtmissbrauch waren. Bei den Offizieren war das Verhältnis etwas besser, etwa halbe halbe, was noch lange nicht gut ist. Nichts, was ich seither von anderen erfahren hatte, die später "dienen" "durften", hat mich zu der Annahme ermuntert, die diesbezüglichen Verhältnisse im Heer hätten sich essentiell verbessert.

Vor diesem Hintergrund mag der Einsatz großer Mengen Geld zu erzieherischen Mitteln durchaus gegeben sein. Aber abgesehen davon, daß sich erwachsene Menschen nicht mehr erziehen lassen, ist bietet gerade die Bundeswehr ein Umfeld, in dem Mimikry-Verhalten üblich und überlebenswichtig ist.

Wie das ein oder andere Anführungszeichen in meinen letzten Postings schon ahnen lässt, bin ich hinsichtlich der "freien Presse" in unserem Land eher skeptisch. Ich nehme einen Großteil der relevanten Zeitungen und Zeitschriften eher als Erfüllungsgehilfen staatlich-politischer Notwendigkeiten wahr denn als Instrumente, die als Gegengewicht zu politischen Fehlentwicklungen fungieren würden.

Yanāpaw
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Mo 6. Nov 2006, 13:46 - Beitrag #11

Ipsissimus,

Nur weil der Ältere die Auswahl der Anrede vornimmt, impliziert das nicht, dass der Ältere tatsächlich "alt" ist, er kann auch einfach weniger jung sein, oder erfahrener. ^^

Die Erfahrung innerhalb der BW von der du sprichst, kann ich nicht nachvollziehen, da ich selbst noch nicht "gedient" habe. Ich habe mir aber vorgenommen das zu tun, da ich von vielen Bekannten gehört habe, dass der Grundwehrdienst gewisse Disziplinvorgaben vermittelt und das wäre bei mir sicher kein Schaden. Wenn das von Medien und Regierung gezeichnete Bild der BW tatsächlich so enorm von der Realität abweicht, iat es tatsächlich nicht weiter verwunderlich, dass sich derartige Perversitäten zutrugen. Allerdings muss ich gestehen, dass ich das nicht verstehen kann, ich dachte eine Offizierslaufbahn könne nur mit abgeschlossener allgemeiner Hochschulreife eingeschlagen werden. Zudem ist doch eine Offizierslaufbahn mit der Einstufung als SaZ verbunden und mit einem Studium an einer BW-Universität. Mir ist klar, dass eine allgemeine Hochschulreife nicht notwendigerweise Intelligenz oder Reife gleichkommt, aber ein Mindestmaß an Vernunft sollte man doch von einem Abiturienten erwarten, die Taten in Afghanistan andererseits entbehren dieser absolut. In Zeiten in denen die BW keine klassische Landesverteidigung mehr ist sondern eher ein weltweit einsetzbarer "schnell-mobiler" Einsatzverband sollten doch die Auswahlkriterien zum Soldaten aus mehr bestehen, als aus der Fähigkeit (zukünftige/n) Namen, Einheit und Dienstgrad fehlerfrei zu artikulieren.

Meines Wissens nach sind auch umfangreiche Reformen bezüglich der BW in der Mache, ich muss das nochmal recherchieren, weiß nicht mehr wo ich das gelesen habe. Soweit ich mich erinnere, wird die Truppenstärke reduziert und die klassische Einheitenteilung wird modifiziert um eine ständig einsetzbare Einheit bestehend aus allen erforderlichen Truppenteilen zu kreieren.


Was die Pressefreiheit angeht, bin ich mehr als skeptisch, da ich weiß, dass diese nur dann existiert, wenn keine Tabus thematisiert werden. Die rosarote Berichterstattungsbrille mit der beispielsweise die USA und Israel betrachtet werden ist mE absolut unvereinbar mit einer freien unzensierten Presse. Dass viele dieser Tabus historische Ursachen haben ist mir klar, aber Tabuisierung ist in diesem Kontext absolut kontraproduktiv, da dadurch nichts bewältigt und keine dringend erforderliche Sensibilität kreiert wird sondern ganz im gegenteil, geradezu Geschichtsblindheit, Verrohung und Realitätsfremde erzeugt werden. Das würde jetzt aber zu weit führen...

Ipsissimus
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Mo 6. Nov 2006, 14:01 - Beitrag #12

Yanãpaw, das mit dem Hochschulstudium für Offiziere stimmt natürlich. Andererseits gibt es jede Menge studierter und hochgebildeter Neonazis.

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Mo 6. Nov 2006, 17:25 - Beitrag #13

Yanāpaw, ich mußte eben etwas schmunzeln, da du mich daran erinnertest, daß der eindeutig kompetenteste und sympathischste Unteroffizier, unter dem ich dienen durfte^^ (mit dem ich mich praktisch von Anfang an gut verstand, er wußte aber auch, was er an mir hatte), sich Jahre zuvor versehentlich die Hälfte seines Bartes epiliert hatte und seitdem etwas seltsam aussah. :D

Die Bundeswehrreformen hatte ich ebenfalls erwähnt, eine knappe Darstellung findet sich in Wikipedia. Bezeichnend fand ich die darin getroffene Feststellung, "dass es nicht mehr möglich ist, einen am Ende der Reform anzustrebenden dauerhaften Sollzustand zu definieren". Die Konsequenzen für die Stimmung in der Truppe kann man sich vorstellen, Ansätze dazu habe ich "zu meiner Zeit", mit vielen Hauptbetroffenen im Offiziersrang ringsumher, bereits erleben können.

Spuren rechtsradikaler Gesinnung konnte ich unter den mir anvertrauten^^ Offizieren übrigens nicht feststellen, Ipsissimus - "jede Menge", meinst du? Das ist vielleicht eine Definitionsfrage des "Neonazi"-Begriffs. (Schönbohm-Debatte...) Das Zahlenverhältnis war bei den Unteroffizieren meinerzeit deutlich besser, auch wenn ich eine hohe "Meßtoleranz" annehme. Im Zweifel hattest du wesentlich mehr Zeit zur Beobachtung. :|
Zitat von Yanā:Was mir dabei bitter aufstößt, ist der Hintergrund der Talibanherrschaft, eine eingesetzte ehemalige Marionetten-"regierung", die ursprünglich eine von den USA - zum antibolschiwistischen Zweck - mit Sach- und Geldleistungen subventionierte Minderheit war.
Ja, das ist mir durchaus bewußt, man versuchte, das Land durch Unterstützung vermeintlich kontrollierbarer Machthaber ruhigzustellen (manchen Quellen zufolge liefen die Subventionen bis 2001). Eine solche Politik ist riskant; in Ägypten scheint sie sich zu bewähren, in Pakistan ist es schon deutlich schwieriger... Ein wenig mehr Ehrlichkeit wäre sehr zu wünschen, allerdings für diverse Regierungen vermutlich selbstmörderisch.
Auch das die Bundeswehr im Rahmen ihrer Möglichkeit agiert ist sicher richtig, beantwortet aber nicht die Frage, ob die Verfahrensweise Zurücklehnen-und-Zuschauen beim Tod Verbündeter angebracht ist. Schließlich wäre es durchaus machbar weitere Truppenteile zu entsenden, wenn auch fragwürdig.
Bleibt meine These, daß die Bundeswehr aufgrund geringerer Eignung und schlechterer Ausrüstung in Kampfsituationen erheblich mehr Verluste hinnehmen müßte. Vermutlich würde der daraus resultierende öffentliche Druck einen baldigen Rückzug erzwingen, was also mittelfristig für die Verbündeten schlimmer wäre als ein eher den Fähigkeiten entsprechendes Agieren auf relativ sichererem Boden.

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Mo 6. Nov 2006, 20:46 - Beitrag #14

Lykurg,

ich habe einen Bericht über die Umstrukturierung gelesen, weiß aber nicht mehr wo, da war die Umgestaltung sehr präzise beschrieben, inklusive der 3 Bereiche die entstehen sollen mit Einheiten, Truppenstärke, Material, Auftrag und finanziellen Mitteln, das wollte ich posten, aber wie gesagt, ich finde es nicht mehr.

Bleibt meine These, daß die Bundeswehr aufgrund geringerer Eignung und schlechterer Ausrüstung in Kampfsituationen erheblich mehr Verluste hinnehmen müßte. Vermutlich würde der daraus resultierende öffentliche Druck einen baldigen Rückzug erzwingen, was also mittelfristig für die Verbündeten schlimmer wäre als ein eher den Fähigkeiten entsprechendes Agieren auf relativ sichererem Boden


Ich muss zugeben, dass ich das so nicht betrachtet habe und dir da eigentlich nur zustimmen kann. Allerdings bleibt der bittere Beigeschmack, Verbündete - wenn auch aus trifftigem Grund - im Regen stehen zu lassen. Meiner Ansicht nach wäre es besser, auf einige Auslandseinsätze grundsätzlich zu verzichten, seien es nun NATO-Missionen oder nicht, statt dessen wird an zahllosen "Fronten" rumgebaut ohne das letztlich ein bewohnbares Haus fertig gestellt wird. In Afghanistan eine Demokratie zu etablieren ist ohnehin nicht möglich so lange die Warlords dort massive Präsenz zeigen und so lange es sich für afghanische Bauern nicht lohnt Weizen statt Mohn anzubauen wird sich an deren Vormachtstellung auch nichts ändern. Ich finde es absolut unsinnig in Teilen des Landes eine Pseudo-Demokratisierung vorzunehmen und die Infrastruktur auszubauen, wenn dieser Fortschritt unmittelbar nach Abzug der ISAF-Truppe wieder verschwinden wird. Ich sehe aber auch keine Möglichkeiten Afghanistan ohne massive Truppenpräsenz dauerhaft zu stabilisieren.

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Mo 6. Nov 2006, 22:53 - Beitrag #15

Ich folge Lykurg in der Einschätzung, dass die Bundeswehr nicht effizient zur Unterstützung der anderen Kontingente beitragen würde. Amerikaner und Briten können sich selbst besser unterstützen, als wir dies könnten.

Zur grundsätzlichen Frage der Beteiligung an und Verantwortungsübernahme bei internationalen Missionen sehe ich die Lösung der offensichtlichen Problematik darin, sie wirklich zu dem zu machen, was sie bisher eher dem Namen nach sind: international. Anstatt amerikanischer, britischer, deutscher und panamaischer Kontingente mit lokaler Aufteilung sollte es eine gemeinsam gestellte internationale Truppe geben. Dadurch schafft man Abhilfe für das Problem, dass sich zig kleine Kontingente an zig Schauplätzen verzetteln. Und man bietet weniger Angriffsfläche, da die Einheimischen sich nicht mehr gegen die Amis wehren, sondern direkt gegen die internationale Gemeinschaft stellen würden.
Eine wirkliche globale Eingreiftruppe ist allerdings vorerst illusorisch, dank der amerikanischen Mentalität wohl sogar eine NATO-weite, aber zumindest auf europäischer Ebene muss die militärische Kooperation dringend vorangetrieben werden. Meines Erachtens sollte die völlige Verschmelzung der Armeen der EU-Mitgliedsstaaten als ein durchaus auf einen absehbaren Zeitraum angelegtes Programm zügigst ins Auge gefasst werden. Deutschland braucht keine eigene Armee mehr, um sich gegen Schweden und Togo zu verteidigen, eine gemeinsame europäische Armee wäre sowohl finanziell und logistisch sinnvoller als auch politisch effektiver und vom Ansehen her besser abgesichert.

Lykurg
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Mo 6. Nov 2006, 23:15 - Beitrag #16

Das fände ich zwar gleichfalls gut und richtig, Traitor, das wesentliche Problem dabei ist aber noch immer die Sprachbarriere. Für deutsche Offiziere dürfte es inzwischen weitestgehende Selbstverständlichkeit geworden sein, einmal Englisch gelernt zu haben (ob es noch beherrscht wird, dagegen Glückssache; ich mußte für meinen Oberst mal zur Auffrischung einen Schnellkurs aus der Bibliothek ausleihen, als er einen Vortrag auf Englisch halten sollte.^^)

Bei (Unteroffizieren und) Mannschaften dagegen ist kaum zu erwarten, daß die Masse imstande ist, noch dazu in einer Streßsituation und bei Gefechtslärm Befehle in einer fremden Sprache zu verstehen. Die kulturellen Probleme (Zwistigkeiten, Speisevorschriften etc.) bekäme man dagegen wohl recht leicht in den Griff. Hier könnte die gemeinsam bewältigte Aufgabe sich durchaus positiv auswirken. Aber sprachlich - da bin ich Pessimist.

Yanāpaw
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Fr 10. Nov 2006, 15:27 - Beitrag #17

Traitor,


ich stimme dir vom Gedanken her absolut zu, allerdings stelle ich mir eine vollständige Verschmelzung als illusorisch vor, da dann die Notwendigkeit eines EU-Beschlusses zum Einsatz der Streitkräfte bestünde und ich bezweifle, dass alle Mitglieder der EU bereit sind auf die Fähigkeit nationale Streitkräfte nach eigenem Interesse in Konfliktgebiete, auch ohne Zustimmung der EU, zu senden verzichten werden.
Die EU ist gegenwertig nicht mehr als eine gute Idee in Kinderschuhen, die in jedem Mitgliedsland im Gegensatz zu nationalen Interessen sekundär bewertet wird, zudem ist die Einstufung der Geber und Nehmer Länder an inaktzeptable Kriterien gebunden, was auf Dauer zweifellos Spannungen verursachen wird.
So lange die Mitgliedsänder außerdem entscheidene Fortschritte boykottieren um die EU als ganzes und einige Mitgliedsländer im speziellen zu Zugeständnissen, die national-Politik betreffend, zu bewegen, sehe ich da keine Möglichkeiten, für weitere Annäherung.
Davon abgesehen ist die EU ein Bürokratie-Dschungel ohnegleichen, der dringend reformbedürftig ist um überhaupt dauerhaft bestehen zu können. Eine starke gemeinsame Währung, bedeutet noch keinen Fortschritt, nichtmal wirtschaftichen, wie man an der absoluten Verfehlung der Lissabon-Ziele sieht.

janw
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Sa 11. Nov 2006, 21:25 - Beitrag #18

Ich geh mal auf eine Reihe Punkte ein, die hier aufgekommen sind.
- Grundsätzliche Rechtfertigung des Bundeswehreinsatzes und Begründung der Notwendigkeit seiner Fortdauer
Die Bundeswehr ist in Afghanistan beteiligt an einer Militäraktion, die ursprünglich von usa initiiert und dann von der NATO als notwendig anerkannt wurde.
Man kann, und so fern liegt mir das nicht, hierin einen primären Mangel erkennen, indem die usa praktisch selbst definieren, was aus ihrer Interessensicht notwendig ist, und aufgrund entsprechenden Kadavergehorsams im Sinne eines "usa befiehl, wir folgen Dir", notfalls unter Zuhilfenahme erlogener Sachverhalte, siehe unter anderem Irak - ich gehe davon aus, daß auch in Sachen Taliban vieles zweckdienlich erlogen worden ist - eine hinreichende Anzahl willfähriger Natopartner dies zu einer gemeinsamen Sache der Nato machen - was dann dazu führt, daß Nato-Partner, die den Braten riechen und sich verweigern, von entsprechend böswilligen Journalisten des Verrats bezichtigt werden.
Ich kann nicht viel anders, als die Springer-Presse als den verlängerten Arm us-amerikanischer Propaganda zu betrachten.
(Im übrigen...wer als Journalist in seinem Vertrag eine Klausel bezüglich einer zwingend einzunehmenden Position, z.B. Loyalität zu usa, akzeptiert, der hat in meinen Augen die Privilegien eines Journalisten nicht verdient, denn das ist Selbstzensur.) Doch dies nur mal am Rande...
Will sagen, die deutsche Beteiligung am Nato-Einsatz in Afghanistan steht für mich begründungstechnisch auf recht wackeligen Füßen. Sie ist IMHO nur gerechtfertigt und akzeptabel, wenn sie maßgeblich zu einer Verbesserung der Situation der Menschen im Lande beiträgt, z.B. durch Sicherung entwicklungspolitischer Maßnahmen, Gewährleistung eines Sicherheitszustandes der Bevölkerung o.ä.
Nun sind die Taliban sicher ein Hindernis für eine Entwicklung des Landes, und im Lande auch nicht besonders wohlgelitten - wobei letzteres wohl in dem Maße schwankt, wie andere Kräfte in das religiöse und kulturelle Empfinden der Menschen eingreifen.
Und eben hierin liegt für mich der springende Punkt für den Erfolg der Nato-Aktion: Die Taliban werden nur besiegt werden können, wenn dies unter Wahrung der religiösen und kulturellen Überzeugungen der Menschen geschieht, und diese eine Perspektive für eine dauerhafte Entwicklung nach eigenen Zielen und Maßstäben bekommen. Das bedeutet vor allem viel Akzeptanz für lokale Strukturen, das kann zum Beispiel bedeuten, daß warlords u.U. respektiert werden müssen, weil eine Clanstruktur nun mal für die afghanische Gesellschaftsstruktur charakteristisch ist.

Die deutsche Programmatik scheint mir hierfür eine geeignete Antwort zu sein, wenn auch sicher zwischen Programmatik und Papier und der Umsetzung in der Wirklichkeit Räume liegen.
Letztlich müßte Deutschland aber auch stärker als bisher diese seine grundsätzlich richtige Programmatik zu einer Programmatik der Nato machen - und daran krankt es in meinen Augen - mehr noch, als bei den eigentlich zu erwarten gewesenen Problemen mit den Menschen in der Uniform.

- Verankerung von Werten in der Truppe und Innere Führung
Der "Staatsbürger in Uniform" ist eine begriffliche wie gedankliche Schöpfung, die wohl recht singulär in der Militärgeschichte ist. Wie schwer es offenbar ist, sie in tägliche Realität umzusetzen, zeigen die immer wiederkehrenden Berichte über nationalsozialistische Tendenzen unter Soldaten, Übergriffe von Wehrdienstleistenden auf Zugbegleiter oder Mitreisende - und Übergriffe von Soldaten im Einsatz gegen Zivilisten oder diesen werthaltige Gegebenheiten, wie die Schändung von Toten in Afghanistan einschließlich ihrer Duldung durch Vorgesetzte.
Vielleicht muss mensch froh sein, daß derlei überhaupt bekannt wird und ein öffentliches Skandalon darstellt - in Russland gehören Mißhandlungen unter den Soldaten selbst zum "guten Ton", mit der Folge, daß Mütter geflissentlich versuchen, ihre Söhne von der Armee fernzuhalten - in usa sind Mißhandlungen von Zivilisten und Gefangenen, wie Abu Ghureib zeigte, gängige Praxis und teilweise von oben her als tolerierbar vorgegeben, in vielen anderen Ländern wird das Thema mit einem Schulterzucken und "Soldaten..." abgetan.
Mit der Skandalisierung darf dies indes nicht abgetan sein, viel mehr muss vor allem unter den Vorgesetzten durchgesetzt werden, daß derlei Vorkommnisse nicht unter den Teppich gekehrt werden, Fehlverhalten muss auch zuverlässig geahndet werden.
Dabei muss aber sicher unterschieden werden, unter welchen Umständen was geschehen ist, ob in der sicheren heimischen Kaserne oder in einem Einsatz unter psychischer Belastung.
Zitat von Ipsissimus:Ob die armen Jungs nun tatsächlich überfordert sind, ist die Frage. Ich habe irgendwo mal gelesen, daß derzeit etwa 12000 deutsche Soldaten auf "Friedenssicherungsmissionen" im Ausland tätig sind. Wenn das schon eine Überforderung darstellt ...

Was meinst Du, könnte nicht die zumindest suggerierte permanente Gefahrensituation zu einer gewissen Enthemmung beigetragen haben?

Andererseits ist es natürlich auch ein Problem des verfügbaren "Menschenmaterials" - die Bundeswehr stellt schon längst keinen gesellschaftlichen Querschnitt mehr dar, umso weniger unter den Berufssoldaten. Sie ist, zu guten Teilen, zu einem Sammelbecken derer geworden, die anderswo keine gesellschaftliche Perspektive sehen, teils aus gesellschaftlichen Herkünften, wo Intellektualität, Toleranz und Pluralität nicht gerade prägende Werte gewesen sind.
Das muss zwangsläufig Folgen haben für das Verhalten der Soldaten. Dies nicht antizipiert und entsprechend gegen gesteuert zu haben, ist IMHO ein schweres Versäumnis der Führung der Bundeswehr.
Zitat von Lykurg:Spuren rechtsradikaler Gesinnung konnte ich unter den mir anvertrauten^^ Offizieren übrigens nicht feststellen, Ipsissimus - "jede Menge", meinst du? Das ist vielleicht eine Definitionsfrage des "Neonazi"-Begriffs. (Schönbohm-Debatte...) Das Zahlenverhältnis war bei den Unteroffizieren meinerzeit deutlich besser, auch wenn ich eine hohe "Meßtoleranz" annehme. Im Zweifel hattest du wesentlich mehr Zeit zur Beobachtung.

Könnte es sein, daß diese Tendenzen in verschiedenen Truppenteilen unterschiedlich verteilt sind?

Quo vadis?
Alles in allem ergibt sich für mich der Eindruck, daß die Nato-Mission in Afghanistan grundsätzlich einer Revision zu unterziehen ist.

Es besteht das Problem, daß Afghanistan eines der ärmsten Länder der Erde ist, das nunmehr seit über zwanzig Jahren Spielball internationaler militärischer Interessen gewesen ist, die das Land bis heute nicht nur in seiner Entwicklung gehemmt, sondern gar zurückgeworfen haben.
Die Nato-Präsenz hat der bisher letzten Station dieser Entwicklung, der Taliban-Diktatur, ein Ende bereitet und in Teilen des Landes einen beginnenden Wiederaufbau unterstützt.
Zugleich hat sich diese Militärpräsenz dadurch, daß sie eindeutig interessengesteuert agiert, viel an Glaubwürdigkeit zunichte gemacht und an Potential, unterstützend wirken zu können - bis dahin, daß sie selbst nicht mehr unterstützt wird von jenen, denen sie Freiheit und Perspektiven versprochen hat.
Ein ersatzloser Rückzug der Nato-Truppen, wie man ihn aufgrundddessen fordern könnte, hätte jedoch zur Folge, daß danach die Taliban wohl sehr schnell wieder vordringen würden, wodurch die gewonnenen Freiheiten und der begonnene Wiederaufbau verloren wären.

In meinen Augen ist der Kampf gegen die Taliban nur zu gewinnen, wenn dieser als Kampf für die Freiheit und eine Perspektive zusammen mit der Bevölkerung bzw. ihrer Führung, den Clanchiefs also, geführt wird. Das erfordert vor allem ein Eingehen auf die lokalen Gegebenheiten, insbesondere auf die religiösen Gefühle und kulturellen Sitten der Menschen - nicht einfach, wenn es in der Sprache Paschtu eine Fülle rang-, geschlechts- und herkunftssspezifischer Anredeformen und Wendungen gibt, der gesellschaftliche Umgang mithin stark ritualisiert ist.
Und es müssen Lösungen gefunden werden für wirtschaftliche Probleme - was tun, wenn der Mohnanbau die einzige verlässliche und lukrative Anbauart ist?
Letztlich erfordert dies in meinen Augen den Einsatz von Kräften, die mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut sind, vielleicht am besten eine Truppe aus Moslems.
Das wäre am ehesten über einen UN-Einsatz zu bewerkstelligen, welcher IMHO die einzige zielführende Option darstellt.
Die Truppen der Nato könnten in einer derartigen Konstellation durchaus eine Funktion bekommen, indem sie Koordinationsaufgaben übernehmen, Ausbildung, usw. und die Verbindung zu den Entwicklungshilfeorganisationen herstellen.


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