Essay Erkenntnistheorie

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Yanāpaw
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Do 9. Nov 2006, 23:00 - Beitrag #21

Ipsissimus,

Sowohl "Ich" als auch "denke" benötigt schon inhärente Existenz, also ist der Satz insofern ein Zirkelschluss, als von Existenz auf Existenz geschlossen wird. Descartes kann nicht hinter die Existenz zurücktreten, um quasi "von außen" über Existenz ein Urteil abzugeben. Insofern ist sein berühmtes Cogito eine Trivialität "ich bin, also bin ich".

Das ist imo weit an der Tiefgründigkeit der Aussage vorbei, es handelt sich hier mitnichten um einen Zirkelschluss und schon gar nicht von trivialer Natur.
Betrachtet man die Aussage "Ich denke, zweifle, also bin ich", ist das einfach zu analysieren. Der Gedanke und das Ich existieren und beweisen folglich die Möglichkeit der Existenz an sich, der Zweifel jedoch beweist die Einzigartigkeit des Ich, da Zweifel die Existenz einer Metaebene voraussetzt, keine Subroutine kann sich selbst prüfen das erledigt die Metaroutine. Durch die Fähigkeit des Zweifelns am eigenen Gedanken wird der Beweis erbracht, dass nicht nur die gedanken-formulierende Ebene existiert sondern auch die zugehörige Metaebene. Das ist es entscheidende am Ich, wäre der Zweifel nicht, könnte es sich auch um einen durch "creatio ex nihilo" entstandenen Gedanken handeln.

janw,

Wie dem auch sei, in meinen Augen ist der Satz von Descartes in seiner logischen Unausgereiftheit, vor allem aber in seiner unbedingten Ausblendung all dessen, was mit emotionaler Welterkenntnis zu tun hat, einer der im negativen Sinne folgenreichsten der bekannten Menschheitsgeschichte.


Was andere aus den Schriften Decartes' für Erkenntnise gewonnen haben, ist nicht sein Verdienst und nicht seine Schuld, so wenig wie Darwin für Hitlers Verständnis der Herrenrasse verantwortlich ist und genauso wenig wie Nietzsches späte Schaffensperiode für Hitlers Tugenddefinition verantwortlich ist. Decartes' Werke müssen allein ihrem Inhalt wegen beurteilt werden, nicht im Kontext historischer Folgen desselben. Mir ist bekannt, dass die Liste der Kritiker Descartes' lang ist, aber Quantität != Qualität.

Ipsissimus
Dämmerung
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Fr 10. Nov 2006, 10:52 - Beitrag #22

Yanāpaw, zunächstmal gilt festzuhalten, daß Descartes im Original schrieb, "cogito, ego sum" ("ich denke, ich bin", in genau dieser Mehrdeutigkeit), also nicht "cogito, ergo sum", welche Umdeutung erst anlässlich der Rückübersetzung ins Französische erfolgte und von Descartes in dieser Formulierung lediglich toleriert wurde. "Si fallor, sum" ("wenn ich zweifele, bin ich") stammt bereits von Augustinus, der Descartes´sche Satz betont demgegenüber vielmehr die Kognition (getäuscht werden, Erkennen, Denken) als Säule der Existenz, auch wenn nur der letzte der drei Aspekte Berühmtheit erlangte. Die Stelle lautet übrigens

Zweifellos bin also auch Ich, wenn er [ein möglicher betrügerischer Gott] mich täuscht; mag er micht nun täuschen, soviel er kann, so wird er doch nie bewirken können, daß ich nicht sei, solange ich denke, ich sei etwas. Nachdem ich so alles genug und übergenug erwogen habe, muß ich schließlich festhalten, daß der Satz ‚Ich bin, Ich existiere‘, sooft ich ihn ausspreche oder im Geiste auffasse, notwendig wahr sei.“


Der Zweifel des Descartes ist imo nicht der Zweifel, der von der Metaebene gespeist wird, sondern ein methodisch-fundamentalistischer. Seine Frage, wie sie in den "Meditationes de prima philosophia" aufkommt, lautet nicht, welcher vernünftige Zweifel an der Erkenntnisfähigkeit bestehen kann, sondern der Zweifel wird als anscheinender Sieger vorausgesetzt. Der absolute Zweifel hat mit Ende der ersten Meditation per Setzung des Autors gesiegt, und die Frage, der sich der Autor ab der zweiten Meditation stellt, lautet, wie kann er von diesem Zweifel ausgehend wieder Terrain für die Erkenntnisfähigkeit zurückgewinnen. Und führt zur Antwort, daß er nicht zugleich nachdenken und nicht sein kann - ein Gedanke, der seinerseits wiederum nur auf der Grundlage europäischer Kultur so gedacht werden kann; ostasiatische Kulturen haben keine Schwierigkeiten damit, die gesamte Existenz einschließlich der eigenen als selbstreferentielle Täuschung aufzufassen, ein Konzept, das Europäern nur äußerst schwer zugänglich ist/war.

Deine Aussage, daß eine Subroutine sich selbst nicht prüfen kann, ist imo so nicht korrekt. Richtig wäre, daß eine elementare Subroutine - also eine, die keine weiteren eigenen Subroutinen besitzt - sich selbst nicht prüfen kann. Aber es ist absolut vorstellbar, Routinen zu programmieren, die - selbst Subroutinen einer Metaroutine - über eigene Subroutinen verfügen, welche bei Bedarf aufgerufen werden zur Prüfung der Routine. Da wir aber über die Entstehung und die Abhängigkeit der Funktionsweise des Bewußtseins von seiner Hardware noch nicht wirklich richtig was wissen, können wir auch noch nicht wirklich wissen, ob Bewußtsein tatsächlich in derartigen Routinen gegliedert ist. "Metaebene" ist daher - auch wenn ich selbst gern in diesem Konzept denke^^ - tendentiell metaphorisch, auf jedenfall mit Vorsicht zu verwenden.

Der Gedanke, daß ein Gedanke, inklusive des zweifelnden durch creatio ex nihilo entstanden sei, kann nicht widerlegt werden, er ist nicht falsifizierbar, da auch Ketten aufeinander aufbauender Gedanken inklusive zweifelnder Gedanken derart "spontan" entstanden sein könnten, also die Folge- und Zielgerichtetheit eines Gedankenganges auch "erschaffen" sein kann. Kreationismus, gleich in welcher Verkleidung, ist insofern eine unangreifbare Theorie, eine echte Bekenntnisweiche^^ und somit als Argument einer philosophischen Beweisführung absolut ungeeignet^^

im übrigen sei darauf verwiesen, daß Descartes in den Meditationes auch einen vollständigen Gottesbeweis durchführt, indem er von der Idee der Vollkommenheit auf deren Existenz schließt, da zur Vollkommenheit Existenz notwendig dazugehöre. Das schließt zwar nicht aus, daß einzelne Elemente der Meditationes auf mehr Urteilssicherheit basieren können als andere, zeigt aber doch, in welchem Konzeptionsraum Descartes sich aufhielt und macht seinen berühmten Satz nicht gerade überzeugender^^

Yanāpaw
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Fr 10. Nov 2006, 14:04 - Beitrag #23

Ipsissimus,


Danke für diese ausführliche Antwort. Nun stehe ich hier ich Tor und muss erkennen, dass ich besser nochmal in der gedruckten Variante nachgelesen hätte, als mich auf das Internet zu verlassen...

Da ich also eine ganz eindeutige Falschaussage getätigt habe, nehme ich die Aussage im Bezug auf Descartes zurück, aber vom Grundsatz her, bleibe ich bei der nunmehr bezugslosen Aussage, dass Zweifel schwerwiegender ist, als der Gedanke. ^^

Wobei ich nicht die kreationistische Wahrscheinlichkeit angreifen möchte, was ohnehin formal logisch unmöglich ist, sondern nur über die Alternative Möglichkeit, dass es sich eben nicht um eine Erschaffung aus dem nichts handelt, reden will.
Die Schwierigkeit bei einer existenzlosen selbst-refrentiellen Täuschung ist doch das Verständnis der Kausalität und da sind wir Europäer eben etwas kleinlicher.

Ich stimme dir absolut zu, dass der Routinenvergleich zweifelhaft ist, aber sofern du mir die Benutzung vorübergehend zugestehst, erkläre ich meine Ansicht etwas präziser. Eine Routine, die mit prüfenden Subroutinen ausgestattet ist, wird sich nur selbst prüfen können, nicht aber andere Routinen, die in anderen Funktionen definiert sind, auf die sie keinen Zugriff hat. Der Zweifel ist aber eine Routine, die sogar die Metaroutine und jede einzelne Routine und deren Subroutinen prüfen kann. Zusätzlich kann der Zweifel die Zuverlässigkeit des Inputs prüfen. Das ist meiner Ansicht nach das einzigartige am Zweifel, was ihn vom allgemeinen Denken unterscheidet.

Und dadurch erhält das ego im nicht Descartsch'en Satz seine Einzigartigkeit, es wird von der Ungewissheit ob es selbstreferentielle Routine sei zur Gewissheit, dass es Metaroutine ist geführt.


Der Form halber, ich distanziere mich von "Cogito, ego sum" sowie "Cogito,ergo sum", da der Zweifel für mich essentiell ist, nicht der Gedanke und stimme dir absolut zu, was deine Ausführungen zu Descartes angeht, wobei ich die Sache mit dem Gottesbeweis nicht aussagekräftig finde und froh bin, dass du das selbst relativiert hast. Von derartiger Argumentation "ad hominem" halte ich nämlich nichts, obschon ich der grundlegenden Feststellung des Definitionssystems absolut zustimme.

//OT
Aber dieses Definitionssystem ist auch nicht immer zuverlässig, betrachtet man beispielsweise Thomas von Aquins Ausführungen zur Kausalität der Geburt von weiblichen Kindern und dennoch enthalten seine Überlegungen zur Sitte und dem rechten Handeln einige Punkte, die durchaus diskussionswert sind.
//BTT

Ich dachte ich hätte was von Augustinius gelesen, habe aber nach Durchforsten meiner Bücherregale nichts gefunden, was bedeutet, dass ich auf dem Gebiet ein Dummkopf bin, habe es aber sofort auf meine amazon Liste gesetzt. ^^
Nebenbei darf ich anmerken, dass so umfangreiches Wissen wirklich beeindruckend ist und es Spaß macht von dir zu lernen.

Ipsissimus
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Fr 10. Nov 2006, 15:26 - Beitrag #24

ein Tor ist noch nicht, wer einem Irrtum unterliegt, zumal wenn dieser Irrtum als Teil des Allgemeinwissen bereits in den Schulen gelehrt wird^^

wenn alles selbstreferentielle Täuschung ist, dann natürlich auch die Kausalität^^ diese Weltsicht ist ähnlich wie der Kreationismus nicht falsifizierbar, aber daß uns Westlern dies so deutlich vor Augen tritt, ist nur die eine Seite jener Medaille, deren Kehrseite so aussieht, daß auch Kausalität nicht falsifiziert werden kann, insofern sie keine physikalische Größe, als vielmehr ein philosophisch begründetes Erklärungskonzept ist^^ warum sollte etwas, das passiert, eine Ursache haben? Gar alles, was passiert? Durch nichts begründbar, nur durch Altvertrautheit zur unhinterfragten Selbstverständlichkeit erhoben^^

das ego im nicht-Descartes´schen Satz erhält seine Gewissheit - doch mag es sich hüten, nicht auf Treibsand gebaut zu haben^^ Bewußtsein ist sich selbst-evident, es bedarf der logischen Absicherung nicht. Was Descartes wirklich versucht, ist der allgemeine Nachweis der Möglichkeit sicheren Erkennens. Wir wissen heute, daß dies in dem strengen philosophischen Sinne nicht haltbar ist, dass es begrenzt ist auf Spezialfälle, daß wir uns mit Wahrscheinlichkeit und Plausibilität statt mit absoluter Gewissheit zufrieden geben müssen. Egal, wie wir es nachweisen - vor diesem Hintergrund ist klar, daß in Descartes´ Schlussfolgerungen ein Fehler enthalten sein muss (diesen á la Carnap auf der logischen Seite zu suchen, verfehlt imo allerdings das Thema^^), woraus folgt, daß auch der Zeifel nicht zur Gewissheit taugt, oder doch nur dann, wenn das zugrundeliegende Weltbild bestimmte Einsichten noch sicher unmöglich macht^^

dies gesagt habend, gestehe ich ein, daß systematischer Zweifel auch meiner Ansicht nach die bei weitem beste Voraussetzung dafür bietet, die erkenntnistheoretische Spreu vom Weizen zu trennen^^ Nur eben, die absolute Sicherheit - die ist nicht erreichbar, außer in idealisierten, modellhaften Konstruktionen.

danke für die Blumen, aber wie du weißt, ist solides Halbwissen durch nichts zu ersetzen^^

Yanāpaw
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Fr 10. Nov 2006, 17:51 - Beitrag #25

Ipsissimus,

deinen Ausführungen bezüglich des Zweifels kann ich nichts hinzufügen, ergo schließe ich mich dir an. ^^
Was deine Meinung zum Bewusstsein angeht, so habe ich da noch Zweifel, denn die Existenz der Bewusstsein, oder die Selbstdefinition des Bewusstseins, kann genauso selbst-referentiell sein, wie der Gedanke. Außerdem ist Bewusstsein und Kognition nicht gleichbedeutend, ich unterstelle, dass Menschen, wenn man sie entsprechend konditioniert ein Bewusstsein entwickeln können, ohne Zweifel an diesem Bewusstsein zu haben. Zweifel ist aber die Triebfeder jedweden Fortschritts, das Bewusstsein ist die Folge des kognitiven inneren Dialogs. (eine recht unzulängliche Definiton, dessen bin ich mir bewusst, aber eine bessere fällt mir spontan nicht ein)
Und das "sich bewusst sein" impliziert kein Verständnis, es beschreibt lediglich das Wissen um einen Zustand. Ich kann mich mit dem Bewusstsein als Einzigartigkeit des ego nicht so recht anfreunden. Um sich eines Sachverhaltes bewusst zu sein, muss man vorher reflektiert haben und diese Reflektion sollte idealerweise dialektisch gewesen sein.
Ich kann nicht sagen ich bin mir dessen bewusst, zu existieren, wenn ich nicht Existenz und Bewusstsein definiert habe.

Wäre eigentlich ein Wunder, wenn du aus diesem diffusen Geplapper, erkennst worauf ich hinaus will. ^^


//OT
Was mein Kompliment angeht, ich freue mich, wenn man mir ein ehrliches Kompliment macht, also dachte ich mir, dass du dich vielleicht auch freust. Ich freue mich zu lernen und das kann ich nur, wenn ich mich irre und mir erklärt wird, worin mein Irrtum besteht.
Niemand bezahlt dich, mir meine Fehler aufzuzeigen und dennoch tust du das in freundlicher Art und Weise, ohne dabei überheblich oder appodiktisch zu sein und das imponiert mir. Ich wünschte einige Lehrer hätten einen kleinen Teil deines Wissens und Charkaters, dann wäre auch unsinniger Frontalunterricht etwas weniger unsinnig...
Außerdem habe ich schon viele sehr kurze Forenaufenthalte hinter mir, wo mir das Ambiente missfiel, ich bin für ehrliches Lob und begründeten Widerspruch, auf sachlicher Ebene, was leider nicht sehr verbreitet ist...

e-noon
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Fr 10. Nov 2006, 19:11 - Beitrag #26

...ein Gedanke, der seinerseits wiederum nur auf der Grundlage europäischer Kultur so gedacht werden kann; ostasiatische Kulturen haben keine Schwierigkeiten damit, die gesamte Existenz einschließlich der eigenen als selbstreferentielle Täuschung aufzufassen, ein Konzept, das Europäern nur äußerst schwer zugänglich ist/war


Schwer zugänglich ist es in der Tat, aber genau das wollte ich damit ausdrücken.

Bewußtsein ist sich selbst-evident, es bedarf der logischen Absicherung nicht
Wie meinst du den zweiten Teil des Satzes? Ist Evidenz Grund genug, von der eigenen Existenz auszugehen?

Ich bin ebenfalls schwer beeindruckt von deinen Kenntnissen, Ipsi, um das mal festzuhalten :) Das "cogito, ergo sum" hat mich beim Lesen des von dir teils zitierten Buches schon gewundert, weil er es ja so nicht formuliert hat, bzw. weil die lateinische Formulierung einen viel trivialeren Gedanken nahelegt als den gelesenen. Habe ich im Essay deutlich genug gemacht, dass ich mich auf diesen Gedanken bezog? [Solange dieses Wesen denkt, also solange ich denke, kann ich sicher sein, dass ich existiere]

Eben diesen eingeklammerten Gedanken halte ich letztlich auch nicht für sicher, wenn auch für evident. Nur, weil da ein Gedanke ist, der meine Existenz beinhaltet, heißt das nicht notwendig, dass ich existiere. (Analog: Nur, weil da ein Gedanke ist, der ein Einhorn beinhaltet, heißt das nicht notwendig, dass es existiert].

Yanāpaw
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Fr 10. Nov 2006, 20:16 - Beitrag #27

e-noon,


Der Gedanke setzt aber deine Existenz als Schöpfer des Gedanken zwingend voraus, sieht man von der "creatio ex nihilio" ab.

e-noon
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Fr 10. Nov 2006, 20:29 - Beitrag #28

Wieso sollte man denn, in Ablehnung herkömmlicher Logik, eine spontane creatio ex nihilo ausschließen? Oder eines der anderen logischen Axiome? Wieso sollte ich nicht existieren und zugleich nicht existieren?

Yanāpaw
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Fr 10. Nov 2006, 21:10 - Beitrag #29

e-noon,


distanziert man sich von der Logik und axiombasierten Definitionssystemen, so muss man dennoch ein alternatives Defintionssystem etablieren, da ohne dieses eine Diskussion per se unmoeglich ist. Ich kann die Konsistenz einer These nur unter Beruecksichtigung des Definitionssystems analysieren.

Wenn du also als Definitionssystem vorgibst, nichts ist seiend und zugleich alles ist seiend, nichts ist wahr und alles ist wahr, dann ist die Antwort recht einfach.


Achtung hier kommt die Wahrheit:

Wachsen

Ipsissimus
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Do 16. Nov 2006, 17:18 - Beitrag #30

Bewußtheit ist zunächst mal vorintellektuell, sogar vorgedanklich, eventuell sogar vor Gefühlen angelegt. Ich spreche natürlich nicht über die "Bewußtheit hinsichtlich eines Sachverhaltes" sondern über die Selbstevidenz meiner Existenz. Die letzte Begründung MEINER Dinge - also des Universums - ist Selbstreferentailität; will sagen, es gibt nichts, wenn es mich nicht gibt, da dann niemand und nichts wäre, der/das an meiner Stelle für mich Existenz feststellen könnte.

"Ich bin", das heißt in allererster Linie, ich bin - als minimalste Keimzelle - elementar existenz-bewußt. Da habe ich noch kein intellektuelles Konzept von Existenz oder Bewußtheit, aber ich habe/bin diese beiden Sachen schon, Existenz und Bewußtsein davon.

Auf der Ebene einer einzelnen Zelle würde das zwei elementaren Elementen der Lebensdefinition entsprechen: Reizempfänglichkeit und Reizbeantwortung.

Alles weitere kommt erst danach, klärt sich mittels einer gigantischen Anzahl von Filterungsprozessen, ehe am Ende da steht "Ich, Ipsissimus, bin die Persönlichkeit, als die ich mich erweise", will heißen, ehe die Existenz-Bewußtheit in eine Sozialisationsbewußtheit mit ihren vielfältigen Brechungen, Subtilitäten und Konventionen übergegangen ist.

Am Anfang ist die Monade, und sie braucht Zeit ehe sie zur Gemeinschaft erblüht.

Yanāpaw
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Do 16. Nov 2006, 20:58 - Beitrag #31

Ipsissimus,


wenn du das bewusst sein so definierst lässt es aber keinen Rückschluss darüber zu, was sich seiner Existenz bewusst ist, das "es" ist sich seiner Existenz bewusst, weiß aber nicht was " es" ist, diese Ausassage beweist also nur Existenz, sonst nichts. Aber der Prozess des Denkens impliziert sehr viel mehr als die schiere Existenz des "es", da denken eben ein Bewusstsein erfordert, so wie sich bewusst sein präintellektuell ist, muss Denken zwingend notwendig postintellektuell sein. Die Art der Existenz des "Es" wird also durch das Denken spezifiziert, denn jede Zelle ist zwar zur Reiz-wechselwirkung fähig, nicht aber zum Denken. Oder mache ich da einen Denkfehler?


Danke für deine Antwort. ^^

Ipsissimus
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Do 16. Nov 2006, 21:41 - Beitrag #32

wäre das schlimm?^^ existenz-bewußt zu sein ist das kleinste Gemeinsame aller lebendigen Dinge, nicht das kleinste Gemeinsame aller Menschen nach Abstrich der intellektuellen Elemente

janw
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Fr 17. Nov 2006, 00:08 - Beitrag #33

Zitat von Yanapaw:wenn du das bewusst sein so definierst lässt es aber keinen Rückschluss darüber zu, was sich seiner Existenz bewusst ist, das "es" ist sich seiner Existenz bewusst, weiß aber nicht was " es" ist, diese Ausassage beweist also nur Existenz, sonst nichts.

Letztlich muss das "ich bin, der Rest ist Welt" - so würde ich die grundlegende Aussage in Worte fassen, entsprechend dem grundlegenden Faktum, daß Zellen zunächst mal von der Umwelt getrennte und dann wieder selektiv mit ihr verbundene Raumentitäten sind - jedem weiteren Erkenntnisschritt vorgehen, denke ich, wobei ich gleichzeitig den Eindruck habe, daß wir Menschen gar nicht mal soo weit vorangekommen sind, was das "was" sein betrifft: "Ich bin Mensch", könnte ich sagen - aber ist dies berechtigt, wenn ich diese Aussage nur bezüglich meiner selbst treffen kann, nicht über das Menschsein per se, geschweige bezüglich dem Unterschied dazu, ein Fisch, ein Vogel oder eine Amöbe zu sein?
Die Art der Existenz des "Es" wird also durch das Denken spezifiziert, denn jede Zelle ist zwar zur Reiz-wechselwirkung fähig, nicht aber zum Denken. Oder mache ich da einen Denkfehler?

Was anderes ist denken als die (variable) Verarbeitung von Reizen auf bioelektrischer Grundlage? Ich beschränke es auf variable Reizverarbeitung, um feste unbedingte Reflexe auszuschließen, Denken ist für mich ein Prozess mit nicht prognostizierbarem, also wahrscheinlichkeitsgesteuertem Ausgang. Solche Vorgänge kommen aber auch bereits bei Einzellern vor, zu beobachten z.B. in der unterschiedlich schnellen und eindeutigen Reaktion von Pantoffeltierchen auf Umweltreize. Leg ein schwaches elektrisches Feld an ihre Petrischale an, und sie wandern gerichtet - aber nicht alle gleich schnell und eindeutig. Ebenso, wenn Du ihnen Futter gibst oder einen gefährlichen Stoff wie Kaliumpermanganat.
Ein gleich starker Reiz wird von den Individuen unterschiedlich stark beantwortet, ebenso sind die Präferenzen bei konkurrierenden Reizen unterschiedlich gelagert.

Yanāpaw
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Fr 17. Nov 2006, 00:51 - Beitrag #34

Ipsissimus,


ja das stimme ich zu, aber irgenwie wehre ich mich dagegen, den Satz cogotio, ergo sum einfach als Trivialität abzutun, auch enn er so nicht von Descartes stammt. Wobei mich interessieren würde, ob das "cogito, ego sum" in "je pense, donc je suis" oder in "je pense, je suis" oder in "je pense que je sois" übersetzt wurde, was jeweils eine komplett unterschiedliche Bedeutung hat. Ich hoffe mal meine französisch-Kenntnisse lassen mich nicht im Stich, ich sollte tatsächlich mal damit anfangen meine Schulbücher aus der Einschweißfolie zu befreien, auch wenn der Wiederverkaufswert dann sinkt...


janw,

Dem ersten teil dener Ausführungen stimme ich absolut zu, wobei die Frage ob ich Mensch bin, nicht durch die Feststellung, dass ich bin geklärt werden kann sondern nur durch die Abgrenzung des Ich vom anderen. Ich stelle fest, dass ich existiere und konstatiere, dass ich mit keiner anderen -Nicht-MenschLebensform identisch bin, ob ich mich nun Mensch oder nicht-andere-Entität nenne spielt keine Rolle, ich definiere mich über die Unterschiede zu anderen Entitäten und das erfordert per se ein Bewusstsein und Kognition.

Dem zweiten teil deiner Ausführungen stimme ich nicht zu, es ist zwar absolut richtig, dass unterschiedliche Vertreter der gleichen Art und Gattung dennoch unterschiedlich auf identische extrinsische Reize reagieren, aber diese variante Reizreaktion beweist keine Kognition. Die Fähigkeit des Denkens bedeutet in letzter Konsequenz, eine Handlung zu initieren, die jeglichem Instinkt zuwider läuft, der Mensch ist der einzige mir bekannte Organismus, der dazu befähigt ist. Obwohl die Einzeller unterschiedlich auf Kaliumpermananat reagieren, weisen alle einige gemeinsame Reaktionsparameter auf, sie entfernen sich von der Gefahr, kein Einzeller bewegt sich auf die Gefahr zu, das bedeutet, dass der Instinkt zwar Abstriche gestattet und individuelle Varianzen in eng gesteckten grenzen ermöglicht, aber im gegensatz zur Kognition keinen offenkundigen Widerspruch zum Instinkt erlaubt. Ein Einzeller wird sich nicht umbringen, das ist ihm per se nicht möglich, weil er seine Existenz nicht reflektieren und keine abstrakte Entscheidung treffen kann. En weiterer Unterschied des Denkens zum Instinkt besteht darin, dass Kognition Initative und Aktion sein kann, während Instinkt per definition nur Reaktion ist, sei es auf interne oder externe Einflüsse.
Durch diese Differenzierung ist das cogito der essentielle Bestandteil der Aussage, der Bestandteil, der das "es" zum reflektierenden über den Instinkt erhabenen "es" macht, dem Menschen.

janw
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Fr 17. Nov 2006, 02:11 - Beitrag #35

Zitat von Yanapaw:Die Fähigkeit des Denkens bedeutet in letzter Konsequenz, eine Handlung zu initieren, die jeglichem Instinkt zuwider läuft, der Mensch ist der einzige mir bekannte Organismus, der dazu befähigt ist.

Naja, das was "uns" da zu Bewußtsein kommt, haben vorher unsere Hirnzellen unter sich ausgemacht, unter tätiger Mitwirkung des limbischen Systems als unserer Gefühlsverwaltung und unter Beteiligung auch der für Instinkte zuständigen Regionen.
Vielleicht ist der einzige Unterschied der, daß wir von letzteren nur nicht mehr so viele haben wie hundkatzemaus, die Summe der Einzelbeiträge zur Entscheidungsfindung also weniger unbedingte Beiträge enthält, mehr variable.
Letztlich sind aber so gesehen die Freiheitsgrade eines Schimpansen auch größer als die einer Katze, die eines Delphins sind schwer abzuschätzen - wo soll man da also eine Grenze ziehen?
Mir erscheint die Verortung von Denken allein im Menschen eine gewisse Hybris zu beinhalten.

Ipsissimus
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Fr 17. Nov 2006, 13:09 - Beitrag #36

Yanāpaw, die französische Rückübersetzung lautet "je pense, donc je suis" - "ich denke, also bin ich" und ist eben wie auch die deutsche Fassung eine weitgehende Deutung

dieses "es", von dem du sprichst, ist meiner Meinung nach beim Menschen ein Emergenzpänomen, entstehend aus der Interaktivität von Myriaden von Neuronen und ihrer "Verdrahtung". Es kann schon sein, daß Kognition erst mit diesem Emergenzphänomen einsetzt - wobei Kognition afair auch für Affen und Delphine nachgewiesen ist - aber ein menschliches Neugeborenes ist bereits existenzbewußt, ohne bereits kognitiv befähigt zu sein. Imo deutet das darauf hin, daß Kognition erst eine zeitlich spätere Form der Emergenz ist, die selbst bereits zu vorkognitiver Zeit vorliegt bei allem, was lebt.

Davon abgesehen glaube ich nicht, daß die Primärdifferenzierung die ist, welche mich als Mensch von nichtmenschlichen Lebensformen differerieren lässt, sondern jene, welche mich als "emergentes Bündel" von ALLEM diefferieren lässt.

Yanāpaw
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Fr 17. Nov 2006, 20:05 - Beitrag #37

Ipsissimus,

danke für deine Erklärung. Gegen deine Argumentation hinsichtlich des "Emergenzphänomens" kann ich nichts vorbringen, letzten Endes ist Kognition nichts anderes als Bio-Elektronik, das ist zweifellos richtig, aber ist eine Ratte, von der wir uns genetisch weniger unterscheiden als von einem Affen, in gleichem MAße zur Kognition fähig, wie wir?

Die Frage ist nicht, ob der Mensch, genau wie jedes andere bio-elektronisch-chemische Wesen auf Reize reagiert, sondern ob es abseits dieser Reizreaktion noch andere Dinge gibt, die sich als Differenz und Identifikationskriterium eignen.
Selbstverständlich kann ich ein Tier konditionieren, ich kann auch einen Menschen konditionieren, das ist bei der Reizwechselwirkung zwingend notwendig, aber bedeutet Kognition nicht mehr, als das?


Kognition ist für mich beispielsweise Reize zu hinterfragen, kein Nicht-Mensch kann das, ein Nicht-Mensch reagiert auf einen spezifischen Reiz immer gleich, ein Mensch nicht. Wenn ein Nicht-Mensch mit einem Nahrungs-Reiz stimuliert wird und er Hunger hat, wird er immer entsprechend des Nahrungs-Reizes handeln, also reagieren. Ein Mensch kann einem Nahrungs-Reiz ausgesetzt werden und die Nahrung nicht aufnehmen, weil er im Gegensatz zum Nicht-Mensch nicht absolut von Reizen gelenkt wird. Selbstverständlich bilden grundsätzlich Neuronen die Basis für dieses Verhalten, aber ein Mensch und ein Brikett basieren beide auf Kohlenstoff, ist ein Mensch deshalb ein Brikett?



janw,

soweit ich weiß ist das limbische System die "Emotionszentrale", die also biochemisch für das Instinktverhalten und die Emotionen, sowie teilweise für die Kognition zuständig ist, allerdings ist das limbische System nicht autark, sondern von einigen anderen Hirnregionen abhängig. Wie das konkret funktioniert, weiß ich nicht, von daher kann ich auch keine Aussage dazu machen, ob die Kognition von Mensch und Tier hinsichtlich der Hirnfunktion unterschieden werden kann, allerdings würde ich mich wundern, wenn dem nicht so wäre. Aber nichts wissen ist wie dumm sein, daher bitte ich um Verständnis, dass ich diesen Einwand etwas zurückstelle, weil ich mich erst in die Thematik einlesen muss.

Ipsissimus
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Mo 20. Nov 2006, 17:07 - Beitrag #38

aber ist eine Ratte, von der wir uns genetisch weniger unterscheiden als von einem Affen, in gleichem MAße zur Kognition fähig, wie wir?


die kognitiven Fähigkeiten des Menschen haben zweifelsohne ein Ausmaß erreicht, bei dem berechtigt gefragt werden kann, ob hier nicht Quantität längst in Qualität umgeschlagen ist. Solange diese Frage aber nur qua Ideologie und nicht sachlich beantwortet werden kann, gehe ich davon aus, daß "das Ausmaß" keinen qualitativen sondern nur einen quantitativen Unterschied bedeutet, um so mehr, als Lerneffekte bei Ratten Dressurakte weit übersteigen.

Daß Kognition mehr ist als die Emergenz einer bestimmten Konditionierung, wage ich zu bezweifeln. Menschen sind nicht per se zu einer bestimmten Kognitionsleistung fähig - Kaspar-Hauser-Experimente - so verabscheuungswürdig sie sind - haben dies wohl eindeutig bestätigt, genauso wie mittlerweile doch ziemlich viele Fälle von "Wolfsmenschen", also Kindern, die von Wölfen "aufgezogen" wurden und eine "wolfsartige" Kognition entwickelten.

ein Nicht-Mensch reagiert auf einen spezifischen Reiz immer gleich


das wage ich zu bezweifeln, wenigstens das Phänomen der Abstumpfung ist auch von Tieren bekannt. Vielleicht meinst du, daß ein Mensch aufgrund einer intellektuellen Leistung in der Lage ist, sich einem Reiz zu verschließen und Tiere seien dies nicht. Nun, du weißt vielleicht, wie schwierig es ist, Rattenrudel mit Gift auszurotten. Selbst mit langzeitverzögerten Giften am Rande der Unmöglichkeit. Ratten stellen einen Bezug her zwischen aufgenommener Nahrung, dem Ort, an dem dies geschah und dem Tod von Artgenossen, die jene Nahrung zu sich nahmen. Es bedarf einer Verzögerung von bis zu 10 Tagen, ehe dieser Bezug wieder aus dem Gedächtnis der Ratten verschwunden ist. Weißt du noch, ohne es dir aufzuschreiben oder dir besonders einzuprägen, was du vor 10 Tagen genau gegessen hast? Ich nicht. Das wirkt auf mich nicht wie fehlende Kognition.

Yanāpaw
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Fr 24. Nov 2006, 01:24 - Beitrag #39

Ipsissimus,


da ich ungerne eine Meinung zu etwas äußere, wenn ich mir nicht sicher bin, dass sie auch fundiert ist, habe ich nochmal nachgelesen, daher die Verzögerung.


Nun ich denke die Differenzierung quantitaviver und qualitativer Kognition kann durchaus sachlich angegangen werden, da ich Kognition nicht nur als konditioniertes Reagieren verstehe, sondern erheblich weiter gehe. Selbstverständlich können Ratten wie alle anderen lebewesen, welche die, zur Konditionierung erforderlichen, Hirnspezifika aufweisen lernen. Das von dir angesprochene Sozialverhalten und der Lernerfolg, ist nun aber bereits bei Bakterien zu beobachten. Bakterien kommunzieren untereinander und haben ein soziales Gefüge. Diese Entdeckung, versetzte die Wissenschaft erst kürzlich in Aufruhr. Es ist bewiesen, (den Skeptizimsus lasse ich jetzt außen vor) dass Bakterien ein soziales Gefüge aufbauen und jedes Bakterium eine spezifische Funktion wahrnimmt, sofern eine ausreichend große Anzahl vorhanden ist um einen Biofilm zu bilden, so übernehmen beispielsweise einige Bakterien die Nahrungsbeschaffung für die gesamte Population und vernachlässigen dafür andere Aufgaben, wieder andere beispielsweise handeln lediglich als Reproduzenten um die Population zu vergrößern es ist also eine Arbeitsteilung und eine soziale Struktur erkennbar. Zudem handeln Bakterien zum Wohle der Gemeinschaft, wird der Biofilm beispielsweise von Viren bedroht, sondern die Bakterien, die von dem Virus angegriffen werden, der Virus muss an die Bakterien anbinden, ein tödliches Gift ab, sowohl für den Virus, als auch für sich selbst um durch diesen "Märtyrer-Tod" das Fortbestehen der eigenen Population sicherzustellen. So faszinierend diese Erkenntnisse zweifellos sind, muss dennoch bedacht werden, dass man hier nicht von Kognition sprechen kann, da die Nahrungsbeschaffungs-Bakterien beispielsweise nur deshalb auf die eigene Reproduktion verzichten, weil der gesamte Biofilm die gleiche Erbmasse hat, da Bakterien sich selbst "klonen", es ist also unerheblich welches Bakterium die Kopie erstellt, das Ergebnis wird immer das exakt gleiche sein. Wäre das nicht so, würde dieses Sozialverhalten niemals auftreten, weil dann die Instinktsteuerung jegliches Sozialverhaölten überlagert, besteht ein Biofilm aus vielen verschiedenen Bakterienarten, ist das soziale gefüge wesentlich loser und weniger effizient.


Ich wollte damit den grundsätzlichen Unterschied zwischen der Kognition des Menschen, die ich qualitativ höher bezeichne als die anderer lebensformen, und der anderer Lebensformen verdeutlichen. Die Frage ist nicht inwieweit Lebensformen konditioniert werden können, oder ein soziales Gefüge entwickeln können, sondern inwieweit sie in der Lage sind ihre Instinktsteuerung durch qulitativ höhere Kognition zu umgehen oder gar negieren. Ich habe mich sehr schlecht ausgedrückt, als ich sagte ein Nicht-Mensch reagiere auf einen identischen Reiz immer identisch, denn du hast absolut Recht, dass es auch bei anderen Lebensformen zu Reizgeneralisierung und spezifischen Reizverarbeitungsschemata kommen kann, die durch Konditionierung erreicht werden.

Aber wenn ein Nicht-Mensch den intrinsichen Reiz zur Nahrungsaufnahme empfängt und Nahrung in unmittelbarer Nähe ist, wird der Nicht-Mensch sie aufnehmen, wenn er nicht durch externe Reizüberlagerung (Gift, Artgenossen et cetera) anders konditioniert wurde. Der Mensch muss diesem Trieb nicht folgen, er hat die Wahl, er kann statt dessen rauchen, oder Bier trinken, oder verhungern, diese Optionen hat ein Nicht-Mensch nicht. Ich befürchte das ist wieder missverständlich. Wenn ein Nicht-Mensch analog des Pavlov-Experiments konditioniert wurde, wird er bei roter Lampe nicht zum Fressnapf gehen, weil er entsprechend konditioniert wurde, ein Mensch hat die Freiheit dennoch hinzugehen und sich den Stromschlag einzufangen. Der Mensch hat die qualitativ höhere Kognition, die es ihm ermöglicht externe Reize bewusst abzuwägen, zu erkennen und zu befolgen oder eben nicht, diese Möglichkeit hat ein Nicht-Mensch niemals. Natürlich kann man auch einen Menschen entsprechend konditionieren, dass er dieses Potential zur höheren Kognition nicht nutzen kann, das beweist aber nicht, dass er es nicht hat, sondern nur dass er so konditioniert werden kann, dass er sich dessen nicht bewusst ist.

Ich hoffe das war jetzt nicht so missverständlich und schlecht formuliert.

Ipsissimus
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Fr 24. Nov 2006, 12:07 - Beitrag #40

Yanāpaw, die Beschreibung des Verhaltens der Bakterienpopulation erinnert mich an die Emergenzbeschreibungen Hofstaedters, der anhand des Beispiels eines Ameisenhaufens menschliches Bewußtsein als Emergenzphänomen der Neuronen erklärt. Diesem Ansatz zufolge wäre das betrachtenswerte intelligente Wesen der Bakterienfilm bzw. der Ameisenhaufen, nicht das einzelne Bakterium oder die einzelne Ameise, genausowenig, wie das einzelne Neuron intelligent genannt werden kann. Für unsere Vorstellung ist dies vielleicht ein bißchen schwierig, da wir bei Bakterien und Ameisen Individuen wahrzunehmen vermeinen, während wir in unserer Introspektion Neuronen nicht als uns konstituierende Individuen wahrnehmen (weil das wahrnehmende Bewußtsein bereits die Emergenz ist, die sich selbst nicht von außen sehen kann).

Aber wenn ein Nicht-Mensch den intrinsichen Reiz zur Nahrungsaufnahme empfängt und Nahrung in unmittelbarer Nähe ist, wird der Nicht-Mensch sie aufnehmen, wenn er nicht durch externe Reizüberlagerung (Gift, Artgenossen et cetera) anders konditioniert wurde. Der Mensch muss diesem Trieb nicht folgen, er hat die Wahl, er kann statt dessen rauchen, oder Bier trinken, oder verhungern, diese Optionen hat ein Nicht-Mensch nicht. [...]

Wenn ein Nicht-Mensch analog des Pavlov-Experiments konditioniert wurde, wird er bei roter Lampe nicht zum Fressnapf gehen, weil er entsprechend konditioniert wurde, ein Mensch hat die Freiheit dennoch hinzugehen und sich den Stromschlag einzufangen.


das ist genau die Frage. Genau genommen ist damit nur ein Unterschied in der notwendigen Konditionierungsstärke aufgezeigt, kein qualitativer Kognitionsunterschied. Ein Mensch wird NICHT hingehen und den Stromschlag entgegennehmen, wenn er nicht durch eine höherwertige Zielsetzung dazu motiviert ist. Das Empfinden "ich könnte es, wenn ich wollte" besagt noch nicht "ich kann es" und schon gar nicht "ich tue es". Es sind mit in der Tat im Moment keine Experimente erinnerlich, in denen man Tiere dazu gebracht hat, gegen ihre Schmerzvermeidungsinstinkte zu verstoßen ohne ihnen ausreichend Kompensation anzubieten, aber das besagt nicht, daß dies ihnen unmöglich wäre. Und ohne Kompensation macht es auch ein Mensch nicht (Selbstmord mal als eine höhere Zielsetzung gedeutet).

Handlungsweisen, die beim Menschen als "selbstlos" eingestuft würden, sind jedenfalls auch zuhauf bei Tieren beobachtet worden. Diese beim Tier als bloße Instinktleistungen abzuwerten, ist imo zumindestens hinsichtlich höherer Säugetiere bloße Ideologie, die den Menschen als Krone der Schöpfung festigen soll. Auch menschliche Mütter hinsichtlich ihres Nachwuchses und Menschen allgemein in vielerlei Kontexten handeln vielfältig instinktgesteuert, trotzdem aber intelligent (gelegentlich^^). Und wer weiß schon wirklich etwas über die Intelligenz eines Bakterienfilms. Du hast bestimmt "Der Schwarm" gelesen^^

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