Sprache und das Bild der Welt

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
janw
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Fr 6. Apr 2007, 12:53 - Beitrag #1

Sprache und das Bild der Welt

Eine der grundlegenden Eigenschaften des Menschen ist die Sprache. Ihre Grundlegendheit, ihre Bedeutung als conditio humana, die ihr verbreitet zugemessen wird, lässt sich unter anderem daran ermessen, was ihr Erwerb, oder Nichterwerb für die Entwicklung eines Menschen bedeutet - es wird berichtet, daß Kinder, die ohne sprachliche Zuwendung aufgezogen wurden, daran zugrunde gegangen sind.
Daraus drängt sich natürlich die Frage auf, ob es in dem Falle die Sprache war, die fehlte, oder die mangelnde Zuwendung, der es an Lautkomponenten fehlte.
Der Frage wäre nachzugehen.

Nun ist Sprache zugleich aber Ausdruck und Trägermedium dessen, was als Kultur des Menschen bezeichnet wird, Struktur, Vokabular und Grammatik verraten vieles über die Lebensumstände einer Sprechergemeinschaft, ihre soziale Organisation und das, was als Weltbild bezeichnet wird - ich verstehe darunter den Satz an Annahmen über mehr oder weniger gesetzmäßige Verhältnisse des Einzelnen, des Menschen an sich und der Gemeinschaft zueinander, zur Mitmenschheit, zur belebten und unbelebten Natur, zu etwaigen transzendenten Mächten und dieser zu ihm und untereinander sowie zu Herkunft und Ziel derselben, zu ihrer Geschichtlichkeit.

Das führt mich zu der Frage, wie weit danach Sprache den Einzelnen und sein Bewusstsein prägt bzw. erweitert, wie weit es möglich ist, bewusstseinsmäßig diesem Netz zu entkommen, wenn Sprache offenbar dem zuwiderläuft, was Mensch denkt?

Ein Beispiel dazu...zumindest in den romanischen Sprachen, aber auch im Deutschen zeigt sich eine deutliche Präferenz des Männlichen gegenüber dem Weiblichen (z.B. span. "wir"=nosotros, für eine Gruppe Frauen nosotras - so lange nicht ein einziger Mann unter ihnen ist), außerdem eine gewisse "Digitalisierung" der Begriffswelt, indem für verschiedene Übergangsformen, v.a. für verschiedene Ausprägungen keine Begriffe vorhanden sind.

Ich weiß, ich bin mal wieder gleich den Baum hinauf gesprungen, dessen Stamm noch schwach ist, weil seine Äste mich so faszinierten - möge der Stamm noch Nahrung bekommen^^

aleanjre
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Fr 6. Apr 2007, 22:03 - Beitrag #2

Man kann als gesichert davon ausgehen, dass den Kindern nicht die Sprache, sondern die Zuwendung als solche fehlte. Die Pflegerinnen waren angewiesen worden, sie lediglich zu füttern und zu reinigen. Spielen, körperliche Zuwendung etc. hatte zu unterbleiben, da dies die Pflegerinnen zu unbewussten Lautäußerungen hätte animieren können.

Zu allem anderen werde ich mir noch Gedanken machen, sobald Zeit vorhanden ist.

e-noon
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Fr 6. Apr 2007, 22:59 - Beitrag #3

Außerdem müssten dann alle von Geburt an tauben Kinder sterben, oder nicht? Ebenso die Kinder (abgeschieden lebender) stummer Eltern... Dem ist jedoch anscheinend nicht so.
Reden wir im Übrigen von Sprache im weiteren Sinne oder von allgemeinverständlichen verbalen Äußerungen?

Die Frage nach dem Einfluss der Sprache auf das Bewusstsein, bzw. dem Ausmaß des offensichtlichen Einflusses stellte sich mir heute auch wieder, als in einem Manga dauernd mit den Kanji-Schriftzeichen der Namen herumgealbert wurde und ich als nicht Eingeweihter (da ham wirs wieder mit der Bevorzugung männlicher Formen) nicht mehr folgen konnte. Inwiefern beeinflusst es einen, wenn die Namen von Menschen mit Schriftzeichen für Gegenstände geschrieben werden? Oder wenn statt dem Buchstabenalphabet ein Symbolkatalog für die meisten Worte auswendig gelernt werden muss? Wenn kleine Änderungen in der Tonlage dem Wort eine andere Bedeutung geben? Ist man dann zum Beispiel empfänglicher für Nuancen?

Und vor allem, siehe "brave new world" oder "Tlön, Uqbar, Orbus tertius", inwiefern beeinflusst Sprache die Gefühle eines Menschen und damit auch die Welt? Fühlen wir "Liebe", weil es das Wort gibt? Könnte man bestimmte Dinge in Worte fassen, die jenseits der Sprache liegen? (Ich zumindest kanns nicht. Wenn ich ein Netz im Kopf habe, in das verschiedene Fakten verwoben sind, die in einem genau abgestimmten Verhältnis zueinander stehen und nur deshalb von mir als plausibel erachtet werden, hab ich nicht die geringste Ahnung, wie ich diese Plausibilität bei jemand anders erzeugen soll)

Jetzt habe ich zwar mehr Fragen als Antworten beigetragen ^^ aber die schwirren mit seit einiger Zeit im Kopf rum, und ich weiß nicht, wo man eine Antwort bekommen könnte, daher sind sie hier erstmal richtig.

janw
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Fr 6. Apr 2007, 23:23 - Beitrag #4

Zur Frage der sprach-los aufgezogenen Kinder: Den Eindruck habe ich auch, daß es im Wesentlichen um mangelnde Zuwendung geht, und Kinder taubstummer Eltern sind idT ein Gegenargument, wobei dabei meines Wissens aber heute interveniert wird, damit die Kinder mit Sprache aufwachsen können.

Aber was ist Sprache im hier gemeinten Sinne? Ich meine hier die Lautsprache, also alle Lautsysteme, die hinreichend regelhaft sind, um von Menschen als potentiell sinnhaltig und damit kommunikationstauglich erkannt zu werden.

e-noon, gute Fragen, ich muss mal drüber nachdenken...bzw. ich fürchte, wir brauchen eine/n Japaner/in oder Chinesen/in^^

e-noon
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Fr 6. Apr 2007, 23:44 - Beitrag #5

Wir werden wohl zweisprachig aufgewachsene Menschen benötigen, obwohl denen ja nicht (wie uns bzw. den Japanern etc.) eine Erfahrung fehlt, sondern sie beide haben...

Daher abgeschieden lebende Eltern ^^ also die, bei denen nicht interveniert wird, sterben meines Wissens auch nicht.

Mit der Definition von "Sprache" bin ich sehr einverstanden, vor allem als Grundlage für die Diskussion. Noch so eine Frage: In welchen Worten denken Taubstumme?

Das mit dem Baum hab ich irgendwie nicht ganz verstanden...

janw
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Sa 7. Apr 2007, 00:33 - Beitrag #6

Naja, zweisprachig...zumindest für den Fall deutsch-englisch bin ich da Karnickel^^, aber das bringt hier nicht so wirklich viel...

Das mit dem Baum...naja, meine Abschlussfrage war schon recht tief drin in der Materie, und das, obwohl wesentliche Grundlagen auch noch zu klären waren. Grundlagen, wie der Stamm bei Bäumen, von dem dann die weiter führenden Äste abgehen...

Yanāpaw
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Sa 7. Apr 2007, 14:07 - Beitrag #7

Zunächst ist die Notwendigkeit der Sprache gleichbedeutend mit der Notwendigkeit der Kommunikation, deren effizientestes menschenmögliches Gesicht eben Sprache ist. Für soziale Wesen ist Kommunikation unabdingbar, wobei sich natürlich die Frage nach Huhn und Ei einmal mehr aufdrängt, die ich allerdings nicht weiter ausführen möchte, weil eine Beantwortung ohnehin unmöglich ist. Aus Obigem leitet sich auch ab, das Sprache die effizienteste Form der Kommunikation ist, aber nicht die einzige, daher können auch Taubstumme kommunizieren nur eben nicht mit der gleichen Varianz. Sprache ist im wesentlichen das hauptsächliche - und weitentwickelste- Medium zur sozialen Bedürfnisbefriedigung, sowie ein effizienteres zur Informationsweitergabe (auch hier der soziale Grundgedanke) als Beispielsweise der Bienentanz, der nicht abstrahierbar ist et cetera.


Inwiefern beeinflusst es einen, wenn die Namen von Menschen mit Schriftzeichen für Gegenstände geschrieben werden? [...]Ist man dann zum Beispiel empfänglicher für Nuancen?[...]


Das Vokabular hat einen entscheidenden Einfluss auf das Bewusstsein des Menschen und auf dessen Reflektionsbreite. Ein Mensch mit einem sehr großen Vokablur wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch über eine große Vorstellungskraft verfügen, da er sehr viel mehr Dinge, Zustände, Gefühle et cetera kennt, welche er sich vorstellen kann. Außerdem mangelt es ihm nicht an der Fähigkeit Zustände Dinge oder Gefühle zu benennen und mittels des Mediums Sprache zu transportieren. Schopenhauer war es meine ich, der jene verspottete, die in Anbetracht von Goethes Lyrik dessen Erlebnisse neideten, nicht wissend, dass nicht die Erlebnisse das Fulminante sondern die Beherrschung des Mediums zum Transport der Gedanken das Einzigartige an diesem Mann war.

Allerdings ist die Frage, die du unter Anderen aufwirfst ja nichts neues, ist Liebe Liebe, weil wir es Liebe nennen, worauf ich auch nicht großartig weiter eingehen möchte, da zu diesem Thema schon hunderte philosophischer/erkenntnis-theorethischer Schriften und Diskussionen existieren. Sehr schlüssig erscheint mir da folgendes Gedankenexperiment: Ist ein Mensch in einer Gesellschaft, in der es das Wort böse nicht gibt, per Definition gut oder tatsächlich gut? Es ist nicht die Definition, die kreiert, sie fasst nur zusammen, was bereits existiert und beobachtet wurde. In entsprechender Gesellschaft wäre gut nämlich ungleich unserem gut, welches des böse als Kontrovers zur abgrenzenden Definition bedarf.


Die letzte (zitierte) Frage ist relativ einfach zu beantworten; macht sich ein belesener und hochintelligenter Mensch mehr und qualitativ andere Gedanken über nicht-utilitaristische Phänomene seines Alltags, als ein Analphabet?

e-noon
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Sa 7. Apr 2007, 19:55 - Beitrag #8

Zunächst ist die Notwendigkeit der Sprache gleichbedeutend mit der Notwendigkeit der Kommunikation
Was nicht heißen soll, dass Kommunikation an sich nicht wichtiger und grundlegender ist als Kommunikation durch Sprache, richtig?

ist Liebe Liebe, weil wir es Liebe nennen,
Vielleicht nur kurz deine Meinung dazu, falls sich das gut zusammenfassen lässt? :)

Es ist nicht die Definition, die kreiert, meinst du, und in Bezug auf Zustände von Gesellschaften oder gar Gegenstände stimme ich dir zu. Auch wenn wir kein Wort für Mülltonne hätten, stünde dieses hässliche Ding vor dem Fenster, wie auch Hadronen, Bosonen, Quarks etc. mutmaßlich schon vor ihrer Benennung und Entdeckung existierten. Aber inwieweit man sich unbewusst dazu entscheidet, seine Gefühle mit einem Wort zu benennen oder sich der erwarteten Gefühlslage in einer bestimmten Situation anzupassen, ist damit imo noch nicht geklärt.

Zur letzten Frage: Ich nehme es an; jedoch würde ich das nicht an Analphabetismus festmachen, es wird oder könnte zumindest Ausnahmen geben ;) Dennoch gibt es sowohl im japanischen als auch im deutschen Sprachraum belesene und hochintelligente Menschen (wobei mir im japanischen Sprachraum niemand persönlich bekannt ist, ich halte es nur für sehr wahrscheinlich), und ob der Japaner Nuancen erkennt und ausdrückt, die dem Deutschen gar nicht bekannt sind, kann man daran nicht absehen.

edit: Was sind für dich "nicht-utilitaristische Phänomene"? Sich über mehr Gedanken machen als das Wohl der Menschheit?

janw
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Sa 7. Apr 2007, 23:13 - Beitrag #9

Zitat von e-noon:Mit der Definition von "Sprache" bin ich sehr einverstanden, vor allem als Grundlage für die Diskussion. Noch so eine Frage: In welchen Worten denken Taubstumme?

Mein kleiner Neffe, der gerade sprechen lernt, hat mir mit seiner Art und Weise, das zu tun gezeigt, wie fließend die Grenzen zwischen Laut- und Zeichensprache sind - wenn das für die Diskussion auch vielleicht etwas weit geht: Er hat bemerkt, daß irgendjemand wegggeht, wenn Leute winken und daß kopfschütteln sowas wie "nein" bedeutet. Wenn er also will, daß jemand nicht weggeht, winkt er und schüttelt den Kopf.

Zitat von Yanapaw:Zunächst ist die Notwendigkeit der Sprache gleichbedeutend mit der Notwendigkeit der Kommunikation, deren effizientestes menschenmögliches Gesicht eben Sprache ist. Für soziale Wesen ist Kommunikation unabdingbar, wobei sich natürlich die Frage nach Huhn und Ei einmal mehr aufdrängt, die ich allerdings nicht weiter ausführen möchte, weil eine Beantwortung ohnehin unmöglich ist.

Naja, ersteres kommt hin, wenn man Sprache und Kommunikation gleichgerichtet betrachtet, also als durch Sprache intendierte Kommunikation mit einem anderen. Schwierig wird es, wenn man es aus der Empfängerperspektive betrachtet - da werden von jedem erkennbaren Anderen permanent Signale empfangen, indem allen erkennbaren Handlungen des Anderen eine Signalqualität zugewiesen wird. Sicher, das meiste spielt sich hier auf der Körpersprach-Ebene ab, aber auch Nicht-Sprechen kann eine Bedeutung haben.
Insofern könnte man die Henne-Ei-Frage also mit "der Empfänger" beantworten...

Allerdings ist die Frage, die du unter Anderen aufwirfst ja nichts neues, ist Liebe Liebe, weil wir es Liebe nennen, worauf ich auch nicht großartig weiter eingehen möchte, da zu diesem Thema schon hunderte philosophischer/erkenntnis-theorethischer Schriften und Diskussionen existieren.

Zumindest für die gegenständliche Welt - da lässt es sich leichter erfassen - gibt es die Beobachtung, daß zweisprachig Aufgewachsene deutlich früher als einsprachig Aufgewachsene die Trennung zwischen dem Gegenstand und seiner Bezeichnung wahrnehmen - einfach, weil ein Glas sowohl als ein "Glas" wie auch ein "glass", ein "ver"(frz. Schreibweise richtig?) oder ein vidrio bzw. vaso bezeichnet wird. Was Gefühle betrifft, wird dies denke ich eher auf der Ebene der kulturellen Konnotationen abgearbeitet: Vielleicht führt es eher zu der Erkenntnis, daß die Art und Weise, wie mit Gefühlen "umgegangen werden soll", von Land zu Land und sogar von Schicht zu Schicht ziemlich unterschiedlich ist und damit eben in keiner Weise "objektiv richtig". Wie weit dies zu einer möglicherweise unterschiedlichen emotionalen Stabilität, zur Fähigkeit zur Entwicklung eigener Algorithmen o.ä. führt, wäre mal eine interessante Forschungsaufgabe, glaube ich.

Ipsissimus
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Fr 13. Apr 2007, 11:40 - Beitrag #10

gesprochene Sprache trägt etwa zu 5 Prozent zur Gesamtkommunikation eines Menschen bei, der Rest geht über nonverbale Kanäle. Die Macht dieser 5 Prozent resultiert aus der anscheinenden semantischen Eindeutigkeit, die in trivialen Fällen auch tatsächlich gegeben sein mag. Für die emotionale Gesundheit eines Menschen sind die nonverbalen Kanäle primär erst mal viel viel wichtiger. Für die intellektuelle Gesundheit eines Menschen wiederum - sprich für die Ausbildung seiner intellektuellen Leistugnsfähigkeit - dürfte die Qualität der gesprochenen Sprache relevant sein, sowohl der Form wie dem Inhalt nach.

Insofern es eine Henne oder Ei-Frage ist, ob die Sprache das Denken oder das Denken die Sprache beeinflusst und was zuerst da war, weist die imo plausible Folge "simples Denken - simple Sprache - simples Weltbild" (mit vertauschbaren ersten beiden Gliedern) natürlich darauf hin, daß ein individuelles Weltbild massiv von der Qualität und Komplexität von Denken und Sprechen abhängt. Nonverbale Sprache baut überhaupt kein Weltbild auf, sie bleibt dem Augenblick verhaftet, im Hier und Jetzt, abstrahiert nicht vom Phänomen zum Konzept oder zur Kategorie. Je komplexer Denken sich gestaltet - und je komplexeren Sachverhalte somit Sprache kompetent Ausdruck verleihen kann - desto komplexer baut sich ein Weltbild auf - eine direkte relationale Abhängigkeit, wenn auch nicht unbedingt linear.

Eine weitere Frage wäre die nach der Abhängigkeit von Wahrnehmungsvermögen und Sprache. Können Inuit 100 Arten Schnee optisch unterscheiden, weil es in ihrer Sprache dafür die Begriffe gibt, oder gibt es die Begriffe, weil ihr Wahrnehmungsvermögen entsprechend differenziert ist? Ist mit den Begriffen eine funktionale Differenz verbunden? Die 100 Arten Schnee generieren ein von meinem wesentlich verschiedenes Weltbild, ich würde da vielleicht 3 oder 4 Arten Schnee unterscheiden. Gibt es in der Welt nun 4 Arten Schnee oder 100? Die Sache an sich ist unerreichbar^^ semantische Eindeutigkeit zerschlägt sich bei genauerer Betrachtung ebenfalls. Was bleibt, sind kulturelle Konzepte

janw
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Fr 13. Apr 2007, 22:06 - Beitrag #11

Zitat von Ipsissimus:Eine weitere Frage wäre die nach der Abhängigkeit von Wahrnehmungsvermögen und Sprache.[...]

"Jetzt wo Du's sagst..."
Ich denke, wir können prinzipiell alles wahrnehmen, was unser Hirn aus den Sinneseindrücken macht, gefiltert und gesteuert durch Erfahrungswerte, Prägungen usw., u.a. durch die Prägungen der Sprache.
Jede Wahrnehmung von Verschiedenem erfordert das Konzept der möglichen Verschiedenheit des scheinbar Gleichen, erst darauf hin "machen wir uns auf die Suche..." Dieses Konzept auf den Einzelfall anzuwenden, darauf können wir ganz spontan kommen, weil uns so scheint, daß...und wir gerade Zeit für diesen Müßiggang haben - will sagen, prinzipiell kann IMHO jeder intuitiv auf den Gedanken kommen, daß es viele Formen von Schnee geben könnte und mehr oder weniger zahlreiche durch genaues Betrachten unterscheiden und für uns eindeutig benennen.
Es wäre aber recht aufwändig, das nun jeden Winter im Schnee zu tun, die verschiedenen Sandarten einer Sandgrube im Sommer induktiv zu differenzieren, die verschiedenen Gräser auf der Wiese,...die Löwenzähne.
Aufwändig und unproduktiv, weil es für uns normalerweise eher überflüssige Information bedeutet.
Andererseits wären wir ziemlich aufgeschmissen, wenn wir uns plötzlich durchs grönländische Inlandeis quälen müssten, ohne diese Kenntnisse zu haben - erst recht, wenn wir nicht den Geistesblitz bekämen, es könnte da Unterschiede im Schnee geben.

Will sagen: Unsere Wahrnehmung wirkt ganz wesentlich als Filter- und Ordnungsinstanz, welche den riesigen Datenwust der Sinnesorgane durch Aggregierung, Assoziierung und Vergröberung filtert und sortiert - wir sehen gewissermaßen, worauf wir trainiert sind zu sehen, natürlich in Grenzen veränderbar. Dann und wann gibts zusätzlich Geistesblitze, durch die wir neue und unerwartete Dinge und Zusammenhänge erkennen.
Die Frage
Können Inuit 100 Arten Schnee optisch unterscheiden, weil es in ihrer Sprache dafür die Begriffe gibt, oder gibt es die Begriffe, weil ihr Wahrnehmungsvermögen entsprechend differenziert ist?

würde ich mit einem dritten Weg beantworten, daß nämlich Namen Schall und Rauch sind^^ Sie sind nur Etiketten für Merkmalskorrelate - und die Merkmalseinheiten, auf welche diese Korrelate sich beziehen, sind die Ordnungs- und Suchkriterien, nach denen unsere Wahrnehmungsinstanz die Sinneseindrücke filtert und sortiert.
Die mit den Begriffen assoziierten Merkmalskorrelate zeigen uns, worauf wir achten sollten, auf daß es uns wohl ergehe in der jeweiligen Gesellchaft, Kultur und Umwelt, die sich darin spiegeln, auf welche Merkmale der Menschen, welche Handlungen, Beziehungen, Haltungen, auf welche Merkmale des Schnees oder des Sandes oder der Gräser - und zugleich sind die Merkmalskorrelate relational mit ihren Etiketten verknüpft, so daß wir beim Anblick der Eiche sofort wissen, daß es eine Eiche ist.
Daß es eine Eiche ist, glaubt mensch dann so lange, bis ein Bauer etwas von Sommer- und Wintereichen faselt - und mensch feststellt, daß da etwas dran ist. Die 100 Schneesorten werden also auch nicht auf mal da gewesen sein...

Nonverbale Sprache baut überhaupt kein Weltbild auf, sie bleibt dem Augenblick verhaftet, im Hier und Jetzt, abstrahiert nicht vom Phänomen zum Konzept oder zur Kategorie. Je komplexer Denken sich gestaltet - und je komplexeren Sachverhalte somit Sprache kompetent Ausdruck verleihen kann - desto komplexer baut sich ein Weltbild auf - eine direkte relationale Abhängigkeit, wenn auch nicht unbedingt linear.

Bedingt, würde ich sagen, durch das Maß an Differenzierung, welche durch Lautsprache ermöglicht wird, und in diesen Grenzen sicher richtig.
Letztlich impliziert aber der Gedanke, daß Begriffe nur Etiketten sind, daß auch Gesten u.ä. als Etiketten dienen können, welche zur Bewusstmachung von relevanten Merkmalskorrelaten dienen können.

Feuerkopf
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Fr 13. Apr 2007, 22:49 - Beitrag #12

Spontan ist mir noch eingefallen, dass wir sogar über Artengrenzen hinweg kommunizieren können.
Unser Hund z. B. kann gesprochene Worte richtig in Aktion umsetzen, er versteht aber auch Zeichensprache. Seinerseits hat er bestimmte Laute entwickelt, die er ausschließlich Menschen gegenüber verwendet.
Ich frage mich, ob er unsere Sprache vielleicht nachahmt mit seinen Mitteln?
Er kann z. B. eindeutig rummaulen, wenn ihm was nicht passt oder mit einem einzelnen Wuff sagen "Mach die Tür auf". Außerdem setzt er gezielt seine Augen ein.
Ich kann auch Hundemimik verwenden, um dem Tier etwas mitzuteilen. Bei unseren kleinen Machtpositionskämpfchen, die wir gelegentlich ausfechten, reicht es, wenn ich sie (unser Hund ist eine betagte Sie) "totgucke" und dabei leicht die Zähne blecke. Knurre ich auch noch, lässt sie sofort Schwanz und Ohren sinken und kommt, um sich zu entschuldigen. Schaue ich sie dagegen liebevoll an und lächle breit, freut sie sich fast ein Bein aus.

Vielleicht überschätzen wir Sprache gelegentlich. Sie ist schließlich auch der Quell vieler Missverständnisse und Streits.

janw
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Sa 14. Apr 2007, 01:30 - Beitrag #13

Hm, vielleicht ist der Mensch auch nur ein Hund... :P

Naja, nach Watzlawick finden aber die Missverständnisse sehr oft auf der Beziehungsebene statt, d.h. die Inhaltsebene ist recht zuverlässig.

Mir fällt aber eben gerade auf, daß die Beziehungssetzung zwischen Sprache und "Weltbild" ein bißchen merkwürdig erscheinen kann - wir verarbeiten mit einem komplizierten Hörzentrum Sinneseindrücke, die auf Resultate der optischen Reizverarbeitung verweisen, aber das zeigt vielleicht auch nur, daß Sprache eben der maßgebliche, aber nicht notwendige Etikettierungscode für die einzelnen Merkmalskorrelate eines Metawahrnehmungsalgorithmus' aka "Weltbild" ist - das besser "Weltwahrnehmungskonstrukt" genannt würde oder ähnlich.

Insofern scheint mir, es sei schwieriger, zum Yanomami "zu werden" mit den vielen auch akustischen Etiketten, die der Regenwald liefert, als ein Inuit. Oder täuscht das?

Feuerkopf
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Sa 14. Apr 2007, 08:22 - Beitrag #14

Zitat von Ipsissimus:Insofern es eine Henne oder Ei-Frage ist, ob die Sprache das Denken oder das Denken die Sprache beeinflusst und was zuerst da war, weist die imo plausible Folge "simples Denken - simple Sprache - simples Weltbild" (mit vertauschbaren ersten beiden Gliedern) natürlich darauf hin, daß ein individuelles Weltbild massiv von der Qualität und Komplexität von Denken und Sprechen abhängt. Nonverbale Sprache baut überhaupt kein Weltbild auf, sie bleibt dem Augenblick verhaftet, im Hier und Jetzt, abstrahiert nicht vom Phänomen zum Konzept oder zur Kategorie. Je komplexer Denken sich gestaltet - und je komplexeren Sachverhalte somit Sprache kompetent Ausdruck verleihen kann - desto komplexer baut sich ein Weltbild auf - eine direkte relationale Abhängigkeit, wenn auch nicht unbedingt linear.


Wobei sich ab einem bestimmten Punkt der Kommunikationsaspekt der Sprache wieder aufzuheben droht, nämlich dann, wenn sie zum eitlen Selbstzweck wird, bzw. zum Merkmal der Abgrenzung von Nicht-Wissenden.

Ich habe nichts gegen Fachbegriffe, aber wenn sie dazu dienen, Inhalte zu vernebeln oder Zugänge zu verbauen, dann entsteht ein neuer Aspekt von Sprache und Weltbild.
Beispiele: Wissenschaftssprache, Rotwelsch und andere gruppenspezifische Sprachen. Auch Dialekte können ausgrenzen.

janw
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Sa 14. Apr 2007, 11:13 - Beitrag #15

Zitat von Feuerkopf:Ich habe nichts gegen Fachbegriffe, aber wenn sie dazu dienen, Inhalte zu vernebeln oder Zugänge zu verbauen, dann entsteht ein neuer Aspekt von Sprache und Weltbild.
Beispiele: Wissenschaftssprache, Rotwelsch und andere gruppenspezifische Sprachen. Auch Dialekte können ausgrenzen.

"Dienen" sie im Sinne intentionaler, d.h. bewusster zweckhafter Verwendung der Ausgrenzung oder haben sie nur diese Folge?
Könnte man nicht mit gleicher Berechtigung sagen, daß gruppenspezifische Sprachen integrieren, zum "wir"-Gefühl beitragen, das nicht zwangsläufig auf ein sich besser-Empfinden der betreffenden Gruppen hinauslaufen muss?

Yanāpaw
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Sa 14. Apr 2007, 12:44 - Beitrag #16

janw schrieb:
Ich denke, wir können prinzipiell alles wahrnehmen, was unser Hirn aus den Sinneseindrücken macht, gefiltert und gesteuert durch Erfahrungswerte, Prägungen usw., u.a. durch die Prägungen der Sprache.



Wobei es sich meinen Studien zufolge so verhält, dass die Informationen erst im Gehirn gefiltert werden, also die Referenzierungsinstanz die Wahrnehmung definiert, da prinzipiell jede Sekunde eines Lebens 1:1 im Gehirn abgelegt ist, nur eben duch Nicht-Referenzierung nicht mehr abrufbar ist. Beispielsweise erkennbar an Inselbegabten mit sogenanntem fotographischem Gedächtnis, die bekanntlich kein besonders gutes Gedächtnis sondern lediglich eine defekte/minder-funktionale Referenzierungsinstanz haben.


e-noon schrieb:
Zitat: ist Liebe Liebe, weil wir es Liebe nennen, Vielleicht nur kurz deine Meinung dazu, falls sich das gut zusammenfassen lässt?



Das Gefühl, gewissermaßen die biochemische Konfiguration, die als Liebe bezeichnet wird ist ja individuell, also liebt kein Mensch völlig gleich. Bedingt durch Erfahrenswerte und Prägung hat auch jeder Mensch eine individuelle Wahrnehmung und Definition von Liebe, all diese Einzeldefinitionen werden von der Allgemeindefinition Liebe eingefasst. Um also die Frage aufzugreifen, ob ein Mensch liebt, wie er liebt, weil er das Wort so definiert, wie er es tut; da lässt sich für mein Empfinden festhalten, dass der biochemische Spiegel vom Wissen darum prinzipiell unabhängig ist. Es ist nicht das Wissen um die hormonelle Konfiguration, die diese bedingt oder beeinflusst sondern es sind Reize, die diese spezifische Konfiguration verursachen. Allerdings wird die Definition des Zustands maßgeblich die Auswirkungen der Konfiguration beeinflussen. Beispielsweise ist die Überschwemmung des Systems mit Serotonin und Dopamin beim akustischen Reiz "Ich liebe dich" durch die definierten Implikationen dieser Konstellation bedingt, was beweist, dass eine unmittelbare Wechselwirkung zwischen Definition und Sachverhalt besteht. Nun ist es aber zweifelsfrei so, dass die gleiche Systemüberschwemmung auch mit den Worten "Ich Stuhl sein dein" erreicht werden könnte, wenn die entsprechenden Prägungen, Konditionierungen und Definitionen vorhanden wären. Um also schlußendlich zu antworten, das konkrete Wort ist absolut unwichtig, nicht aber, was Mensch mit diesem Wort durch Prägung, Erfahrung und Abstraktion verbindet. Beispielsweise würde ein Mensch, wenn er die Definition und übliche Konnotationen von "ich liebe dich" kennt, dieses aber noch nie persönlich erfuhr, trotzdem beim ersten Mal mit Systemüberschwemmung reagieren, aufgrund der Erwartungshaltung, also der Definition. Ich hoffe mal du verzeihst mir, dass ich etwas weniger erkenntnistheoretisch und etwas mehr biochemisch an die Sache heran ging. ^^


Im übrigen schließe ich mich hier Ipsissimus' ersten 2 Absätzen an, der meine Ansicht dahingehend sehr gelungen wiedergab. ^^

janw
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Sa 14. Apr 2007, 13:07 - Beitrag #17

Zitat von Yanapaw:Wobei es sich meinen Studien zufolge so verhält, dass die Informationen erst im Gehirn gefiltert werden, also die Referenzierungsinstanz die Wahrnehmung definiert,

Stimmt, ich hatte mich da etwas unscharf ausgedrückt...
Ich denke, wir können prinzipiell alles wahrnehmen, was unser Hirn aus den Sinneseindrücken macht, gefiltert und gesteuert durch Erfahrungswerte, Prägungen usw., u.a. durch die Prägungen der Sprache.

Wäre besser so formuliert:
"Ich denke, uns kann prinzipiell alles zu Bewußtsein gelangen, was unser Hirn aus den Sinneseindrücken filtert, aggregiert und konstruiert, gesteuert durch Erfahrungswerte, Prägungen usw., u.a. durch die Prägungen der Sprache."

Teil der Methode ist die Ent-Referenzierung von Daten und auch hinterher von Bewusstseinsinhalten, durch die uns nur selektiv Daten zu Bewusstsein gelangen und die Bewusstseinsinhalte mehr oder weniger aus dem Zugriffsbereich verschwinden, aka vergessen werden. Beides, um "den Blick auf das Wesentliche frei zu halten" und um eine zu starke Einflussnahme von Gedächtnisinhalten auf zukünftige Bewusstwerdungsvorgänge zu verhindern.

Ipsissimus
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Mo 16. Apr 2007, 15:56 - Beitrag #18

mich würde dabei interessieren, wie der Filter arbeitet, der "das Wesentliche" vom "Unwesentlichen" trennt. Ist es ein Hardware- oder ein Softwarefilter?Kulturelle Konditionierung? Schön und gut, aber wie wird das biochemisch umgesetzt?

Yanãpaw, hältst du die mit Liebe einhergehenden "technischen" Vorgänge im Körper für Liebe? Genauer gefragt, hieltest du es für Liebe, wenn dir ein wie auch immer gearteter Drogencocktail im Sine eines "Liebestrankes" vorgesetzt würde, der an deinen Hormondrüsen so zupft, daß du gar nicht anders könntest, als dich meinetwegen in die erstbeste Person zu verlieben, die dir über den Weg läuft? Angenommen, die Beeinflussung liefe weiter, du bekommst jeden Tag deinen Cocktail, und ihr lebt 40 Jahre zusammen, danach bleibt der Cocktail aus, du kannst zum ersten Mal seit 40 Jahren wieder frei fühlen. Waren die 40 Jahre verschwendet?

Yanāpaw
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Mo 16. Apr 2007, 17:26 - Beitrag #19

Wah Ipsissimus, da habe ich mal eine kurze Aktivitätsauszeit und will ausstehende Antworten nachholen und dann kommt sowas. ^^ Ok ich versuche mich mal so konkret auszudrücken wie mir möglich:

(Ich splitte das mal)
Yanãpaw, hältst du die mit Liebe einhergehenden "technischen" Vorgänge im Körper für Liebe?


Nein, der biochemische Nachweis respektive die biochemische Funktion von Liebe ist nicht Liebe, es war ein Versuch von mir, die Komplexität der Definition zu vermeiden, indem ich Symptome anführte. Ich weiß nicht, ob Liebe mehr ist, als Biochemie, aber ich hoffe es sehr. Ich will wirklich mal wahre Liebe empfinden und nach Möglichkeit auch über längere Zeit und glaube daher dass Liebe mehr ist als die Summe der Symptome und der Biochemie. ^^


Genauer gefragt, hieltest du es für Liebe, wenn dir ein wie auch immer gearteter Drogencocktail im Sine eines "Liebestrankes" vorgesetzt würde, der an deinen Hormondrüsen so zupft, daß du gar nicht anders könntest, als dich meinetwegen in die erstbeste Person zu verlieben, die dir über den Weg läuft?


Zunächst idealisiere ich Liebe (in Grenzen tut das wohl außer dem absoluten homo faber jeder Mensch) und bin daher geneigt das zu verneinen. Denn in vorliegendem Fall wäre es ja eine extern induzierte biochemische Konstellation, was zwar bei Reizreaktionen auch der Fall wäre, dann aber eine adäquate Reaktion auf tatsächliche Reize, die eine tatsächliche Affinität implizierte, in vorliegendem Fall wäre es ja eine inszenierte Lüge. Ich bin nicht in der Lage, das so auszudrücken, dass meine Meinung klar würde, versuche es aber dennoch. ^^ Tatsächliche Liebe bedarf der Freiwilligkeit, ohne freiwillig zu sein, und der bewussten Handlung, obwohl sie sich unbewusst manifestiert, sie muss offen sein, auch wenn sie hinterlistig beeinflusst. In deinem konstruierten Fall, würde ich biochemisch lieben, aber nicht tatsächlich lieben, weil die Person, die ich liebte ja nicht diese reaktionen ausgelöst hätte, ergo muss ich konstatieren, dass Liebe mehr ist als Biochemie, was allerdings - meiner Definition nach - das Mehr ist, das vermag ich nicht zu erklären.



Waren die 40 Jahre verschwendet?


Das ist ziemlich heftig, meine vorläufige Antwort:

Wenn die Frau, die ich liebte, mich auch aufgrund dieses Tranks geliebt hätte, dann war es induzierte Liebe, der möglicherweise etwas gefehlt hat. Andererseits war es dennoch, so etwas wie Liebe und vermutlich wären wir glücklich gewesen, so dass die Jahre nicht verschwendet gewesen wären, auch wenn die Chance bestanden hätte, dass wir beide - ohne die Gefühlsinduktion/Manipulation - jeweils einen anderen Menschen tatsächlich geliebt hätten, was natürlich der manipulierten Liebe vorzuziehen gewesen wäre.

Möglichkeit 2 ist, dass die Frau glaubte mich tatsächlich zu lieben und mir den Trank bewusst apllizierte, was allerdings meiner Definition von wahrer Liebe zufolge ein Widerspruch in sich wäre, da sie mich nicht einerseits tatsächlich lieben und andererseits derart manipulieren könnte. Wie dem auch sei, dann wäre ich vermutlich auch glücklich gewesen und sie auch, sofern sie ihr Tun irgendwie ausblendete oder vergäße, was bedeutete, dass die 40 Jahre nicht verschwendet wären, obwohl natürlich auch hier die Möglichkeit tatsächlicher Liebe mit einem anderen Menschen zu bedenken ist.

Nun kommt die (imo) schwierigste Option, wenn ich die Frau aufgrund des Tranks liebte und sie mich nicht (warum sie mir 40 Jahre vorspielt mich zu lieben ohne es zu tun und ob das überhaupt möglich ist sei mal dahingestellt), dann wären die 40 Jahre für sie auf jeden Fall verschwendet, für mich wären sie Glück gewesen, allerdings Glück, das mehr noch auf Lüge basierte, als in den vorigen Möglichkeiten. Ich könnte also entweder sagen, die 40 Jahre wären gut gewesen, indem ich mein Glück priorisierte, oder die 40 Jahre als verschwendet bezeichnen, als Konsequenz ihres Unglücks. Nun wenn mein Gefühl über die 40 Jahre tatsächliche Liebe gewesen wäre, dann würde ich dazu neigen, sie als verschwendet zu betrachten, weil die Lüge dann viel schwerer wöge und mein Interesse an ihrem Glück existentiell, handelte es sich nur um den biochemischen teil tatsächlicher Liebe, würde ich vermutlich mein Glück priorisieren. Wüsste ich nicht, ob es tatsächliche Liebe war, oder nicht, dann würde ich zu meinem Glück tendieren, weil ich tatsächliche Liebe so definiere, dass ich es wüsste. ^^

Ok das war sehr verwirrt und vermutlich nicht wirklich worauf du hinauswolltest, kannst du die Frage neu formulieren. ^^

janw
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Mo 16. Apr 2007, 22:34 - Beitrag #20

Zunächst einmal wird das Konzept der Unterscheidung von hardware und software wohl nicht unbedingt den Verhältnissen im Gehirn gerecht - man vermutet zwar, daß es Informationsspeicherung auf zellulärer Ebene gibt, wie die aber funktioniert, da tappt man noch reichlich im Dunkeln, wenn ich das richtig sehe. Wird wohl eine molekulare Konfiguration sein, denke ich - was am Ende darauf hinausläuft, daß hardware gleich software ist, der Infomationscharakter liegt dabei in der jeweiligen Konfiguration der hardware.
Womit wir dann auch an des Pudels Kern kommen - ähmm...oder ist doch noch etwas dahinter?^^ - im Gegensatz zu allen Versuchen neuronaler Netze sind unsere Konfigurationsmerkmale hochgradig flexibel, oder besser flexiv, d.h. sie sind in ständiger Veränderung begriffen. Alle die "Filter", Prägungen usw. sind in Verknüpfungen manifestiert, durch die Zellen, Zellgruppen, Zentren und Hirnregionen untereinander verbunden sind, wobei der Grad der Verknüpfung und damit die Stärke der Verbindung zwischen den in den jeweiligen Zentren manifestierten Informationen oder Verarbeitungspotentialen vor allem durch die Zahl der Synapsen an den Bahnen repräsentiert wird.
Ergänzt wird das System dadurch, daß es verschiedene "Sprachen" im Hirn gibt in Gestalt verschiedener Neurotransmitter, wobei die Zellen und Zentren unterschiedlich "sprachbegabt" sind - manche kommunizieren nur in einer, manche in mehreren "Sprachen", so daß bestimmte Kommunikationen zwischen den Zentren parallel stattfinden können und andere Zentren davon mehr oder weniger nichts mitbekommen, weil sie nicht die gerade genutzte "Sprache" verstehen.
Ich denke, daß gerade hierin ein Schlüssel für das weitere Verständnis von Hirnfunktionen liegt - zum einen ist offensichtlich, daß "Mehrsprachigkeit" die Kapazität ein und derselben Verknüpfungsstrecke erheblich erhöht - zum anderen erlaubt sie aber vor allem, daß verschiedene Prozesse über dieselben Bahnen gesteuert werden können, ohne sich gegenseitig zu behindern.

Sei ergänzend noch angeführt, daß eine Reihe von Wirkstoffen genau einzelne Neurotransmitter imitieren oder abfangen, was dem Hirn den Eindruck vermittelt, es werde gerade in der und der "Sprache" gesprochen oder auch nicht. Das betrifft sowohl alle Drogen, wie auch die Medizin mit diesem Prinzip arbeitet, wenn sie versucht, neurologische Erkrankungen zu behandeln, die eben auch sehr oft in einer Abweichung des Neurotransmitterhaushaltes bestehen.

Ein Problem macht mir dabei nun aber zu schaffen:
Wenn wir eine fremde Sprache hören, dann ist unser Bewusstseinsoutput nicht "unknown command", sondern auch eine fremde Sprache löst etwas in uns aus. Dieses Gefühl entzieht sich wohl der rein mechanistischen Erklärung - wohl, weil die "Mechanik" nur die Basis ist, auf der die Hirnleistungen als Emergenzen beruhen.

Konkret, was wäre der Unterschied, wenn wir eine Zen-Meditation mit deutschen Übersetzungen der japanischen Texte machen würden - bzw. muss die Wirkung bei Japanern oder Sprachkundigen nicht zwangsläufig anders sein?

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