Welche Philosophen bzw. Philosophien haben euch nachhaltig geprägt?

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und der Wahrheit.
Maurice
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Mi 6. Jun 2007, 17:50 - Beitrag #1

Welche Philosophen bzw. Philosophien haben euch nachhaltig geprägt?

Nach den Musik-, Film- und Geschichtsthreads hier der entsprechende Philo-Thread. Vorneweg: Das ist ein Softcore-Philo-Thread, also keine Angst bezüglich eigener Meinungsäußerungen! :)
Hier soll es um "Philosophie" im weiten Sinne gehen, also auch im Sinne von "Weltanschauungen" und "Lebenseinstellungen". Es ist daher auch in Ordnung den Dalai Lama oder den Feminismus zu nennen, wenn diese einen mit ihrer Weltsicht geprägt haben... notfalls geht auch Heidegger o.ä. ;)

1. Als mir das Thema einfiel dachte ich zuerst an Nietzsche, weil er der erste Autor war, mit dem ich mich intensiver beschäftigt hatte und meinen Einstieg in die philosophische Literatur darstellte. Ich kam aber dann schnell zu dem Schluss, dass er wohl nicht zu den Autoren gezählt werden kann, die einen dauerhaften Einfluss auf mich gehabt haben, da er nur kurze Zeit stilprägend für mich war und meine inhaltlichen Übereinstimmungen mit ihm schon vorher gegeben waren.
2. Was schon eher prägend war, war Benthams Utilitarismus auf Grund der Betonung des Zweck-Mittel-Denkens. Iirc haben wir in der Schule nur Benthams Version behandelt und nicht Mills Utilitarismus oder gar moderne Formen. Ich selbst war über mehrere Jahre Utilitarist, habe den Standpunkt aber seit einiger Zeit gegen einen Amoralismus eingetauscht. Desweiteren schätze ich den Utilitarismus für mich als prägend ein, da sein Zweck-Mittel-Denken den Schritt zu einem Amoralismus "einfacher" gestaltet als z.B. bei einer kantischen Moralphilosophie.
3. Als einzelner Philosoph war schätzungsweise Mario Bunge bisher am prägensten - nicht inhaltlich sondern formal. Ich habe im zweiten Semester ein Seminar besucht, in dem nur sein Buch "Über die Natur der Dinge" behandelt wurde und das mich damals sehr beeindruckt hat (andere hat es zu tode gelangeweilt). Der Aufbau des Buches machte auf mich einen sehr systematischen Eindruck, es erschien streng gegliedert, der Autor war um präzise Definitionen bemüht, die bei seinen Problemlösungsversuchen eine entscheidende Rolle spielten. Dieses Buch bewirkte bei mir soetwas wie einen "onthological turn" bei mir, der sich dann zu einem "analytic turn" entwickelte.
Ob ich das Buch heute noch immer so beeindruckend finden würde, weiß ich nicht. Ich will es deshalb bei Gelegenheit nochmal lesen, um das zu prüfen. Negativ ist bisher festzuhalten, dass wenn ich das Buch einigermaßen korrekt in Erinnerung habe, mir in diesem aus heutiger Sicht zuviele Probleme verkürzt behandelt wurden. Aber es war ja wie gesagt auch primär vom Stil her prägend und nicht vom Inhalt.

Ich schätze, dass ich insgesamt wenig von anderen Philosophen und Philosophien geprägt wurde (zumindest soweit ich das bewusst beurteilen kann). Ich habe mir primär immer eigenständig Gedanken gemacht und Standpunkte entwickelt. Das resultiert wahrscheinlich auch mit daraus, dass ich mich auf keinen Autor fixiert habe und mich ab meinem Studium darum bemüht habe, viele verschiedene Standpunkte kennenzulernen.

Ipsissimus
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Fr 8. Jun 2007, 23:50 - Beitrag #2

fällt mir schwer, die Frage zu beantworten. Mich haben viele Philosophen eine Zeitlang begleitet, aber ich bin nicht der Typ, der Philosophie von anderen Fächern und Zusammenhängen loslösen würde, weswegen ich neben Philosophen auch Soziologen, Ethnologen, Anthropologen und Psychologen nennen müsste, die unterschiedslos in den Pool hineingeflossen sind.

die vier wichtigsten für mich sind ganz klar Luhmann, Derrida, Bourdieux und Foucault (Michel); außerdem Sartre, Camus, Weber, Nietzsche, Kant, Thomas, Scrotus, Eckhardt

Lykurg
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Sa 9. Jun 2007, 00:56 - Beitrag #3

Ich habe mich kaum je ernsthaft mit philosophischen Texten auseinandergesetzt - ein bißchen Platon, Heraklit, Theophrast u.a. übersetzt, zwangsläufig etwas Kant gelesen, später etwas mehr Nietzsche, in Wien ein Eckchen Wittgenstein, Benjamin, Kracauer, Adorno, außerdem gelegentlich querbeet was Sekundäres. Eine bestimmte Prägung kann ich nicht feststellen.

Padreic
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Mo 18. Jun 2007, 21:46 - Beitrag #4

Mich hat relativ früh ein ganzer Haufen von Philosophen irgendwie geprägt, da mein erster ernsthafter Kontakt mit Philosophie die Hirschberger-Philosophiegeschichte war. Die hat mich sicher ziemlich geprägt, hab sie damals auch vorwärts und rückwärts gelesen. Thomas von Aquin hatte wohl was Einfluss auf mich, da er mir einen Schubs auf meinem damaligen Weg zu Gott gegeben hat. Und etwas von den kantschen Gedanken zu verstehen, muss auch prägen ;).

Da wurden jedoch einige Philosophen, die mich nachher am meisten beeindruckt haben, recht stiefmütterlich behandelt: Kierkegaard, Nietzsche, Berkeley, Heidegger und Duns Scotus würd ich so nennen.
Kierkegaards "Krankheit zum Tode" war sicherlich das erste philosophische Buch, was mich wirklich beeindruck hat; hatte sowohl eine tiefe und systematische Gedankenführung als auch Bezug zu meinem Leben.
Der Herr Nietzsche hat mich insofern geprägt als er mir wieder einen Schubs von Gott weg gegeben hat. Berkeley hat mir gezeigt, dass ein Empirismus noch lange keinen (naiven) Materialismus bedeuten muss; Heidegger, wie man in modernen Zeiten philosophieren kann. Duns Scotus zeigt mir momentan, wie man mit einer strengen Systematik (fast schon glasperlenartig) auf (im weiteren Sinne) analytische Weise Metaphysik betreiben kann, die nicht-trivial ist. Mal schauen, vielleicht schreib ich sogar eine Hausarbeit über die Eigentümlichkeiten des Seienden ;).

Maurice
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Mo 18. Jun 2007, 21:58 - Beitrag #5

Manch analytischer Philosoph würde jetzt einwenden, dass du das Wort "sein", indem du es substantivierst, falsch benutzt und damit zu jede Menge metaphysischen Unsinn gelangst. Würde mich mal interessieren, wie ein Metaphysiker auf diesen Vorwurf reagieren würde. Schreib darüber mal ne Hausarbeit und ich lese sie gerne. ^^

@Nietzsche: Aber letztlich bist du doch bei Gott geblieben, oder? Inwiefern hat er dich also nachhaltig geprägt?

@Ipsi: Was ist mit den asiatischen Philosophien, vor allem Zen? Bisher hatte ich den Eindruck, dass dies sehr wichtig für dich sei. :confused:

@Eigene Prägung: Hatte komischerweise den Skeptizismus vergessen, der mich immerhin von meinem naiven Szentismus abgebracht hat, der mich über (relativ) viele Jahre dominiert hat.

Ipsissimus
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Di 19. Jun 2007, 13:53 - Beitrag #6

Maurice, ich habe mich dem Zen eher praktisch genähert. Dass Koans "philosophisch angehaucht" sein mögen, will ich dabei nicht abstreiten, aber ihre Zielrichtung ist doch eher psychologischer Natur. Natürlich habe ich Dogen, Hakuin, Suzuki, Lasalle, Dürckheim und wie sie alle heißen, gelesen, und natürlich hat mich diese Lektüre immer weiter zum Zen drifften lassen, aber irgendwie scheint es mir, als sei diese Lektüre doch eher das "Uneigentliche" der Auseinandersetzung mit dem Zen, während das "Eigentliche" Meditation und Koan sind.

Traitor
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Mi 20. Jun 2007, 10:33 - Beitrag #7

Die Philosophie, die mich und sicher auch alle anderen hier am stärksten geprägt hat, ist die des Christentums, bzw. deren in Alltag und allgemeines kulturelles Bewusstsein heruntergebrochene Form. Denn in ihr sind wir aufgewachsen, sie hat also unsere ganze Denkweise geprägt, und mit ihr werden weiterhin von den meisten Menschen die Regeln begründet, nach denen wir leben.
Mehr im Sinne einer echten philosophischen Beeinflussung als dieser allgemeinen "Hintergrundstrahlung" hat mich kaum ein Philosoph ernsthaft geprägt, da ich mich mit kaum einem ernsthaft beschäftigt habe. Am ehesten noch Albert Camus, mit dessen Ansichten ich aber auch vorher schon weitgehend übereinstimmte und nur interessante Formulierungs- und Perspektivanleihen bei ihm nehmen konnte.
Den entscheidenden Beitrag zur Bildung meiner philosophischen Ausrichtung lieferten wohl die Wissenschaft, die Geschichte und die Wissenschaftsgeschichte, sozusagen. Schon als Kind habe ich Unmengen populärwissenschaftliches Zeug und Wissenschaftler-Biographien gelesen, und die allgemeine Beschäftigung mit Wissenschaften und Wissen an sich führte dann zu einer logisch-skeptizistisch-atheistisch-humanistischen Grundeinstellung.

Maurice
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Mi 20. Jun 2007, 20:36 - Beitrag #8

@christliche Prägung: Ich bin skeptisch, was den Einfluss des Christentum auf mich angeht. Das hier zu diskutieren, wird wohl etwas zu speziell, weshalb ich dazu mal einen neuen Thread aufmache -> hier


Natürlich will ich unter anderem gerade deine Meinung dazu hören, hast du doch, die These aufgestellt. :)

Padreic
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Do 21. Jun 2007, 20:11 - Beitrag #9

@Maurice:
Ad 'Seiendes': Da liegt ein Missverständnis vor, die Begriffe des Seienden und des Seins sind zu trennen. Auch ein analytischer Philosoph kann darüber reden, was es bedeutet zu sein, also Seiendes zu sein, genauso wie er darüber reden kann, was es bedeutet, Mensch zu sein. Ein Eigentümlichkeit des Menschseins ist beispielsweise das zum Lachen fähig sein (das ist zumindest das klassische Beispiel). Genauso war es im Mittelalter Konsens, dass es Eigentümlichkeiten des Seins gibt, was vor allem das Ding-Sein, das Eins-Sein, das Gut-Sein, das Etwas-Sein und das Wahr-Sein sind. Kann dir aber auch nicht viel mehr darüber sagen, da ich ja besagte Hausarbeit noch nicht geschrieben habe ;).

Ad 'Gott': Ich glaube in einem engeren Sinne sicherlich nicht an Gott. Dafür will ich Nietzsche sicherlich nicht verantwortlich machen, er war sicherlich ein Auslöser unter mehreren, aber natürlich nicht der wahre Grund.

e-noon
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Do 21. Jun 2007, 23:15 - Beitrag #10

Ich kann mich nicht erinnern, dass Philosophen mich nachhaltig geprägt hätten, weil ich sehr spät mit den Philosophien bekannter Persönlichkeiten in Berührung kam und mir da schon die meisten Meinungen gebildet hatte - die dann entweder bestätigt wurden (Gesang/humaner Utilitarismus) oder eben, es wurden ihnen andere Meinungen entgegengestellt, aber mir fällt spontan keine ein, die mich in einem Punkt umgestimmt oder überzeugt hätte, eher manchmal ergänzt.
(Phytagoras hat mich vielleicht ein wenig geprägt, aber nicht in seiner Eigenschaft als Philosoph ^^)

@Padreic:
Ich glaube in einem engeren Sinne sicherlich nicht an Gott.
Was meinst du damit?
Dafür will ich Nietzsche sicherlich nicht verantwortlich machen, er war sicherlich ein Auslöser unter mehreren, aber natürlich nicht der wahre Grund.
Kennst du den wahren Grund?

Padreic
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Do 21. Jun 2007, 23:52 - Beitrag #11

@e-noon
Gesang
? ;)

Was meinst du damit?
Dass die Situation kompliziert ist, ich aber nicht an Gott glaube? ;)
Nunja, ich bete noch ab und zu, aber selten und ohne Inbrunst, ohne wirklichen Glauben wohl genauer gesagt. Ab und zu danke ich Gott für irgendwas, meist einer langsamen verschleißenden Gewohnheit nach für Ampeln, die gerade dann grün werden, wenn ich komme. Ich zweifle Gottes Existenz nicht an (was nicht das gleiche ist, wie dass ich mir ihrer sicher bin). Ich höre seine Ratschläge an. Irgendwo sehe ich wohl das Christentum für das richtige und das, was man glauben sollte, an (wenn auch nicht mit voller Überzeugung). Aber mir fehlt halt der Glaube.

Kennst du den wahren Grund?
Dass ich nie wirklich geglaubt hab, was sonst? So leicht verliert man echten Glauben nicht. Aber wenn er von Anfang an schon so'n bisschen hohl ist, dann kann er halt zusammenkrachen, früher oder später; langsam vergehen bei einer gewissen äußeren Erschütterung trifft's wohl noch besser.
Ich bin niemand, der sich gern auf Dauer selbst was vormacht. Falsch leben, meinetwegen, aber sich selbst anlügen ist die größere Sünde.

e-noon
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Fr 22. Jun 2007, 01:48 - Beitrag #12

Ja, Gesang ;)

Das klingt für mich etwas verwirrend ;) Du zweifelst Gottes Existenz nicht an, aber dir fehlt der Glaube. Würdest du dich als Agnostiker bezeichnen (die enthalten sich da auch gerne)? Inwiefern hörst du seine Ratschläge (an)? Das klingt, als hättest du da einen sehr direkten Draht ;) Vielleicht solltest du das mal gegenüber anderen thematisieren, fragen, ob die das auch hören...? ;)

Oder meinst du, das, was du als das vom Christentum als Gottes Rat angepriesene verstehst, hörst du dir an und verfolgst es? (Dann würde mich sehr interessieren, wie streng, denn viele sind doch eher aufklärerisch geprägt und denken, ihr Gedankengut entstamme dem Christentum).

was sonst?
Sehr schmerzvolle Ereignisse können den Glauben erschüttern, oder prägende Erlebnisse wie eine völlig fremde Kultur, die ihre eigenen absurden Gotteskulte betreibt und einem aus dieser Perspektive klarmacht, wie suspekt das ganze doch ist... ^^ Bei Interesse fallen mir sicher noch ein paar andere Möglichkeiten ein.

aber sich selbst anlügen ist die größere Sünde.
:music:

Die Gewohnheiten, die sich länger halten als der Glaube, sind mir bekannt, aber seit einer Weile ist bei mir die Ablehnung stärker... ich werde keinem danken, der, wenn er Ampeln grün werden lässt, woanders auch Kinder verrecken lässt.

Irgendwo sehe ich wohl das Christentum für das richtige und das, was man glauben sollte, an
Warum?

Padreic
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Fr 22. Jun 2007, 20:23 - Beitrag #13

Das klingt für mich etwas verwirrend

Niemand sagt, dass es einfach ist. Wirklichkeit tendiert selten dazu, einfach zu sein...deswegen sind Kategorisierungen (wie beispielsweise Atheist-Agnostiker-Theist) auch nur, um in eine Sache reinzukommen; wenn man genauer hinschaut sagen einem solche Kategorisierungen nur wenig, auch wenn sie naiv-logisch stimmig sein mögen.

Inwiefern hörst du seine Ratschläge (an)? Das klingt, als hättest du da einen sehr direkten Draht Vielleicht solltest du das mal gegenüber anderen thematisieren, fragen, ob die das auch hören...?

Vielleicht hätte ich es nicht erwähnen sollen, da es vermutlich auch nicht stimmt; aber man sollte Dinge nicht voreilig ausschließen. Im übrigen möchte ich dich bitten, dich nicht über mich lustig zu machen. Wenn man den Bach plätschern lässt und ihn nicht in ein Bett aus Beton legt, kommen eben manchmal seltsame Sachen bei raus.

Sehr schmerzvolle Ereignisse können den Glauben erschüttern, oder prägende Erlebnisse wie eine völlig fremde Kultur, die ihre eigenen absurden Gotteskulte betreibt und einem aus dieser Perspektive klarmacht, wie suspekt das ganze doch ist... ^^ Bei Interesse fallen mir sicher noch ein paar andere Möglichkeiten ein.

Ja, möglich ist da sicherlich einiges. Aber es muss schon ein exzeptionelles Ereignis sein. Bei gewöhnlichen Ereignissen tut sich da nicht schnell so viel.

Zur Unterstreichung: ich habe die Vokabel 'Sünde' durchaus mit Absicht gewählt. Unter anderem, weil der Gedanke (in leicht anderer Form) in der "Krankheit zum Tode" von Kierkegaard entwickelt wird, der natürlich theologische Vokabular verwendet. Und man durchaus vertreten, dass theologisches Vokabular noch Sinn macht, selbst wenn der ursprüngliche Unterbau wegfällt.

Die Gewohnheiten, die sich länger halten als der Glaube, sind mir bekannt, aber seit einer Weile ist bei mir die Ablehnung stärker... ich werde keinem danken, der, wenn er Ampeln grün werden lässt, woanders auch Kinder verrecken lässt.

Durchaus verständlich. Das mit den Ampeln ist ja auch eine alberne Sache. Das mit der Theodizee ist sehr verwandt mit der Frage, ob man in seinem eigenen Leben etwas ändern würde, wenn man könnte; oder vielleicht noch mehr, ob man in anderen Leben etwas ändern würde, wenn man könnte. Es ist schwierig zu sagen, wie man etwas ändern kann, so dass es besser würde; insbesondere, wenn man nicht so genau weiß, was besser ist.

Warum?

Nunja, ich sehe, dass ich wohl (momentan) nicht in der Lage bin, wirklich zu sehen, was richtig und falsch ist. Dass ich nicht vom Christentum überzeugt bin und nicht daran glaube, heißt deshalb erstmal nichts. "Die Bibel ist nicht dazu, dass wir sie kritisieren, sondern dass sie uns kritisiert." hat mal jemand gesagt. Wenn wir nicht beurteilen können, wie tief die Einsichten von etwas sind, wie gehen wie dann daran? Setzen wir sie in unsere Reichweite, so dass wir doch es mit unseren Maßstäben messen können? Oder setzen wir es außer außerhalb, so dass wir uns von ihm richten lassen müssen? Tja, das ist eine schwierige Sache. Ich habe da keine Entscheidung getroffen, deswegen stand in meinem Satz auch nur ein 'irgendwo'.
Aber faszinierend ist das Christentum schon. Die Radikalität der Evangelien, die gedankliche Tiefe der Scholastik bis hin zu den Schriften Kierkegaards, der gedankliche Tiefe mit Radikalität vereint.

Tja, aber der Thread sollte wohl nicht eine Auseinandersetzung mit meinem persönlichem nicht-Glauben werden. Wäre wohl auch nicht so fruchtbar.

e-noon
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Fr 22. Jun 2007, 21:12 - Beitrag #14

Das mit der Theodizee ist sehr verwandt mit der Frage, ob man in seinem eigenen Leben etwas ändern würde, wenn man könnte; oder vielleicht noch mehr, ob man in anderen Leben etwas ändern würde, wenn man könnte
Das stimmt, nur finde ich die Frage nicht sehr schwierig; ich würde sehr vieles ändern, in meinem eigenen Leben und in anderen, wenn ich könnte, dh. wenn ich (annähernd) allmächtig wäre.

Ich wollte mich nicht über dich lustig machen, auch wenn ich den Satz lustig fand ^^ sorry, wenn das so angekommen ist.

Wenn man den Bach plätschern lässt und ihn nicht in ein Bett aus Beton legt, kommen eben manchmal seltsame Sachen bei raus.
Manchmal werden auch Keller überflutet ^^ Kann aber so oder so passieren. Ich würde auch keinen Bach einbetonieren, ich finde Bäche sehr schön, allerdings bin ich nicht sicher, wofür die Metapher genau stehen soll. ?

Mein auch eher gefestigter Glaube hat sich irgendwann im Sande verloren, vor allem, weil ich noch nie (auch nicht als rein neugierig und noch nicht zweifelnd fragendes Kind) plausible Antworten auf meine Fragen bekommen habe, und mit der Zeit vor allem an der Theodizee-frage sowie anhand der einfachen Überlegung, dass ein Gott, der angebetet zu werden wünscht, mir dies schon mitteilen würde. Die Theodizee-frage macht es insofern leichter, dass es entweder keinen Gott gibt, oder, wenn es ihn gibt, er nicht anbetungswürdig ist, weil er seine (nach Meinung vieler Gläubiger geliebten) Kinder, wie schon gesagt, tatenlos im Dreck kriechen lässt.

janw
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Fr 22. Jun 2007, 21:19 - Beitrag #15

Ich sehe es ganz deutlich so, daß man zwar Gott formallogisch wegdefinieren kann, das Christentum entstehungsgeschichtlich und hinsichtlich seiner Akteure und Folgen hinterfragen und ggf. ablehnen, nicht aber den Glauben des Einzelnen - man wolle denn Gefahr laufen, den Glaubenden zu hinterfragen.
Atheismus ist auch nur eine Weltanschauung, aber ohne Missionsbefehl^^

Wenn mich eine geistige Strömung maßgeblich geprägt hat, dann das Christentum in einer undogmatischen protestantischen Form. Andere Philosophien haben mich hier und da mal gestreift, aber einen wirklich Einstieg habe ich erst hier gefunden bzw. bin dazu gebracht worden.

Maurice
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Fr 22. Jun 2007, 22:27 - Beitrag #16

@Pad: Ich habe den Eindruck, dass das bei dir mit Gott momentan eine rein emotionale Kiste ist, bei der Argumente keine Rolle spielen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Gefühl durchgesetzt hat.
Wie gesagt, das ist nur der Eindruck, der die letzten Posts bei mir gemacht haben. Soll jetzt nicht der Anspruch sein, dein Innenleben korrekt wiederzugeben. ;)
Was das "Sein" angeht, belasse ich es hier dabei, obwohl ich noch was dazu schreiben könnte. Ist einfach zu ot.

@Jan:
Atheismus ist auch nur eine Weltanschauung, aber ohne Missionsbefehl

Den kann sich der Atheist aber bei belieben selbst geben. ^^

@e-noon: Ich glaube die Geschichte mit dem Bach soll soviel heißen wie "lass dich emotional auf die Welt ein, ohne zu versuchen, sie durch den Verstand geordnet zu erfassen, da ersteres einen realitätsadequateren Bezug zur ("wahren") Realität ermöglicht, die nicht durch eine rationale Sprache beschrieben werden kann".
Wir beide haben wohl das Pech, dass bei uns schon alle Flüsse einbetoniert oder sogar zugeschüttet sind und wir nur noch das hören, was wir durch unsere Baumaßnahmen selbst verursacht haben. ^^

Feuerkopf
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Fr 22. Jun 2007, 22:54 - Beitrag #17

Zitat von Maurice:...
Wir beide haben wohl das Pech, dass bei uns schon alle Flüsse einbetoniert oder sogar zugeschüttet sind und wir nur noch das hören, was wir durch unsere Baumaßnahmen selbst verursacht haben. ^^


Es gibt immer noch die Möglichkeit, einen Flußlauf zu renaturieren. Das ist dann zwar nicht der Originalzustand, aber vermittelt doch einen Eindruck von nichtkanalisiertem Wasser. Ist einen Versuch wert. ;)

Padreic
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So 24. Jun 2007, 22:27 - Beitrag #18

@e-noon
Mein auch eher gefestigter Glaube hat sich irgendwann im Sande verloren, vor allem, weil ich noch nie (auch nicht als rein neugierig und noch nicht zweifelnd fragendes Kind) plausible Antworten auf meine Fragen bekommen habe
Vermutlich hast du die falschen Leute gefragt ;). Ich habe einen relativ engen Begriff von 'wirklicher' Glauben. Wenn es ein kindlicher Glaube ist, der primär auf Naivität beruht, dann ist es nicht verwunderlich, dass er irgendwann schwindet; genauso, wenn er auf einem Moment der Selbttäuschung beruht oder zumindest ein solches enthält. Kierkegaard sagt, dass Glaube ein Sprung über einen Graben ist, dessen andere Seite man nicht sieht. Das hat etwas faszinierendes, aber weltlich gesehen natürlich auch etwas bescheuertes, wie Kierkegaard auch selbts schreibt (sinngemäß ;)). Deswegen ist nicht-Glaube das verständlichere.

, und mit der Zeit vor allem an der Theodizee-frage sowie anhand der einfachen Überlegung, dass ein Gott, der angebetet zu werden wünscht, mir dies schon mitteilen würde. Die Theodizee-frage macht es insofern leichter, dass es entweder keinen Gott gibt, oder, wenn es ihn gibt, er nicht anbetungswürdig ist, weil er seine (nach Meinung vieler Gläubiger geliebten) Kinder, wie schon gesagt, tatenlos im Dreck kriechen lässt.
Nunja, wenn Gott den Menschen direkt und und unverhüllt mitteilen würde, dass er ist und angebetet werden will, was hätte der Mensch dann noch für eine Wahl, geblendet von dieser Größe? Wenn Gott die Freiheit der Menschen schätzt, kann er es kaum tun. Und dass er es nicht indirekt getan hat, kann man ihm kaum vorwerfen ;).
Und weiterhin hat, denke ich, der Herr Gott wesentlich weniger davon, wenn wir ihn anbeten, als wir ;).

@Maurice:
Ich habe den Eindruck, dass das bei dir mit Gott momentan eine rein emotionale Kiste ist, bei der Argumente keine Rolle spielen. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis sich ein Gefühl durchgesetzt hat.

Nunja, das ist keine akute Sache, währt ja immerhin schon seit drei Jahren. Und dass es euch bis vor ein paar Tagen anscheinend nicht aufgefallen ist, spricht nicht dafür, dass ich allzu emotional an die Sache rangehe ;). Ich bin mir durchaus einiger Argumente im Umfeld der Frage bewusst. Aber ich glaube nicht, dass man da allzu viel rein argumentativ machen kann, da jedes (nicht-triviale) Argument Grundlagen braucht und das gerade eine Frage ist, die an den Grundlagen rüttelt.

"lass dich emotional auf die Welt ein, ohne zu versuchen, sie durch den Verstand geordnet zu erfassen, da ersteres einen realitätsadequateren Bezug zur ("wahren") Realität ermöglicht, die nicht durch eine rationale Sprache beschrieben werden kann"

Oh, das trifft es sogar relativ gut. Aber um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: ich schätze durchaus auch sehr die verstandesmäßige Erfassung meiner Umwelt. Nur muss man, wenn man über den Alltagsgebrauch hinaus geht, sehr behutsam sein und, wie du so schön sagst, das Plätschern des Baches aus dem unvermeidlichen Lärm der Baumaßnahmen, die jegliches begriffliches Erkennen mit sich bringt, versuchen, herauszuhören.

Maurice
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Mo 25. Jun 2007, 00:44 - Beitrag #19

Kierkegaard sagt, dass Glaube ein Sprung über einen Graben ist, dessen andere Seite man nicht sieht. Das hat etwas faszinierendes, aber weltlich gesehen natürlich auch etwas bescheuertes

So bescheuert finde ich das gar nicht. Ich neige dazu, diese Metapher sogar noch auf weltliche Dinge zu erweitern, weil wir auch über diese kein sicheres Wissen besitzen und uns daher auf unseren Glauben verlassen müssen. ("Glauben" ist hier im weiten Sinne gemeint, also auch "nicht-religiöser Glauben".)
Wir springen ständig, ohne sicher zu wissen, wie wir landen werden. Wir können uns dabei aber mehr oder weniger sicher fühlen, wobei eine gut begründete Meinung diesem förderlich sein kann.

Oh, das trifft es sogar relativ gut.

Das freut mich! Ich habe mich darum bemüht, es sachlich und wertfrei zu übersetzen.

ich schätze durchaus auch sehr die verstandesmäßige Erfassung meiner Umwelt.

Dessen bin ich mir bewusst. ^^

@Bach: Letztlich ist es imo alles nur subjektive Plausibilität, nicht ein irgendwie an sich zwingendes Argument, weshalb wir an das eine oder andere glauben. (Argumente können dabei Einfluss auf die Plausibilität haben, sind aber nicht immer notwendig.) Wenn du möchtest, dass ich meine Perspektive auf die Welt ändern, musst du mir deine Sicht plausibel machen und das funktioniert am besten mit Argumenten.
Ich sehe die Welt nicht als einen Bach, dem wir mit großen Erfolg passiv zuhören können. Jeder Erkenntnisversuch des Baches bedeutet notwendig Aktivität. Die Wahrheit strömt nicht in uns hinein, sondern wir erhalten Reize, die wir zu Informationen verarbeiten und zu Theorien und Modellen zusammenbasteln. Wollen wir dem Wesen des Baches tiefer auf den Grund gehen, so müssen wir imo auf ihn einwirken. Jeder Versuch des passiven Zuhörens kann nur oberfläschliches und wenig strukturiertes (hypothetisches) Wissen zur Folge haben.
Die Welt verrät uns ihre Geheimnisse nicht ohne weiteres, indem wir sie nur betrachten, sondern wir müssen sie ihr entlocken.
Ich denke da an Kant: Der Mensch als Experimentator hat für Kant nicht mehr die "Qualität eines Schülers", der sich passiv von der Natur belehren läßt und an ihrem "Leitbande" (Kant) gegängelt wird. Seine neu gewonnene Autorität verleiht ihm vielmehr den Status eines Richters, der nun die Natur nötigen kann, auf gestellte Fragen zu antworten.

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Di 26. Jun 2007, 18:15 - Beitrag #20

@Maurice:
Wenn du möchtest, dass ich meine Perspektive auf die Welt ändern, musst du mir deine Sicht plausibel machen und das funktioniert am besten mit Argumenten.
Warum sollte ich das wollen? Deine Ansicht ist erstmal deine Sache; sie ist auch nicht unplausibel und ich schätze sie nicht so ein, dass sie für dich direkt schädlich ist. Mag sein, dass ich mich freuen würde, wenn du deine Ansichten änderst, aber ich würde mir nicht anmaßen, gezielte Bemühungen zu treffen, dazu beizutragen.

Ich denke da an Kant: Der Mensch als Experimentator hat für Kant nicht mehr die "Qualität eines Schülers", der sich passiv von der Natur belehren läßt und an ihrem "Leitbande" (Kant) gegängelt wird. Seine neu gewonnene Autorität verleiht ihm vielmehr den Status eines Richters, der nun die Natur nötigen kann, auf gestellte Fragen zu antworten.

Ein passiver Schüler sind wir sicherlich nicht. Wir müssen schon bohren. Aber Richter sind wir dennoch nicht und wir haben auch nicht die Macht, die Natur zur Antwort auf unsere Fragen zu nötigen. Wir können sie vielleicht dazu nötigen, irgendetwas zu sagen, aber das heißt noch lange nicht, dass uns das in unserem Verständnis groß weiterbringt ;). Es gibt einiges, das sich uns verbirgt.

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