Video, ergo sum

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Fr 24. Aug 2007, 09:15 - Beitrag #1

Video, ergo sum


janw
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Fr 24. Aug 2007, 11:31 - Beitrag #2

Hier mal die Kernsätze des Spiegel-Textes:

Forscher lassen Menschen aus dem eigenen Körper fahren

Von Stefan Schmitt in "Spiegelonline" 23.8.2007

Menschen mit todesnahen Erfahrungen und intensiven Träumen berichten von dem Gefühl, sich selbst von außen zu sehen. Jetzt kann das jeder erleben: Forscher haben die Illusion mit verblüffend einfachen Mitteln künstlich erzeugt - und stellen die gesamte Vorstellung vom Ich in Frage.
Wenn die Augen den Körper verlassen, wandert das Selbst dann mit ihnen? Diese auf den ersten Blick eigentümliche Frage beschäftigt den schwedischen Psychologen Henrik Ehrsson schon seit seinem Studium. Natürlich ist das Gedankenspiel als solches unrealistisch. Allerdings berichten Menschen immer wieder von dem Gefühl, außerhalb des eigenen Körpers zu stehen: Patienten mit neurologischen Erkrankungen etwa oder Schlaganfall-Opfer. Auch Menschen, die für kurze Zeit klinisch tot waren, erzählen zuweilen von so genannten Nahtod-Erlebnissen und damit verbundenen außerkörperlichen Erfahrungen. Bis zu zehn Prozent der Bevölkerung erfahren irgendwann im Leben wenigstens einmal eine "out-of-body experience" (OBE), wie Fachleute die Sinnestäuschung nennen.

Forscher berichten nun in gleich zwei Beiträgen für das Wissenschaftsmagazin "Science" (Bd. 317), wie sie bei kerngesunden Versuchspersonen ähnliche Illusionen hervorgerufen haben, mit Hilfe von Videokameras und einer 3D-Brille.

Ehrsson, der am University College in London und dem renommierten Stockholmer Karolinska-Institut forscht, filmte seine Versuchspersonen von einem Punkt etwa zwei Meter hinter ihrem Rücken aus. Er übertrug die Bilder in Echtzeit auf die Videobrillen vor den Augen der Probanden. Das rechte und das linke Auge erhielten dabei leicht versetzte Ansichten, so dass der räumliche Eindruck entstand, die Person betrachte den eigenen Körper von hinten.
Dann berührte der Wissenschaftler mit zwei Plastikstiften die Brust des Test-Teilnehmers - außerhalb des Blickwinkels der Kamera - und zugleich jene Stelle im Raum, an der sich die Brust des virtuellen Körpers befand.
Daraufhin glaubten die Versuchspersonen, sie hätten tatsächlich hinter ihrem eigenen Körper gesessen und ihn von dort aus beobachtet. Ehrsson:"Viele von ihnen haben gekichert und sagten, 'Wow, so was Verrücktes!'"

In einem zweiten Experiment schlug Ehrsson dann mit einem Hammer auf die virtuellen Körper der Probanden ein, die Elektroden an deren realer Haut registrierten daraufhin typische Symptome für Stress.
"Wir fühlen, dass unser Ich dort lokalisiert ist, wo unsere Augen sind", meint Ehrsson. Prinzipiell sei die Illusion auch nicht auf Sitzen oder Stehen beschränkt, erklärte Ehrsson gegenüber SPIEGEL ONLINE.


Das Londoner Experiment, ein Lehrstück perfekter Illusion?
Darum geht es gar nicht, findet eine deutsch-schweizerische Forschergruppe, die an der École Polytechnique Fédérale de Lausanne ein ganz ähnliches Experiment durchgeführt hat. Im Versuchsaufbau des Neurowissenschaftlers Olaf Blanke und des Mainzer Philosophen Thomas Metzinger wurde den Probanden ebenfalls per Kamera und Videobrille eine entrückte Perspektive geboten (siehe Video). Auch diese Versuchsteilnehmer glaubten, sich selbst von außen zu sehen - auch wenn es sich dabei tatsächlich um eine Puppe handelte. Es gehe aber vielmehr darum, das Bewusstsein des eigenen Körpers zu studieren als außerkörperliche Erfahrungen, sagte Bigna Lenggenhager aus dem Forschungsteam zu SPIEGEL ONLINE.
"Zu einer klassischen OBE gehört sicher, dass alle Sinnesmodalitäten in den zweiten Körper hinein verlagert werden", sagt Philosoph Metzinger. Deshalb will er bei den beiden Experimenten höchstens von "Teleportations-OBEs" sprechen - und hält Ehrssons Aussage für "ein bisschen dick aufgetragen". Immerhin, das Ich-Gefühl lässt sich gezielt manipulieren - so viel steht fest.


Anwendungen könnte Ehrsson sich bei Videospielen und Teöe-Operationen vorstellen, wenn Chirurgen die Illusion vermittelt werde, sie befänden sich direkt am Operationstisch.

Doch Psychologen, Hirnforscher und Philosophen interessieren sich aus einem ganz anderen Grund für die außerkörperlichen Erfahrungen - und dafür scheinen ausgerechnet die primitivsten Experimente am besten geeignet zu sein. "Wir haben hier die einfachste Form von Ich-Gefühl gezeigt", sagt Metzinger. Schon vor drei Jahren hatte Ehrsson vorgeführt: Im prämotorischen Cortex setzt das Gehirn Informationen zusammen, um zu entscheiden, ob ein Gliedmaß zum eigenen Körper gehört oder nicht. Schon mit der Gummiattrappe einer rechten Hand ließen sich seine Probanden damals reinlegen (mehr...).


Visuelle Reize allein reichten also aus, um die gesamte Körperwahrnehmung zu verwirren, was Metzinger so deutet:
Hier habe man "die einfachste Form von Ich-Gefühl" manipuliert. Und das habe weitreichende Konsequenzen für das Bild vom Menschen. Angefangen bei Descartes seien Philosophen vom rationalen Ego ausgegangen, hätten das Ich geradezu metaphysisch erhöht. Bis heute hält sich diese Vorstellung: Man könne zwar nicht erklären, was das Selbst ausmacht - aber es müsse mit Reflexion und Selbsterkenntnis zu tun haben, und einzigartig mache es den Menschen auch.

Metzinger fügt hinzu:
"Dieses Experiment könnte man genauso mit Affen machen", sagt Metzinger. "Die könnten vielleicht nicht so gut den Fragebogen ausfüllen, aber alles andere würde genauso funktionieren." Die Einheit von Körper und Ich-Empfinden gehört zur Grundlage des Selbstbewusstseins - und offenbar ist das Gehirn ständig damit beschäftigt, unterschiedliche Sinnenseindrücke zu einem stimmigen Körperempfinden zu verbinden. Da lässt sich im Experiment zwar hereinpfuschen - bewusst steuern kann der Mensch selbst es aber nicht.


"Das sitzt viel tiefer", sagt Metzinger. Er sieht die Chance, dass Psychologen und Hirnforscher das Ich-Bewusstsein nun stückchenweise auseinandernehmen und auf seine körperlichen Grundlagen reduzieren können. Sollten sie damit erfolgreich sein, so werden sie wohl auch feststellen, dass es ein Ich, das allem übergeordnet ist, gar nicht gibt. Schon der Titel ihrer Forschungsarbeit klingt wie ein Kampfansage an Ego-Philosophen René Descartes: "Video Ergo Sum" - ich sehe, also bin ich.

janw
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Fr 24. Aug 2007, 17:07 - Beitrag #3

Aber der Punkt 2 m hinter dem Rücken ist doch der Punkt, den der Nagual Carlos Castaneda erklärt hatte...
Will sagen: Wenn es diesen "Omega-Punkt" tatsächlich gäbe oder man davon ausginge, dann hätten die Forscher bei den Probanden vielleicht nur die Bewusstseinsverschiebung an diesen Punkt bewerkstelligt.

Angesichts der zitierten erheiterten Reaktionen der Probanden habe ich den Eindruck, daß hier nur etwas simuliert worden ist, was auf eine Verwirrung eher oberflächlicher Bewustseinsbereiche hinausläuft, als auf eine Anregung grundlegender, an der persönlichen Existenz rührender Bereiche.

Ob das Ich damit so widerlegt worden ist, wie gemeint, bin ich skeptisch - eher denke ich, daß die Freudsche Vorstellung im Lichte heutigen neurowissenschaftlichen Wissens nicht haltbar, weil zu einfach ist, anstelle seines streng hierarchischen Systems könnte ich mir eher ein Netzwerk mit verschiedenen Knotengewichtungen vorstellen, welche vielleicht in Grenzen variabel sind.
Hinsichtlich einer Seele...komm ich irgendwie noch nicht von deren Vorstellung los^^

Feuerkopf
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Fr 24. Aug 2007, 19:11 - Beitrag #4

Da ich ein bisschen Erfahrung mit außerkörperlicher Wahrnehmung habe, finde ich den Artikel und die Versuchsanordnung sehr interessant.
Wichtig ist möglicherweise, dass die Augen eigentlich direkte Fortsätze des Gehirns sind, also "viel näher dran" sind als die anderen Sinnesorgane.
Ob alle OBE wirklich eine Sinnestäuschung sind, halte ich nicht für bewiesen. Diese sind es, aber das menschliche Auge ist sowieso leicht zu veräppeln.

Maglor
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Fr 24. Aug 2007, 20:58 - Beitrag #5

Zum Thema Augen und Sinne: Der Riechkolben ist ebenfalls ganz nah am Gehirn, bedeutend urtümlicher. Außerdem ist die Verarbeitung von Gerüchen beweitem emotionaler als die von optischen Reizen.

Mal für nicht eingeweihte, was hat das jetzt mit Buddhismus genau zu tun? :confused:

MfG Maglor

Padreic
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Fr 24. Aug 2007, 22:23 - Beitrag #6

Ich finde die Experimente jetzt nicht so spektakulär und überraschend....das erste noch ein wenig, weil es vielleicht ein wenig neues über unser Ortsempfinden bezüglich des Körpers aussagt. Aber was das jetzt philosophisch/theologisch tolles aussagen soll, ist mir schleierhaft.

janw
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Sa 25. Aug 2007, 01:11 - Beitrag #7

Maglor, ich verstehe das aus buddhistischer Sicht so, daß der Versuch eben so interpretiert werden kann, daß er zeige, daß alles Bewußtsein nur eine Illusion ist, jede Wahrnehmung ein vergänglicher Windhauch, oder so ähnlich.

Feuerkopf, der Geruchs- und Geschmackssinn sind schneller verarbeitet als der Hör- und Sehsinn, weil sie unüberkreuzt ins Gehirn gelangen und das limbische System an ihrer Verarbeitung beteiligt ist.
Bei der Verschneidung der Sinneseindrücke könnte der Sehsinn etwas dominant sein gegenüber dem Hörsinn, ich weiß aber derzeit nichts genaues über das Ausmaß dessen.
Wie meinst Du das mit dem Auge als Fortsatz des Gehirns? Richtig sehen tun wir ja eigentlich mit der Sehrinde.

Lykurg
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Sa 25. Aug 2007, 12:13 - Beitrag #8

Ich fände interessant, wie gut man Blinde mit solchen Höreindrücken täuschen könnte - aber wie ein entsprechender Versuch aufgebaut sein müßte, weiß ich nicht...

janw, diese schnelle Weiterleitung gilt im Zweifel auch für den Tastsinn? Dann wäre das eine Grundlage der Täuschung - daß die Berührung *eindeutig* wahrgenommen wird, muß auch das Gesehene stimmen? Damit hätte der urtümliche Tastsinn eine latente Höherrangigkeit?

janw
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So 26. Aug 2007, 02:40 - Beitrag #9

Lykurg, wenn schein- oder offenbar das, was landläufig als Ich bezeichnet wird, so stark durch die optische Wahrnehmung beeinflusst wird, dann wäre es eine Frage, wie dieses "Ich" bei Blinden beschaffen ist oder überhaupt existieren kann. Allerdings ist mir nicht bewusst, daß irgendwer mal diesbezügliche maßgebliche Unterschiede auf der psychischen Ebene zwischen Blinden und Sehenden postuliert hätte, was in erster Näherung nicht gerade für die herausragende Rolle des Sehsinnes, noch irgendeines Sinnes für die Konstitution des "Ichs" spricht.

Zitat von Lykurg:janw, diese schnelle Weiterleitung gilt im Zweifel auch für den Tastsinn? Dann wäre das eine Grundlage der Täuschung - daß die Berührung *eindeutig* wahrgenommen wird, muß auch das Gesehene stimmen? Damit hätte der urtümliche Tastsinn eine latente Höherrangigkeit?

Da hast Du mich aber^^, ich habe den Tast- und den Gleichgewichts- und Lagesinn aus dem betreffenden Satz herausgelassen, um ihn nicht verbal zu überfrachten.
Der Tastsinn wird iirc für jede Körperhälfte getrennt verarbeitet, Lage- und Drehsinn im Hirnstamm. In jedem Falle geschieht dies über mehrere Umschaltstellen und damit langsamer als beim Geruchs- und Geschmackssinn.
Beim Tastsinn kommt komplizierend hinzu, daß die gesamte Körperoberfläche auf der Großhirnrinde durch mehr oder weniger große Areale vertreten ist, die besonders sensiblen Bereiche wie Gesicht, Hände und Füße geradezu überdimensioniert.
In dem Versuch war die Rangstufe ja umgekehrt - der Seheindruck führte dazu, daß die Berührung des Bildes einen Tastsinneseindruck an derselben Stelle des Abgebildeten hervorrief. Letztlich funktioniert der Tastsinn aber autonom, Du kannst auch mit geschlossenen Augen gut tasten.

Proxy_Blue
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Do 13. Sep 2007, 21:57 - Beitrag #10

Also ich bin mir bei Weitem nicht sicher, ob man optische Wahrnehmung und Bewusstsein gleichsetzen kann, vielleicht eher mit dem inneren Auge.

Wenn ich mich in Gedanken an einen völlig beliebigen Ort versetze und mich in diesen vertiefe, so komm ich nicht umher zu sagen, dass sich je nach Tiefe mein Bewusstsein, also mein Ich, doch an diesem imaginären Ort befindet.
Also ich würde im Moment denken, dass mein Bewusstsein meinem Gehirn entspringt.
Um festzustellen, wo man sich im Raum befindet, bedarf es meiner Meinung nach dem Seh- oder dem Hörsinn. Die Feststellung im Raum ist doch wichtig, weil jeder sein eigenes Bewusstsein in sich zentriert.
Jan sagte, dass wir eigentlich mit der Sehrinde sehen. Demnach ist es völlig logisch, dass wir unser Bewusstsein dort glauben, wo unsere Wahrnehmung letztenendes ankommt.

Die Versuche mit den Kameras verhalten sich, wenn man es genau berachtet, wie das Bild im Bild. Etwas wird aufgenommen und dieses Bild wiederum auf unseren Sehnerv projiziert. Das Gehirn denk natürlich nun, dass es hinter sich selbst steht, da es das projizierte Bild für wahr hält.

janw
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Fr 14. Sep 2007, 13:20 - Beitrag #11

Zitat von ProxyBlue:Wenn ich mich in Gedanken an einen völlig beliebigen Ort versetze und mich in diesen vertiefe, so komm ich nicht umher zu sagen, dass sich je nach Tiefe mein Bewusstsein, also mein Ich, doch an diesem imaginären Ort befindet.

Hm, Du meinst so Situtionen, wo Du Dich an vergangene Ereignisse oder Orte zurückerinnerst und das Geschehene emotional nacherlebst?
Naja, Deine Erinnerung ist aber hier gespeichert und jetzt, und wird im Moment jetzt und hier Teil Deines Bewusstseins, das ausdrückt, daß Du ein Ich hast, oder bist, wie man will...
Klar, Dein Bewußtsein entspringt Deinem Gehirn. Aber vielleicht nicht nur, einen Anteil trägt das Bauchhirn bei.

Das Problem ist, daß die Sinneswahrnehmung zur Bewusstseinsbildung beiträgt, aber das Bewusstsein letztlich ein Produkt des ganzen Großhirns ist.
Der Versuch spielt an dem Punkt des "wo bin ich?" herum, und scheinbar kann dieser Punkt recht leicht getäuscht werden. Ich glaub aber nicht, daß das "was bin ich?" da mitgewandert ist - eher haben die Leute im Versuch diese Frage ausgeblendet vor Erheiterung, denke ich.

Bild im Bild klingt plausibel. Oder gibts hier Einwände?


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