Zitat von Traitor:Kontingenz ist seit einiger Zeit dein Lieblingswort, oder? ]
Nein, es drückt nur in prägnanter Form das aus, was ich schon länger denke, bzw. gibt es sogar besser wider, weil es das Phänomen vom Kopf benennt, das ich vorher mehr von der Entstehungsseite her betrachtet hatte.
Letztlich sprichst Du doch auch nicht mehr von "sich stark verändernden interstellaren Objekten", wenn Du die Spielleiter des Universums meinst
"Zwänge" sind, wenn es um das Aufstellen eines sauber definierten Systems geht, aber eben nichts allgemein negatives, sondern etwas notwendiges. So, wie man für ein physikalisches Problem Anfangs- oder Randwertbedingungen braucht, braucht ein Welterklärungssystem die Überprüfbarkeit an der Welt als Zwangsbedingung, um zu etwas nutze zu sein. Indem die Philosophie über diesen überprüfbaren Teil hinausgeht, entwickelt sie zwar viel interessantes, von dem sich auch durchaus wieder brauchbare Ansätze auf die Realität herunterbrechen lassen mögen, kann aber eben auch keinerlei Anspruch auf Eindeutigkeit und Korrektheit mehr erheben, wie sie es aber leider meist tut.
Das Problem ist, daß der Rahmen der Naturwissenschaft durch die Beschränkung auf die Abbildung und Erklärung von Realität (i.S.v. Raum des unter standardisierten Bedingungen wiederholbar Nachweis- und Messbaren) begrenzt ist, während darüber weit hinaus geht, was die Geisteswissenschaftler als "Welt" bezeichnen.
Nützlichkeitskalküle waren schon jeher Feinde jeder freien Entfaltung von Wissenschaft, und eine Philosophie, die ihre Erkenntnisse durch ein Sieb naturwissenschaftlicher Maßstäbe gewinnt und deren Wert an der Herunterbrechbarkeit ihrer Ergebnisse auf eine naturwissenschaftlich definierte Realität bemessen wird, läuft auf eine Endlosschleife hinaus, weil nichts anderes als Systemkonformes entstehen kann und bestehen bleibt. Sie hört dann auch auf, Philosophie im Sinne von Meta-Wissenschaft zu sein und bringt über kurz oder lang so wenig neues, wie es jene bemängelt haben, die aus empfundenem Mangel an Fortschritt den positivistischen Weg eingeschlagen haben.
Letztlich könnte man auch den Eindruck gewinnen, daß die Naturwissenschaften mit ihrem Konzept an Grenzen stoßen, zumindest bei der Erklärung unseres Universums: Der Urknall ist mathematisch nicht darstellbar, dennoch logisch zu fordern, und bestimmte Phänomene wie die Hintergrundstrahlung können als seine Folgen gedeutet werden.
Der Anspruch auf Eindeutigkeit und Korrektheit ist von einer sich als frei wahr- und ernst nehmenden Philosophie sicher nicht zu erheben, zumindest nicht im naturwissenschaftlichen Sinne, Eindeutigkeit des Ausdrucks und logische Stringenz im Rahmen ihrer eigenen Systematiken können jedoch von außen gefordert werden, tragen zumindest zu Verständnis und Breitenwirkung bei.
Daß eine sich auf etwas beziehende Philosophie dieses richtig verstehen und sinnecht verarbeiten sollte, ist sicher so - wobei dies auch von anderen Verarbeitern naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu fordern ist, denen das meistens durchgehen gelassen wird.
Es ist schon bezeichnend, wie klaglos akzeptiert wird, wie Wirtschaftswissenschaften und Politik biologische Erkenntnisse aus ihrem Kontext reißen und verbiegen und damit ihren Vertretern und Anwendern dienliche pseudowissenschaftlich verbrämte Aussagen liefern.
Wie du im nächsten Absatz schreibst, ist es dann eben oft auch ein Problem, dass die Naturwissenschaften inzwischen einfach zu viele Erkenntnisse produziert haben, die die Philosophie berücksichtigen müsste, als dass diese sie noch alle handhaben könnte. Ein Problem ist hier sicher, dass zwar problemlos 5000 Physiker an einem Teilchenbeschleuniger kooperieren können, aber schon die Idee, dass sich 2 Philosophen die Arbeit an einer Theorie teilen, eher absurd ist. Die Erkenntnistiefe der Menschheit hat inzwischen ein Ausmaß erreicht, dass es für Individuen nicht mehr möglich ist, sie zu überblicken - sich damit auseinanderzusetzen, wird die Philosophie es schwer haben. Dennoch kann man eine gewisse Einarbeitung erwarten, Modelle, die elementaren Erkenntnissen der Physik oder Biologie widersprechen, sollte kein Philosoph mehr von sich geben, der etwas auf sich hält.
Ja. Ja.
Und Njein.
Menschliche Gesellschaften gehorchen teilweise eigenen Gesetzen, die zumindest IMHO nicht durchgängig mit naturwissenschaftlichen Gesetzen konform gehen.
Natürlich muss aber der Wechsel von Geltungsbereichen deutlich gemacht werden, und daran fehlt es sicher.
Allerdings sei auch angemerkt, daß einige der Erkenntnisse der Hirnforschung der letzten Jahre so schnell aufeinander gefolgt sind, zugleich die Öffentlichkeit auch gleich von den Philosophen wissen wollte, was dies nun für den Menschen bedeute, daß diese kaum anders konnten als sie so bruchstückartig zu rezipieren, wie sie ihnen von den selbst das Ganze nicht mehr sehenden Forschern dargeboten wurden.
Auch die Mediokratie trägt hier zur Mediokrität bei...
Zitat von Maurice:Das sehe ich auch als Problem. Die Frage ist jetzt: Wenn Philosophie eine Wissenschaft ist oder zumindest sein könnte, währe sie dann eine empirische Wissenschaft oder eine Formalwissenschaft?
Wo sie empirisch zu Erkenntnissen gelangen könnte, wäre sie empirisch, wo sie sich formalen Zwängen unterwerfen würde, wäre sie IMHO recht wenig lebendig.
Ich denke dabei an eine Art empirische Begriffsforschung. Wenn der Philosoph nicht einfach definieren will, was z.B. "Liebe" bedeuten soll, sondern rekonstruieren will, was wir eigentlich meinen, wenn wir dieses Wort benutzen, dann wäre doch eigentlich die beste Methodik, empirische Studien zu betreiben, die aufzeigen, wie wir das Wort "Liebe" benutzen. So würde empirisch systematisch gezeigt werden, was "Liebe" bedeutet - denn die Bedeutung eines Wortes wird durch ihren Gebrauch bestimmt.
Bleibt die Frage, ob man diese Methode konsequent durchziehen könnte oder ob die Empirie dann doch auf Grenzen stößt, die nicht bloß reine Glaubenssätze sind. Auf jeden Fall würde sich der Kompetenzbereich der Philosophie damit immer weiter verringern...