Bildung?

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henryN
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Fr 8. Feb 2008, 15:53 - Beitrag #1

Bildung?

Wie wäre es gebildet zu sein? und wie wäre es nicht gebildet zu sein?

http://www.phbern.ch/fileadmin/Bilder_und_Dokumente/01_PHBern/PDF/051104_Festrede_P._Bieri.pdf

Nach einer Diskussion am gestrigen Abend bin ich heute auf diesen Artikel gestossen. In der Diskussion ging es um ff:

Wir wissen um die Tatsache das es Neonazis gibt.
Jemand, der aus einem "Bildungs"standpunkt heraus, diese Tatsache bewertet in Form von: "Neonazis sind Scheisse" oder besser formuliert: "Neonazis sind eine Bedrohung für das demokratische Gemeinschaftsverständnis, welches in den Grundsätzen unserer demokratischen Verfassung von 1949 formuliert ist."
müsste gezwungen sein, etwas zu unternehmen, diesen Zustand zu ändern. Zumindest das Bildungssystem formuliert den Anspruch, einen allseits gebildeten und demokratischen Mitbürger zu "produzieren". Und eben jenes stellt sich auch immer wieder die Frage:
"Wie konnte es dazu kommen?"
Es wird versucht Erklärungen zu finden, die sich hauptsächlich aus sozialen Betrachtungen speisen, die jenen eher zum Opfer seiner "Unbildung" erklären. Wir wissen bereits, das dies nicht der Fall ist, da die "Meinungsführer" auf jeden Fall "Bildung" besitzen, in welcher Form auch immer.
Mein Gegenüber war der Auffassung, dass der Anspruch einen 'Neonazi' umzuerziehen, unmöglich sei und auch nicht anstrebenswert, da nur eine komplette Entwurzelung eine Loslösung von der Illusion bewirken würde.

Erste Frage: "Ist ein Mensch wirklich erziehbar?"

Ich muss diese Frage stellen, auch wenn sie Allgemeinplätze zu berühren scheint. Denn ausgehend von dem oben benannten Scheitern und anderen "Betrachtungsillusionen" würde ich folgende These aufstellen:
Neonazis erfüllen eine gesellschaftliche Funktion. Sie leben, repräsentieren und kommunizieren die allgemeine individuelle wie auch gesellschaftliche Angst vor Identitäts und Sinnverlust, welche auch der gebildete Mensch hat, es sei denn er wäre bereit auch seine Existenz als gebildeter Bürger loszulassen. In Jans Worten eine notwendig resultierende Schnittmenge von existierenden, lebensnotwendigen Möglichkeitsfeldern.
Somit könnte es also dann nur um die Dämpfung dieses Impulses gehen, also Netzwerke die die Ausbreitung der Lebensform 'Neonazi' eingrenzen. (Selbstreferenz und Öffentlichkeit)

Dieses Modell erfordert jedoch die Einbeziehung der Annahme, dass es keine stoffwechselnden halboffenen System gibt, die ewig existieren können. Jede Veränderung in der Umwelt erfordert entweder Anpassungsenergie der inneren Umstrukturierung oder Energie zur Umwandlung der nicht an das System angepassten Umwelt an innere Stoffwechselvorgänge oder der nach aussen übertragenen inneren Stoffwechselvorgänge. (ökonomische und soziale Systeme) Das Gegenteil wäre ein permanent evolutionierendes System, dass aus sich selbst heraus zum Beispiel so etwas erfindet wie komplexe Gehirne oder Bewusstsein. Mir ist bisher leider noch kein mathematisches oder wissenschaftliches Modell begegnet, welches diese Leistung vollbringen würde oder 'wollte'.

Nächste daraufhin anschliessende Frage ist:

"Ist Lernen zielgerichtet?"

Bieri favorisiert ein Bildungsmodell, welches die Funktionaltiät des Lern- und Bildungsprozesses, wie in etwa das Erlernen eines Handwerks überschreitet.
Aber auch dieses Modell verfolgt ein Ziel. Unabhängigkeit, Gestaltungsfähigkeit, Mündigkeit, Selbsterkenntnis etc.
Demnach wäre auch dieser Prozess ein Abgrenzungsversuch. Extrem formuliert also nichts anderes, als es auch der Neonazi tut, nur vielleicht auf einem anderen Niveau. Die Folge davon ist u.a. die Bewertung von Werbung als Verführung, der es sich zu entziehen gilt.

Bildung in diesem Sinne, wäre m.E. also auch nur ein Merkmal der Unterscheidung und Zuordnung zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe. Er folgt darin einer inneren Notwendigkeit, da sie ja auch sein Überleben sichert. Eine für ihn erfolgreiche 'Strategie'.
(s.a. Bourdieu - Felder, Schola)

Gegenfrage:

Was ist das 'Lernen' welches nicht zielgerichtet ist? Gibt es das überhaupt und wenn ja unter welchen Voraussetzungen?
Ist 'Ziellosigkeit' (Abwesenheit von Zielen, die kontigentem entspringen) Voraussetzung im Moment des evolutionären Umbruchs, der neue Lebensformen und Strategien hervorbringt und Möglichkeiten miteinander verbindet?

Welche Grundannahmen müsste ein Modell mitbringen (ähnlich wie jenes der Autopoiesis) welches Neugier formuliert?

Annahme:
Jeder zielgerichtete Prozess schafft sich seine eigene Realität. "Illusion" Sie ist eine notwendige Bedingung des 'Selbsterhalts' unter der Bedingung, dass dieser notwendig ist.
(A impliziert A)

Wäre die Voraussetzung dafür, dass es keinen Nationalismus mehr gäbe, ein permanent selbstevolvierendes, metastabiles, lernendes, integrierendes soziales System? Ist das unter dem gegenwärtigen Stand des Verständnisses von Lebensprozessen überhaupt möglich?


Ich bin darüber noch etwas irritiert, sodass ich es zur Diskussion stellen muss......

Ipsissimus
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Di 8. Apr 2008, 12:54 - Beitrag #2

es sei dir abermals Luhmann ans Herz gelegt^^ die Existenz von Neonazis ist unvermeidbar und zwingend notwendig, in jeder Gesellschaft^^ zur exakten Begründung lies die "Gesellschaft der Gesellschaften", um es kurz zu machen: gesellschaftliche Realität ist ein Kampffeld, in dem individuelle, aber gesellschaftsweite Illusionen in der Konfrontation mit knallharten Strukturzwängen - die ihrerseits aus der Konfrontation individueller Illusionen und knallharter Strukturzwänge - die ihrerseits - Regressum ad Henne und Ei - die Existenz von Hierarchien, von draußen und drinnen und allen anderen Differenzierungsmöglichkeiten bedingen, mit denen Menschen ihr Sosein gegen das Anderssein verteidigen und heiligsprechen. Der Bodensatz, der daraus und aus dem Umstand asymmetrischer Machtverteilung zwangsläufig resultiert, dient gleichzeitig als Kitt der Strukturen, die ihn hervorgebracht haben. Neonazis, Favelas, der Ku-Klux-Klan, alles das und vieles mehr ist unvermeidbar und entsteht autopoietisch in jeder Gesellschaft.

janw
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Di 8. Apr 2008, 23:50 - Beitrag #3

Zitat von henryN:Wäre die Voraussetzung dafür, dass es keinen Nationalismus mehr gäbe, ein permanent selbstevolvierendes, metastabiles, lernendes, integrierendes soziales System? Ist das unter dem gegenwärtigen Stand des Verständnisses von Lebensprozessen überhaupt möglich?

Letztlich kommt es in jeder Gemeinschaft (wirklich in jeder?) zu einer Art kollektiver Bewusstseinsbildung mit der Erkenntnis eines "wir" und "die andern", das "nicht-wir". Dabei wird dann, vielleicht analog zur Eigenwertbildung im individuellen Bewusstsein, vielleicht auch im Zuge des Konkurrenzkampfes um Ressourcen die Idee einer Wertdifferenz entwickelt, wodurch ein Angehöriger des "nicht-wir" als wertmäßig unter den Angehörigen des "wir" stehend wahrgenommen wird.
Der Prozess ist, denke ich, an sich autopoietisch, wird aber durch Machtdifferenzen, Ressourcenkonkurrenz u.a. getriggert, was dann auf Luhmanns Erklärungen hinausläuft.

Wenn ich mir die Indios und einige andere indigene Völker ansehe, bin ich nur unsicher, ob
Zitat von Ipsissimus:Der Bodensatz, der daraus und aus dem Umstand asymmetrischer Machtverteilung zwangsläufig resultiert, dient gleichzeitig als Kitt der Strukturen, die ihn hervorgebracht haben. Neonazis, Favelas, der Ku-Klux-Klan, alles das und vieles mehr ist unvermeidbar und entsteht autopoietisch in jeder Gesellschaft.

immer zutrifft - gibt es wirklich in jeder Gesellschaft outcasts?
Ich könnte mir aber vorstellen, daß hier ggf. extreme Lebenssituationen eine Rolle spielen könnten - ich denke, daß ein Clan der Papua, der Aborigenes, der Pygmäen oder der Indios vielleicht fast immer jeden Menschen braucht, um genug Beute zu jagen, die Hütten zu erneuern, auf die Kinder aufzupassen oder die Gärten zu bewirtschaften, so daß hier interne Ausgrenzung das Überleben der Gemeinschaft gefährden könnten; die entsprechenden Energien werden hier vielleicht durch soziale Rituale abgeleitet.

Aber, wir wäre es, nicht gebildet zu sein?
Ich denke, es würde vor allem bedeuten, sich der Existenz dieser Energien und der Tatsache einer eigenen Eingebundenheit in soziale Strukturen nicht bewusst zu sein.
Vielleicht ist der erste "Bildungschritt" der der eigenen Ich-Bewusstseinsbildung und der Entwicklung des Bewusstseins, Teil eines sozialen Systems zu sein. Etwa der Entwicklungsstand zweijähriger Kinder würde dem entsprechen.
Daß wir aber in vielfältigen sozialen Systemen leben, mit teils wechselnden Rollen, dauert etwas länger zu begreifen, dies zu hinterfragen noch länger.

henryN
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Mi 9. Apr 2008, 02:01 - Beitrag #4

Zitat von janw:Letztlich kommt es in jeder Gemeinschaft (wirklich in jeder?) zu einer Art kollektiver Bewusstseinsbildung mit der Erkenntnis eines "wir" und "die andern", das "nicht-wir". Dabei wird dann, vielleicht analog zur Eigenwertbildung im individuellen Bewusstsein, vielleicht auch im Zuge des Konkurrenzkampfes um Ressourcen die Idee einer Wertdifferenz entwickelt, wodurch ein Angehöriger des "nicht-wir" als wertmäßig unter den Angehörigen des "wir" stehend wahrgenommen wird.


Der "Bewertungsvorgang" als "Differenz"modellierung, scheint mir das Hauptproblem zu sein........

Welche anderen Möglichkeiten gäbe es?!
Vorallem bei den bei uns gerade 'neuentdeckten' mathematischen Fähigkeiten? ;)

Beispiel wäre eine Art von Ritualisierung, wie der Karneval....oder Monthy Python?

"Monty Python's Terry Jones is a greater visionary than I thought. You recall how he crooned: "I'm so worried about what's happenin' today, in the Middle East, you know/And I'm worried about the baggage retrieval system they've got at Heathrow"?
oder
"... I like chinese...."

Ipsissimus
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Mi 9. Apr 2008, 09:32 - Beitrag #5

das Hauptproblem scheint mir der Instinkt zur Differenzierung zu sein; der Bewertungsvorgang ist demgegenüber nur Mittel zum Zweck

henryN
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Mi 9. Apr 2008, 16:50 - Beitrag #6

Ist die Differenzierung nicht eine Notwendigkeit? Oder die einzige Möglichkeit, dass sich überhaupt etwas bewegt, bzw. lebt? Sie könnten auch prozessiert und integriert werden......

Ipsissimus
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Mi 9. Apr 2008, 17:47 - Beitrag #7

erst wenn du zwischen Menschen mit schwarzer und Menschen mit weißer Hautfarbe differenzierst, kannst du daran Werte knüpfen, die letztlich auf eine Abwertung der einen zugunsten der anderen Gruppe hinauslaufen. Das Problem der Differenzierung besteht also zum einen in unserem Differenzierungsalgorithmus, zum anderen in der unterschiedslosen Verwendung von auf geeigneten wie auf ungeeigneten Algorithmen beruhenden Differenzierungen zur Werteschöpfung.

Ein Alternativmodell wäre das des Zen: erfasse ALLES in seiner Aktualität, differenziere weder aufgrund deines Wissens aus der Vergangenheit noch deiner Vermutungen über die Zukunft.

henryN
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Mi 9. Apr 2008, 19:35 - Beitrag #8

aber es wäre keine Lösung die Differenzierung aufzuheben, wo sie doch offensichtlich ist. Die Frage ist, wie kann ich sie integrieren, ohne dass ich bewerten muss?
(dass ist jetzt eine rhetorische frage)

auf eine Art läuft es auf das hinaus, was wir vom Zen kennen. Nur bin ich der Meinung, dass auch die Zeit in irgendeiner Form enthalten sein muss, da jeder Prozess Zeit schafft. Das heisst zum einen auch der Prozess der Erfassung, wie auch jene Prozesse die das Schaffen, was wir erfassen.
Müsste man also neu Fragen was "Vergangenheit" und "Zukunft" in diesem Zusammenhang sind. bzw. welche Qualität diesen "Zeitmodellen" innewohnt. Vielleicht liegt es auch nur daran, dass es Substantive sind..........;-)

Das Problem der Bewertung als Differenzierungsmethode, erscheint mE immer vorallem dann, wenn wir nicht genau erfassen können oder wollen.......

Natürlich wäre es in diesem Falle einfacher, wenn alle Menschen bunt wären. Dann wären alle in ihrer Unterschiedlichkeit wiederum Homogen. Wie hier im Prenzlauer Berg, wo es sehr friedlich zugeht...... und kinderfreundlich.......

Eine Methode wäre womöglich also noch mehr Differenzierungen aufzubauen, wanach kein 'Schwarzer' dem anderen gleicht. Aber genau dass ist in diesem speziellen Falle oft das Problem. (abgesehen von grundsätzlichen Integrationsproblemen)

Das weitere Problem ist, denke ich, dass diese 'Differenzierungen' Kommunikationskanäle bedürfen, in denen sie prozessiert werden können. Ansonsten bauen sich halt Spannungen auf...... ;-)

Es ist sicher richtig, wenn man sagt 'Alle Menschen sind gleich' aber dennoch sind sie immerhin einzeln. Zum Glück, wie ich sagen muss, dürfen wir hier das auch. Einzeln und unterschiedlich sein. Nur für das Kapital sind wir alle noch gleich und unterschiedslos, Konsumenten. Aber auch das ändert sich......
Das jedoch, was verbindet, und die Unterschiedlichkeit dort sein lässt wo sie ist, als einfache Unterschiedlichkeit, ist die Art und Weise wie wir miteinander in Verbindung treten. (Kommunikation, Ökonomie, Gesellschaft...)

Ich wäre froh, wenn ich die Pille dafür finden könnte, die einem Menschen erklärt, warum die Differenzierung (Identitätsprozess) nicht der Bewertung bedarf.......oder wenn doch, was da eigentlich passiert.......

Ipsissimus
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Do 10. Apr 2008, 13:42 - Beitrag #9

"offensichtliche" Differenzierungen sind tatsächlich hochgradig kulturabhängig, also kontingent. So gibt es z.B. zentralamerikanische Indiosprachen, in denen ein Verb unterschiedlich konjugiert wird je nach dem, ob es eine Tätigkeit während des Wegs den Berg hinauf oder den Berg hinunter beschreibt (bzw. ob der Sprecher beim Sprechen den Berg hinaus oder hinunter schaut), eine für uns Europäer offenbar nicht offensichtliche Differenzierung^^ Die knapp 1000 Differenzierungen von Schnee bei den Inuit oder die etwas 100 Differenzierungen von Sand bei Wüstennomade der Sahara wurden ja schon öfter genannt. Biologisch gesprochen ist die schwarze Hautfarbe ein Formtaxon, kein echtes Taxon, keines mit realer biologischer Bedeutung, jede davon abgeleitete Differenzierung mithin eine bloß Äußerliche.

Die Frage ist nicht, ob ein schwarzhäutiger Mensch dem anderen unterschiedslos gleicht. Wir wissen objektiv, dass er das nicht tut, weil es keine zwei Menschen auf der Welt mit identischen Chomosomensätzen gibt, esoterische Sachverhalte wie siamesische Zwillinge oder dieses doppelköpfige indische Mädchen einmal außen vor gelassen. Wir wissen also, dass wir eine falsche Differenzierung treffen, wenn wir alle Neger unter dem Aspekt der schwarzen Hautfarbe zusammenfassen. Der Sinn der Differenzierung ist also von vornherein kein deskriptiver, sondern ein wertender, und unsere Sinne täuschen uns einfach, wenn sie uns eine "einfache Differenz" vorgaukeln^^ und letztlich ist es gleichgültig, ob diese "einfache" Differenz zwischen Menschen gleicher Hautfarbe oder Menschen unterschiedlicher Hautfarbe aufgemacht wird

ich behaupte mal dreist, die meisten Differenzierungen aus dem sozialen Bereich sind wertende, die nicht auf echten Taxonen beruhen, und keinerlei Funktion haben außer der Abweisung von Anderssein entlang einer Skala zunehmender Fremdheit

Menschen sind übrigens nicht gleich^^ sie haben nur unter dem Primat einer humanistischen Grundorientierung Anspruch auf gleichrangige Anerkennung und Berücksichtigung ihrer Interessen und Bedürfnisse^^


Muttersprachler der indoeuropäischen Sprachfamilien sind üblicherweise wenig sensibel für das Problem der Zeit in ihren Sprachstrukturen, zu "normal" erscheint uns der Dreizug Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft, und zu randständig - hinsichtlich des umgangssprachlichen Sprachgebrauchs - sind uns die modalen Konzepte unserer Grammatiken. Die semitischen Sprachen sind den unsrigen darin bei weitem überlegen, von uns "esoterisch" anmutenden Konzepten wie dem eingangs genannten ganz zu schweigen. Es ist, als ob sich in unseren westlich geprägten Gehirnen eine Sperre befindet, die es uns unmöglich macht, modale Konzepte der Sprache wirklich als realitätsentsprechend und realitätsprägend zu begreifen.

henryN
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Do 10. Apr 2008, 16:01 - Beitrag #10

ein Gedanke der mir gerade kam...

wie wäre es, die Differenzierungen auf psychologischer Eberne zu betrachten, innerhalb eines menschlichen wie auch sozialen "Individuums" (dafür muss ich noch eine andere Begriffflichkeit finden)

auf eine näher zu bestimmende Weise werden Innendifferenzierungen nach aussen fortgesetzt

wenn ich einen bestimmten Prozesszustand innerhalb bewerte und bekämpfe, strukturiert dieser Differenzierungsprozess die Aufmerksamkeit und Wahrnehmung von äusseren Informationen und Prozessen

z.b. wenn ich in meinem Bewusstsein gerade mit der Entscheidung beschäftigt bin einen VW oder einen DB zu kaufen, werde ich eine Zeit lang hauptsächlich VWs und DBs im Strassenverkehr wahrnehmen, um zu einer Lösung des inneren Entscheidungskonflikts zu kommen. Und zwar solange bis nicht mehr eine Entscheidung zwischen A und B notwendig ist. Aus der Entscheidung zwischen gleichen A und B wird eine Präferenz entweder zu A oder B.

Anders ist es für jemanden, dem es völlig egal ist, welches Auto er fährt solange ersichtlich ist, dass sie beide gleiche technische Voraussetzungen mitbringen. Wenn nicht jemand da wäre, der sagen würde: Oh, ein VWfahrer..... (Identitätsproblem)

Vorausgesetzt Afrika wäre ein im unserem Sinne! genauso hochentwickelter Kontinent wie Nordamerika. Mit deutlich sichtbaren ähnlichen wirtschaftlichen und sozialen Strukturen, mit denen ein reger Austausch herrscht. (von gegenseitigem Nutzen) D.h. wir wären in unseren Lebensprozessen und Zielstellungen sichtbar! gleich......... Wie wäre es dann?

(Da ist es doch kein Wunder, dass man die 'Demokratie' überallhin exportieren möchte - es ist einfacher, die Welt zu erfassen, wenn die Unterschiede nicht zu gross sind)

Die Herausbildung dieser Präferenz ist das eigentlich spannende daran. Denn sie ist kein Entscheidungsvorgang mehr und hat m.E. weniger mit Bildung an sich zu tun........

Ein interessantes Spiel wäre auch ff: man stelle sich eine Gruppe von zufallig zusammengewürfelten Deutschen vor. Jeder von ihnen würde versuchen herauszufinden, wer oder was der andere ist, um sich in der Gruppe zu verorten. Er versucht Unterschiede herauszufinden.
Wenn jetzt jemand hinzukäme, mit deutlich anderen Kennzeichen, andere Hautfarbe, andere Sprache andere Kleidung etc. wäre die Summe der wahrnehmbaren Differenzen zwischen den einzelnen Deutschen und dem Fremden deutlich grösser und stärker ausgeprägt als innerhalb. Das ist pure Physik. ;-)
Die wahrgenommenen Differenzen innerhalb der Gruppe würden sofort verschwinden. Sie würden sich in diesem Moment alle einfach nur als Deutsche sehen.

(noch viel interessanter wenn die sogenannten "schwarzen" auf einmal Aliens wären)

In diesem Sinne führt Bildung natürlich dazu, dass die wahrnehmbaren "Differenzen" auf ein Niveau gehoben werden, dass das 'Energieniveau'
ausgeglichen wäre. Das heisst die Wahrnehmung der Innendifferenzen entspricht in der Summe der wahrnehmbaren Aussendifferenzen.

Jetzt müssen sie nur noch kommuniziert werden.
Darin entscheidet sich die Qualität der Bildung. Versetzt sie jemanden in die Lage zu handeln und zu kommunizieren? Versetzt sie jemanden in die Lage eine Simulation des Selbst und des zufällig entstandenen "sozialen Systems" zu 'errechnen' bzw darzustellen?

Kaum ein Mensch weiss, was 53 zu Quadrat ist. Jedenfalls nicht auswendig. Aber wir haben Alghoritmen kennengelernt, dieses Problem zu lösen. (50² + 3² + (2x50x3) ) = (2500 + 9 +300) = 2809
(prozessierung der anfänglich unendlichen 'Differenz' zwischen Aufgabe und Lösung bis hin zur Lösung)

Auf psychologischer und sozialer Ebene fehlen uns möglicherweise solche simplen Alghorithmen. Aber dafür gibt es hunderttausende Bücher mit unendlich vielen Informationen.........

Man könnte ein Buch veröffentlichen in dem alle Quadratzahlen von 1-100000 veröffentlicht sind. Nur würde es niemandem nützen......

Worauf ich hinaus will ist: Wie werden Differenzen prozessiert? Welche Möglichkeiten der Prozessierung bestehen? Welche anderen könnten benutzt werden? Wie können sie ineinander verschachtelt und stabilisiert werden?

Integration ist kein Zustand noch ein Fakt. Sondern eine ständige Prozessierung von Information und Kommunikation ZWISCHEN differenten Prozessen ohne die Differenz aufzulösen.

.....ups. interessant auch die Funktions- und Arbeitsweise der Integrationsfigur......... Was macht diese eigentlich?

Benifico
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Fr 30. Mai 2008, 04:34 - Beitrag #11

OT: Schönes Forum, genau dieses Niveau habe ich gesucht.

Ich finde, der Begriff ist sozial verwässert.
Ich persönlich halte Bildung für eine Grundeigenschaft.
Jeder Gedanke ist eine Form des Bildens, man erweitert
sein Gedankengerüst, oder verbessert es, oder
nimmt neue, zusätzliche Informationen auf, lernt
neue Fähigkeiten, macht sich neue Gegebenheiten bewusst.

Allerdings erlebe ich täglich, dass für die meisten Menschen
Bildung etwas anstrengendes ist. Da wird die verbrachte Schulzeit,
oder triviale Lehrgänge als persönlicher Bildungsstand definiert,
es wird Bild gelesen um sich zu informieren, jemand, der
lieber in die FAZ schaut wird automatisch als gebildetet angesehen, auch
wenn er nur den Sportteil liest. Es werden Vorurteile gegen
komplette Menschengruppen gebildet, weil sie z.B. aufgrund ihres
Wohnortes/Familie einen schlechteren Zugang zum "Bildungssystem"
haben.

So kenne ich bisher leider niemanden in meiner Umgebung, der
in der Hinsicht ein wenig universeller und nicht nur an seine
"Laufzeitvariablen" gebunden denkt und weiterdenkt, oder
Alternativen zu der eigenen subjektiven Denkweise
miteinbezieht. Aber man lernt ja stetig neue Leute kennen und
bekannte Leute besser kennen, da bleibt noch Hoffnung. :>


Zum Thema las ich neulich nen interesannten Artikel, ich verlinke
ihn einfach mal hier für euch:

5 Minuten vor der Wissensgesellschaft

janw
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Mo 2. Jun 2008, 01:28 - Beitrag #12

Zitat von Ipsissimus:das Hauptproblem scheint mir der Instinkt zur Differenzierung zu sein

Wenn ich mir die Welteroberung meines kleinen Neffen bis jetzt (3) ansehe, trifft es das IMHO sehr genau. Er erkundet seine Welt von sich aus, erkennt von sich aus Bekanntes und Neues und versucht sehr oft, das Neue kennen zu lernen.
Ich denke, daß die Differenzierung in Bekanntes/Neues und danach dieses/jenes oder auch in zeitliche oder modale Richtungen zwangsläufig ist auf dieser Ebene der Wissensentwicklung und auch Voraussetzung für die Entwicklung von Weltmodellen und Verhaltensalgorithmen, denn es ist zumindest leichter, Prognosen zu treffen oder Regelhaftigkeiten zu erkennen, wenn die betrachteten Gegenstände nicht als allzu ähnlich und die bedingenden Faktoren nicht als allzu zufällig wirkend wahrgenommen werden.
In einer Phase, in der das Erkennen von Regelhaftigkeit an sich wesentlicher Teil des Interesses ist, zugleich der Betrachtungsraum noch recht klein ist, wird Differenz und unzufällige Wirkung bei den Betrachtungsbeispielen nicht nur erkenntnisförderlich, sondern zur Bedingung der Erkenntnis, wenn diese mit realistischen Beispielumfängen und in realistischer Zeit zu Ergebnissen führen soll.

Die Frage ist für mich am Ende aber, was den Bildungsaspekt am Wissenserwerb ausmacht
Zitat von Benifico:Allerdings erlebe ich täglich, dass für die meisten Menschen
Bildung etwas anstrengendes ist. Da wird die verbrachte Schulzeit,
oder triviale Lehrgänge als persönlicher Bildungsstand definiert,
es wird Bild gelesen um sich zu informieren, jemand, der
lieber in die FAZ schaut wird automatisch als gebildetet angesehen, auch
wenn er nur den Sportteil liest.

Das Problem scheint mir darin zu bestehen, daß offensichtlich zwei Bildungskonzepte existieren, dessen eines Bildung als Ansammlung von "Wissen" definiert, während nach dem anderen Konzept Bildung in der Fähigkeit besteht, die Räume zwischen den Fakten zu nutzen und nach versteckten Beziehungen und Implikationen zu suchen.
Fakten kommt in diesem Konzept quasi die Rolle der Raumteiler zu, die ein "dazwischen" konstituieren, oder sie stellen eine Art Matrix dar, auf der sich die Bildung abspielt - Bildung vielleicht eine Emergenz von hinreichend breitem Wissen.

henryN
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So 8. Jun 2008, 00:50 - Beitrag #13

@beneficio

den verlinkten Artikel finde ich doch reichlich unintelligent. Die Assoziationen und Verknüpfungen sind doch eher an 'kurzen Haaren' herbeigezogen.......

frage mich, was das eigentliche Problem dessen Autors ist...... ;-)

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Di 10. Jun 2008, 02:49 - Beitrag #14

Toller Artikel, Benifico, ich habe ihn ganz gelesen, vieles davon ist mir schon seit längerem aufgefallen. Ein wenig erinnere ich mich dabei auch an das Lied von Pink Floyd "Another Brick in the Wall".

"Wissen ist Macht" und kann somit als Wand dienen, als Trennung zwischen den Herrschenden und dem Volk.

"... We don't need no education
We dont need no thought control
No dark sarcasm in the classroom
Teachers leave them kids alone
Hey! Teachers! Leave them kids alone!
All in all it's just another brick in the wall.
All in all you're just another brick in the wall. ..."

Oder ab in die Fleischmühle, zur Menschenschweinewurstfabrik.

Meine Assoziation, das Video zu dem Song sehe ich vor meinem geistigen Auge...

henryN
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Mi 11. Jun 2008, 02:07 - Beitrag #15

....'vertraue der Macht!'....... ;)


wenn 'Wissen Macht' bedeutet, kann die Folge davon eigentlich nur sein, sich soviel wie möglich davon anzueignen und soweit zu verbreiten, dass sich jemand diesen 'Informationsvorsprung' nicht mehr aus reinem Eigennutz und auf für andere schädliche Weise benutzen kann......

auch wenns anstrengend ist..... ;) :)

Ipsissimus
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Do 12. Jun 2008, 12:34 - Beitrag #16

dass Wissen Macht sei, mag zwar stimmen - der Sachverhalt ist aber weder voraussetzungslos noch zwangsläufig^^ mindestens ebenso wichtig sind Organisiertheit, Lobbyismus udn Ehrgeiz. Wie viele Menschen gibt es, die den Bildungsgrad der sie Regierenden weit hinter sich lassen, aber nie nach Macht streben, weil sie als Individuum dazu viel zu souverän sind^^

mensch würde also vielleicht bessere sagen, dass bestimmte Arten von Wissensinhalten dem Machtstreben von Menschen förderlich sind, bestimmte Arten von Wissensverarbeitung dieses Machtstreben aber auch verhindern können^^

janw
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Di 24. Jun 2008, 20:52 - Beitrag #17

Wie immer ist Vorsicht angebracht, wenn man Zitate aus anderen Sprachen und Zeiten verwendet.
Was wir als "Wissen ist Macht" kennen, heißt im Original in den Meditationes von Francis Bacon "Knowledge is power".
Knowledge ist nicht exakt dasselbe wie unser Wissen, sondern umfasst unser Wissen im Sinne von abfragbarem Einzelwissen und das darauf Beruhende Umfassendere, zu dem wir Bildung sagen - es könnte also gut sein, daß Bacon sich auf diesen Teilaspekt bezog, also besser mit "Bildung ist Macht" zu übersetzen wäre.

[quote="Ipsissimus"]das Hauptproblem scheint mir der Instinkt zur Differenzierung zu sein]
Wenn es ein Instinkt ist, wie können wir es dann überwinden?

Wie kommt es eigentlich, daß sich automatisch Differenzierungen herausbilden, wenn Menschen zusammen kommen - oder ist das nur eine Beobachtung aus meinen Zusammenhängen? Lassen sich Bourdieus "kleine Unterschiede" vermeiden?


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