Kindstötungen in Ost und West

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janw
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Mo 25. Feb 2008, 22:17 - Beitrag #1

Kindstötungen in Ost und West

In der Vergangenheit sind in Deutschland immer wieder Fälle von Tötungen und Aussetzungen Neugeborener aufgetreten, in der letzten Zeit scheinen sich derartige Fälle in Ostdeutschland etwas zu häufen.
Der Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Böhmer, zu DDR-Zeiten als Gynäkologe in Krankenhäusern tätig, hat diese Entwicklung nun mit einer seiner Meinung nach nach "leichtfertigen Einstellung zum werdenden Leben" unter den in der DDR aufgewachsenen Frauen in Verbindung gebracht - und dafür harsche Kritik von allen Seiten erhalten.

Ich frage mich nun, was wirklich dahinter steckt, daß doch recht zahlreich und geographisch begrenzt Mütter ihre gerade geborenen Kinder töten.

Allgemein kann man sagen, daß Kindstötungen zu allen Zeiten vorgekommen sind. Nach meinem Eindruck scheinen sich derartige Vorkommnisse in Zeiten und Situationen zu häufen, die durch allgemeine oder individuell erlebte Unsicherheit und Not gekennzeichnet sind, außerdem in Fällen, wo die Kinder individuellen Lebensplanungen oder auch Machtinteressen im Wege waren, letzteres z.B. bei "illegitimen" Kindern.

Insofern drängt sich IMHO eine Erklärung auf, die auf eine gehäufte Wahrnehmung von Unsicherheit und Not im Osten abhebt - wofür in Zeiten von Hartz IV einiges spräche.
Andererseits gibt es auch im Westen große Gebiete mit einem hohen Anteil an Hartz IV-Beziehern, ohne daß hier in gleicher Häufung Kindstötungen auftreten.
Liegt es an einem dichteren Netz an Beratungsstellen im Westen, mehr Einrichtungen, an die Kinder in Notlagen abgegeben werden können? Funktionieren die sozialen Netze im Westen noch besser (wo gerade ländliche Räume Hartz IV-Gebiete sind)? Oder werden die Einrichtungen im osten wenger angenommen, weil die Frauen sich nicht mehr trauen, sich an derartige Stellen zu wenden, ist Verunsicherung das Problem?
Oder sollte tatsächlich die Betonung des Technischen, der Rationalität, die mir ein wesentlicher Zug der DDR-Kultur zu sein scheint, zu einer verbreiteten sozialen Kälte beigetragen haben, die sich nun u.a. in diesen Fällen äußert?

Marc Effendi
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Mo 25. Feb 2008, 22:44 - Beitrag #2

Eine Frage, die zu klären wäre, ist, ob die Zahl der Kindstötungen in den neuen Ländern wirklich höher ist als im Westen oder ob es durch Medienpräsenz nur so scheint als ob. Dazu fehlen mir genaue Zahlen.

Anhand von dem, was durch Funk und Fernsehen geistert, scheint es tatsächlich so zu sein.

Nina
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Di 3. Jun 2008, 22:30 - Beitrag #3

Aber auch wenn sie höher ist, dann kann es immer noch Zufall sein. Wenn man einen Umstand in zwei Regionen vergleicht, ist es doch recht unwahrscheinlich, dass das genau gleich ist, oder?

Was außerdem nicht berücksichtigt wurde, ist der Umstand unerwünschte Schwangerschaft an sich. Wird vielleicht weniger aufgeklärt? Gibt es einen schlechteren Zugang zu vorbeugenden Verhütungsmitteln? Wie schaut es mit Ärzten und Krankenhäusern aus, wird hier vielleicht der Zugang zur "Pille danach" erschwert? (Es ist tatsächlich nicht einfach, da ranzukommen und es gibt durchaus Ärzte, die sich da - auch innerhalb der Frist - weigern oder Krankenhäuser, die Patientinnen mit derartigen Wünschen wegschicken - da läuft die knappe Frist schnell mal ab, besonders, wenn die Frau vorher lange rumüberlegt hat.) Und was ist mit Abtreibungen?
Man muss bedenken, dass solche Schritte nicht leicht fallen (man stellt sich das immer so leicht vor, so ungefähr: Verlangt man halt die Pille danach/eine Abtreibung, aber so leicht ist es halt in der Realität nicht) und Frauen oft dann bei auftretenden Schwierigkeiten dann eher mal verdrängen und zuwarten.

An eine Einstellungssache denke ich nicht, zumal nach der Geburt ja der Hormonspiegel zur einer treibenden Kraft wird und eine reine Überzeugung in dem Moment nicht mehr so zum Tragen kommt.

Ipsissimus
Dämmerung
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Do 5. Jun 2008, 14:06 - Beitrag #4

der Hormonpegel wird spätestens nach zwei Monaten Schwangerschaft zu einer echten Macht in der Frau, sich dann noch für die Abtreibung zu entscheiden, erfordert alle Klarsinnigkeit und Willenskraft, die nur aufgebracht werden können.

Ich glaube aber nicht, dass ein großer Anteil der Tötungen aus einfacher Verzweiflung resultiert, da gehören noch weitaus dramatischere innere Katastrophen dazu. Ich glaube vielmehr, dass eine Frau, die ihr schon geborenes Kind tötet, vorher selbst schon ein zutiefst gebrochener Mensch sein muss.

janw
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Do 5. Jun 2008, 22:09 - Beitrag #5

Nina, Aufklärung und Verbreitung von Verhütungsmitteln dürften in der ehemaligen DDR ähnlich sein wie im Westen, es kommen in meinen Augen eher psychosoziale Faktoren in Betracht.
Bei denen stellt sich aber die Frage, wie diese beschaffen sind und wie weit diese in der ehemaligen DDR anders beschaffen oder verteilt sind als im Westen.

Ipsi, was könnte es sein, das in der DDR so viele Frauen so tief gebrochen hat - und wohl auch recht viele im Westen? Einfach "nur" soziale Kälte, oder sind Mißbrauchserlebnisse so weit verbreitet?


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