Wie wäre es gebildet zu sein? und wie wäre es nicht gebildet zu sein?
http://www.phbern.ch/fileadmin/Bilder_und_Dokumente/01_PHBern/PDF/051104_Festrede_P._Bieri.pdf
Nach einer Diskussion am gestrigen Abend bin ich heute auf diesen Artikel gestossen. In der Diskussion ging es um ff:
Wir wissen um die Tatsache das es Neonazis gibt.
Jemand, der aus einem "Bildungs"standpunkt heraus, diese Tatsache bewertet in Form von: "Neonazis sind Scheisse" oder besser formuliert: "Neonazis sind eine Bedrohung für das demokratische Gemeinschaftsverständnis, welches in den Grundsätzen unserer demokratischen Verfassung von 1949 formuliert ist."
müsste gezwungen sein, etwas zu unternehmen, diesen Zustand zu ändern. Zumindest das Bildungssystem formuliert den Anspruch, einen allseits gebildeten und demokratischen Mitbürger zu "produzieren". Und eben jenes stellt sich auch immer wieder die Frage:
"Wie konnte es dazu kommen?"
Es wird versucht Erklärungen zu finden, die sich hauptsächlich aus sozialen Betrachtungen speisen, die jenen eher zum Opfer seiner "Unbildung" erklären. Wir wissen bereits, das dies nicht der Fall ist, da die "Meinungsführer" auf jeden Fall "Bildung" besitzen, in welcher Form auch immer.
Mein Gegenüber war der Auffassung, dass der Anspruch einen 'Neonazi' umzuerziehen, unmöglich sei und auch nicht anstrebenswert, da nur eine komplette Entwurzelung eine Loslösung von der Illusion bewirken würde.
Erste Frage: "Ist ein Mensch wirklich erziehbar?"
Ich muss diese Frage stellen, auch wenn sie Allgemeinplätze zu berühren scheint. Denn ausgehend von dem oben benannten Scheitern und anderen "Betrachtungsillusionen" würde ich folgende These aufstellen:
Neonazis erfüllen eine gesellschaftliche Funktion. Sie leben, repräsentieren und kommunizieren die allgemeine individuelle wie auch gesellschaftliche Angst vor Identitäts und Sinnverlust, welche auch der gebildete Mensch hat, es sei denn er wäre bereit auch seine Existenz als gebildeter Bürger loszulassen. In Jans Worten eine notwendig resultierende Schnittmenge von existierenden, lebensnotwendigen Möglichkeitsfeldern.
Somit könnte es also dann nur um die Dämpfung dieses Impulses gehen, also Netzwerke die die Ausbreitung der Lebensform 'Neonazi' eingrenzen. (Selbstreferenz und Öffentlichkeit)
Dieses Modell erfordert jedoch die Einbeziehung der Annahme, dass es keine stoffwechselnden halboffenen System gibt, die ewig existieren können. Jede Veränderung in der Umwelt erfordert entweder Anpassungsenergie der inneren Umstrukturierung oder Energie zur Umwandlung der nicht an das System angepassten Umwelt an innere Stoffwechselvorgänge oder der nach aussen übertragenen inneren Stoffwechselvorgänge. (ökonomische und soziale Systeme) Das Gegenteil wäre ein permanent evolutionierendes System, dass aus sich selbst heraus zum Beispiel so etwas erfindet wie komplexe Gehirne oder Bewusstsein. Mir ist bisher leider noch kein mathematisches oder wissenschaftliches Modell begegnet, welches diese Leistung vollbringen würde oder 'wollte'.
Nächste daraufhin anschliessende Frage ist:
"Ist Lernen zielgerichtet?"
Bieri favorisiert ein Bildungsmodell, welches die Funktionaltiät des Lern- und Bildungsprozesses, wie in etwa das Erlernen eines Handwerks überschreitet.
Aber auch dieses Modell verfolgt ein Ziel. Unabhängigkeit, Gestaltungsfähigkeit, Mündigkeit, Selbsterkenntnis etc.
Demnach wäre auch dieser Prozess ein Abgrenzungsversuch. Extrem formuliert also nichts anderes, als es auch der Neonazi tut, nur vielleicht auf einem anderen Niveau. Die Folge davon ist u.a. die Bewertung von Werbung als Verführung, der es sich zu entziehen gilt.
Bildung in diesem Sinne, wäre m.E. also auch nur ein Merkmal der Unterscheidung und Zuordnung zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe. Er folgt darin einer inneren Notwendigkeit, da sie ja auch sein Überleben sichert. Eine für ihn erfolgreiche 'Strategie'.
(s.a. Bourdieu - Felder, Schola)
Gegenfrage:
Was ist das 'Lernen' welches nicht zielgerichtet ist? Gibt es das überhaupt und wenn ja unter welchen Voraussetzungen?
Ist 'Ziellosigkeit' (Abwesenheit von Zielen, die kontigentem entspringen) Voraussetzung im Moment des evolutionären Umbruchs, der neue Lebensformen und Strategien hervorbringt und Möglichkeiten miteinander verbindet?
Welche Grundannahmen müsste ein Modell mitbringen (ähnlich wie jenes der Autopoiesis) welches Neugier formuliert?
Annahme:
Jeder zielgerichtete Prozess schafft sich seine eigene Realität. "Illusion" Sie ist eine notwendige Bedingung des 'Selbsterhalts' unter der Bedingung, dass dieser notwendig ist.
(A impliziert A)
Wäre die Voraussetzung dafür, dass es keinen Nationalismus mehr gäbe, ein permanent selbstevolvierendes, metastabiles, lernendes, integrierendes soziales System? Ist das unter dem gegenwärtigen Stand des Verständnisses von Lebensprozessen überhaupt möglich?
Ich bin darüber noch etwas irritiert, sodass ich es zur Diskussion stellen muss......