5-Parteiensystem erobert Deutschland?

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Maglor
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Fr 14. Mär 2008, 18:46 - Beitrag #1

5-Parteiensystem erobert Deutschland?

Die deutsche Parteienlandschaft war immer sehr überschaubar, zumindest wenn man sie mit anderen Demokratien mit Verhältniswahlrecht vergleicht. Sauber aufgeteilt in zwei Lager zeigten sich die Parteien in den 90er. Rot und Grün und Schwarz-Gelb bildeten gegensätzliche. Man hatte die Wahl zwischen diesen Beiden oder konnte seine Stimme an irgendeine Splitterpartei geben...
Naja, eigentlich war die PDS gar keine kleine,, bedeutungslose Splitterpartei. Die fünfte Fraktion im Bundestag wurde nur als Schmuddelkind behandelt und ihr Fehlen in westdeutschen Parlamenten ließ doch manchen glauben, es handle sich lediglich um das rosarote Erbe der DDR, einen schwindenden Schatten der SED.
Doch nun, da die PDS die den Splitter WASG geschluckt hat, hat die nun Linkspartei genannte Gruppierung auch im Westen Erfolge.

Und mit einem mal klingt es aus allen Kehlen, die Welt habe sich verändert. Deutschlands Parteienlandschaft sei nun anders. Die SPD sieht sich von neuen Fragen bedrängt.
Irre ich mich, oder haben da einige nur die Augen verschlossen und den Knall von 1990 nicht gehört?
Seit Jahren kooperierte doch die SPD mit der PDS in mehreren Landtagen und die Linkspartei, die angeblich alles anders macht, sorgt in Berliner Senat für den Durchführung dessen, was sie gleichzeitig bekämpfen möchte. Und hat die SPD nicht auch genug Erfahrung im Umgang mit Herrn Lafontaine? ;)
Hat sich denn wirklich irgendwas geändert, außer das der eine oder andere die Wahrheit erkannt hat?
Der einzige Unterschied, den ich sehe, ist, neben der Eroberung westdeutscher Parlamente, dass die PDS als Linkspartei noch einmal von der Roten Liste der bedrohten Arten gesprungen.
Vor Jahren glaubte ich, dass Thema PDS würde sich durch den demografischen Wandel von selbst erledigen. Doch nun sind der Hydra mit einem Male neue Köpfe gewachsen und die Linkspartei kann doch die DDR-Rentner, die glaubten früher sei alles besser gewesen, überleben.
Aber warum die Aufregung, verglichen mit italienischen und israelischen Parlameten sind die unseren mit ihre 4 bis 6 Grüppchen immer noch fade und grau.
MfG Maglor :rolleyes:

Lykurg
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Mi 14. Mai 2008, 10:47 - Beitrag #2

Eher Stärke der Linkspartei oder Schwäche der SPD? Ihr Versuch, in der Mitte zu fischen, hat das linke Spektrum vergrätzt und vertrieben, und man bekommt sie nicht mehr zurück, ohne die Neuwähler zu verlieren. Nicht, daß man mit jemandem wie Lafontaine wirklich hätte Staat machen können - wenn man solche Freunde hat, braucht man keine Feinde mehr - aber als erklärter Gegner ist er offensichtlich nicht angenehmer. Hätte das Vierparteiensystem (im Westen und im Bund) ohne Schröder bestehen bleiben können? Andererseits ist die Frage müßig - Reformen waren nötig, und der Union fehlte seinerzeit wohl der Schwung dafür (jedenfalls die parlamentarische Mehrheit). Geschichte. Was nun daraus wird?

Immerhin nehmen unter dem Druck der Notwendigkeit gegenseitige Vorbehalte von Schwarz und Grün ab, eine gute Voraussetzung für die Grünen, mit gestärktem Selbstbewußtsein dunkelrotrotgrünen Marginalisierungen entgegenzutreten. Auf der gegenüberliegenden Seite hofft Wowereit auf seine große Stunde - aber wenn alles schief läuft, könnte er damit (wie in Ostberlin nach Umfragen jetzt schon möglich^^) Juniorpartner der 'Bruderpartei' werden...

Richtig italienisch-bunt wird es erst, wenn (beginnend im Osten?) die rechten Parteien ihre Zersplitterung und diverse Schwierigkeiten (etwa Mangel an Persönlichkeiten) überwinden und unter kackbraunem Banner vereint in die Parlamente ziehen - das Wählerpotential wäre offensichtlich vorhanden. Möge es nicht dazu kommen.

Für ein israelisches Parlament dagegen fehlen uns die religiösen Parteien von Bedeutung; und ich glaube, in absehbarer Zeit wächst da auch nix mehr.

Ipsissimus
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Mi 14. Mai 2008, 12:19 - Beitrag #3

ich glaube, dass das, was in diesem Staat als "notwendig" dargestellt wird, was gar "Reformen" - die seit etwa 15 Jahren ja fast immer nur Euphemismus für Einschränkungen des Solidaritätsprinzips darstellen - unumgänglich mache, sich aus einer extrem einseitigen Sicht speist, der Sicht der Lobbyisten und "Macher", nur allernotdürftigst gefaltet mit positiver medialer Darstellbarkeit.

Und doch, "die Leute" wissen trotz des medialen Trommelfeuers sehr, sehr gut, was ihnen wehtut und was nicht; bei vielen ist die Erträglichkeitsgrenze längst überschritten, und wenn die Prognosen über das Wegbrechen der breiten Mittelschicht innerhalb der nächsten 10 Jahre zutreffen sollten (siehe z.B: http://www.stern.de/wirtschaft/arbeit-karriere/arbeit/:Deutschland-%DCber-Sargn%E4gel-Mittelschicht/619601.html) dann betrifft das nicht mehr nur 15 bis 20 Prozent, sondern 75 bis 85 Prozent der Bevölkerung.

Unsere industriegespeisten Politiker sehen aber nur Aufschwung, Aufschwung, Aufschwung, natürlich wie immer verbunden mit der Notwendigkeit, immer mehr Leute in die Armut zu treib .... pardon, zu sparen, wo nur möglich ist.

Und du glaubst es nicht, schwupps ... da ist doch tatsächlich plötzlich eine fünfte Partei da. Nein, sowas, was die Leute sich nur dabei denken? Da werden sie seit zwei Jahrzehnten noch dreister verarscht als schon immer, und da haben sie plötzlich echt kein Vertrauen mehr in etablierte Parteien? Verweigern tatsächlich die Wahl zwischen Pest und Pocken, oder von mir auch zwischen Hammerhai und Killerwal, und schon glauben die unglaublich einsichtsvollen Politiker, dass dann eben mit den Leuten etwas falsche sein müsse? Denn dass mit den Politikern und ihrer Politik des willfährigen Gehorsams gegenüber ihren wirklichen Geldgebern was falsch sein könnte, daran kann es nun wirklich nicht liegen.

Nein, nein, nein, die Leute aber auch.

Um mich also nochmal stilistisch zu beruhigen ... dass eine fünfte Partei auf dem breiten Sprung in die Parlamente steht, ist für mich absolut nicht verwunderlich. Dass es keine 20 sind, schon eher.

/edit die Praxis der "Koalitionsbildung" wäre in diesem Zusammenhang auch mal zu hinterfragen. Zwar ist Regierungsfähigkeit aus politischer Sicht ein Wert an sich, aber im Prinzip dienen Koalitionen seit je dazu, den Wählerwillen zu umgehen. Mittlerweile ist das zwar positiv umgedeutet, als würden die Wähler Koalitionen wählen, aber es bleibt imo sachlich die gleiche Verarsche, die es schon immer war.

Maglor
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Mi 14. Mai 2008, 13:16 - Beitrag #4

Ich denke auch, dass die Koalitionsbildung ist ein wichtiges Thema in dem Zusammenhang.
In den 90ern war Deutschland praktisch ein Zwei-Parteien-System. Rot-Grün und Schwarz-Gelb bildeten feste Lager, an denen nur in Ausnahmefällen gedreht wurde. Und die PDS war noch ein richtiges Schmuddelkind. :crazy:
Diese Zeiten sind ja nun vorbei: Rot-Rot in Berlin, Schwarz-Grün in Hamburg...
Auch der Automatismus, dass immer eines der beiden Lager die absolute Mehrheit hat, ist ja auch vorbei. Große Koalationen und neuerdings auch Minderheitsregierungen wie in Hessen scheinen nun auch in Deutschland möglich zu sein. (Komischerweise sind ja Minderheitsregierungen in anderen europäischen Staaten durchaus üblich oder sogar die Regel.)

Interessant ist, wie Lykurg schon anmerkte, dass in Deutschland eine ernstzunehmende Rechts-Außen-Partei fehlt.
Das kuriose an neuen Parteien ist ihre geringe Halbwertzeit. Man denke nur an die Schill-Partei, die sich ja recht schnell selbst zerfleischte, es aber immerhin auf Anhieb in den Hamburger Senat schaffte.
Jene, die allerdings Bestand haben, zeichnen sich meist dadurch aus, dass sie von Profis an ihre Spitze stellen, Lenin würde wohl von einem Kader von Berufsrevolutionären sprechen. Die Linke setzt ja auch altbekannte Köpfe wie Lafontaine und Gysi, während etwaige WASG-Zöglinge in den hinteren Reihen der Beudeutungslosigkeit verschwinden. Im Gegensatz zu Schill sind es Männer, die den Umgang mit Macht bereits gelernt haben und vielleicht auch die ein oder andere Untugend wie Lobby-Arbeit, Wahlbetrug... :crazy:
Auch Österreichs Rechtsparteien FPÖ und BZÖ haben ja lange Traditionslinien und schöpfen aus dem Pool etablierter Parteien.
In Deutschland war dies bisher nicht möglich und eine in einen Landtag einziehende NPD disqualifiziert sich selbst durch ihre grenzenlose Inkompetenz.
Im Moment erkenne ich keine rechte Partei mit Potenzial in Deutschland, zum Glück. :cool:
Etwaige Versuche aus dem liberalen Stammbaum ein neue Rechtspartei abzuzweigen sind ja mit Jürgen W. Möllemann im wahrsten Sinne des Wortes zu Bruch gegangen.
Ich fragte mich da nur, wo die deutschen Rechten geblieben sind? An die Traditionen der DNVP scheint ja niemand anknüpfen zu wollen. :rolleyes:

Ipsissimus
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Mi 14. Mai 2008, 14:36 - Beitrag #5

die deutschen Rechten sind mit der CSU und ihrem Einfluss auf die CDU doch bestens bedient^^

ich glaube nach wie vor, dass aus der Entwicklung der Wahlbeteiligung und des Wahlverhaltens relativ mühelos der Auftrag immer großerer Zahlen von Menschen zu einer prinzipiellen Systemkorrektur herausgelesen werden könnte, wenn es nicht so bequem wäre, allen Nichtwählern pauschales Desinteresse zu unterstellen. Und den Trotzallemnochimmer-Wählern mit ihrem komischen Wahlverhalten tritt man eben mit Koalitionen entgegen, die auch noch den letzten verbleibenden Rest von Wählerwillen konterkarieren; alles weitere bügeln dann Bürokratie und Medien glatt. Schließlich ist nach Politikeransicht des Deutschen schlimmster Albtraum immer noch, nicht regiert zu werden.

Lykurg
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Mi 14. Mai 2008, 17:09 - Beitrag #6

Ipsissimus, ich sehe eine Identifikation breiter Teile der Bevölkerung mit politischen Aussagen, die weit rechts der CSU angesiedelt sind und von dieser nicht bedient werden. (Ganz aufschlußreich dazu etwa die Ergebnisse einer Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung, die im letzten ZEIT-Dossierabgedruckt waren). Polemik gegen demokratische Parteien bringt uns nicht weiter, wenn eine breite Masse von fast 40% Deutschland für "in gefährlichem Maß überfremdet" hält und angibt, Ausländer kämen "nur hierher, um den Sozialstaat auszunutzen".

Ich halte es für gefährlich, vor dieser Stimmungslage die Augen zu verschließen und aus der zweifellos ebenfalls vorhandenen breiten Enttäuschung im linken Lager zu folgern, mit ein bißchen (oder auch viel) mehr linker Politik könne man den sozialen Frieden wieder herstellen und alle wären glücklich; das einzige Problem dabei sei der Ultra-Rechtskurs der ach wie bösen CSU.

Auch der von dir verlinkte Stern-Artikel bezweifelt die Notwendigkeit der Abkehr von einem System, das "einfach nicht mehr bezahlbar war", nicht, und weist darauf hin, daß die Reformen sehr viel sanfter waren als in England (wo aber auch der Druck damals sehr viel höher war, und nun die Früchte geerntet werden können, wenn auch selbstverständlich auch dort durchaus nicht alles glänzt). Ich glaube nicht, daß es die Gesellschaft wirklich stabilisiert hätte, noch eine halbe Generation alles über Schulden zu finanzieren und (bei Platzen der Kredite) schlagartig alle Zahlungen einzustellen, die folgenden zwei Generationen aber den Schuldendienst leisten zu lassen. Eine solche Planung hätte nur bewirkt, daß sich alle leistungsfähigen Kräfte rechtzeitig außer Landes begeben.

-

Maglor, die Rechten in Deutschland tun sich irgendwie schwer mit der Anknüpfung an Traditionen. Wenn sie (wie die NPD gelegentlich) sich allzu offen zur NSDAP bekennt, wird ihr Verbot greifbar; DNVP und andere sind weitgehend vergessen und bieten auch nicht viel an Ideen, was zur Anknüpfung dienen könnte - wenn man vom Medienimperium Hugenbergs absieht. Gerhard Frey von der DVU kann sich damit allerdings bei weitem nicht messen.

Ipsissimus
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Do 15. Mai 2008, 10:49 - Beitrag #7

woher kommt denn diese Identifizierung? Das gute alte Sündenbocksyndrom tritt immer dann auf, wenn was? Richtig, wenn es den Leuten dreckig geht. Warum geht es zunehmend mehr Leuten in Deutschland dreckig?

Mir geht es nicht um linke oder rechte Ideologie, ich verweigere mich dieser Dichotomie. Und es ist auch überhaupt nicht notwendig, links oder rechts zu sein, mensch muss nur gewillt sein, auf eigene Faust und eigene Verantwortung - und nicht entlang der vorgeschlagenen Denkschienen staatlicher Willfährigkeit - selbständig zu denken, um zu sehen, dass die dort wo vorhanden zunehmende Verelendung und die gesellschaftsweite Ausweitung der Elendsschichten Folge einer Politik ist, die zwar wortgewandt vorgibt, Politik für die Menschen zu sein, die ihr unterliegen, tatsächlich jedoch als Politik gegen die Menschen charakterisiert werden muss. Dieses "einfach nicht mehr bezahlbar"e System wäre problemlos weiter finanzierbar, müßte es nicht all die Privilegien mitbezahlen, die seine Privilegienträger sich fröhlich und regelmäßig gönnen.
Hast du letzthin gelesen, wie hoch das diesjährige Steueraufkommen in Deutschland ist? 550 Milliarden Euro, 1,1 Billionen DM^^ da fragt man sich doch wirklich, was mit diesem Geld gemacht wird^^

was bei diesen ganzen rechten Parteien gern vergessen wird - die Traditionen, an die sie faktisch anknüpfen, sind Traditionen der Stärkung des persönlichen Sadismus´von Menschen


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