Orban erwachte vom Geräusch seines eigenen unangenehm pfeifenden Atems. Er befand sich in einem Zimmer oder in etwas, was einem Zimmer glich, einer primitiven Heimstatt. Ihm schwirrte der Kopf. Der Schmerz fuhr ihm wie eine Klinge durchs Handgelenk und den Arm hinauf. Er schlug die Augen auf. Einen Moment lang drehte sich das Zimmer um ihn herum, während seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnten.
Er war allein im düsteren Zimmer. Eine weiche Matratze aus geflochtenem Gras schmiegte sich an seinen gepeinigten Leib. Auf ihm lag eine flauschige Decke, während auf dem Boden neben ihm eine Schale mit Wasser stand, mit einem Tuch, beides blutig. Ein Gefühl des Unbehagens erfüllte ihn, als wäre er lange Zeit fort gewesen.
"Was ... ?"
Er versuchte zu sprechen, doch seine Stimme war lediglich ein Krächzen. Als er es erneut versuchte, tat es weh. Alles tat ihm weh. Rasch versuchte er seine Schmerzen zu orten. Nicht nur sein Arm stand in Flammen, auch die Brust. Es waren Qualen, die wie tausend Wespenstiche sein Fleisch aufwühlten. Orban stöhnte, als mit dem Schmerz auch sein Bewusstsein zurückkehrte. Wo war er? Wo waren die anderen? Er wollte Igelius aus einem Gefängnis befreien und jetzt war er auf einmal hier.
Jäh zuckte die Erinnerung an Maul in seinem Geist auf. Hatte Maul ihn verflucht?
"Oh Gott", ächzte er. "Steh mir bei ..."
Wieder versuchte er sich zu bewegen, doch er konnte sich nur hilflos auf die Seite drehen. Sein verkrüppelter Arm war bandagiert. Als er die Decke von seinem Körper zog, stellte er fest, dass er nackt war. Bis auf die Stoffstreifen um Brust und Arm war er vor aller Welt entblößt. Sein Blick schoss durch den Raum und erspähte sofort seine Kleidung. Jemand hatte sie gewaschen und ordentlich gefaltet über einen Stuhl gehängt. Neben dem Stuhl standen seine Stiefel. Auch die hatte man geputzt, allen Schmutz von ihnen abgekratzt, so dass das braune Leder jetzt strahlte. Frustriert versuchte Orban, darauf zuzukriechen, sich über den Steinboden zu schleppen. Er kam keinen halben Meter weit, dann forderte die Erschöpfung ihren Tribut.
"Verdammt", fluchte er. Schon ging sein Atem schwer. Die ungewohnte Anstrengung hatte seinen Schädel zum Dröhnen gebracht. Sein Leib brach auf dem Boden zusammen, und wieder spürte er die Finsternis der Ohnmacht kommen, die seinen Verstand auszuschalten drohte.
"Helft mir!" schrie er. "Igelius, Durin, helft mir!"
Als habe er einen Diener gerufen, eilte Igelius ins Zimmer. Der junge Mann keuchte auf, als er Orban bäuchlings auf dem Boden liegen sah.
"Orban!" rief Igelius und eilte Orban zu Hilfe. "Hör auf! Was tust du da?"
Orban konnte kaum antworten. "Igelius ... wo ...?"
"Sprech nicht", befahl der Zauberer. Er packte Orban unter den Armen und zog ihn sanft wieder auf die Matratze, bemühte sich, Orbans Glieder zu ordnen. Über alle Maßen erschöpft, schloss Orban angesichts der Schmerzen, die dieses Tun ihm bereitete, die Augen. Schließlich legte Igelius ihm die Hand auf die Stirn und befühlte seine Haut.
"Noch immer Fieber", sagte Igelius, mehr zu sich selbst als zu Orban. Er kniete sich neben die Matratze und schwieg.
Nach einer Weile fing Orban leise an zu sprechen. "Müsst ... helfen ... Maul hat ... verflucht ... der Glassturm ..." Igelius stand auf. "Orban? Was für ein Glassturm? Wo steht er? Was finden wir dort?" Doch Orban war schon in Ohnmacht gefallen. Niedergeschlagen verließ Igelius das Zimmer.
Draußen warteten seine Freunde, Durin, Rafal und Maethandil. Sie schauten ihn erwartungsvoll an. "Orban sagt, dass Maul ihn verflucht hätte. Und irgendetwas von einem 'Glassturm'. Ich schätze, wir müssen ihn suchen. Doch ich habe keine Ahnung, in welcher Richtung er liegt. Ich schätze, wir müssen uns trennen." Der Barbar, der Waldläufer und der Übermensch nickten.
Und so kam es, dass sich alle 4 in die verschiedenen Himmelsrichtungen aufmachten, um den Glassturm zu suchen, und Orban zu retten.
Igelius machte sich auf nach Süden, in die heißen Länder der Drachenwüste. Dort hoffte er, ebenfalls den Drachenhügel zu finden, wo der Zauberstab seines Großvaters zuletzt gesehen worden war.
Durin wanderte nach Norden, in die kalten Länder des schweigsamen Volks Liss. Er hoffte, dort den Glassturm zu finden, da die Lisser ein handwerkerisches Volk waren.
Rafel ging nach Westen, in die Länder von Lucel-Lor, zu dem Volk der Triin. Sie hatten alle bleiche Haut und lange, weiße Haare und verehrten die beiden Götter Lorris und Pris.
Maethandil lief nach Osten, in die Wälder von Talistan. Er fühlte sich im Wald heimisch, und hoffte dort ein paar Waldläufer anzutreffen, die ihn weiterhelfen konnten.
Igelius
Aus dem Tagebuch des Zauberers Igelius
Ich hatte meinen Freunden nie etwas von meinem Tagebuch erzählt, in der Befürchtung, sie könnten mich auslachen. In letzter Zeit hatte ich keine Gelegenheit, hineinzuschreiben, wegen der Ereignisse um Maul. Doch jetzt, wo wir uns getrennt haben, schreibe ich meine Gefühle wieder in das in Gold eingeschlagene Buch, dass mir Großvater mir zu meinem 5. Geburtstag geschenkt hatte. Eigentlich sollte es dazu dienen, mir komplizierte Zaubersprüche aufzuschreiben. Doch ich hatte ein Talent, sie mir zu merken, also benutze ich dieses Buch als Tagebuch.
Jeder Tag seit meinem 5. Geburtstag ist hierdrin verewigt. Bis zu den Ereignissen um die Rose des Bösen und Mauls Auftauchen. Ich sitze jetzt jeden abend allein am Feuer, mit nichts als Jecinane, meinem Pferd und etwas Proviant, der bald zu Neige gehen wird. Wenn ich nicht bald eine Stadt finde, werde ich mich von Schlangen und Eidechsen ernähren müssen, meine einzigen Begleiter auf dieser öden Reise.
Doch ich schätze, ich werde morgen eine Oase oder so erreichen. Wenn nicht ... Aber ich will mir nicht den Mut nehmen. Morgen geht es weiter, ob ich will oder nicht.
Igelius wachte vom Geräusch des immer noch knisternen Lagerfeuers auf. Hatte er es nicht letzte nacht ausgemacht? "Egal", dachte er. Er beseitigte die Reste des Feuers und stieg auf sein Pferd. Den ganzen Tag ritt er durch die Drachenwüste und dachte nach. Darüber, ob Orban wirklich eine Medizin oder was auch immer aus dem Glasstrum helfen konnte, oder ob Orban nur Fieberfantasien hatte.
Wenn das letzte zutreffen würde, würde er bald sterben. Vielleicht stimmte es ja auch alles, selbst dann bezweifelte Igelius, dass er rechtzeitig wieder bei Orban sein würde. Vielleicht würde Igelius ja auch sterben. Verdursten, verhungern. Es gab so vieles, was man nicht bekämpfen konnte und unaufhaltsam war.
Als er so dahinritt, bemerkte er gegen Abend plötzlich Rauch am Horizont. Er kniff die Augen zusammen, doch er konnte nichts erkennen. Deswegen spornte er sein Pferd noch mehr an.
Als er dann die Stelle erreicht hatte, traute er seinen Augen nicht: Eine Satdt! Doch bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Überall waren verkohlte Häuser zu sehen und es roch nach verbranntem Fleisch. "Wer hat das nur angestellt?", dachte er.
"Der Drache", ertönte plötzlich eine Stimme hinter ihm.
Blitzartig drehte sich Igelius um und sah einen Mann, dessen Gesicht von einer Kaputze verhüllt war. Doch seine Stimme kam ihm bekannt vor, wie aus einem Traum. Der Mann nahm die Kaputze ab und Igelius erkannte ihn sofort: Es war