Ich denke, das Thema Bürgergeld wäre einen eigenen thread wert, hier denke ich geht es um die Vertretbarkeit des Hartz IV-Systems im Rahmen des derzeitigen Systems.
Um es kurz zu machen, ich halte das Hartz IV-System in wesentlichen Teilen für nicht angemessen hinsichtlich eines achtungsvollen Umgangs mit Menschen, außerdem für kontraproduktiv hinsichtlich des Ziels, die betroffenen Menschen wieder dauerhaft in eine ihren Fähigkeiten und ihrer Erfahrung entsprechende Beschäftigung zu bringen. Allerdings deckt sich diese Zielformulierung nur sehr unvollkommen mit der offiziellen, die lediglich auf die Veränderung einer statistischen Meßgröße (Arbeitslosenquote) hinaus geht.
Das Hartz IV-System ist außerdem erwiesenermaßen uneffektiv hinsichtlich des Ziels der Kosteneinsparung, die angestrebte Reduktion der Verwaltungskosten ist mindestens nicht erfolgt - wenn es nicht gar teurer geworden ist - was die Leistungsaufwendungen betrifft, bin ich mir nicht sicher, auch wegen zahlreicher Kostenverlagerungseffekte.
Das Hartz IV-System ist handwerklich schlecht gearbeitet, was sich in einer Fülle von Klagen gegen das Regelwerk äußert - die zum großen Teil zugunsten der Bezieher ausgehen und durch die einige der wesentlichen Zähne des Systems gezogen worden sind.
Es darf bei alledem nicht unerwähnt bleiben, daß unter Hartz IV in kaum vorher bekanntem Ausmaß einschlägige Urteile zugunsten der Bezieher von seiten der Behörden ignoriert werden - ein Rechtsstaatsdefizit, das seines gleichen sucht.
Worin der Eingriff in die Würde der Bezieher besteht, ist von Ipsi und Milena schon gut verdeutlicht worden - Vorschreiben der Wohnungsgröße mit ggf. Umzugsanordnung ist für mich ein eklatanter Eingriff in die Selbstbestimmung des Aufenthaltsortes, dazu in die sozialen Beziehungen der Menschen; die Schaffung von Bedarfsgemeinschaften macht Mitwohnende zu Geiseln des Systems, greift somit in die materielle Selbstbestimmung Außenstehender ein; die Anrechnung von Geschenken an Kinder macht diese zu Geiseln des Systems, das ist doppelte Moral, wenn wir die Kinderarbeit in Indien geißeln.
Nicht zuletzt ist es auch ein krasser Widerspruch zum Leistungsethos unserer Gesellschaft, wenn Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensleistungen und Möglichkeiten nach einem Jahr Arbeitslosigkeit mit entsprechend differenzierten Bezügen auf ein gerade mal die materiellen Grundbedürfnisse Nahrung und Unterkunft deckendes Niveau fallen gelassen werden.
(Mensch kann zum Leistungsethos stehen wie es will, für mich ist es aber schon absurd, einen gesunden 27-Jährigen, der ggf. mit Weiterbildung gute Chancen auf eine feste Stelle hat, wie einen 48-jährigen zu behandeln, dessen Chancen auf Wiedereingliederung aufgrund seines Alters bei minus unendlich liegen.)
Die Verpflichtung zu Ein-Euro-Jobs mag gut gemeint gewesen sein - "dann haben die wenigstens mal was zu tun" -, führt aber eher zur Depression der Menschen, die nämlich für durchaus nicht angenehme und oft auch anstrengende Arbeiten ein Geld geboten bekommen, bei dem jeder andere sagen würde "na, wenn dir meine Arbeit so wenig wert ist, dann lass es mal stecken, von so einem Geizkragen will ich's nicht". Abgesehen davon, daß diese Arbeiten nichts mit Qualifikation und Erfahrung der Menschen zu tun haben und keine Weiterentwicklung bringen.
Letztlich werden die Menschen dadurch vielfach auch eher geschädigt, was ihre Eignung für ihren eigentlichen Beruf betrifft, der Geist braucht Herausforderungen...
EDIT:
Ich finde in dem Zusammenhang Milenas Darstellung anhand ihrer eigenen Situation wirklich sehr einsichtig, im übrigen sehr mutig, danke dafür
Der Vergleich mit der Studentensituation ist dabei IMHO etwas schwierig - wobei unter den Bedingungen der heutigen Studiengebühren sicher etwas passiger als zu meiner Zeit.
Allerdings hakt es an folgenden Punkten:
Studenten bekommen bis zu einem bestimmten Alter Kindergeld, nicht viel zwar, aber es trägt mit zur Kostendeckung bei.
Studenten sind entweder über ihre Eltern oder zu einem sehr günstigen Tarif krankenversichert.
In den Semesterbeiträgen sind meistens recht ausgedehnte Semestertickets inbegriffen.
Es gibt Studentenwohnheime, deren Mieten wirklich günstig sind.
Studenten können in ihrer Freizeit und in ihren Ferien so viel hinzuverdienen, wie sie wollen, ohne daß es ihnen an anderer Stelle genommen wird.
(Daß nur wenige Studenten BaFöG bekommen und das Hinzuverdienen meist bitter nötig ist, zusätzlich oft wertvolle Zeit zum lernen verschlingt, ist mir dabei durchaus klar...nicht nur deshalb bin ich ein erbitterter Gegner der heutigen Studiengebühren.)
Natürlich klingt es hart, aber der Unterschied, daß ein Studium in der Regel der Schritt zu einer nicht schlecht bezahlten Beschäftigung ist, während HARTZ IV zunehmend den Einstieg in eine den Rest des Erwerbslebens über prekäre Einkommenslage darstellt, ist nicht ganz von der Hand zu weisen, zumindest im Falle von Lehramtsstudenten, Juristen und Bereichen des Ingenieurwesens.
Will sagen, Hochachtung, wie Ihr mit Eurem dünnen Etat durchs Studium kommt, aber die Situation von Hartz IV ist IMHO etwas anders.