Ein Leben ohne Kunst, Kultur und Literatur

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Tille_65
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Di 10. Feb 2009, 15:02 - Beitrag #1

Ein Leben ohne Kunst, Kultur und Literatur

Hallo allesamt,
Ich darf mir zuhause Gedanken machen, ob eine Gesellschaft existieren kann, in der keine Kunst, Kultur und Literatur vorhanden sind. Wir haben Brave New World gelesen und müssen jetzt jeder eine solche Frage diskutieren. Ich habe mir gedacht, dass es auch ein gutes Thema für eine Matrix-Diskussion ist. Also her mit euren Meinungen ;)

Lykurg
[ohne Titel]
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Di 10. Feb 2009, 15:57 - Beitrag #2

Zunächst überrascht mich der Ansatz, schließlich beschreibt Brave New World keine Gesellschaft ohne Kultur, nur eine, die sich weitgehend von unseren kulturellen Grundlagen gelöst hat. Bücher sind nicht generell verboten, sondern 'nur' zensiert (und nach Alter aussortiert) bzw. nur für die intelligentesten Bevölkerungsschichten gedacht, sie sind also ein Mittel der sozialen Distinktion. Musik spielt darüber hinaus eine erhebliche Rolle in Freizeitgestaltung (Bernards OrgyPorgy) und als kollektives Event (orgiastische Szene nach Johns Wutausbruch). Auch zu den Solidary Services gehören Gesang und Tanz. Ohnehin handelt es sich bei kultischen Handlungen wie diesen natürlich um eine Form der Kultur. Ford nimmt den Platz einer Gottheit ein. Auch der Verzicht auf eine Geschichte ("History is bunk") wird natürlich entlarvt, die Zählung "nach Ford" macht nur um so deutlicher, daß man sich als Teil einer neuen Epoche sieht, die in der Öffentlichkeit der breiten Massen zwar einen Universalitätsanspruch hat, einem Alpha plus ist aber selbstverständlich klar, daß es vor Ford etwas anderes gab (und jemand wie Mond kommt natürlich auch an Bücher vor der Zensurzeit heran).

Grundsätzlich (und nun abgelöst von Brave New World) stellt sich bezogen auf deine Überlegung aber die Frage nach dem anzusetzenden Kultur-, Kunst- und Literaturbegriff. Im weitesten Sinne lassen sich etwa charakteristische Formen von Werkzeugen (erst recht: von Gefäßen!) schon bei Steinzeitkulturen als distinkte Kulturform fassen; das auf eine Postmoderne bezogen würde erlauben, die Form und Gestaltung beliebiger Alltagsgegenstände als Kultur zu sehen; als Folge davon wäre also nur eine Gesellschaft kulturlos zu nennen, die keinerlei Werkzeuge und Formen der Materialbearbeitung (töpfern, schnitzen etc.) kennt. Darüber hinaus ist aber nach meinem Verständnis auch die Form der gesellschaftlichen Organisation selbst eine kulturelle Errungenschaft, in diesem Sinne ist eine Gesellschaft ohne Kultur ein Paradoxon. Bild

Gesellschaften ohne Literatur sind dagegen denkbar bzw. am Anfang der Menschheitsgeschichte und an den Rändern der Zivilisation unweigerlich vorhanden (jedenfalls so weit Literatur Schriftlichkeit meint und voraussetzt). 'Ohne Kunst' dürfte schwieriger sein; ähnlich wie bei der Kultur ist der Begriff ziemlich allumfassend gültig für das, was wir Mensch nennen - aber hier fangen die Schwierigkeiten wohl erst an.^^

Tille_65
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Di 10. Feb 2009, 16:10 - Beitrag #3

Zitat von Lykurg:in diesem Sinne ist eine Gesellschaft ohne Kultur ein Paradoxon. Bild

Genau dasselbe habe ich auch gedacht, als mir diese Aufgabe zugeteilt wurde. Ich denke auch, dass ich stark auf diesen Punkt eingehen werde.
Ich glaube zwar, dass unser Lehrer diesen Aspekt gar nicht berücksichtigt hat, jedoch findet er es bestimmt gut.

Ob ein Leben ohne Literatur sich bewähren könnte ist mir auch nicht ganz klar, da ich als Literaur nicht nur das Geschriebene Wort verstehe, sondern alles publizierte, was etwas (wissenschaftliches) publizieren soll. Somit auch die Höhlenmalereien der Steinzeitmenschen. Ich kann den Begiff Literatur für mich auch nicht von dem Begriff Kunst trennen, es sei denn, es ist ein rein wissenschaftliches Werk.

Puuh, ist das alles kompliziert :-D

Maglor
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Di 10. Feb 2009, 18:24 - Beitrag #4

Man muss die Definitionen von Kunst, Kultur und Literatur nur weit genug einschränken und schon finden sich massenweise Gesellschaften ohne ebensolche.

dmz
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Di 10. Feb 2009, 23:15 - Beitrag #5

Ich unterscheide zunaechst zwischen dem Leben einer *Einzelperson* und der *Gesellschaft* andererseits.
Gesellschaft ohne Kultur ist eine Paradoxie (- ist bereits geschrieben worden).
Gesellschaft wird erst moeglich durch Kultur und bleibt *bestaendig* wegen der Kultur.
Kultur ist also der Ueberbegriff dessen, was man als Bindemittel der Gesellschaft nennen kann,
damit diese zusammhaelt und nicht auseinanderfaellt.
Dabei sind (schoene) Kuenste (Musik, Gesang und Dichtung, Malerei, Bildhauerei, Aktionskunst)
und Literatur (- zumindest im Sinne von Belletristik) Beiprodukte der Kultur an sich.
:
Das *Kulturereignis* schlechthin ist zweifellos die gemeinsame Sprache und die *Sprachkompetenz*.
Ich verweise in diesem Zusammenhange auch auf meinen Thread ---
:
> Smalltalk > Weblogs > Alles *Sophistik* und *Rhetorik*, oder was ?
- siehe Beitrag 27.01.2009, 01:42 / BILDUNG: WISSEN und SPRACHKOMPETENZ
:
Ich moechte mit diesem Beitrag (nebenbei) auf die Bedeutung der rein sprachlichen Ausbildung hinweisen,
welcher jedes Gesellschaftsmitglied zwangsweise unterliegt,
wenn es am Gesellschaftsleben erfolgreich teilnehmen will;
- und dass man sich der Sprachanwendung *nicht* entziehen kann.
Ein nicht unerheblicher Anteil an Information und Bildung laeuft ueber Sprachanwendung und Literatur .....
:
Sprachkompetenz ist eine "Kunst" an sich.
Das kommt auch in der deutschen Uebersetzung des Wortes "Rhetorik" zum Ausdruck:
Rhetorik = "Redekunst".
Der deutsche Philosoph Karl Marx (1818-1883) verstand sich sogar als *Poet der Dialektik*,
als er die Textpassagen ueber seine Manifeste und *Das Kapital* schrieb.
Das koennte dann sinngemaesz jeder (anerkannte) Philosoph von sich sagen bzw gesagt haben.
Das Wort *Kunst* hat eine *klassische* Bedeutung und wird in einer Form der *Bedeutungsverschiebung* benutzt:
:
*Kuenstler* sind im klassischen Sinne schaffende Personen, die Kunstwerke herstellen,
die mit ihrer Person *bleibend* verbunden sein koennen,
- wie das bei Komponisten, Malern, Bildhauern und Dichtern (Theater, Literatur) der Fall gewesen ist.
Im modernen Sprachgebrauch hat der Begriff *Kuenstler* eine Bedeutungserweiterung erfahren,
und die Umgangssprache bezeichnet auch blosze Anwender als Kuenstler:
- Dirigenten, Theateregisseure, Designer, Aktionskuenstler und andere mehr.
Letzteren ist gemeinsam, dass sie haeufig keine eigenen *bleibenden* Kunstwerke erschaffen.
Allgemein kann man sie *Vortragskuenstler* oder spezielle *Anwendungskuenstler* nennen.
Die Umgangssprache benutzt sogar den Begriff *Lebenskuenstler*.
Die Verfilzung des Gesellschaftslebens mit "Kunst" an sich
- im klassischen wie im uebertragenen Sinne - ist allgemein bedeutsam .....
:
Dann gibt es noch die grosze Gruppe der *Kunstkonsumenten*.
Fuer die waere die Kunst eigentlich entbehrlich;
- denn es besteht keine Notwendigkeit, *Kunstkonsument* zu sein,
um sein Leben zu gestalten und zu erhalten.
:
Philosophisch gesehen beschaeftigt sich die Kunst mit Dingen, welche *nicht* existieren.
Das gilt auch ungeachtet der Tatsache, dass gelegentlich die Frage gestellt wird:
"Was will der Kuenstler uns durch sein Werk mitteilen?"
Unterstellt wird dann, dass das Kunstwerk sich am gesellschaftlichen Geschehen orientiert hat,
gesellschaftliche Belange kritisiert oder feiert.
Die Kunst beschaeftigt sich dennoch mit dem Nichtexistierenden.
Daraus koennte man folgern, dass das Leben einer Person ohne Kunst moeglich sein muesste.
Die Kunst scheint also lediglich Beiwerk des Gesellschaftslebens zu sein,
der man sich *als einzelner* entziehen koennte, - wenn man keinen besonderen Wert auf sie legte.
:
Kann eine einzelne Person sich der Teilnahme am Kulturgeschehen der Gesellschaft entziehen ?
Kann eine Einzelperson ohne Kunst leben ?
Und wenn nein, warum nicht ?
:
Ich will es abkuerzen:
Wer in einer Gesellschaft lebt und in dieser angemessen zurecht kommen will,
ist zu einem gewissen Grade wegen der Normen fremdbestimmt(determiniert).
Ich behaupte, dass er sich nicht einmal bewusst kulturell abgrenzen kann.
Es wuerde auch nicht im Interesse seiner *aesthetisch-moralisch-ethischen* Lebensgestaltung sein.
Deshalb: Das Leben in einer Gesellschaft ohne Teilnahme an deren Kulturereignissen (incl. Kunst und Literatur)
ist nicht moeglich.
:
P.S.: Im Zusammenhange mit dem letzten Absatz, empfehle ich eine Betrachtung
ueber den von der Gesellschaft auf den einzelnen ausgeuebten *Determinismus*.
Auszerdem ueber die *aesthetisch-moralisch-ethische* Lebensgestaltung.

Milena
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Mi 11. Feb 2009, 12:24 - Beitrag #6

...bemerkenswert ist auch die kultur an sich in der tierwelt....^^
(wurde gestern auch in der darwinschen debatte erläutert^^)

dmz
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Mi 11. Feb 2009, 14:43 - Beitrag #7

@Milena
Worum ging es da im Kern der Debatte ?
Was bedeutet "Kultur" im Tierreich ?
Gibt es im Tierreich auch so etwas,
was man mit dem Kunstbegriff in Verbindung bringen koennte ?

Milena
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Mi 11. Feb 2009, 15:07 - Beitrag #8

..dmz^^,
der kern der debatte war eigentlich der 200jährige geburtstag von darwin...
u.a waren als gäste zoologe Josef Reichholf und theologe Georg Baudler geladen und sich die fragen gestellt: was ist genau von seiner theorie geblieben, wo liegen die stärken, wo hat er sich geirrt und spricht er über die natur oder auch über die gesellschaft?

dann kam das beispiel der FAZ redakteurin Julia Voss auf, mit der Giraffe und ihrem langen hals...das bedingt dadurch, schmackhaftere nahrung(blätter) hoch über den baumen zu erreichen, eine streckung (verlängerung) des halses gegeben war und dies sich kulturell weitervererbt hatte......^^

kultur in der tierwelt nichts ungewöhnliches ist, obwohl lange zeit als umstritten galt, siehe folgendes beispiel:
Die menschliche Kultur ist einzigartig. Täglich werden Patent- und

Forschungsanträge eingereicht, Opern aufgeführt, Tanz- und

Sprachunterricht erteilt und religiöse Praktiken ausgeübt. Aber wie

erkennt man „Kultur“? Gemäß Meyers Lexikon umfasst der Kulturbegriff

„das von Menschen zu bestimmten Zeiten in abgrenzbaren Regionen in

Auseinandersetzung mit der Umwelt in ihrem Handeln Hervorgebrachte“.

Das scheint „Kultur“ im Tierreich auszuschließen. Doch bestreiten viele

Primatologen, Ethnologen und Kulturanthropologen, dass „Kultur“

ausschließlich eine menschliche Errungenschaft sei. Ersetzt man

‚Menschen’ in der Kulturdefinition durch „Lebewesen“, lassen sich

Kandidaten für „tierische Kultur“ finden.

Der tradierte Kulturbegriff verbindet sich weitgehend mit der

Vorstellung, dass sich Menschen von anderen Tieren durch „Kultur“

unterscheiden. Dabei wird „Kultur“ oft durch eine Liste von

Tätigkeiten, die Menschen im Unterschied zu anderen Tieren ausüben,

statt durch Reflexion über zugrunde liegende Fähigkeiten und

Verhaltensweisen charakterisiert. Anhand von Beiträgen aus der

Verhaltensforschung, der Anthropologie und der Philosophie wird das

Seminar die Frage, ob es eine tierische Kultur gibt, erörtern. Ziel ist

es, ein tieferes Verständnis der menschlichen Kultur und deren

Voraussetzungen zu erlangen.

.....
ansonsten ist die debatte: literatur im foyer mit Thea Dorn
am kommenden freitag 13.02 um mitternacht im SWR fernsehen zu sehen..^^

Padreic
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Mi 11. Feb 2009, 19:50 - Beitrag #9

Ob man von Kultur bei Tieren sprechen kann, hängt sicherlich stark vom angelegten Kulturbegriff ab.

Sieht man bereits Werkzeuggebrauch und gesellschaftliche Organisation als Kultur an, dann haben z. B. Schimpansen ohne jeden Zweifel Kultur (siehe z. B. Wikipedia). Sie sind in der Lage in gewissen Grenzen sogar Werkzeuge anzufertigen (z. B. anspitzen von Stöcken als Speere), sie wenden (primitive) medizinische Prozeduren an und ihr Gesellschaftsgefüge hat Komplexität. Zumindest die ersten beiden sind angelernt und werden auch in einer Population über Generationen hinweg weitergegeben (wenn auch nicht systematisch). Gerade diese Weitergabe, die genetische ähnliche Populationen an verschiedenen Orten, in Kenntnissen und Verhalten unterscheidet, ist, denke ich, wichtig, will man von Kultur sprechen. Das nicht-Systematische der Weitergabe macht es sozusagen aber nur zu einer Kultur erster Stufe, da der Prozess des Tradierens selbst keiner kulturellen Formung unterliegt und damit auch nicht weiterentwickelt wird (wenn ich es recht verstehe). Für eine höherentwickelte Kultur ist es notwendig, dem Nachwuchs systematisch die schon erworbenen Kenntnisse weiterzugeben.

Eines der Haupthindernisse im Tierreich für so ein systematisches Lehren ist sicherlich die verhältnismäßig primitive Sprache, so man denn überhaupt von einer solchen sprechen will. Prinzipiell scheinen Primaten intellektuell zu komplexeren Sprachen fähig; so hat man (Roger Fouts) z. B. einer Schimpansin gewisse Teile der (amerikanischen) Gebärdensprache bei. Interessanterweise hat die genannte Schimpansin dies teilweise an andere Schimpansen weitergegeben, die diese dann benutzten. Es wäre interessant zu wissen, ob eine solche Weitergabe auch bei einer größeren Population funktionieren würde. Das würde aber vermutlich gewissermaßen der obersten Direktive im Sinne von StarTrek widersprechen ;). So oder so scheinen Primaten nicht in der Lage zu sein, eine solche Sprache selbst zu entwickeln. Was das ungemein interessante Thema der Entstehung der Sprache beim Menschen anreißt, über das man natürlich aber nur sehr wenig wissen kann.

Damit sieht es schonmal für große Teile der Kunst düster aus. Die Sprache, die Tiere ausüben können, ist sicherlich zu primitiv für Dichtung und Literatur, selbst für orale. Musik und darstellende Kunst hätten aber noch Chancen.
Musik wird man natürlich am ehesten bei Singvögeln beobachten. Bei aller musikalischer Komplexität, die hier beobachtbar ist, ist jedoch die Frage, inwieweit sie damit irgendwas ausdrücken wollen, was man künstlerisch nenen könnte. Es ist sicherlich eine Kulturleistung, da es erlernt wird, jedoch wird es eher instiktiv zu Revierverteidigung und Sexualanlockung eingesetzt. Das ist zwar mitunter bei so manchem menschlichen Künstler auch der Fall, jedoch wohl nicht das eigentliche Wesen von Kunst.
Bei Malerei stellen sich ähnliche Probleme, wohl sogar größere. Ich weiß von keiner Tierart, die in natürlicher Lebensweise malt. Man kann sicherliche Tiere, wie z. B. Elefanten (ORIGINAL Elephant Painting) dazu dressieren, aber ein Bild aus dem Gedächtnis abzumalen ist sicherlich nicht das gleiche wie Kunst. Ich hab irgendwas im Gedächtnis von Affen, die da mehr geleistet haben, kann aber gerade im Internet nichts finden...

Fazit: In einem weiteren Sinne haben können manche Tierarten ganz sicherlich Kultur entwickeln, aber bei Kunst sieht es für mich recht zweifelhaft aus.

dmz
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Do 12. Feb 2009, 21:07 - Beitrag #10

Damit sieht es schonmal für große Teile der Kunst[im Tierreich] düster aus.
Die Sprache, die Tiere ausüben können, ist sicherlich zu primitiv für Dichtung und Literatur, selbst für orale.
Musik und darstellende Kunst hätten aber noch Chancen.
Musik wird man natürlich am ehesten bei Singvögeln beobachten.
Bei aller musikalischer Komplexität, die hier beobachtbar ist, ist jedoch die Frage, inwieweit sie damit irgendwas ausdrücken wollen, was man künstlerisch nenen könnte.
Es ist sicherlich eine Kulturleistung, da es erlernt wird, jedoch wird es eher instinktiv zu Revierverteidigung und Sexualanlockung eingesetzt.
Das ist zwar mitunter bei so manchem menschlichen Künstler auch der Fall, jedoch wohl nicht das eigentliche Wesen von Kunst.
Bei Malerei stellen sich ähnliche Probleme, wohl sogar größere.

Sehe ich im Grunde genommen auch so.
:
Eine der 5 Merkmale oder Errungenschaften der modernen Aufklaerung
ist die Entwicklung (neuer) aesthetischer Maszstaebe gewesen,
welche unabhaengig von sozialen und empirischen Erkenntnissen erfolgte.
Es ist nun nicht mehr noetig gewesen, dass der Kuenstler durch sein Kunstwerk
unbedingt eine allgemein-verstaendliche Aussage machen wollte (ob i.d. Musik oder Malerei).
Neben der programmatischen Kunst gab es nun auch die Kunst als Selbstzweck, ausschlieszlich der Aesthetik wegen.
Als Beispiel nenne ich mal die bleiverglasten Kirchenfenster,
welche urspruenglich eine religioese Botschaft bildlich ueberbringen sollten,
waehrend in neuerer Zeit die Fenster fallweise nach rein aesthetischen Gesichtspunnkten gestaltet worden sind.
:
Was im vorigen Beitrag zu Ausdruck kommt ist die Frage nach der Grenze,
ab wann man von Kunst ueberhaupt reden kann.
Wenn die Schwarzdrossel vorhin in unserem Garten ein auf dem Boden liegendes Stoeckchen
mehrmals hin- und herwendete, kann das etwa eine kuenstlerische Betaetigung im Tierreich gewesen sein,
oder diente das dem schnoeden Erhaltungstrieb ?
Ich meine, dass ein Mensch als Kuenstler immer einer aesthetischen Motivation unterliegt.
Bei den Tieren bezweifle ich das; es duefte sich da eher um ein Spielen handeln
und nicht um Kunst.

janw
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Do 12. Feb 2009, 22:14 - Beitrag #11

[quote="Padreic"]Eines der Haupthindernisse im Tierreich für so ein systematisches Lehren ist sicherlich die verhältnismäßig primitive Sprache, so man denn überhaupt von einer solchen sprechen will. Prinzipiell scheinen Primaten intellektuell zu komplexeren Sprachen fähig]
Die von manchen Primaten (und auch von manchen Vogelarten) entwickelten Techniken zur Herstellung von Werkzeugen und ihre Weitergabe in den betreffenen Populationen stellen aus meiner Sicht durchaus eine Kulturleistung dar. Hinsichtlich der Sprachen weiß man seit kurzem, daß die Lautsyteme z.B. von Gorillas zusammen mit körpersprachlichen Merkmalen ausgesprochen differenziert sind, "wir" haben nur einfach nicht gewusst, worauf wir dabei achten müssen. Es gibt dabei durchaus auch Dialektbildungen, so daß Populationen sich je nach ihrer Nähe unterschiedlich gut verstehen - Dialektbildungen über größere Entfernungen sind aber auch von Singvögeln bekannt.
Der einzige Unterschied zwischen den Primaten und uns scheint mir der zu sein, daß sie offenbar keine Hirnregion haben, die sie irgendwann nach ihrer eigenen Stellung in der Welt und nach etwas wie "Sinn", "Warum" fragen lässt, was für mich am Grunde der religiösen Vorstellungen des Menschen steht, und daß sie keine Muße haben im Sinne von etwas tun, das keinen Zweck hat außer dem, Ausdruck des Soseins des Betreffenden in diesem Moment zu sein - wäre vielleicht eine grundlegende Definition für künstlerische Kreativität. Alle freie Zeit wird mit sozialer Interaktion, v.a. Fellpflege, verbracht.

dmz
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Fr 13. Feb 2009, 12:24 - Beitrag #12

Nun hat mE jedes vom Menschen verrichtete Handwerk etwas mit kuenstlerischem Empfinden bzw kuenstlerischer Betaetigung zu tun
(ob Tischlerei, Schlosserei, Baeckerei u.v.m., bei dem zB Gestaltung des Aeuszeren eine Rolle spielt).
Bedeutet, dass neben der praktischen Verrichtung der Arbeit auch ein aesthetisches Empfinden unterschwellig mitschwingt.
Da gibt es Unterschiede.
Als ich meinen ersten Kohle-Verladekran(10t) nach der Fertigstellung begutachten konnte,
erschien er mir vom aeuszeren Design her durchaus stark verbesserungs-beduerftig.
Die Proportionen harmonierten irgendwie nicht.
Das hatte ich (und auch die Arbeitskollegen) auf den verschiedenen Zeichnungen zunaechst gar nicht feststellen koennen.
Erst vor dem Hintergrund der Natur (Landschaft, Raeumlichkeit) war uns das klar geworden.
Aber der Kran funktionierte einwandfrei.
Natur und Umgebung bestimmen das kuenstlerische Schaffen des Menschen erheblich mit.
:
Wenn ich den Kunstbegriff in diesem Sinnen weit auslege,
dann gelingt es mir sogar zu behaupten,
dass "Kunst" in gewisser Hinsicht auch das Arbeiten beguenstigt und sogar erleichtern kann.
Es koennte dann nicht ausgeschlossen werden,
dass sich auch andere Lebewesen (auszerhalb des Menschseins) auf "Kunst" verstehen.
Kunst waere dann als Begleiterscheinung von Betaetigung im Sinne des Arbeitens zu verstehen.
Eine Definitionssache halt.

janw
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Fr 13. Feb 2009, 13:31 - Beitrag #13

dmz, das liefe dann auf einen Kulturbegriff hinaus, der auf einer Erkenntnis der Individualität des eigenen Selbst beruht, dem in Handlungen Ausdruck verliehen wird, Kultur als die individuelle Gestaltung der Welt.
Insofern, daß sie planmäßig geschieht, wäre sie als Kunst zu bezeichnen.

Tille, und da hat Dein Lehrer gepfuscht: Literatur ist eine Form von Kunst ist eine Form von Kultur, d.h. eine Gesellschaft, in der es Literatur gibt (und sei es auch nur von Generation zu Generation erzählte Geschichten am Lagerfeuer), hat damit automatisch auch Kunst und Kultur.

Tille_65
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Fr 13. Feb 2009, 16:22 - Beitrag #14

Ich hab in meiner Aufgabe jetzt die wichtigsten Dinge, die ihr gepostet habt, verarbeitet. Dass sich keine Kultur entwickeln kann und eben das was aalles genannt wurde. Das deckte sich so ziemlich mit meinen Vorstellung. Danke euch allen!

janw
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Fr 13. Feb 2009, 16:45 - Beitrag #15

Was meinst Du mit "Daß sich keine Kultur entwickeln kann"?

Handlungskomplexe, die unter "Kultur" zusammengefasst werden können, treten bei Menschen und einigen anderen Lebewesen auf. Die Frage ist, ob ihr Auftreten diesen inhärent ist, also gewissermaßen zum artspezifischen Merkmalsinventar gehört, oder eine mehr oder weniger zufällige Emergenz, die durch bestimmte artspezifische Eigenschaften begünstigt wird. In dem Falle wäre eben beim Schimpansen die Wahrscheinlichkeit dazu größer als bei der vergleichsweise nicht ganz so hirnleistungsfähigen Stubenfliege.

Allerdings bestünde dann auch noch die Möglichkeit, daß uns die kulturellen Hervorbringungen einer Stubenfliege nicht so auffallen (tut sie's im Verborgenen?^^) oder wir sie nicht recht als solche zu würdigen wissen.
Auf jeden Fall ist der Besitz von Kultur durch die positive Konnotation derselben in Gefahr, Gegenstand intentionaler Zuweisung zu sein - lass die Barbaren in ihrer Barbarei glücklich werden, aber wenn wir sie kulturlos nennen, wird es Zeit, daß wir dem Zustand ein Ende setzen^^

Traitor
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Fr 13. Feb 2009, 18:39 - Beitrag #16

Nach den Themen "Gesellschaft ist Kultur" und "Können Tiere Kultur haben?", zu denen ich weitgehend Lykurg bzw. Jan zustimme, möchte ich nochmal auf Lykurgs ersten Beitrag zurückkommen, und somit auf die Frage, inwiefern eine dystopische Gesellschaft Kunst und Unterhaltungskunst "loswerden" könnte.

Hier muss man wohl zwischen hedonistischen Dystopien à la Brave New World und totalitären Dystopien à la 1984 unterscheiden. In ersteren gehören, wie von Lykurg ausgeführt, Kunst oder zumindest Massenmedien sogar zum System, können also nicht wegrationalisiert werden. In einem konsequent weitergeführten 1984-Gesellschaftssystem dagegen, das die Ruhigstellung der Massen nicht durch wunschlose Gemütlichkeit erreichen will, sondern durch so grobe Unterdrückung und Überbeschäftigung, dass keinerlei Kapazitäten für höhere Denkfunktionen übrigbleiben, ist die Ausmerzung jedweder Kunst und Freizeit-Kulturbeschäftigungen elementarer Bestandteil des Konzepts. Die Newspeak-Sprachzerstörung ist auch eine Form davon, denn Sprache ist ein wichtiger Teil der Kultur, wie erwähnt.

janw
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Fr 13. Feb 2009, 22:31 - Beitrag #17

Traitor, das Problem für Regime mit dem Ziel der Ausrottung von Kultur ist, daß sie mit Menschen anfangen, die mit Kultur aufgewachsen sind, und die, oder zumindest einige, sich immer Nischen schaffen werden, in denen sie Muße finden bzw. Wege, sich in ihrem Tun individuell auszudrücken. Hier haben sicher Handwerker mehr Möglichkeiten als Arbeiter am Fließband - dies ist in den 70ern schon Gegenstand sozialwissenschaftlicher Untersuchungen gewesen -, aber auch sie werden Wege individueller Weltgestaltung finden.
Vielleicht stellt das Pol-Pot-Regime eines der gezieltesten Versuche dar, diese kulturellen Prägungen der Menschen auszurotten und durch Zusammenfassung der Kinder und ihre kollektive Erziehung nach Maßgaben des Regimes diese von bisherigen kulturellen Gegebenheiten abzuschirmen.
Glücklicherweise letztlich erfolglos.


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