Amoklauf von Winnenden

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Maglor
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Fr 13. Mär 2009, 12:09 - Beitrag #21

Zitat von Ipsissimus:Die inhaltliche Zusammenführung von Selbstmordattentätern und schulischen Amokläufern ist derart grotesk, dass ich nur noch den Kopf schütteln kann.

Ist dies wirklich so grotesk? Naja, Selbstmordattentäter und Amokläufer sind wirklich grotesk.
Interessanterweise finden sich in dem Abschiedsbrief des "Amokläufers" von Emsdetten tatsächlich so etwas wie politische, nach eigenen Angaben anarchistische Parolen.
Ich will das ihr erkennt, das niemand das Recht hat unter einem faschistischen Deckmantel aus Gesetz und Religion in fremdes Leben einzugreifen! Ich will das sich mein Gesicht in eure Köpfe einbrennt! Ich will nicht länger davon laufen! Ich will meinen Teil zur Revolution der Ausgestossenen beitragen! Ich will R A C H E !

Im Grunde lehnte der 18jährige die Gesellschaft als ganzes ab. Schule, Erwerbsarbeit und Konsum werden als Unterdrückung der Freiheit des Einzelnen dargestellt.
Die eigene Misere wird hier klar in Verbindung einer angeblichen Unrechts-Gesellschaft in Verbindung gebracht.
Die Anschuldigen sind natürlich Hannebüchen, aber ist das ein Unterschied zu den islamistischen Terroristen nach Art Al-Kaida?

Auch bei den Al-Kaida-Terroristen handelt es sich um Kinder des Westen. Auch sie suchen den Tod. Dass ihre Anschläge letztlich keine wirkliche Veränderung herbeiführen sondern Konflikte verschärfen, ist bekannt. Letztlich geht auch den Terroristen um Rache und die Inszenierung des eigenen Selbstmordes als Martyrium. "Wir leben den Tod mehr als ihr das Leben." ist ihre Parole.
Eine neuere Entwicklung ist, dass jugendliche deutsche Konvertiten islamistische Terroristen werden. So etwa jene die 2007 verhaftete "Sauerland-Gruppe" oder die noch gesucht saarländische Zelle.

Ipsissimus
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Fr 13. Mär 2009, 12:22 - Beitrag #22

ich denke, dass die große Mehrzahl dieser "Verstehens"versuche darauf abzielen, den Knopf zu finden, auf dem man drücken muss, um die "Zündung" zu verhindern. Obwohl das Ziel selbstverständlich legitim ist, glaube ich nach wie vor, dass Menschen nicht auf Knopfdruck funktionieren und daher echtes Interesse für das Individuum unerlässliche Voraussetzung dafür ist, Amokläufe zu verhindern. Da in unserer Gesellschaft echtes Interesse für einen Menschen aber mittlerweile nur noch auf einen engen Personenkreis um diesen drumherum begrenzt ist, behilft man sich mit Plakatieren und mimt beim nächsten Mal lieber wieder die Überraschen und vom Undenkbaren Geplagten.

e-noon
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Fr 13. Mär 2009, 14:00 - Beitrag #23

Jeder ist Opfer der Gesellschaft, in der er lebt. Wenn das stimmt, dann ist aber jeder zugleich auch Täter - auch der Amokläufer. Wenn jemand sich entscheidet, lieber ein paar Menschen mit in den Tod zu reißen, als sein bestmögliches zu tun, wenigstens den kleinen Teil der Gesellschaft zu verbessern, in dem er lebt... dann kann er sich auch nicht legitim über andere Individuen beschweren und das als Rache hinstellen, denn er selbst hat ja die eigenen Forderungen (nach einer besseren Gesellschaft) nicht einmal versucht zu erfüllen.

Ich sags mal deutlicher: Wenn es ein System gäbe, mit dem zukünftige Selbstmordattentäter (sicher) identifiziert und ausgeschaltet werden könnten, würde ich es sofort implementieren. Letztlich besteht eine Gesellschaft nur aus Individuen, und zu behaupten, alle anderen Individuen, nur nicht man selbst, würden Schuld an der Gesellschaft haben, ist Schwachsinn. Genauso gibt es Menschen, die an der persönlichen Misere Schuld sind, und Menschen, die es nicht sind. An Kinderpornographie z.B. sind die Macher und die Konsumenten Schuld, aber nicht jeder, der in einer Gesellschaft lebt, die Kinderpornographie enthält, auch wenn man mit einer völlig anderen Gesellschaft eventuell dieses Verbrechen vermindern könnte.

Ich denke, wenn man einen Knopf fände, der sinnloses Morden verhindert, wäre schon mal vielen geholfen. Dass dann immer noch Menschen unglücklich sind, ist schade und natürlich verbesserungswürdig, aber unglücklich sein endet meist irgendwann zumindest für einen gewissen Zeitraum, während ein einmal erschossener Schüler NIE wieder die Chance auf Glück bekommen wird.

@Ipsi: Wie kommst du darauf, dass in UNSERER Gesellschaft MITTLERWEILE nur das Interesse für einen beschränkten Personenkreis besteht? Dass man sich um Freunde und Verwandte mehr kümmert, als um Menschen, die man nicht kennt und die weit weg wohnen, ist nicht nur wegen der Masse der Individuen das einzig mögliche, sondern auch in unseren Genen verankert, wenn ich mich nicht sehr irre.
Außerdem zeigt die Empathie mit den Opfern und die Fassungslosigkeit in ganz Deutschland wohl, dass durchaus Interesse am Schicksal anderer sieht (nicht nur aus Angst um sich selbst, nimm ein anderes Beispiel, Flutkatastrophe am anderen Ende der Welt).
Dass sich EIN Einzelner nur um einen bestimmten Kreis anderer einzelner intensiv kümmern kann, ist einfach so und kann wohl kaum jemandem vorgeworfen werden.

Maglor
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Fr 13. Mär 2009, 14:56 - Beitrag #24

Ich denke die Ursache ist keineswegs die böse Gesellschaft sondern der tiefsitzende Hass der Täter auf die Gesellschaft und die Welt an sich.
Interessanterweise stimmt dies mit den in der Zeitung "Agit 883" unmittelbar nach der Baader-Befreiung verbreiteter RAF-Propaganda überein.
Wer sich nicht wehrt, stirbt. Wer nicht stirbt, wird lebend begraben: in den Gefängnissen, in den Erziehungsheimen, in den Löchern von Kreuzberg, Wedding, Neuköln, in den Steinsärgen der Neubaugebiete, in den überfüllten Kindergärten und Schulen, in den perfekten Neubauküchen, in unbezahlten Schlafzimmerpalästen.

Meint da Ulrike Meinhof etwa, Schulen und Kindergärten seien Gefängnisse und die Befreiung des Proletaritats aus diesen Zwängen des Schweine-System sei nur durch Gewalt zu erreiche? Der Mensch ist lebend begraben und nur gewaltsamer Kampf als Stadtguerilla verspricht ein erfülltes, freies Leben.
Auffällig ist, dass viele Terroristen und vorgeblich politisch motivierte Mörder in ihren Ideologien äußerst flexibel sind. RAF-Gründer Horst Mahler ist heute bei der NPD aktiv, der linksextreme Top-Terrorist "Carlos" hat sich dem Islamismus zugewandt. Der als "Satansmörder" bekannte Hendrik Möbus hat eine beeindruckende Entwicklung vom Punk zum Satanisten und endlich zum Neo-Nazi gemacht.
Die Kontinuität ist in allen Fällen ein bedingungsloser Hass auf die Gesellschaft und das System.
Im Grunde geht um Hass, Todessehnsucht und den Traum ganz gewöhnlicher Menschen von Macht und Bedeutung, die durch Gewalt zumindest für kurze Zeit erreicht wird.
Der Grund hierfür ist aber sicher nicht die tatsächliche Brutalität der bundesdeutschen Gesellschaft sondern die individuelle Wahrnehmung des Selbst und Welt. Welthass gepaart mit Narzissmus, eine gefährliche Mischung.

Milena
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Fr 13. Mär 2009, 14:57 - Beitrag #25

...ich denke eher, dass das interesse, das hinschauen auf den mitmenschen vorab eines unglückes gemeint ist,
also nicht erst, wenn etwas passiert ist und dann ein jeder interesse, mitleid oder sonst was bekundet.....
es ist vielleicht tatsächlich so, dass es in deutschland kühler, distanzierter und introvertierter zugeht, als in anderen ländern...wissen tue ich es aber nicht....
aber in südlichen ländern, italien, zb. kennt der eine seinen nachbarn usw....
was ihn natürlich nicht unbedingt vor einem unglück schützen könnte....
aber ich meine schon einen unterschied in den verschiedenen ländern und in deren mentalität erkennen zu können...
und ja, ich lebe hier und ich weiss die namen meiner hausbewohner, ausser einer familie unter mir tatsächlich nicht......
deutschland steht an 2. stelle weltweit in der amoklaufliste, direkt nach USA....

Ipsissimus
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Fr 13. Mär 2009, 15:34 - Beitrag #26

ja, natürlich, da hat Milly völlig recht, ist das Hinschauen vorher gemeint; danach ist es weitgehend Sensationsgier, also wieder nur kein Interesse für den Menschen

Ich denke die Ursache ist keineswegs die böse Gesellschaft sondern der tiefsitzende Hass der Täter auf die Gesellschaft und die Welt an sich


und wo kommt der Hass her? Hat der mal wieder nichts mit der Gesellschaft um diesen Menschen zu tun? Wobei, ich bitte dies zu berücksichtigen, auch da keine Monokausalität gegeben ist; natürlich laufen im Täter psychologische und soziologische Faktoren zusammen. Nur dass in der posthumen Aufarbeitung zumindest bisher die verwerflichen psychologischen Faktoren immer groß herausgestellt wurden, währen die soziologischen Faktoren stehts auf ein Level hinuntergespielt wurden, welches die Unbegreiflichkeit der Tat zementierten sollte, also Selbstfreispruch der Gesellschaft implizieren

Ipsissimus
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Fr 13. Mär 2009, 16:33 - Beitrag #27

was mich auch interessieren würde, ist eine was wäre wenn-Frage: was wäre, wenn der Täter überlebt hätte? Er war 17, also greift noch das Jugendstrafrecht. Ich denke, das wäre eine riesige Herausforderung, sowohl an die Justiz als auch an die öffentliche Diskussion, geschweige denn für die Verarbeitung seitens überlebender Opfer und der Angehörigen aller Opfer, und natürlich auch seiner Familie. Und für ihn selbst, das langsame Einsickern der Erkenntnis dessen, was er getan hat ... extrem

janw
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Fr 13. Mär 2009, 22:02 - Beitrag #28

Zitat von e-noon:@Maglor: Und was bringt internationale Berühmtheit, WENN MAN TOT IST!?? :crazy:

Es gibt da so eine Redensart, nach der man erst dann wirklich tot ist, wenn man aus dem Bewusstsein der Menschen verschwunden ist. Ein langes Leben damit für all die school-shooter, wenn ihre Fotos bei jedem neuen Vorfall durch die Vorspanne der "Brennpunkte" gezappt werden...


In "Hart aber fair" wurde nach dem Vorfall über die Bedeutung von Computerspielen für derartige Handlungen gesprochen, wobei einer der Teilnehmer meinte, vielleicht könnten sie den Tropfen darstellen, der das Fass zum überlaufen bringe. Was in mir die Frage aufkommen ließ, ob es da sinnvoll sei, diesen Tropfen abzustellen - oder ob es nicht viel besser wäre, das Fass zu leeren. Nur, was ist es, womit dieses Fass gefüllt ist, was macht die heutigen Füllungen so anders als die von früher - oder ist dies nur scheinbar so?
Wenn ich mir durchlese, wie anfang der 60er Jahre die damaligen "Experten" in der Presse die damals aufkommende beat-Generation erklärten, danach die Rocker und die Halbstarken, so finde ich immer wieder dieselben Schemata: Randständige Jugendliche, tatsächliche oder selbstempfundene "Versager", die sich in eine Scheinwelt flüchten, stets verbunden mit einem mehr oder weniger intensiven Ausdruck der Abscheu und mehr oder weniger offenen Forderungen nach Maßnahmen gegen diese "Störer der Ordnung", wenn nicht gleich gegen ihre Musik.
Nichts neues also heute, oder wurden damals Depressionen in die Jugendlichen hineingeheimnisst, die heute real und in breiter Masse existieren?
Da, noch weiter zurück, depressive Stimmungen bei jungen Menschen auch schon so verbreitet gewesen sein müssen, daß sie Stoff liefern konnten z.B. für die Leiden des Werther, habe ich den Eindruck, daß der Focus vielleicht besser darauf läge, was den Ausdruck der Emotionen bedingt.
Was ist dann aber heute anders als in den 70ern, daß heute aus Versagensgefühlen heraus Schulen überfallen werden?

Spielen bewaffnete Spiele vielleicht doch eine größere Rolle, indem sie vielleicht einen Modus weisen, die Spannungen, Konflikte, Gefühle abzuleiten, die ohnedies vorhanden sind? Wie, wenn ich nicht irre, Werther seinerzeit eine kleine Welle von Selbstmorden unter jungen Männern nach sich zog...

Oder...bekommt jede Gesellschaft die Aggressionen, die sie verdient?

Was das vorher-Hinsehen betrifft...sicher, das fehlt vielfach, aber was, wenn mensch seine Dinge nicht mit jenen zu teilen gedenkt, die sich ihm da hilferbietend nähern, etwa weil sie ja nur darauf abzielen, daß mensch "funktioniere", weil sie ja nur "zum System gehören"?
Ich fürchte, daß jenen, die sich ernst nehmen, mit noch so vielen Psychologen schwer zu helfen ist...

Milena
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Fr 13. Mär 2009, 22:19 - Beitrag #29

Was das vorher-Hinsehen betrifft...sicher, das fehlt vielfach, aber was, wenn mensch seine Dinge nicht mit jenen zu teilen gedenkt, die sich ihm da hilferbietend nähern, etwa weil sie ja nur darauf abzielen, daß mensch "funktioniere", weil sie ja nur "zum System gehören"?
Ich fürchte, daß jenen, die sich ernst nehmen, mit noch so vielen Psychologen schwer zu helfen ist...

...so was von wahr.......leider...

interessant der phasenablauf:
https://freemailng1202.web.de/jump.htm?goto=http%3A%2F%2Fde.wikipedia.org%2Fwiki%2FAmokhttp://de.wikipedia.org/wiki/Amok

...das es ca. nur ein drittel der amokläufer sind, die einen anschließenden suizid vorsehen.....
und ja, sehr extrem, danach aufzuwachen, um festzustellen, was man eigentlich angerichtet hat.......

Ipsissimus
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Sa 14. Mär 2009, 00:56 - Beitrag #30

Oder...bekommt jede Gesellschaft die Aggressionen, die sie verdient?


ich würde es nicht so moralisch sehen^^ sie bekommt die Aggressionen, die sie hervorruft^^

Was das vorher-Hinsehen betrifft...sicher, das fehlt vielfach, aber was, wenn mensch seine Dinge nicht mit jenen zu teilen gedenkt, die sich ihm da hilferbietend nähern, etwa weil sie ja nur darauf abzielen, daß mensch "funktioniere", weil sie ja nur "zum System gehören"?


nun, dann sind wir ja auf der richtigen Seite^^ weil es so ein paar geben könnte, können und konnten wir von vornherein darauf verzichten, auch nur zu versuchen, vorher hinzusehen^^ weil es ohnehin ganz ausgeschlossen ist, beim vorherigen Hinsehen herauszufinden, ob und in welchem Ausmaße sich jemand verweigert^^

und ja, sehr extrem, danach aufzuwachen, um festzustellen, was man eigentlich angerichtet hat.......


ja, und nicht nur bei Amokläufern

Kati
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Sa 14. Mär 2009, 01:44 - Beitrag #31

Erstaunlich ist, dass diesesmal die Frage nach den sogenannten "Killerspielen" garnicht aufkommt. Diesesmal sind es die Waffen die frei im Haus rumliegen. Macht aber offensichtlich auch nix: Hab gerade nen Bericht gesehen wie nen ca. 12 jähriger mit seinem Vater über die Waffenmesse schlendert und fröhlich mit sehr schweren Geschützen spielen darf :boah:

Versteht mich nicht falsch, ich konnte mich furchtbar über die Politiker aufregen die über die "Killerspiele" herzogen. Klar, sie sind natürlich eine passende Ausrede für Mängel im sozialen Umfeld. Ich fürchte allerdings, dass auch dieser Fall nichts bewegen wird. Beim Nächsten wird halt dann der Amoklauf 2009 nochmal rausgekramt :rolleyes:

Was den Täter anbelangt werd ich wohl ne ziemlich radikale Meinung haben aber: Mir tut er weder Leid, noch habe ich irgendein Verständnis für die Tat. Niemand hat das Recht (egal welchen psychischen Druck ausgesetzt) unschuldige Menschen in den Tod zu reißen. Und ihren Familien ein Leben zu lassen was nie wieder so sein wird wie früher. Mir fehlt dafür absolut jedes Verständnis...
Und ich wage zu behaupten, dass wenn das eure Kinder oder eure Ehefrauen gewesen wären es euch verdammt egal wäre wer er war... oder ob er nun tot ist oder sein Leben im Gefängnis verbringt.

Ipsissimus
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Sa 14. Mär 2009, 02:47 - Beitrag #32

mir tut der Täter auch nicht leid, und ich habe genauso wenig Verständnis für die Tat, Kati. Aber das Verstehen der Tat ist unerlässlich. Sicher nicht für jedermensch. Aber wenn wir Derartiges zukünftig verhindern wollen, müssen wir verstehen, dringend.

janw
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Sa 14. Mär 2009, 03:08 - Beitrag #33

Zitat von Ipsissimus:nun, dann sind wir ja auf der richtigen Seite^^ weil es so ein paar geben könnte, können und konnten wir von vornherein darauf verzichten, auch nur zu versuchen, vorher hinzusehen^^ weil es ohnehin ganz ausgeschlossen ist, beim vorherigen Hinsehen herauszufinden, ob und in welchem Ausmaße sich jemand verweigert^^

Das war eigentlich nur als ein kleiner skeptischer Einwand gedacht angesichts des medialen Hypes um die nun auf einmal massiv in Marsch gesetzten Schulpsychologen, das implizit in den Kommentaren schwingende "jetzt wird alles gut".
Nein, ich gebe Dir völlig recht, daß es mehr Hinsehen geben sollte, mehr Achtsamkeit, weniger kalte Selektion.
Nur sehe ich auch mich selbst damals und meine zu erinnern, daß ich an irgendeinem Punkt ggf. zu irgendwelchen Psychologen nur freundlich "Ja ja" gesagt hätte, weil ich erkannt hätte, daß meine Probleme sie nicht wirklich interessierten, geschweige sie mir wirkliche Lösungen hätten bieten können.
:
- Wobei aber vielleicht gerade das Evozieren dieser Erkenntnis hilfreich gewesen wäre...

Aber ganz grundsätzlich, was ist es, das, offenbar zu verschiedenen Zeiten, weit verbreitete depressive Stimmungen unter Jugendlichen auslöst?
Hat es vielleicht etwas mit einem Grundproblem jeder Gesellschaft, nämlich, daß sie zur Affirmation ihrer Mitglieder mehr oder weniger stark auf die Existenz von Randständigen als Objekte der Abgrenzung angewiesen sind?
Warum der Hype um die paar wenigen Rocker und Alternativen in den 70ern und 80ern, wenn es der bürgerlichen Presse nicht darum gegangen wäre, die breite Masse auf Kurs zu halten?

Sagte nicht mal jemand sinngemäß "Schlimmer, als Feinde zu haben, ist für eine Gesellschaft nur, keine Feinde zu haben"?

Ipsissimus
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Sa 14. Mär 2009, 03:19 - Beitrag #34

daß ich an irgendeinem Punkt ggf. zu irgendwelchen Psychologen nur freundlich "Ja ja" gesagt hätte, weil ich erkannt hätte, daß meine Probleme sie nicht wirklich interessierten


das ist ja genau der springende Punkt, Jan. Wenn die ganzen Psychologen schon vorher wissen, dass sie die Welt richtig sehen und der arme Jugendliche Hilfe braucht, dann brauchen sie erst gar nicht anzufangen zu verstehen. So was geht nur auf gleicher Augenhöhe, und dieses Gespür haben Jugendliche bis zum Abwinken, ob sie herablassend behandelt werden oder nicht, ob Erwachsene wirklich was verstehen wollen, oder ob es nur ums adrett verschleierte in die Spur bringen geht.

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Sa 14. Mär 2009, 16:32 - Beitrag #35

Irgendwie weiß man ja schon genau, was nach einem Amoklauf kommt. Es wiederholt sich auch immer wieder.

Von http://www.n-tv.de/1120198.html :

Der Amokläufer von Winnenden soll am Abend vor der Tat stundenlang an seinem Computer ein Killerspiel gespielt haben. Das habe die polizeiliche Auswertung des Computers ergeben, berichtet "Der Spiegel". Demnach habe Tim K. um 19.30 Uhr das Killerspiel "Far Cry 2" gestartet und den PC gegen 21.40 Uhr ausgeschaltet. Der Junge habe auch die Schießspiele "Counterstrike" und "Tactical Ops" installiert. Zudem seien etwa 200 Pornobilder gefunden worden, davon mehr als 120 sogenannte Bondage-Bilder, die nackte, gefesselte Frauen zeigen.


Also sollte ich mal Amok laufen, werde ich alle "Killerspiele" löschen, die sich auf meinen Rechner befinden, und stattdessen lauter Programme wie Teletubbis etc. auf meinen Rechner installieren. Das würde den Psychologen mal stark zu denken geben.

Da ich ja WoW als "Killerspiel" spiele laufe ich wenn, dann sowieso mit Axt und Zauberstäben durch die Gegend. Bild

OK, meine Pornos... Naja Ob ich die dann löschen will? Ein wenig Spaß will man den Ermittlern ja auch gönnen. ^^

Mir gehen diese Disskussionen schwer auf die Nerven. Amokläufer gab es schon deutlich länger als die sogenannten "Killerspiele" (mein Absolutes Lieblingswort, da haben sich die Medien mal richtig was einfallen lassen).

Aber wie bereits in den Thread erwähnt. Irgendwas muß ja immer Schuld sein, und wenn man irgendwelchen spielen die Schuld an solche Taten in die Schuhe schieben kann, ist es natürlich deutlich einfacher, als zuzugeben, das in dieser Gesellschaft irgendetwas verkehrt läuft.

Vielleicht sollte man doch lieber Opel Opel sein lassen, und die Millionen in die Bildung investieren. Davon würde die Gesellschaft deutlich mehr und länger profitieren.


Just my 10 Cents...

(Dieser Betrag ist natürlich teilweise satirisch gemeint, nicht das nachher die Werder-Fans bei mir auf der Matte stehen). Bild

Edit meint ich sollte mir die Beiträge nochmal durchlesen, bevor ich sie abschicke.

janw
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Sa 14. Mär 2009, 16:34 - Beitrag #36

Da hast Du recht, Ipsi - vielleicht täte es manchen Psychologen gut, in ihre eigene Jugend zurück zu blicken, wie hätten sie damals gewünscht, daß mit ihnen umgegangen worden wäre?

Wenn ich das so höre, er war freundlich, unauffällig, in der Schule nicht erfolglos...aber offenbar eine Krise in seiner Beziehung.
Dann die Sache mit den Depressionen, die Eltern bestreiten jetzt, daß er behandelt wurde. Ausgeblendete Wirklichkeit, weil nicht sein kann, was nicht sein darf...unser Kind hat keine psychologischen Probleme zu haben...? - Oder nur Teil des Versuches, das Unvorstellbare zu bewältigen?

Ich weiß nicht...spricht etwas gegen eine spontane Überreaktion des Jungen?

Wäre er mir egal, wenn einer meiner Lieben unter den Opfern wäre? Ich weiß es nicht...

Anaeyon
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Sa 14. Mär 2009, 17:15 - Beitrag #37

Wäre ich zur Zeit kurz davor, Amok zu laufen, dann wären die Aussagen der Politiker, die 24/7-Mitleidsbekundungen und Threads wie dieser noch ein Grund für mich, es zu tun.

Die Erwachsenen wären ein Grund. Die reden immer von "Hinschauen" und so, fühlen sich mittlerweile in dem System wohl, gegen welches sie früher auch mal rebellieren wollten, haben sich an ihr für sie größtenteils vor-geregeltes Leben angepasst weil Hass auf Dauer zu anstrengend ist und haben sich damit als Hinschauer und Zuhörer schonmal komplett disqualifiziert.

Die Schule wäre für mich ein Grund, weil ich den ganzen Menschen, die am einen Tag über das dicke Mädchen mit den NoName-Klamotten lästern, am nächsten Tag rumheulen und gar nicht verstehen können, warum denn da einer agressiv wurde, durch ein Mich-Anvertrauen nur das Gefühl geben würde, dass sie stärker sind als ich und sie etwas Gutes getan haben, womit sie ihr Ego wieder genug gepusht haben, um ohne Gewissen weiterzulästern.

Ein weiterer Grund wäre es, dass Leute den Amokläufern vor mir im Nachhinein gerne geholfen hätten, anstatt dass sie sagen "Die im Abschiedsbrief geäußerte Kritik trifft zu, unser System ist zwar nicht das schlechteste, aber dennoch beschissen"

Es werden Symptome bekämpft und die Krankheit gutgeredet. Schade, dass die Taten der Amokläufer dies auch noch unterstützen, unnütze sind (allein schon dadurch, dass sie mir auf die Nüsse gehen) und mindestens ein tiefsinniger Mensch dabei draufgeht.

Kein Mitleid von mir für ihn, aber (im Wissen, das mir das hier evtl. falsch ausgelegt wird) die Hoffnung, dass WENN sowas nochmal vorkommt, was ich mir natürlich nicht wünsche, es dann mal die Leute trifft, die so einen Bullshit ins Mikro stottern wie Öttinger (der war das glaube ich, mit "auf keinen Fall nachvollziehbar")

Edit: Einfach mal in so ner Radioansprache zugeben dass Menschen scheisse sind, dass das System scheisse ist, dass sich das aber nur sehr langsam ändern lässt, anstatt sich neue Amokläufer zu züchten indem man weiterhin so ekelhaft einen auf Schöne Welt macht.

Milena
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Sa 14. Mär 2009, 17:49 - Beitrag #38

...ich verstehe euch sehr gut....
aber leider war und ist deutschland kein land von rebellion und terrorismus....
was kam denn nach der baader-meinhoff-bande..?
nichts mehr......
und amoklauf in schulen triffts leider nicht wirklich.....
schulen sind nicht die richtigen anlaufziele.....
da habt ihr, anaeyon und dirki vollkommen recht.....
in frankreich zb. wird getobt und rebelliert was das zeug hält...
aber hier...? wir sind doch alle (fast alle) sooo kultiviert und zivilisiert in diesem kalten kapitalistenstaat, oder etwa nicht....^^

Malte279
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Sa 14. Mär 2009, 18:33 - Beitrag #39

aber leider war und ist deutschland kein land von rebellion und terrorismus.... was kam denn nach der baader-meinhoff-bande..?
Zu schade, dass Deutschland kein Land von Rebellion und Terrorismus ist? Wäre es schöner in regelmäßigerem Abstand Terroranschläge zu haben da man dadurch das Gefühl hätte in einer gesünderen Gesellschaft zu leben in der es in Folge vermehrter Terroranschläge weniger Amokläufe gäbe? Bei allem Respekt vor der ursprünglichen Studentenbewegung glaube ich nicht, dass die Baader-Meinhoff Bande so idealisiert werden sollte.
Die Mehrheit regt sich furchtbar über unsere böse, böse Gesellschaft auf, über die Politiker die (ganz unabhängig von dem was sie sagen oder tun) verantwortlich gemacht werden, es werden Schuldzuweisungen an alle möglichen Leute oder Dinge ausgeteilt, aber letztlich ist es dann doch wieder die Gesellschaft als ganzes und so wird die Diskussion weiter gehen bis sie sich im Sande verläuft um dann beim nächsten Mal wieder hervorgekramt zu werden.
Einerseits ist es so herrlich bequem "der Gesellschaft" für alles die Schuld in die Schuhe zu schieben, weil dies für viele (natürlich auf keinen Fall alle, aber konstruktive statt nörgelnde Gesellschaftskritik ist doch eher die Ausnahme) ein angenehmer Weg ist persönliche Verantwortung abzulehnen, aber andererseits (und ich merke, dass ich mir hier in gewisser Weise selbst widerspreche) ist es dann auch wieder unbequem als Teil der Gesellschaft einen Teil der Verantwortung zugeschustert zu bekommen, der vielen Leuten einfach nicht zusteht, da sie normal nette mitglieder der Gesellschaft sind und nun wirklich keine wie auch immer geartete Schuld an dem Amoklauf haben. Es hört sich in Schlagzeile zwar toll an, aber wir sind NICHT alle Schuld an Winnenden. Sagt man dies riskiert man aber dafür runtergemacht zu werden, dass man die verkommene Gesellschaft schön redet, sich um persönliche Verantwortung drücken will etc.
Bei all dem Gerede werden die meisten konkreten Vorschläge für Veränderungen (mit aus meiner Sicht wechselhaft guten oder schlechten Begründungen) auch sofort verrissen, ob es sich jetzt um das Verbot von "Killerspielen" handelt die alle so lieb gewonnen haben ("die alleine machen ja keinen zum Amokläufer"), um schärfere Waffengesetze ("die haben ja offensichtlich nach Erfurt auch nichts gebracht"), um einen anderen Umgang mit Gewalt in den Medien ("Hilfe, Zensur! Außerdem kaum zu realisieren"), Überwachung ala USA mit Metaldetektoren etc. an Schuleingängen ("Das Verhindert, dass unsere Kinder zu mündigen Bürgern werden wenn eine solche Überwachungsstaat atmosphäre herrscht"), oder um mehr Schulpsychologen ("Und das in einer Zeit da an Schulen noch nicht mal genug Lehrer finanziert werden können. Außerdem handeln Psychologen eh nur nach mustern, sind unfähig und haben scheinbar im konkreten Fall Winnenden auch nichts genützt").
Jeder ist unheimlich bereit zu verkünden wogegen er oder sie ist, aber es ist sehr selten, dass irgendwer sagen kann wofür er oder sie ist ohne (teils mit Berechtigung teils nicht) um die Ohren gehauen zu bekommen, das die Vorschläge unrealistisch oder utopisch sind (Die meisten von uns würden sich wohl über eine Gesellschaft freuen in der alle nett zueinander sind und konflikte fair ausgetragen werden, aber wir wissen auch, dass bei Milliarden von Individuen und der Macht und Aufmerksamkeit die ein Gewaltbereiter etc. im Vergleich zu hundert friedfertigen bekommt doch eher gering sind).
Ich nehme mich selbst von all der Kritik oben ausdrücklich nicht aus, aber ich denke, dass ich nicht der einzige bin auf den sie hier mit zuträfe.

Lykurg
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Sa 14. Mär 2009, 18:50 - Beitrag #40

Anaeyon, was genau meinst du mit "Threads wie dieser"? Hätte ich mich bisher zu Wort geäußert, würde ich vielleicht verstehen, was du meinst, da meine Ansichten von den von dir geäußerten - oder jedenfalls dem, was ich darunter verstehe - so weit abweichen, daß vielleicht ein Amoklauf dem einen oder anderen als einzige Möglichkeit, die Differenz beizulegen, erscheinen könnte. Da dies aber nicht der Fall ist, vielmehr die von Ipsissimus und Milena geäußerten Punkte doch der von dir geforderten Radikalkritik recht nahekommen dürften - und ihnen im Rahmen des Threads eher wenig widersprochen wurde - sehe ich nicht so ganz, was hier entsprechende Taten auslösen sollte.

Vielleicht schadet das Sprechen über die Taten an sich, jedenfalls halte ich die Nachahmungseffekte für sehr viel größer als das ganze pseudorebellische Gerede vom Scheißsystem, das die Menschen angeblich kaputt mache. Ja, es handelt sich bei den Amokläufern um gescheiterte Existenzen, und qua definitionem auch um Gescheiterte an sich selbst und an der Gesellschaft, in der sie leben. Aber was macht sie wirklich zu dem, was sie sind? Was frustriert sie? Daß sie überflüssig sind, keine Perspektive haben, keinen echten Nervenkitzel mehr kennen, daß sie in einem Dispositiv von Regeln und Erwartungen eingezwängt sind, das zu durchbrechen ihnen Kraft und Wille fehlen, bis sie es in einer ach wie heroischen Anstrengung hin zum Massenmord zersprengen und damit zur Befreiung der Menschheit aufrufen? Was für eine traurige Welt, die solche Träume zu kennen meint...

Taten wie diese machen mich scheißwütend. Wer ist so ein Kerl, daß er glaubt, sich zu einem Maßstab des gesellschaftlichen Handelns und Denkens machen zu können? Wer ist er, daß er meint, über Leben und Tod seiner Mitschüler entscheiden zu dürfen, und sein verkrampftes Leiden an sich und an der Welt durch einen ausgelebten spätpubertären Blutrausch in eine Welt zu blasen, die sich für ihn nie interessiert hat und auch nie interessieren wird, weil er so unbedeutend ist wie jeder andere? Meint er, durch sein Morden daran etwas zu ändern? Warum denkt so ein verdammter Idiot über Jahre darüber nach, wie er Amok laufen und seine Mitschüler und Lehrer umbringen möchte, und nicht einmal darüber, was er damit tatsächlich bewirkt? Bild

PS: Ich freue mich, wie schon oft, über Maltes Beitrag. Bild

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