Der ideale Geisteswissenschaftler

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e-noon
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Mi 21. Okt 2009, 16:40 - Beitrag #1

Der ideale Geisteswissenschaftler

Der ideale Geisteswissenschaftler - wie muss er aussehen, was muss er können? Reicht das Abschlusszeugnis der Universität, oder gar das Abitur, oder muss selbst ein Literaturprofessor noch einer strengen Prüfung unterworfen werden, bevor er in den engeren Kreis der "echten" Geisteswissenschaftler aufgenommen wird? Wieviele Sprachen muss er sprechen? Sind Lateinkenntnisse Pflicht? Kann man Geisteswissenschaftler ohne die Bibel sein? Sind Geisteswissenschaftler zwangsläufig politisch und philosophisch engagiert?
Bin gespannt ^^

Lykurg
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Mi 21. Okt 2009, 17:03 - Beitrag #2

Ich glaube, bevor ich das hier angemessen beantworten kann, sollte ich erst einmal das Glasperlenspiel zuendelesen - wird nicht mehr lange dauern. Bild

e-noon
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Mi 21. Okt 2009, 17:20 - Beitrag #3

Es beunruhigt mich ganz leicht, dass für dich nicht klar ist, was ein idealer Geisteswissenschaftler ist, bevor du ein ganz bestimmtes Buch gelesen hast, während du gleichzeitig einen bevorstehenden Mangel an Geisteswissenschaftlern behauptest... ^^* Wie gesagt, nur ganz leicht...

Lykurg
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Do 22. Okt 2009, 00:12 - Beitrag #4

Ich bezweifle, e-noon, daß mir das jemals ganz klar sein wird, denke aber, daß dieses Buch, das sich auf etwas andere Weise damit beschäftigt, vielleicht ein bißchen weiter auf den Weg bringt. Ich finde die Aufgabe, eine angemessene Idealdefinition für eine so große Zahl von akademischen Disziplinen zu finden, nicht gerade trivial. Ein Gefühlsurteil läßt sich jedenfalls leichter treffen.

e-noon
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Do 22. Okt 2009, 00:19 - Beitrag #5

Ich will ja nicht die angemessene Definition, sondern deine Definition ^^ dann können wir immer noch drüber diskutieren, was am sinnvollsten ist. Offenbar hast du schon eine Vorstellung von dem Begriff - zumindest eine ungefähre und du weißt, was nicht dazugehört.

Makeda
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Do 22. Okt 2009, 09:36 - Beitrag #6

Geschichte finde ich sehr wichtig! Von Literaturgeschichte, Kunstgeschichte hin zur ???-Gescchichte. Um die Zusammenhänge besser verstehen zu können...und Geschichte eh interessant ist!
Dafür brauch man auch (original Quellen) tote-Sprachen, für das akademische Niveau :rolleyes: .
Philo, Psycho, Sowi, u.ä
Aber was man vorallem braucht, einen Kopf in denen das alles reingeht und der das auch zum gegebenen Anlass wieder hervorspucken kann..... :D

Ipsissimus
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Do 22. Okt 2009, 12:11 - Beitrag #7

"Geisteswissenschaftler" ist kein Adelsprädikat, und sachlich gesehen gibt es gute wie schlechte^^

ich glaube, es ist weniger eine Frage der erworbenen Qualifikationen als vielmehr die Art und Weise, wie Themen behandelt werden, wie aus Informationen Wissen generiert wird. Eine Hochachtung für die Zusammenhänge, ohne darüber die Details zu vernachlässigen.

Maglor
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Do 22. Okt 2009, 20:42 - Beitrag #8

Naja, Latein, Altgriechisch, Französisch, Russisch und vielleicht auch noch Englisch und ein wenig Litauisch und Altpreußisch sollte der ideale Geisteswissenschaftler schon können.
Und gewisse Grundkenntnisse der Bibel und des Christentums braucht es schon. Wie will man denn Gothes Faust ohne Hiob verstehen oder den Kapitalismus ohne Calvin oder das Sprichwort "auf Herz und Nieren prüfen"?
Wünschwert wäre sicher auch ein weniger eurozentrischr Blick. Dafür müsste man aber nicht nur die Geisteswissenschaftler verändern sondern die Geisteswissenschaft an sich.
Und wenn wir schon dabei sind, Universalgenies wären auch nicht schlecht. :crazy:

Traitor
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Sa 24. Okt 2009, 12:20 - Beitrag #9

Und wenn wir schon dabei sind, Universalgenies wären auch nicht schlecht.

Ich glaube, das ist der entscheidende Punkt. Das deutsche Bildungsideal stammt nicht hauptsächlich aus dem Kleinbürgertum des späten 19. Jahrhunderts, mit dem es meist verbunden wird, sondern zu großen Teilen schon von den großen Gelehrten der Aufklärungs- und klassischen Zeit. Und damals war das höchste Ideal, das tatsächlich auch noch zum Ausdruck kam, der Universalgelehrte.
So stellen wir uns auch heute noch unter einem perfekten Geisteswissenschaftler jemanden vor, der quer durch alle Disziplinen den Überblick hat, fundierte Urteile als "weiser Mann" fällen und die Gebiete sogar noch theoretisch voranbringen kann. Idealerweise sogar noch bis in die Naturwissenschaften hinein, um den Fachidioten dort mal gehörig die Meinung zu sagen und ihre fundamentalen Probleme ganz elegant anzugehen.
Nur leider ist das seit mindestens 100 Jahren, vermutlich schon länger, nicht mehr möglich. Die Wissenschaften sind so umfangreich, detailliert und tiefgehend geworden, dass man schon innerhalb eines Fachbereiches kaum den Überblick behalten kann. Und dass es immer noch recht viele interdisziplinär bewandete Geisteswissenschaflter gibt, liegt bei nüchterner Betrachtung nur daran, dass diese Wissenschaften noch so wenig entwickelt sind, dass man sie auch mit gesundem Laienwissen weitgehend "beherrschen" kann.
Allerdings ist letzteres für viele Zwecke auch durchaus ausreichend. Um beispielsweise fundierte Beiträge zur öffentlichen Bioethik-Debatte zu leisten, muss man weder 2000 Werke der letzten 4000 Jahre auswendig kennen noch die Wellenfunktion eines DNA-Moleküls im Kopf ausrechnen können. Man muss in beiden Bereichen wissen, wovon man redet, und Details im Zweifel fundiert recherchieren und korrekt aufnehmen und wiedergeben können. Das ist mit "gesundem Laienwissen", oder anders ausgedrückt, als Nebenfächler, auch heute noch definitiv machbar.
Sowohl gute Geisteswissenschaflter als auch die mindestens ebenso wichtigen Geistes-Natur-Interdisziplinisten sind also bei vernünftiger schulischer und universitärer Ausbildung noch heute möglich. Nur die hehren Ideale sind so nicht mehr zu erreichen.

009
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Di 27. Okt 2009, 00:56 - Beitrag #10

*Grübel* Was genau zählt eigentlich zu den Geisteswissenschaften? Hab nämlich auch im universitären Kontext erlebt, dass nur zwischen Natur- und Geisteswissenschaften unterschieden wurde, womit auch Juristen und Volkswirte welche wäre, die ich lieber eigenständig als Rechtswissenschaftler und Wirtschaftwissenschaftler sehen würde.

Wenn wir dann ein engeres BIld vom idealen haben, würde ich gern noch zusammentragen, wie er (oder sie...) nach Klischee zu beschreiben ist.

Traitor
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Di 27. Okt 2009, 11:40 - Beitrag #11

Das ist natürlich, wie alles andere, umstritten. Geht man nach den Fakultätseinteilungen der Universitäten, gehören Juristen und Wirtschaftler wohl meistens nicht dazu. Inhaltlich meines Erachtens auch nicht, vom Menschentyp und der Geisteshaltung sind sie großenteils sogar noch weiter von Geisteswissenschaftlern entfernt als die meisten Naturwissenschaftler.

Aber es gibt ja noch andere Grenzfälle. Philosophen bestehen zum Beispiel meist darauf, keine Geisteswissenschaftler zu sein, sondern darüber zu stehen, sind nach jedem vernünftigen Kriterium und gesellschaftlicher Behandlung aber ganz eindeutig welche. Theologen haben ihre eigenen Fakultäten, sind methodisch, thematisch und stilistisch aber ebenfalls Geisteswissenschaftler. Die Mathematik, obwohl exakte Wissenschaft per excellence, hat durchaus auch geisteswissenschaftliche Züge. Geographie und Psychologie bewegen sich im Grenzbereich. Je mehr sie sich auf Statistik fokussieren, desto weniger haben Soziologie und Pädagogik mit klassischer Geisteswissenschaft zu tun, wenn auch mehr mit Wissenschaft. Ebenso haben sich Teile der Linguistik und Historik weit über den geisteswissenschaftlichen Minimalkonsens hinaus entwickelt.

Das ist ja sowieso so ein netter Aspekt des englischen, dass "the sciences" ausschließlich die Naturwissenschaften sind und die Geisteswissenschaften als "the humanities" gar nichts wissenschaftliches im Namen haben. ;)

Ipsissimus
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Di 27. Okt 2009, 14:30 - Beitrag #12

weil die Geisteswissenschaften mehr mit dem zu tun haben, was sich in der Realität zwischen den wissenschaftlichen Modellen bewegt und nicht innerhalb derselbigen?

Traitor
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Di 27. Okt 2009, 14:43 - Beitrag #13

Nein, das trifft nur auf eine sehr kleine Untermenge der Geisteswissenschaften zu. Philosophie, Wissenschaftstheorie, Systemtheorie.
Die meisten Geisteswissenschaften, Soziologie, Politologie, Sprachwissenschaften, Geschichte, Kunsttheorie, sind analog zu den Naturwissenschaften Themenwissenschaften. Sie haben ein klar definiertes Gebiet, das sie beobachtend, theoretisierend, modellbildend und manchmal auch experimentell erforschen. Der Hauptunterschied zu den Naturwissenschaften ist, dass ihre Themen schwerer greifbar und teils sehr viel komplexer sind, sodass sie sich der wissenschaftlichen Methode lange entzogen haben. Teils aber auch nicht nur durch ihre Natur, sondern auch durch soziale Effekte innerhalb ihrer Erforschergruppe. Prinzipiell aber sind sie der Methode anscheinen durchaus zugänglich, zumindest gibt es in manchen Bereichen ja deutliche Fortschritte.
Das Problem ist aber halt, dass die Verwissenschaftlichung dieser Bereiche auch die Gefahr des Überblickverlierens und des Blind-auf-Methoden-Verlassens mit sich bringt. Ich denke, das dürfte es sein, was ihr kritisiert, nicht die Verwissenschaftlichung an sich?

Ipsissimus
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Di 27. Okt 2009, 15:01 - Beitrag #14

sagen wir es mal so, wichtig ist mir, dass eine Wissenschaft ein angemessenes Bild von ihrem Gegenstand erzeugt; angemessen ist es dann, wenn der Gegenstand in seinen Details gleichermaßen wie in ALLEN seinen Zusammenhängen verstanden ist. Ob ich dazu eine wissenschaftliche Methodik benutze, oder eine, die die formalen Kriterien von Wissenschaftlichkeit nicht erfüllt, ist mir eigentlich recht schnuppe (wobei ich die Erfolge der wissenschaftlichen Methode in vielen Bereichen durchaus anerkenne und teilweise auch bewundere).

Wenn die Komplexität eines Themengebietes sich also der wissenschaftlichen Methode verschließt, muss man sich ihr mit anderen Methoden nähern, wobei das keine Absolutaussagen sind, natürlich greift ein Geisteswissenschaftler nicht plötzlich auf Kaffeesatzlesen zurück. Wenn also die Angemessenheit der Methodik für den Anwendungsfall gewährleistet ist, darf sie gerne auch wissenschaftlich sein; wo sie nicht gewährleistet ist, nützt es auch nichts, wenn sie wissenschaftlich ist.

blobbfish
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Di 27. Okt 2009, 18:00 - Beitrag #15

Ich denke, eine Geisteswissenschaft hat als Gegenstand tendenziell praktisch-lebensweltliche Belange, die sich aber vom Gegenstand wenig loslöse, insofern die allg. Untersuchung nicht als Selbstzweck haben, sondern nur zur Anwendung als Selbstzweck.
Damit ist aber auch klar, was ein idealer Geisteswissenschaftler zu tun hat.

Insofern betrachte ich Philosopihe auch als eine Geisteswissenschaft, mit Ausnahme von Wissenschaftstheorie. Nicht richtig zum Thema aber zur Diskussion gehörig, Mathematik und Wissenschaftstheorie bilden zusammen eine eigene Klasse, die weder zu einer Geisteswissenschaft noch zu einer Naturwissenschaft steht.

Traitor
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Di 27. Okt 2009, 23:54 - Beitrag #16

Und bist du der Ansicht, dass es Themengebiete gibt, die sich grundsätzlich und auf immer der wissenschaftlichen Methode verschließen werden?
Denn das dass Erfassen aller Details und Zusammenhänge schon jetzt geschieht, ist selbstverständlich nicht möglich, widerspricht der Natur der Wissenschaft als Prozess.
Und dass eine nichtwissenschaftliche Methodik diese Angemessenheitskriterien in irgendeinem Themenbereich bereits erfüllt hat, wäre mir auch nicht bekannt.

Ipsissimus
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Mi 28. Okt 2009, 01:47 - Beitrag #17

ich würde die erste Frage nicht so stellen, sondern eher: welche Erkenntnisse erzielt die wissenschaftliche Methode zu einem Thema, und welche Erkenntnisse eine andere Methode? Hängen beide Methoden in irgendeiner Weise voneinander ab? Trivialstes nichttriviales Beispiel: Liebe. Hast du sie schon erfasst und alle Erkenntnisse dazu gesammelt, wenn dir ihre evolutionäre Herleitung klar ist? Hast du verstanden, um was es geht, wenn du die Funktion der Sexualorgane befriedigend erklären kannst? Oder fügen Sex in action^^ und Empathie diesen Einsichten noch wesentliche und möglicherweise komplementäre Aspekte hinzu?

Ich verlange gar keine Vollständigkeit; natürlich ist Wissenschaft und jede andere Methodik immer unterwegs (es sei denn, eine Theorie darf mit Fug und Recht als abgeschlossen gelten).

Na ja. Hältst du die evolutionstheoretische Erkundung von Liebe ihr für angemessen? Ist es wirklich wichtig, Fernsehelektroniker zu werden, um die Qualität eines Programmes bewerten zu können? Jede Methodik ist nur so reflektiert wie der Mensch, der sie anwendet, sie reflektiert.

blobbfish
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Mi 28. Okt 2009, 09:14 - Beitrag #18

Zitat von Traitor:Und bist du der Ansicht, dass es Themengebiete gibt, die sich grundsätzlich und auf immer der wissenschaftlichen Methode verschließen werden?


Mich irritiert die Frage, ich habe sie auch mehrfach lesen müssen, um einen Sinn entdecken zu können. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob was bei dir unter ein Themengebiet fällt. Im Endeffekt ist es aber für mich so, dass ich ein Thema oder Themengebiet betrachten kann und es von gewissen Maßstäben (sekundär) und Betrachtungen (primär) her untersuche. Maßstäbe setze ich als sekundär, da sie eine Bewertung quo Wissenschaftstheorie darstellen, unter die Betrachtung fällt dann aber die von Ipsisissmimus genannte Methodik. Bei einer nicht-wissenschaftlichen ist aber klar, dass der Gehalt fraglich ist - und der Witz ist, man kann dann versuchen den Gehalt zu rechtfertigen und wenn dies gelingt, ist eben jene Methodik im Nachhinein gerechtfertigt zu betrachten, kann aber im Vorhinein immernoch nicht davon ausgehen, Gehalt zu erzeugen.
Vielleicht bin ich durch mein Studienfach etwas vorbelastet. ;)

Jetzt habe ich aber auch gesehen, dass die Frage nichtmal an mich ging, das erklärt auch meine Verwirrung, aber ich lasse es trotzdem mal stehen.


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