Ich frage mich auch, inwieweit das Kopftuch die freie Entscheidung einer selbständigen Frau ist oder der Wunsch ihres Vaters, ihres Mannes, ihres Bruders oder Onkels (in deren Abwesenheit eines anderen Mannes oder gegebenenfalls auch Folge des Gruppenzwangs der anderen muslimischen Frauen). Und selbst wenn sie sich aus freiem Willen dazu entschließt, weil sie weiß, daß der sie dominierende Mann es (möglicherweise unausgesprochen befürwortet) - oder weil die alten Männer auf der Straße sie schief angucken, sehe ich diese 'freie Entscheidung' trotz aller schönen Worte nicht gegeben. Das Kopftuch, das die Frau angeblich schützen soll vor körperlichen Übergriffen, ist in sich auch das Symbol eines geistigen Übergriffs. Diese Frauen sind in hohem Grade unfrei, denn was sie tun, sie können es nur falsch machen. Aufgrund ihrer Kleidung werden sie von beiden Seiten beargwöhnt - tragen sie Schleier, empfinden Westler das als Symbol ihres bewußten Andersseins und potentiell bedrohlich (etwa im Sinne einer sich verselbständigenden Parallelgesellschaft), tragen sie keinen, sehen ihre Männer das als moralischen Übertritt und Entwertung, beschimpfen und attackieren sie (bis zum Mord). Was sie auch tragen, sie machen sich Gegner. Insofern erfordert es Mut, sich entgegen der von ihnen erwarteten Konvention zu kleiden - Mut sowohl, innerhalb ihrer Gemeinschaft unverschleiert zu gehen, wie in einer rein westlichen Umgebung verhüllt. Nur sind die Konsequenzen beider Übertritte sehr unterschiedlich. Während Verschleierung 'nur' ihre Absonderung bewirkt und so die Wahrscheinlichkeit erhöht, daß ihre soziale Integration fehlschlägt, macht Nichtverschleierung sie innerhalb der eigenen Gruppe angreifbar (ob nun physisch oder, wie von Ipsissimus angesprochen, seelisch, durch eine Kontaktaufnahme, der sie sich verweigert). Angesichts dieser Ungleichheit ist es verständlich, daß viele sich für die einfachere Lösung entscheiden, sich die Westler zu Gegnern zu machen, an deren Aufnahmebereitschaft man sowieso zweifelt. Und natürlich spielen Rollenvorbilder, insbesondere auch die gleichaltrigen Freunde eine Rolle. Wenn man denn sähe, daß die Freundinnen ohne Kopftuch klarkommen, wäre es ja gut. Aber das hat doch längst umgeschlagen... wir haben längst eine Parallelgesellschaft, in der es problemlos auch ausschließlich kopftuchtragende Freundinnenkreise gibt, die sich kaum etwas anderes vorstellen können. Der Zug ins 19. Jahrhundert ist längst unterwegs oder sogar schon angekommen...
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