Verbot von Minaretten in der Schweiz

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Lykurg
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Mo 26. Okt 2009, 16:44 - Beitrag #41

Ja, e-noon - allerdings ist noch nicht einmal die Legislative unbedingt das Problem. Ich schließe Einschnitte in die Religionsfreiheit nicht vollkommen aus, wenn ihnen (eine entsprechend sauberes Gesetz und) richterliche Abwägung (ein dahingehendes Gesetz würde unbedingt vom Verfassungsgericht geprüft werden müssen) zugrundeliegt. Dem Volk spreche ich aber die Kompetenz zu so einem Urteil als Ergebnis einer Befragung ab, insbesondere wenn schon die Fragestellung bösartig genug betrieben wird.

Ich sehe zwischen Religion und Weltanschauung einen erheblichen Unterschied in der Zielrichtung, auch wenn beide für sich schützenswerte Güter sind. Ich bin allerdings so lange mit deren Gleichbehandlung einverstanden, wie ihr Status dabei erhalten bleibt. Letztlich ist jede bürgerliche Freiheit ein Privileg, das man zur Debatte stellen kann - die Meinungsfreiheit und Rechtssicherheit ebenso wie die religiöse. Ich möchte auf keines davon verzichten. Bild

e-noon
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Mi 28. Okt 2009, 20:34 - Beitrag #42

@Lykurg: Ich denke, damit sind wir einer Meinung: Das Problem ist nicht, dass eventuell die Religionsfreiheit eingeschränkt wird, sondern auf welcher Grundlage, mit welcher Legitimation, mit wieviel Fairness etc.

Ich sehe zwischen Religion und Weltanschauung einen erheblichen Unterschied in der Zielrichtung, auch wenn beide für sich schützenswerte Güter sind. Ich bin allerdings so lange mit deren Gleichbehandlung einverstanden, wie ihr Status dabei erhalten bleibt.
Das hätte ich gerne näher ausgeführt. Dass Religionen andere Zielrichtungen haben als areligiöse Weltanschauungen, mag gut sein - sie sind aufs jenseits gerichtet, areligiöse Weltanschauungen meist aufs Diesseits. Hinsichtlich ihres Anspruchs an Moral/Ethik, Gruppenbildung, Argumentation etc. können sie jedoch durchaus viel mit anderen Weltanschauungen gemein haben (Religion ist nur eine Untergruppe von Weltanschauungen). Ich denke nicht, dass Religionen schützenswerte Güter sind, sondern Religiöse schützenswerte Menschen, deren Schutz auch in der Garantie der Religionsfreiheit liegt. Es gibt also nicht so etwas wie einen Denkmalsschutz für Religionen oder ein Gesetz, das den Staat verpflichtete, die Religion zu propagieren, sondern lediglich die Pflicht, die friedliche Religionsausübung zu gewährleisten, solange danach Bedarf besteht.
"... wie ihr Status dabei erhalten bleibt..." - Was meinst du damit? Der Status von was als was? In welchem Kontext wärst du nicht mehr mit einer Gleichbehandlung von Religion und anderen Weltanschauungen einverstanden?

Lykurg
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Do 29. Okt 2009, 01:34 - Beitrag #43

Ja.

Klar, die diesseitige bzw. jenseitige Zielrichtung und Anschauungsweise war gemeint, sie ist der alles entscheidende Unterschied. Ich sehe Religion nicht als Teilmenge von Weltanschauung - Weltanschauung ist für mich grundsätzlich unabhängig von der Religiosität eines Menschen - wenn auch etwa manche Ideologien sich mit vielen Religionen weniger gut vereinbaren lassen.

Weltanschauungen und Religionen können nicht ohne Menschen (oder vergleichbar intelligente Wesen, nach derzeitigem Erkenntnisstand) existieren, aber während ich Weltanschauung als persönliche Sichtweise auffasse, hat Religion grundsätzlich auch den Aspekt des übergreifenden, sich etwa im Ritus manifestierenden Kollektiverlebnisses. In diesem Sinne bedeutet Schutz der Individuen und ihres Rechtes, sich friedlich zu versammeln und ihre Religion auszuüben, eben auch den Schutz der Religion, wesentlich mehr verlange ich nicht (bzw. die Punkte sind bereits zuvor genannt worden) - daß eine legale Religionsgemeinschaft auch das Recht haben sollte, sich gemeinschaftliche Bauten für Ritus und Sozialstruktur zu errichten, braucht wohl kaum weiter besprochen zu werden.

Aufrechterhaltung des Status meint eine Reihe von Schutzmaßnahmen, die hierzulande im Wesentlichen für kirchliche Gemeinschaften (stellvertretend für ihre Angehörigen, aber eben institutionalisiert) gelten, die aber bei Bedarf auf weitere Religionen auszuweiten wären - Feiertagsregelungen, Beichtgeheimnis und Recht auf geistlichen Beistand, (religiöse) Gewissensgründe bei Kriegsdienstverweigerung, Zurkenntnisnahme von Äußerungen führender Vertreter der Religionsgemeinschaften nicht nur als private Meinungsaussage, etc.

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Do 29. Okt 2009, 11:04 - Beitrag #44

Zitat von BEN2506:Der Islam ist eine ungleich aggresive Religion die sich mehr und mehr feindselig zeigt. Das das Christentum oder andere Religionen vor hunderten von Jahren auch entsprechend aggresiv vorgingen, soll nicht geleugnet werden.


das Christentum ist kein Quentchen weniger aggressiv als der Islam. Du darfst dabei nicht die Verhältnisse eines domestizierten Europa anlegen. Wenn du das Potential des Christentums verstehen willst, dann gehe mal eine Zeitlang in den Bible Belt]http://irregulartimes.com/index.php/archives/2008/09/27/fundamentalist-christians-infiltrate-us-army-to-build-power-base/[/url] oder http://www.globalresearch.ca/index.php?context=va&aid=8171 oder besonders deutlich und intensiv http://www.veteransforcommonsense.org/index.php/civil-liberties/1409-walter-plywaski

dieser ganze Konflikt ist gar kein genuin religiöser. Es ist vielmehr der uralte Konflikt des "Wir = das, was wir kennen und womit wir vertraut sind" gegen "das Fremde - alles was wir nicht kennen und dem wir misstrauen". Nietzsche hat es doch wirklich überdeutlich gesagt. Es haben ihn nur entweder die wenigsten verstanden oder sie haben ihn verstanden, wollen ihn aber nicht berücksichtigen, weil das ihre Absichten stören könnte.

Dem Volk spreche ich aber die Kompetenz zu so einem Urteil als Ergebnis einer Befragung ab, insbesondere wenn schon die Fragestellung bösartig genug betrieben wird.


wie hältst du es denn mit dem Anspruch, Lykurg, demgemäß alle Macht vom Volke ausgeht? Macht hatte noch nie was mit Kompetenz zu tun sondern eben mit, na ja, Macht^^

Lykurg
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Do 29. Okt 2009, 14:28 - Beitrag #45

eieiei^^ - gefährliches Pflaster. Nit on' Ursach sind im Grundgesetz ein paar Dinge mit dem Anspruch auf Ewigkeit verankert. (Abgesehen davon dürften wir uns darüber einig sein, daß 'die Macht haben' nicht unbedingt mit 'das Recht haben' gleichbedeutend ist, auch wenn es faktisch meist kaum zu unterscheiden ist).

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Do 29. Okt 2009, 15:06 - Beitrag #46

Sehr gruselig, deine Antwort. Mal sehen, ob ich dich richtig verstanden habe. Ich stelle dem Beitrag mal die Definition von Weltanschauung laut Wikipedia voran, die sehr genau meiner Verwendung dieses Begriffs entspricht:
Unter einer Weltanschauung versteht man heute vornehmlich die auf Wissen, Erfahrung und Empfinden basierende Gesamtheit persönlicher Wertungen, Vorstellungen und Sichtweisen, die die Deutung der Welt, die Rolle des Einzelnen in ihr und die Sicht auf die Gesellschaft betreffen. Werden diese Überzeugungen reflektiert und systematisiert und fügen sich so zu einem zusammenhängenden Ganzen, dann kann von einer geschlossenen Weltanschauung gesprochen werden. Solche Systeme können auch von einer Gruppe, einer Gesellschaft und selbst von mehreren Kulturen geteilt werden.
Weltanschauungen sind zum Teil soziokulturell bestimmt, also traditionsgebunden, teilweise werden sie durch transkulturelle philosophische oder religiöse Vorstellungen geprägt.



Zitat von Lykurg:Klar, die diesseitige bzw. jenseitige Zielrichtung und Anschauungsweise war gemeint, sie ist der alles entscheidende Unterschied. Ich sehe Religion nicht als Teilmenge von Weltanschauung - Weltanschauung ist für mich grundsätzlich unabhängig von der Religiosität eines Menschen - wenn auch etwa manche Ideologien sich mit vielen Religionen weniger gut vereinbaren lassen.
Weltanschauungen und Religionen können nicht ohne Menschen (oder vergleichbar intelligente Wesen, nach derzeitigem Erkenntnisstand) existieren, aber während ich Weltanschauung als persönliche Sichtweise auffasse, hat Religion grundsätzlich auch den Aspekt des übergreifenden, sich etwa im Ritus manifestierenden Kollektiverlebnisses.
Mal ganz abgesehen davon, dass meiner Meinung nach nie zwei Menschen dieselbe Religion haben können, eben weil sich erwiesenermaßen der größte Teil oder gar alle Religionen auf ein inexistentes Wesen beziehen (wenn eine Religion Recht hat, muss notwendig die andere falsch liegen) - Auch Humanismus, Aufklärung, Romantik waren Kollektiverlebnisse, geistig sogar imo intensivere als die sich häufig im unverstandenen Nachbeten manifestierende Gemeinschaft einer Religion.
Der "Nachteil", dass Humanismus nicht den Absolutheitsanspruch einer Religion stellen kann, ist in meinen Augen ein Vorteil.

In diesem Sinne bedeutet Schutz der Individuen und ihres Rechtes, sich friedlich zu versammeln und ihre Religion auszuüben, eben auch den Schutz der Religion, wesentlich mehr verlange ich nicht (bzw. die Punkte sind bereits zuvor genannt worden) - daß eine legale Religionsgemeinschaft auch das Recht haben sollte, sich gemeinschaftliche Bauten für Ritus und Sozialstruktur zu errichten, braucht wohl kaum weiter besprochen zu werden.
Eine Religion ja, eine Weltanschauung nicht? Wer sich als katholisch versteht, hat also Recht auf Schutz der Individuen und das Recht, sich friedlich zu versammeln, Recht auf vorstellungsgemäße Bauten, Sozialstruktur... und eine Gemeinschaft von Humanisten hat keins dieser Rechte? Warum? Womit rechtfertigst du das? Gottes Wille? Sind religiöse Gefühle würdiger und schützenswerter als nicht-religiöse Gefühle?
Eine religiöse Privatschule (90% staatlich finanziert) hätte also das Recht, nur Katholiken einzustellen, eine humanistisch - säkularisierte Privatschule aber nicht das Recht, nur religionslose einzustellen? Oder dürfte es humanistisch-säkularisierte Privatschulen gar nicht geben, deiner Meinung nach?

Aufrechterhaltung des Status meint eine Reihe von Schutzmaßnahmen, die hierzulande im Wesentlichen für kirchliche Gemeinschaften (stellvertretend für ihre Angehörigen, aber eben institutionalisiert) gelten, die aber bei Bedarf auf weitere Religionen auszuweiten wären - Feiertagsregelungen, Beichtgeheimnis und Recht auf geistlichen Beistand, (religiöse) Gewissensgründe bei Kriegsdienstverweigerung, Zurkenntnisnahme von Äußerungen führender Vertreter der Religionsgemeinschaften nicht nur als private Meinungsaussage, etc.

Und wenn ich nun lieber den Geburtstag von Erasmus und Voltaire gefeiert haben möchte als den eines jüdischen Wanderpredigers? Würdest du Feiertagsregelungen und das Recht auf humanistischen Beistand und Recht auf humanistische Gewissensgründe bei Kriegsdienstverweigerung unterstützen, ablehnen...? Wie groß muss die Gemeinschaft sein, damit diese Schutzmaßnahmen in Kraft treten?

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Do 29. Okt 2009, 19:06 - Beitrag #47

Sehr gruselig, deine Antwort. Mal sehen, ob ich dich richtig verstanden habe.
Prinzipiell würde mich fast freuen, daß du das findest, mit manchen deiner Beiträge geht es mir ähnlich. Hier hast du mich allerdings teilweise mißverstanden. Den Wikipedia-Beitrag hatte ich übrigens zuvor überflogen. Hättest du das auch getan oder das Wort "transkulturelle" mit fettgesetzt, wäre dir vielleicht aufgefallen, daß damit eben nicht Religionen gemeint sind, sondern 'transkulturelle religiöse Vorstellungen', was meines Erachtens nicht genau dasselbe wie 'Religion' ist. - Etwas weiter unten sagt der Wiki-Artikel etwas deutlicher
Zu unterscheiden von einer „Weltanschauung“ im engeren Sinn sind die philosophischen Disziplinen (zum Beispiel die Metaphysik, Ethik, Erkenntnistheorie) und die großen Religionen, obwohl all diese im alltäglichen Sprachgebrauch häufig synonym mit „Weltanschauung“ verwendet werden.
wobei ich dir gern das Kursivum zubillige, meinerseits aber die andere Lesart bevorzuge.
Mal ganz abgesehen davon, dass meiner Meinung nach nie zwei Menschen dieselbe Religion haben können, eben weil sich erwiesenermaßen der größte Teil oder gar alle Religionen auf ein inexistentes Wesen beziehen (wenn eine Religion Recht hat, muss notwendig die andere falsch liegen)
Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Bild Ich halte es durchaus für möglich und sogar sehr wahrscheinlich, daß sich die religiösen Vorstellungen vieler Menschen bis ins Detail ähneln. Solche Übereinstimmung ist aber nicht nötig, um das ziemlich weiche Kriterium der Religionszugehörigkeit zu erfüllen (vgl. entsprechende Statistiken). ;)
Letzteres könnte man vermuten, wenn man eine strikt binäre Logik anwendet. Damit wird man allerdings der Materie kaum gerecht... meines Erachtens spottet der blaue Satz seiner selbst. Das Wesen einer Religion liegt nicht auf der Ebene der Namen oder berichteten Erscheinungen einer göttlichen Instanz, auch nicht in der Natur seiner schriftlichen Niederlegung.
- Auch Humanismus, Aufklärung, Romantik waren Kollektiverlebnisse, geistig sogar imo intensivere als die sich häufig im unverstandenen Nachbeten manifestierende Gemeinschaft einer Religion.
Der "Nachteil", dass Humanismus nicht den Absolutheitsanspruch einer Religion stellen kann, ist in meinen Augen ein Vorteil.
Habe ich von einem Nachteil gesprochen? Auch das Kollektiverlebnis sehe ich beileibe nicht als das unbedingt erstrebenswerte absolut Gute. Wenn du allerdings 'unverstandenem Nachbeten' die Intensität absprichst, spricht daraus nur, daß dir entsprechende Erfahrungen fehlen^^
Eine Religion ja, eine Weltanschauung nicht? Wer sich als katholisch versteht, hat also Recht auf Schutz der Individuen und das Recht, sich friedlich zu versammeln, Recht auf vorstellungsgemäße Bauten, Sozialstruktur... und eine Gemeinschaft von Humanisten hat keins dieser Rechte? Warum? Womit rechtfertigst du das? Gottes Wille? Sind religiöse Gefühle würdiger und schützenswerter als nicht-religiöse Gefühle?
Das habe ich nicht behauptet, hier hast du mich falsch verstanden. Ich habe die genannten Punkte aus den individuellen Rechten abgeleitet, was eben dafür spricht, sie genau auch weltlichen Gemeinschaften zuzusprechen. Ich bin ein bißchen verwundert über die Heftigkeit, mit der sich das Mißverständnis in Empörungsfragen hochschaukelt, aber meinetwegen^^
Eine religiöse Privatschule (90% staatlich finanziert) hätte also das Recht, nur Katholiken einzustellen, eine humanistisch - säkularisierte Privatschule aber nicht das Recht, nur religionslose einzustellen? Oder dürfte es humanistisch-säkularisierte Privatschulen gar nicht geben, deiner Meinung nach?
Unsinn. Ersteres finde ich problematisch, auch wenn ich für den dahingehenden Wunsch Verständnis habe und bei vollständig privater (/kirchlicher) Trägerschaft vielleicht damit einverstanden wäre. Grundsätzlich sollte Religionszugehörigkeit aber kein beruflicher Vor- oder Nachteil sein, es sei denn, diese käme in Anwendung des Berufs unbedingt zum Tragen (und selbst dann ist das kein Ausschlußgrund).
Und wenn ich nun lieber den Geburtstag von Erasmus und Voltaire gefeiert haben möchte als den eines jüdischen Wanderpredigers? Würdest du Feiertagsregelungen und das Recht auf humanistischen Beistand und Recht auf humanistische Gewissensgründe bei Kriegsdienstverweigerung unterstützen, ablehnen...? Wie groß muss die Gemeinschaft sein, damit diese Schutzmaßnahmen in Kraft treten?
Ich werde dich nicht daran hindern, auch nicht daran, dich für bestimmte Feiertage einzusetzen... Die Einrichtung gesetzlicher Feiertage ist Aufgabe der Legislative und entspricht insofern dem Mehrheitswillen. -

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Do 29. Okt 2009, 20:03 - Beitrag #48

Zitat von Lykurg:Hier hast du mich allerdings teilweise mißverstanden. Den Wikipedia-Beitrag hatte ich übrigens zuvor überflogen. Hättest du das auch getan oder das Wort "transkulturelle" mit fettgesetzt, wäre dir vielleicht aufgefallen, daß damit eben nicht Religionen gemeint sind, sondern 'transkulturelle religiöse Vorstellungen', was meines Erachtens nicht genau dasselbe wie 'Religion' ist. - Etwas weiter unten sagt der Wiki-Artikel etwas deutlicher wobei ich dir gern das Kursivum zubillige, meinerseits aber die andere Lesart bevorzuge.
Speziell diesen Satz von Wikipedia habe ich vollkommen anders verstanden. Ich zitier noch mal, damit wir uns da austauschen können:
Weltanschauungen sind zum Teil soziokulturell bestimmt, also traditionsgebunden, teilweise werden sie durch transkulturelle philosophische oder religiöse Vorstellungen geprägt.

Ich habe das so verstanden: ZUM TEIL sind Weltanschauungen durch soziokulturelle Vorstellungen (also Religion, Moral, Brauchtum, Kunst, Recht, Vorstellungen EINES Volkes) geprägt, ZUM TEIL durch transkulturelle Vorstellungen (also Religion, Moral, Brauchtum, Kunst, Recht, Vorstellungen MEHRERER Völker). Dabei gibt es Weltanschauungen, die nur soziokulturell sind (z.B. Religion und Entstehungsmythen der Aboriginees vor der Kolonialisierung), andere sind stärker transkulturell. Ich sah und sehe da keinen Gegensatz zwischen transkulturellen religiösen Elementen und Religion (die nach meinem Verständnis in dem soziokulturellen enthalten sind). Desweiteren können wir uns gerne darauf einigen, dass "Weltanschauung" im weiteren, umgangssprachlichen Sinne jede Art von religiösem/kulturellem/wissenschaftlichen etc. Weltbetrachtungsmodus ist, während "Weltanschauung" im engeren Sinne ein Unterpunkt von Weltbild ist, mit entgegengesetztem Begriff "Religion". Allerdings, was wäre dann mit Esoterik und Sekten und wer würde definieren, was noch Sekte, was schon Esoterik, was noch Religion, was schon Sekte, was noch wissenschaftlich, was schon pseudowissenschaftlich? "Keine der 3 (5? 7?) Weltreligionen" = Weltanschauung? Ich finde, wenn man es so macht - Religion auf der einen, Weltanschauung auf der anderen Seite - wird es sehr schwierig, das abzugrenzen. Auf der anderen Seite klingt da für mich "wissenschaftliche/esoterische/marxistische/christliche/islamische/humanistische Weltanschauung" leichter zu verwenden als Begriff. Ich bin aber verhandlungsbereit, du darfst dir einen Begriff aussuchen und ich werde dann versuchen, ihn in deinem Sinne zu verwenden, um das zu sagen, was ich sagen will ^^

Artikel 4 [Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit]
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Aus der Regelung des Art. 4 Abs. 1 GG wird geschlussfolgert, dass Weltanschauung und Religion gleich zu behandeln seien. Unter diesem Gesichtspunkt werden die weiteren Bestimmungen des Grundgesetzes bezüglich der Religion gelesen und auch auf die Weltanschauungen angewendet. Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Religion und Weltanschauung ist damit nicht notwendig.
Soviel zum Grundgesetz. Ich persönlich finde das missverständlich, wenn die ungestörte Religionsausübung, aber nicht die Freiheit des weltanschaulichen Bekenntnisses explizit gemacht wird. Irgendwie fehlt mir auch das "findet ihre Grenzen in den allgemeinen Gesetzen" etc.

Mal ganz abgesehen davon, dass meiner Meinung nach nie zwei Menschen dieselbe Religion haben können, eben weil sich erwiesenermaßen der größte Teil oder gar alle Religionen auf ein inexistentes Wesen beziehen (wenn eine Religion Recht hat, muss notwendig die andere falsch liegen).

Was hat das eine mit dem anderen zu tun?

Mit deinen ganzen Farben hast du das Zitieren ziemlich kompliziert gemacht :knife: wenn eine Religion Recht hat, muss die andere falsch liegen bezieht sich auf das erwiesenermaßen: Wenn Muslime Recht haben damit, dass es keinen Gott gibt außer Allah, dann stimmt es nicht, dass Jesus als sein Sohn Teil hat an dieser Gottheit, und anders herum. Wenn es stimmt, dass es tausende definitiv verschiedene Götter mit verschiedener Macht gibt, dann ist es falsch, was die Mehrheit der Gläubigen (Muslime, Juden + Christen) über Gott annehmen. Erwiesenermaßen, aus Gründen der Logik, kann von diesen sich widersprechenden Gottesbildern ausgehend nur eine Minderheit der Gläubigen mit ihrer Überzeugung Recht behalten. Das meinte ich damit, dass Gott (für die meisten) inexistent ist und es daher nie zwei genau gleiche Gottesbilder geben kann: Selbst bei Menschen, die einen gemeinsamen Bekannten haben, wird das Bild von diesem Bekannten unterschiedlich sein]Ich halte es durchaus für möglich und sogar sehr wahrscheinlich, daß sich die religiösen Vorstellungen vieler Menschen bis ins Detail ähneln. Solche Übereinstimmung ist aber nicht nötig, um das ziemlich weiche Kriterium der Religionszugehörigkeit zu erfüllen[/QUOTE] Das kommt drauf an, welche Art der Religionszugehörigkeit du betrachtest. Für die offizielle Religionszugehörigkeit in Deutschland reichen zwei Buchstaben in der Einkommenssteuer. Für die Religionszugehörigkeit in einigen islamischen Ländern ist es ausreichend, dass man atmet ^^ Nach katholischem Verständnis hingegen gilt es vermutlich, strengere Kriterien zu erfüllen, um ein Christ (alternativ: ein WAHRER Christ) zu sein.

Das Wesen einer Religion liegt nicht auf der Ebene der Namen oder berichteten Erscheinungen einer göttlichen Instanz, auch nicht in der Natur seiner schriftlichen Niederlegung.
Sagst du von außen. Für den Islam ist die Göttlichkeit des Koran ein Wesensbestandteil, ohne den die Religion kaum gedacht werden kann (für die meisten islamischen Gelehrten zumindest, soweit ich sehe).

Habe ich von einem Nachteil gesprochen? Auch das Kollektiverlebnis sehe ich beileibe nicht als das unbedingt erstrebenswerte absolut Gute. Wenn du allerdings 'unverstandenem Nachbeten' die Intensität absprichst, spricht daraus nur, daß dir entsprechende Erfahrungen fehlen^^

Ich sprach ihm die GEISTIGE Intensität des Kollektiverlebnisses ab. Ich denke, die Nähe, die ein Humanist der Renaissance zu einem Gleichgesinnten fühlte, war weit größer als die, die der durchschnittliche Kirchgänger für seinen Banknachbarn aufbringt. Inwieweit emotionale Intensität, möglicherweise in einigen Fällen verstärkt durch Schläfenlappenepilepsie, einen Gläubigen zum Kirchgang anregt, vermag ich absolut nicht zu beurteilen.

Das habe ich nicht behauptet, hier hast du mich falsch verstanden. Ich habe die genannten Punkte aus den individuellen Rechten abgeleitet, was eben dafür spricht, sie genau auch weltlichen Gemeinschaften zuzusprechen.
Dann ist ja gut ^^ folgt daraus, dass der Mangel an den genannten Punkten zugunsten von Minderheitenreligionen und anderen weltanschaulichen Bekenntnissen dir als verfassungswidrig erscheint? Also dass man mehr Feiertage, Unterstützung und Räume für andere Religionen und Weltanschauliche Bekenntnisse einräumen sollte/müsste?

Ich bin ein bißchen verwundert über die Heftigkeit, mit der sich das Mißverständnis in Empörungsfragen hochschaukelt, aber meinetwegen^^
Ich fände es schon empörend, wenn man entgegen dem Grundgesetz Religion offiziell höher stellt und mehr fördert als andere Weltanschauungen; so hatte ich dich verstanden - und ich finde deine Darstellung in der Hinsicht auch alles andere als klar, sodass ich mich dafür nicht entschuldige, auch wenn ich froh bin, dass du es doch anders siehst. Die Empörung könnte vielleicht auch daher rühren, dass es im Moment sogar in Deutschland de facto so ist - Kirchen haben Privilegien, die keiner anderen Religions- oder weltanschaulichen Gemeinschaft gewährt werden, Privilegien, die ohne Not auch in das Arbeitsrecht eingreifen und dieses aushebeln, somit das Grundrecht auf Schutz vor Diskriminierung. Als MATHEMATIK-Lehrer an einer zu 9% von der Kirche, zu 91% vom Staat finanzierten Schule werde ich gefeuert oder gar nicht erst eingestellt, wenn ich nicht die gewünschte Religionszugehörigkeit aufweise. Die Empörung könnte dadurch erhöht werden, dass mich diese Einschränkung persönlich betrifft; die meisten Schulen, die Italienisch überhaupt als Unterrichtsfach anbieten, sind in katholischer Trägerschaft.

Unsinn. Ersteres finde ich problematisch, auch wenn ich für den dahingehenden Wunsch Verständnis habe und bei vollständig privater (/kirchlicher) Trägerschaft vielleicht damit einverstanden wäre.

Ich eventuell auch, insbesondere weil eine solche Schule nicht mehr als Pflichtschule eingesetzt werden könnte, ähnlich einer Sonntags- oder Koranschule. Auch im Fach Religion könnte man Zugeständnisse machen (auch wenn ich dafür keinen Grund sehe, schließlich geht es dabei OFFIZIELL nicht um Missionierung, sondern um Lehre).
Grundsätzlich sollte Religionszugehörigkeit aber kein beruflicher Vor- oder Nachteil sein, es sei denn, diese käme in Anwendung des Berufs unbedingt zum Tragen (und selbst dann ist das kein Ausschlußgrund).
Sollte - leitest du das aus dem GG ab oder ist das deine persönliche Meinung (oder beides, oder keins von beiden ^^) ?
Ich werde dich nicht daran hindern, auch nicht daran, dich für bestimmte Feiertage einzusetzen... Die Einrichtung gesetzlicher Feiertage ist Aufgabe der Legislative und entspricht insofern dem Mehrheitswillen. -
Ach ja? Also doch keine Feiertage fürs Ramadan-Ende ^^
Für den fett markierten Satz wird Ipsi dich auseinandernehmen, daher brauche ich da nichts zu zu sagen... ^^

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Fr 30. Okt 2009, 03:01 - Beitrag #49

@Weltanschauung: Komischer Zufall, daß das Grundgesetz den Begriff genau in meinem Sinn verwendet. Du hast das Grundgesetzkommentar-Zitat zudem verkürzend wiedergegeben; ohne diese Verkürzung fiele auch dein Grund zur Aufregung weg. Es geht weiter:
Ausdrücklich ist diese Gleichstellung [Religion/Weltanschauung] in Art. 137 Abs. 7 der Weimarer Reichsverfassung geregelt, der gemäß Art. 140 GG fortgilt.
Artikel 137 WRV
[Kollektive Glaubensfreiheit und öffentlich-rechtliche Organisation]
(7) Den Religionsgesellschaften werden die Vereinigungen gleichgestellt, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Weltanschauung zur Aufgabe machen.

@erwiesenermaßen/Gründe der Logik: Wie gesagt trifft das für eine binäre Logik zu. Wenn du Gottesbilder nur als vollständig richtig oder vollständig falsch annehmen möchtest, können nur so viele gültig sein, wie miteinander vereinbar sind (daß das auch etwa eine ganze Anzahl von toleranten Polytheismen oder Pantheismen sein könnten, sei dahingestellt). Wenn du allerdings bereit bist, von deinem orthodoxen Standpunkt abzurücken Bild und dich mit dem Gedanken anzufreunden, daß religiöse Texte möglicherweise eben doch menschengemacht oder jedenfalls von Menschen tradiert und nicht unbedingt verbalinspiriert sind, ergeben sich daraus große Unschärfebereiche, die auch mehrere recht unterschiedliche, aber im Kernbestand übereinstimmende Religionsformen unter ein Dach bringen. Richtigkeit jeder einzelnen Handlung jedes Mitglieds wirst du nicht finden; hier dürftest du aber auch bei der Einzelperson nicht haltmachen, da sich wohl kaum ein Mensch sein ganzes Leben lang konsistent gemäß unverrückbarer Prinzipien verhält (unsere eigenen Biographien dürften dafür Beispiel genug sein).
Dann ist ja gut ^^ folgt daraus, dass der Mangel an den genannten Punkten zugunsten von Minderheitenreligionen und anderen weltanschaulichen Bekenntnissen dir als verfassungswidrig erscheint? Also dass man mehr Feiertage, Unterstützung und Räume für andere Religionen und Weltanschauliche Bekenntnisse einräumen sollte/müsste?
Nein, siehe oben.
Sollte - leitest du das aus dem GG ab oder ist das deine persönliche Meinung (oder beides, oder keins von beiden ^^) ?
Alle vier, vor allem Nummer drei. Steht in etwa da, finde ich auch sinnvoll.
Die Einrichtung gesetzlicher Feiertage ist Aufgabe der Legislative und entspricht insofern dem Mehrheitswillen. -
Ach ja? Also doch keine Feiertage fürs Ramadan-Ende ^^
Für den fett markierten Satz wird Ipsi dich auseinandernehmen, daher brauche ich da nichts zu zu sagen... ^^
Hier mußte ich tatsächlich laut auflachen. Vielleicht wäre Einfügung des Wortes "formal" angemessen.^^ - Ich meine, daß man Feiertage einführen sollte, wenn ein hinreichend großer Teil der Bevölkerung sie benötigt, was sich aber besser auf demokratischem Wege als durch einen Gleichstellungsbeauftragten^^ erreichen lassen dürfte.

e-noon
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Mo 30. Nov 2009, 16:47 - Beitrag #50

@Lykurg: Freut mich, dass ich dich zum Lachen bringen konnte :D

Aber inwiefern ist die Weimarer Reichsverfassung bindend für das Grundgesetz?

Ob ich das hier komisch finden soll, weiß ich momentan noch nicht:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,664135,00.html
Es gibt nur vier Minarette in der Schweiz. Eines davon steht seit wenigen Monaten in der 5000-Einwohner-Gemeinde Wangen bei Olten. Es ist ein winziges Türmchen mitten in einem Industriegebiet, doch sein Bau war der Auslöser einer nationalen Kontroverse - und er führte schließlich zu der Volksinitiative einer religiösen rechten Gruppierung, die in der Bundesverfassung diesen einen Satz verankern wollte: "Der Bau von Minaretten ist verboten."

Eben diesem Verbot haben die Schweizer am Sonntag höchst überraschend zugestimmt, entgegen allen Umfragen und obwohl die Regierung und fast alle großen Parteien für ein "Nein" geworben haben.

57,5 Prozent hießen das Verbot gut. Auch die benötigte Mehrheit der Kantone schaffte die Initiative problemlos: 22 von 26 Kantonen stimmten zu, nur die beiden Stadtkantone Genf und Basel-Stadt lehnten sie ab, außerdem die beiden französischsprachigen Kantone Neuenburg und Waadt.

Es ist ein schockierend deutlicher Erfolg für ein Anliegen, das von Politikern der äußersten Rechten stammt.


Fragt sich, wieviele Stimmen der Formulierung der Frage geschuldet sind. "Ja zum Minarettverbot!" - Stimme ich jetzt "Ja" oder "Nein"? ^^
Mir wäre es lieber, wenn es eine Abstimmung über Scharia- ja oder nein bzw. Zwangsehen - ja oder nein oder auch Burka - ja oder nein, oder wie auch immer, gegangen wäre, und nicht um Türme, die auch noch anderen Türmen, z.B. Kirchtürmen, verblüffend ähnlich sehen.

Gerade fragte ich mich, warum ein europäischer Menschengerichtshof für die Schweiz bindend sein sollte, wo sie doch gar nicht in der EU sind, da fand ich das:
Heute haben fast alle europäischen Staaten die Menschenrechtskonvention unterzeichnet und ratifiziert (Ausnahme: Weißrussland und der Vatikan).

... also alles geklärt. Allerdings stellt sich die Frage, warum der besagte Gerichtshof nichts gegen das mangelnde Frauenwahlrecht getan hatte; ist die Schweiz erst später eingetreten? K.A.

Im Übrigen stimme ich der Deutung der Artikel dahingehend zu, dass die gemäßigten Politiker die Probleme der Bevölkerung mit dem Islam weder ausreichend zur Kenntnis nehmen, noch sinnvolle Lösungsvorschläge bringen.

Lykurg
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Mo 30. Nov 2009, 18:24 - Beitrag #51

e-noon, vergleiche Grundgesetz Artikel 140: "Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes." (die sind nachfolgend dann auch abgedruckt).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte besteht als solcher erst seit 1998; dahinter steht nicht die EU, sondern der Europarat, dem fast alle Staaten Europas im weitesten Sinne (bis zum Kaukasus) angehören. Mitgliedschaft im Europarat bedeutet aber nicht zugleich Gültigkeit des EGMR, sondern nur, wenn man dessen Menschenrechtsstatut mit unterzeichnet hat. Ob das Frauenwahlrecht ursprünglich ein Teil davon ist, habe ich nicht überprüft, bin mir da aber noch nicht einmal sicher (1950...)

Daß die Fragestellung besonders irreführend ist, finde ich nicht. 'Ja oder nein zu einem Verbot' sollte ein wahlberechtigter Mensch als doppelte Verneinung erkennen; und selbst wenn nicht, dürfte das Problem, da in beiden Richtungen vorhanden, nur ein statistisches Rauschen ergeben.

Deine Alternativvorschläge sind meines Erachtens (noch) kein europäisches Problem, sie wären mir ebenfalls weit lieber, da weitgehend Konsensthemen, aber ihr ausdrückliches Verbot ist nicht notwendig, da sie durch gesetzliche Rahmenbedingungen bereits ausgeschlossen sind (etwa die Scharia durch die staatliche Rechtshoheit). Zwangsehen sind noch am ehesten problematisch, weil im familiären Rahmen stattfindend, der dem staatlichen Handeln nur begrenzt zugänglich ist, aber auch hier gelten eigentlich klare Bestimmungen.

Auch ich teile die Befürchtungen des Artikels, etwa über mögliche Folgen für die Schweiz (auch die wirtschaftlichen Konsequenzen eines Großboykotts könnten immens sein, insbesondere auch für die Schweizer Banken, wenn deren Öl abfließt, politischererseits zeigt es um so deutlicher den Paradigmenwandel nach 9/11 und das befürchtete Ende der Freiheit - in vorauseilendem Gehorsam).

Kritik an der Politik ist allerdings relativ billig, und du faßt darin meines Erachtens auch den Artikel nicht korrekt auf: Er konstatiert in erster Linie ein "Unbehagen" (erst nachgeordnet auch "wahrgenommene und reale Probleme") - und damit kann man sehr viel schlechter umgehen. Unbehagen läßt sich kaum zerstreuen, und mit so haarsträubend dummen Aktionen wie diesem Volksentscheid kann nur Schaden angerichtet werden, wenn man die Konsequenzen für dialogbereite, verhalten westlich orientierte islamische Gemeinschaften bedenkt. Dann wird das Unbehagen zur selbsterfüllenden Prophezeiung...

e-noon
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Mo 30. Nov 2009, 19:28 - Beitrag #52

Danke für die Aufklärung bzgl. Grundgesetz, ist ja spannend.

Das Unbehagen gegenüber dem Islam ist aber sicherlich nicht grundlos und unmotiviert. Die Medien verbreiten das Bild im Moment mit besonderer Genugtuung, das ändert aber nichts daran, dass viele Türken (mal exemplarisch, meist werden Ethnie und Islam auf Türkischsein zusammengeführt) schlecht deutsch sprechen, dass sogar jüngere Generationen zum Teil weniger gut deutsch sprechen als frühere, dass sie weniger häufig an Gymnasien verbreitet sind, häufiger an Hauptschulen, häufiger ohne Schulabschluss, dafür aber mehr Kinder haben. Außerdem ist es bei uns nicht direkt üblich, seine Religion oder Weltanschauung offen vor sich herzutragen, wie das beim Kopftuch der Fall ist; wenn mir jemand entgegenkäme, der fett "JESUS LIEBT DICH" auf dem T-Shirt stehen hätte, würde ich auch erstmal denken "Ok... muss das jetzt sein..." und nicht "Hey, super, da lebt jemand seine weltanschauliche Freiheit aus". Das Kopftuch wird als bewusste Abgrenzung empfunden, als "ich bin Muslim und du bist es nicht", und ich behaupte mal, das ist es teilweise auch. Wer seinen Kopf bedecken will, weil das im Koran steht, und gleichzeitig im hier und jetzt Deutschlands angekommen ist, dem stehen dutzende von Kopfbedeckungen zur Verfügung, die den gleichen Zweck erfüllen und nicht deutlich auffallend sind.

Scharia kein europäisches Problem?
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,563832,00.html
http://www.tagesspiegel.de/politik/deutschland/art122,1880892
http://www1.bpb.de/themen/FE53LX,0,In_Deutschland_wenden_wir_jeden_Tag_die_Scharia_an.html
Okay. Burka?
http://www.welt.de/politik/ausland/article4667784/Frauen-mit-Burka-sollen-Arbeitslosengeld-verlieren.html
http://www.welt.de/politik/ausland/article4037093/Sarkozys-Burka-Verbot-erzuernt-al-Qaida.html
http://www.tagesschau.de/ausland/meldung117528.html

Es gibt Probleme und diese werden auch wahrgenommen, zumindest von der Bevölkerung, von den Politikern eher ungern, und wenn doch, wird alles sofort relativiert, nach dem Motto "es gibt ja überall schwarze Schafe"...

Maglor
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Mo 30. Nov 2009, 21:00 - Beitrag #53

Ich glaube man sieht hier mal zur Abwechslung, wie unterschiedlich die politischen Systeme der westlichen Demokratien doch sind. In Deutschland wäre eine solche Entscheidung sicher verfassungswidrig, wobei ich aber nicht sagen möchte, dass das deutsche System, in welchem gerichtliche Urteile Gesetzesentwürfe der demokratisch gewählten Parlamente umstoßen, per se unproblematisch ist.

Die Vorgänge in der Schweiz aber stimmen mich schon nachdenklich. Ich fürchte in Deutschland finden sich auch entsprechende Mehrheiten. Die Argumentation scheint mit klar von Islamophobie geprägt. Genauso gut könnte man die Katholiche Kirche der IRA wegen maltretieren und so die vielen der Bomben weniger verurteilen.

Freiheit ist die Freiheit der anderen. Demokratie heißt Volksherrschaft. Das eine rechtliche Ordnung und politische Praxis, dem Willen oder Geschmack der Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung entspricht, ist meiner Meinung nach gar nicht so wichtig, eher zweitrangig verglichen mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.
Die Schweiz ist im Grunde doch ganz anders. Dort wurde ja auch über die Einführung des Frauenwahlrechts eine Volksabstimmung gemacht. Die Schweiz ist eben eine Demokratie, also Volksherrschaft im eigentlichen Sinne, und nicht so sehr Verfassungsstaat.

Ansonsten sehe ich im Minarett doch die Alternative zur Hinterhof-Moschee, mit ihren dunklen Ecken und geheimen Auren.
Aber der Kampf geht weiter, es gibt ja bereits Minarette in der Schweiz. Kommt jetzt der Bagger und macht unter greulendem Beifall des Pöbels den Beschluss des Volkes in die Tat um?

Lykurg
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Mo 30. Nov 2009, 21:09 - Beitrag #54

Maglor, danke für deinen klaren Beitrag, den ich vollständig teile, sogar den amüsanten, aber schlagenden Satz über Hintanstellung des Mehrheitswillens gegenüber den rechtsstaatlichen Prinzipien. Bild
Soweit ich das mitbekommen habe, geht es 'nur' um ein Bauverbot für neue Minarette, die alten dürfen stehenbleiben, bis sie von selbst umfallen. Und hoffentlich kippt der EGMR die Entscheidung - aber der Schaden ist schon passiert.

e-noon, ich teile ja grundsätzlich deine Besorgnis insbesondere hinsichtlich der mangelnden Integration türkischstämmiger Jugendlicher und etwa des Kopftuchs, das ich als Unterdrückungssymbol beurteile.
Die Scharia-Artikel sehe ich allerdings (abgesehen vielleicht vom dritten) als Verirrungen von Einzelpersonen, die auch (zweiter Fall) schnell und umfassend sanktioniert wurden. Daraus würde ich noch keine weiterreichenden Schlüsse ziehen. Die Burka ist vielleicht noch das privateste dieser Probleme, zudem wohl das, das am stärksten das genannte 'Unbehagen' bewirkt. Man sollte sicherstellen, daß sie sich hier nicht einbürgert. Aber das möchte ich ungern mit einem Volksentscheid verwirklicht sehen. Bild

Ich habe so meine Zweifel an direkter Demokratie, besonders nach dieser Entscheidung...

e-noon
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Mo 30. Nov 2009, 22:09 - Beitrag #55

Da meine detaillierte Analyse verschwunden ist, beschränke ich mich auf das wesentliche ^^

Die Burka ist vielleicht noch das privateste dieser Probleme, zudem wohl das, das am stärksten das genannte 'Unbehagen' bewirkt. Man sollte sicherstellen, daß sie sich hier nicht einbürgert.
Wie?
Aber das möchte ich ungern mit einem Volksentscheid verwirklicht sehen.
Sondern?

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Mo 30. Nov 2009, 23:11 - Beitrag #56

Ich bin entsetzt, was sind denn das für antidemokratische Strömungen ?

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Mo 30. Nov 2009, 23:40 - Beitrag #57

e-noon, in einem Thread, der sich nominell mit Minaretten in der Schweiz beschäftigt, fand ich es nur bedingt zielführend, breit auf die Integrationsprobleme türkischer Jugendlicher in Deutschland einzugehen, gerade wenn ich deine Ansichten diesbezüglich zu teilen scheine (inklusive Zurschaustellung der Weltanschauung). Im Kopftuch sehe ich ein Symbol der Abgrenzung bzw. der Unterdrückung (auch wenn selbstgewählt; ebenso kann auch peergroupkonforme Markenkleidung als offen getragenes Stigma der Fremdbestimmung verstanden werden). Aber es ist schon richtig, die schwarzen Schafe mähen besser, wenn sie keine Ganzkörperverhüllung tragen. Also (wie in einem der Holland-Artikel angesprochen) das Vermummungsverbot anwenden - und ausdrücklich auch außerhalb des Versammlungsgesetzes verankern? Immerhin werden Gesichtsverhüllungen gern für kriminelle Handlungen genutzt, und die Vorstellung, daß etwa ein gesuchter Straftäter sich unter einer Burka verbergen könnte, wäre unerfreulich.
Zugegebenermaßen ist das ein nicht besonders sauberer Weg der gesetzlichen Regelung. Alternativen? Die Neutralitätspflicht des Staates läßt sich jedenfalls für Lehrer, aber auch für Schüler (und Studenten?) dahingehend festlegen; auch Unterrichtsbefreiungen kann ich nicht befürworten. Damit würde aber möglicherweise nur bewirkt, daß Frauen aus streng muslimischen Familien eine höhere Bildung verwehrt wird... hier müßte größter Wert auf die Entscheidung der betroffenen Person selbst gelegt werden.

Aber all dies ist nur bedingt auf die Minarettfrage anzuwenden; darin sehe ich eher das Zeichen eines selbstbewußten gesellschaftlichen Ankommens, sie sind mir ebenfalls lieber als Hinterhofmoscheen, im weitesten Sinne gilt hier vielleicht auch mens sana in corpore sano. Bild
Jedenfalls ist das einseitige Verbot von Minaretten ein massiver Verstoß gegen alle Gleichheitsgrundsätze, eine Verletzung der Religionsfreiheit und massiv diskriminierend (einhergehend mit - siehe SVP-Plakate - dumpf-rassistischen Untertönen).

Ben, wenn ein wie auch immer zustandegekommener Mehrheitswillen des Volks sich über Grundwerte hinwegsetzt, pfeife ich auf die Mehrheit. Mit gutem Grund haben bei uns einige Grundgesetzparagraphen 'ewigen' Bestand und Volksentscheide nur bedingte Rechtskraft. Wir haben mehrfach erleben müssen, wozu man ein Volk begeistern kann, wenn man über die nötigen propagandistischen Mittel verfügt.

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Di 1. Dez 2009, 00:45 - Beitrag #58

Zitat von Lykurg:Ben, wenn ein wie auch immer zustandegekommener Mehrheitswillen des Volks sich über Grundwerte hinwegsetzt, pfeife ich auf die Mehrheit. Mit gutem Grund haben bei uns einige Grundgesetzparagraphen 'ewigen' Bestand und Volksentscheide nur bedingte Rechtskraft. Wir haben mehrfach erleben müssen, wozu man ein Volk begeistern kann, wenn man über die nötigen propagandistischen Mittel verfügt.


Wer gibt die Norm vor, wenn es nicht die Mehrheit ist und mit welcher legitimation? (Das ist nicht als meine persönliche Anschauung zu verstehen.)

Völker werden ständig begeistert/gelenkt und Propaganda ist allgegenwärtig, die Mittel dazu sind ausgeprägter denn je. Alle gesellschaftlichen Schichten sind davon betroffen und es gelingt den Wenigsten sich dessen zu entziehen. Wenn es soetwas wie einen kollektives Bewusstsein für Gerechtigkeit und Wahrheit gibt, dann ist diese Struktur bereits stark geschädigt und nicht mehr funktionsfähig. Das wurde mehr oder weniger bewusst herbeigeführt, nur hat man an die Folgen wohl keinen Gedanken verschwendet.

Diese Minarett-Initiative ist nur die Spitze eines Eisberges, dessen Komplexität und Bedeutung für die Zukunft unserer Gesellschaft von der Mehrheit nicht im Ansatz erkannt wird. Nichteinmal die Medien haben davon Notiz genommen.

Wie wünschenswert wäre es, würde ein Ereignis eintreten, dass allen religiösen Wahn Geschichte werden lässt und eine Neuordnung der Gesellschaft einleitet.

e-noon
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Di 1. Dez 2009, 00:45 - Beitrag #59

ok, vielleicht können wir das in einem anderen thread näher besprechen, auf jeden Fall danke schon mal für deine Antwort.

Jedenfalls ist das einseitige Verbot von Minaretten ein massiver Verstoß gegen alle Gleichheitsgrundsätze, eine Verletzung der Religionsfreiheit und massiv diskriminierend (einhergehend mit - siehe SVP-Plakate - dumpf-rassistischen Untertönen).
Ich denke, darauf können wir uns einigen; stellt sich die Frage, wie das bei den Schweizern formal geregelt ist, mit der Religionsfreiheit, der Verfassung und den Volksentscheiden, und auf welcher Basis diese Kritik geäußert werden kann; Menschenrechte vor direkter Demokratie? Und wenn ja, worauf stützt sich diese Forderung?

Man könnte ja auch argumentieren, dass das freie Recht auf Religionsausübung an den bestehenden Gesetzen gemessen werden muss, Muezzinrufe könnten Anrainer massiv stören, vor allem früh morgens und spät abends; mit dem gleichen Argument wurden Kirchenglocken vielerorts verboten. Ob ein Minarett ohne Muezzin für Muslime Sinn macht? :confused:

Mir wäre wohler, wenn gegen alle religiösen (meinetwegen auch weltanschaulichen) Türme einer gewissen Höhe/Machart gestimmt worden wäre, nicht nur gegen die muslimischen.

Maglor
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Di 1. Dez 2009, 21:35 - Beitrag #60

So lange die Hochhäuser der Banken die Kirchtürme noch übrragen ist die Welt doch in Ordnung... :P

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