Verbot von Minaretten in der Schweiz

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e-noon
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Di 1. Dez 2009, 22:06 - Beitrag #61

Ich weiß es echt nicht. Meiner Meinung nach haben die Schweizer ein Zeichen gesetzt - gegen die Verrücktheiten, die von der islamischen Welt ausgehen (kurz zuvor wurden wohl zwei Schweizer Diplomaten von irgendeinem Großmufti oder Schah oder wai entführt; seit einem Jahr verschwunden).
Was ich noch weniger verstehe, ist, wie Länder wie die Türkei sich aufregen können über das Verbot eines zur Religionsausübung nicht einmal notwendigen Symbols, während gleichzeitig in besagten Ländern mit allen Kräften, sogar mit Gewalt, andere Religionen unterdrückt werden. HALLO!????
Irgendwie scheint es im Verlauf der Debatte normal geworden zu sein, dass Muslime mit den verrücktesten Forderungen durchkommen, weil jedes kleine Abweichen von ihrer Gewohnheit angeblich eine unerträgliche Gewissensbelastung darstellt (mit dieser Rechtfertigung entziehen sie sich dem Schwimmunterricht, teilweise Sportunterricht, Klassenfahrten, es gibt extra Feiertage...).
Wenn ich in ein Land einwandere, dann erwarte ich keine extra Feiertage für meine Religion oder mein persönliches Wohlbefinden. Sollte ich irgendwann nach Italien ziehen, dann akzeptiere ich auch den dortigen Schulunterricht für meine Kinder, solange er den Gesetzen des Landes folgt, und wenn das mit unerträglichen Gewissensqualen verbunden ist, überlege ich mir doch vorher, gar nicht erst in das Land einzuwandern, oder? Ich denke, das Minarettverbot ist ein Zeichen gegen die ständige religiöse Empörtheit oder oben genannte Extrawürste; die wenigsten werden sich wohl am Minarett als Gebäude gestört haben oder würden sich davon gestört fühlen, wenn der Islam eine Religion wie jede andere wäre, die sich außerhalb der freien Religionsausübung den Gepflogenheiten des Landes anpasst. Natürlich tun das viele Muslime; gegen die hat wahrscheinlich auch keiner was. Das Minarettverbot war ein Zeichen gegen die streng Religiösen und des Eindringens dieser Religion in andere Bereiche des Lebens, was es bei streng gläubigen Muslimen ja gerade nicht gibt: Andere Bereiche des Lebens. Alles ist Islam, darum gibt's keine Kompromisse.

@Lykurg: Ich denke schon, dass das auch hierhin passt, erstens stört es wohl sowieso keinen, wenn es nicht ausschließlich um Minarette geht, zweitens habe ich keine Lust auf einen neuen Thread und drittens und am wichtigsten spekulieren wir ja hier über die Gründe der Schweizer und die Interpretation des Ergebnisses, und da gehört das gesagte imo unbedingt dazu.

Lykurg
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Mi 2. Dez 2009, 01:14 - Beitrag #62

Ja, ich habe inzwischen auch einige Artikel in der Richtung gelesen, z.B. diesen von Henryk M. Broder, der mal wieder einseitig übers Ziel hinausschießt, aber auch diesenhier von Hamed Abdel-Samad, der mir sehr vernünftig vorkommt. Nur scheint mir, wie berechtigt auch immer man es finden mag, der Minarettstreit genau der falsche Weg. Hier handelt es sich um ein Symbol der selbstbewußten Gleichstellung, nicht ein Unterdrückungswerkzeug oder archaisches Relikt von offenbarter Pseudojustiz. Jede gesetzliche Maßnahme, die eine gesellschaftliche Gleichstellung von Muslimen mit Nichtmuslimen auch gegen ihren Willen befördert, wäre mir lieber gewesen als diese, die eine Ungleichheit herstellt.

Es ist völlig richtig, daß wir uns dem Druck muslimischer Länder nicht fügen sollten. Aber uns selbst und unsere Freiheit zu bewahren, bedeutet auch, dort, wo es uns nicht schadet, freiheitliches Leben zu ermöglichen, und gerade das ist hier gegeben. Einen gewandelten Islam erreichen wir sicherlich nicht durch Abschottung.

Mir wäre wohler, wenn gegen alle religiösen (meinetwegen auch weltanschaulichen) Türme einer gewissen Höhe/Machart gestimmt worden wäre, nicht nur gegen die muslimischen.
Mir auch. Ich bin auch kein Freund von Hochhäusern, jedenfalls nicht als monolithisch die Stadtsilhouette verschandelnde Klötze. Während sie im Ensemble (Frankfurt, Shanghai o.ä.) durchaus eindrucksvoll sein können, ist es mir ein Graus, wenn ein seit Jahrhunderten durch seine Kirchtürme geprägtes Stadtbild plötzlich ein paar gläserne Balken reingerammt bekommt; auch zusätzliche hohe Türme von Gotteshäusern müssen dann nicht sein.

Übrigens brauchst du hinsichtlich Kruzifixen in italienischen Schulen wohl keine Sorge mehr zu haben. Eine Finnin hat gerade vor dem Europäischen Gerichtshof dagegen geklagt - erfolgreich. Bild


@Ben: Ich, von Gottes Gnaden, durch Genetik und Sozialisation begabt mit Verstand und Wissen, bilde mir ein Urteil über meine Zeit und beschließe kraft meiner diesbezüglich schier grenzenlosen Machtvollkommenheit, was ich für gut und was für böse halte. - Auch ohne die Annahme einer Norm kannst du die Lenkung der Massen in diverse Richtungen feststellen - wie du ja auch selbst schreibst. Normen sind aber durchaus vorhanden in der Vielzahl nationaler und internationaler Rechte, die in den verschiedenen Verfassungen und Verträgen festgeschrieben sind. Verletzungen dieser Vorschriften müssen; ihre Beschneidung oder Dehnung kann und sollte als Schritt vom Wege wahrgenommen werden.

Die Öffentlichkeit und ihre Multiplikatoren sind übrigens nicht so blind, wie du meinst; die Aufregung um Sarrazins Rede zum Beispiel zeigte das, er wurde ja durchaus nicht von allen Seiten verurteilt oder totgeschwiegen. Nein, Themen in dieser Richtung bewegen auch hier viele, und es ist wohl kein Zufall, daß Spiegel Online seine Sonntagsumfrage zum Minarettverbot bald wieder aus dem Netz nahm - angeblich wegen Anzeichen von Manipulation; ob sie diese schon im schlichten Vorhandensein einer Dreiviertelmehrheit für das Verbot sahen, weiß ich nicht. Bild

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Mi 2. Dez 2009, 05:00 - Beitrag #63

Zitat von Lykurg:@Ben: Ich, von Gottes Gnaden, durch Genetik und Sozialisation begabt mit Verstand und Wissen, bilde mir ein Urteil über meine Zeit und beschließe kraft meiner diesbezüglich schier grenzenlosen Machtvollkommenheit, was ich für gut und was für böse halte. - Auch ohne die Annahme einer Norm kannst du die Lenkung der Massen in diverse Richtungen feststellen - wie du ja auch selbst schreibst. Normen sind aber durchaus vorhanden in der Vielzahl nationaler und internationaler Rechte, die in den verschiedenen Verfassungen und Verträgen festgeschrieben sind. Verletzungen dieser Vorschriften müssen]

Sowas habe ich mir schon gedacht. Aber du kannst beruhigt sein, ich stimme mir dir in diesem Punkt überein.

Zitat von Lykurg:Die Öffentlichkeit und ihre Multiplikatoren sind übrigens nicht so blind, wie du meinst]http://matrix.avalon-one.de/images/smilies/crazy.gif[/img]


Nicht zwangsweise blind, sondern vielmehr gelähmt und manipuliert. Denn was nicht sein darf, das kann auch nicht... Um diesen Zustand beizubehalten wird kräftig manipuliert. Das Gerede über den "mündigen Staatsbürger" der sich kritisch mit dem Weltgeschehen auseinandersetzt ist nichts weiter als dummes Geschwätz. Hört sich natürlich toll an, und so mancher fühl sich wohl geschmeichelt, ist aber nichts wert.

Was meinst du, besteht ein ernsthaftes Interesse der Regierungen an wirklich aufgeklärten, kritischen Bürgen?

Ich würde mir wünschen, dass ET uns einen Besuch abstattet und alle Religionen einfach wegfegt, damit wir alle der einzig wahren Gottheit dienen können :D

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Mi 2. Dez 2009, 11:43 - Beitrag #64

Sowas habe ich mir schon gedacht. Aber du kannst beruhigt sein, ich stimme mir dir in diesem Punkt überein.
Was meinst du, besteht ein ernsthaftes Interesse der Regierungen an wirklich aufgeklärten, kritischen Bürgern?
Ach, erst Demokratie verabsolutieren und dann plötzlich auch das Gottesgnadentum vertreten? Das haben wir gern...^^
Ich denke schon, wobei wesentlich ist, wohin das kritische Bewußtsein führt. Das hatten schließlich auch die Vertreter der Linken auf ihre Fahnen geschrieben, die in letzter Konsequenz den Deutschen Herbst erreichten. Und ohne die Aufklärung wäre die französische Revolution mit ihren menschenverachtenden Greueltaten nicht denkbar gewesen. (Was nicht bedeutet, daß ich beiden Bewegungen ihre historische Folgerichtigkeit und teilweise Berechtigung in Fehlern der Gegenseite abspräche.) - Ich denke aber, daß ein gewisses Maß an aufklärerischem und kritischem Geist für das Gelingen einer Gesellschaft erforderlich ist und dies auch den Regierungen freiheitlicher Staaten bewußt ist.

Ich würde mir wünschen, dass ET uns einen Besuch abstattet und alle Religionen einfach wegfegt, damit wir alle der einzig wahren Gottheit dienen können :D
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Mi 2. Dez 2009, 12:51 - Beitrag #65

Zitat von Lykurg:Nur scheint mir, wie berechtigt auch immer man es finden mag, der Minarettstreit genau der falsche Weg. Hier handelt es sich um ein Symbol der selbstbewußten Gleichstellung, nicht ein Unterdrückungswerkzeug oder archaisches Relikt von offenbarter Pseudojustiz. Jede gesetzliche Maßnahme, die eine gesellschaftliche Gleichstellung von Muslimen mit Nichtmuslimen auch gegen ihren Willen befördert, wäre mir lieber gewesen als diese, die eine Ungleichheit herstellt.
Ja, zweifellos]Es ist völlig richtig, daß wir uns dem Druck muslimischer Länder nicht fügen sollten. Aber uns selbst und unsere Freiheit zu bewahren, bedeutet auch, dort, wo es uns nicht schadet, freiheitliches Leben zu ermöglichen, und gerade das ist hier gegeben. Einen gewandelten Islam erreichen wir sicherlich nicht durch Abschottung.[/QUOTE] Logisch.

Mir auch. Ich bin auch kein Freund von Hochhäusern, jedenfalls nicht als monolithisch die Stadtsilhouette verschandelnde Klötze. Während sie im Ensemble (Frankfurt, Shanghai o.ä.) durchaus eindrucksvoll sein können, ist es mir ein Graus, wenn ein seit Jahrhunderten durch seine Kirchtürme geprägtes Stadtbild plötzlich ein paar gläserne Balken reingerammt bekommt; auch zusätzliche hohe Türme von Gotteshäusern müssen dann nicht sein.
Dito. Dem Bauamt würde ein verfeinerter Sinn für Ästhetik wohl kaum schaden.

Übrigens brauchst du hinsichtlich Kruzifixen in italienischen Schulen wohl keine Sorge mehr zu haben. Eine Finnin hat gerade vor dem Europäischen Gerichtshof dagegen geklagt - erfolgreich. Bild

Und das bedrückt dich? Selbstbewusste Ausübung eigener Rechte für Muslime ja, für Atheisten nein? Woher willst du wissen, wie man sich fühlt, wenn man die Mehrheitsreligion jeden Tag ins Gesicht gedrückt bekommt, an einem Ort, den man wahrscheinlich eh schon nicht freiwillig und aus purer Begeisterung besucht?

Die zwei Seiten lese ich mir jetzt mal durch.

Lykurg
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Mi 2. Dez 2009, 16:29 - Beitrag #66

e-noon, in meinen Augen ist diese Finnin das klassische Beispiel für 'in einen fremden Kulturkreis kommen und nicht bereit sein, sich anzupassen'. Es gibt so viele Dinge, über die ich in meinem Alltag hinwegzusehen bereit bin - ich sehe nicht so recht ein, wieso andere das nicht auch können. Ähnlich auch der Fall einer pensionierten Lehrerin, die 1972 (!) direkt an den Dom von Verden gezogen ist und sich seit 2003 gerichtlich darum bemühte, dort die Kirchenmusik verbieten oder massiv einschränken zu lassen. Manchmal frage ich mich wirklich, wie blöd die Leute sein können, und wenn sie dann recht bekommen, hat es negative Konsequenzen für alle anderen.

Ich trete dafür ein, Symbole der eigenen Religion oder Weltanschauung öffentlich zeigen zu dürfen, wenn diese nicht darauf abzielen, sich oder andere damit herabzusetzen. Letzteres sehe ich bei der Burka als gegeben, bei Kruzifix oder Minarett (jedenfalls bei angemessener Höhe) nicht. Minarette komplett zu verbieten, ist in meinen Augen ein kollektiver Kastrationsakt, und dazu sehe ich keinen Anlaß.

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Mi 2. Dez 2009, 16:41 - Beitrag #67

Ich sehe weder einen Anlass, Minarette zu verbieten, noch einen Anlass, Kruzifixe zu verbieten. Aber ich sehe sehr wohl einen Anlass, auf der staatlichen Neutralität gegenüber Religion zu bestehen. Diese ist gegeben, wenn Kreuze und Minarette aufgestellt werden dürfen, wo dies der Bauordnung nicht im Wege steht; aber sie ist nicht mehr gegeben, wenn in einer staatlichen Schule Symbole der Mehrheitsreligion hängen. Anders als die Straße beim Dom oder neben dem Minarett kann sich der Schüler meist nicht aussuchen, ob und in welche Schule er gehen will; wenn ich Leute an einen bestimmten Ort zwinge, muss ich auch sicherstellen, dass an diesem Ort die Rechte dieser Menschen gewahrt werden. Zumindest, wenn ich ein Staat bin, der jedem Menschen positive wie negative Religionsfreiheit zusichert. Desweiteren sind ja nicht nur die Finnen in Italien religionslos, ich selbst schreibe häufig in einem italienischen Atheistenforum, in dem diese Entscheidung als sehr positiv aufgenommen wurde.

PS:
- Artikel 136 regelt, dass die bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten durch die Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt werden. Außerdem darf niemand zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden.
- Aus Art. 4 GG wird eine Pflicht des Staates zur religiösen Neutralität abgeleitet. Diese Pflicht gilt allerdings nur für den Staat. So wäre die Einführung eines Kopftuchverbots für Schülerinnen verfassungswidrig, da diese sich gegenüber dem Staat auf ihre Religionsfreiheit berufen könnten. Im Gegensatz dazu müssen Lehrer als Vertreter des Staates dessen religiöse Neutralität beachten, nur Nonnen dürfen weiterhin Kopftuch (Habit) tragen. Personen, die sich verbeamten lassen, begeben sich freiwillig in die staatliche Sphäre und können daher nicht mehr dasselbe Maß an „Freiheit vom Staat“ geltend machen wie andere Bürger. Den Konflikt, dass Beamte einerseits Bürger und anderseits Funktionsträger des Staates sind, versucht Art.33 Abs.3 GG zu regeln. Es ist Gegenstand teils heftig geführter Debatten, ob etwa von Lehrerinnen verlangt werden kann, ohne Kopftuch zu unterrichten. Nach dem Kopftuchurteil des Bundesverfassungsgerichts ist hierfür jedenfalls eine landesgesetzliche Regelung notwendig. Lehrer können sich wiederum gegenüber dem Staat auf dessen Pflicht zur religiösen Neutralität berufen und dürfen deshalb beispielsweise nicht gezwungen werden, Religionsunterricht zu erteilen oder Schüler während eines Schulgottesdienstes zu beaufsichtigen.

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Mi 2. Dez 2009, 17:42 - Beitrag #68

Zitat von Lykurg:Ach, erst Demokratie verabsolutieren und dann plötzlich auch das Gottesgnadentum vertreten? Das haben wir gern...^^
Ich denke schon, wobei wesentlich ist, wohin das kritische Bewußtsein führt. Das hatten schließlich auch die Vertreter der Linken auf ihre Fahnen geschrieben, die in letzter Konsequenz den Deutschen Herbst erreichten. Und ohne die Aufklärung wäre die französische Revolution mit ihren menschenverachtenden Greueltaten nicht denkbar gewesen. (Was nicht bedeutet, daß ich beiden Bewegungen ihre historische Folgerichtigkeit und teilweise Berechtigung in Fehlern der Gegenseite abspräche.) - Ich denke aber, daß ein gewisses Maß an aufklärerischem und kritischem Geist für das Gelingen einer Gesellschaft erforderlich ist und dies auch den Regierungen freiheitlicher Staaten bewußt ist.


Natürlich, meinst du ich bin mir nicht darüber bewusst, dass es diese gesunde Mitte gibt?

Da hast du allerdings recht, so lang das kritische Bewusstsein keinen Interessen in die Quere kommt und es diesen sogar zuträglich ist, ist es recht. Und genau das kann man auch bei uns beobachten. Desweiteren bin ich fest davon überzeugt, dass es für die Herrschenden wesentlich nachhaltiger ist eine Gesellschaft in dem glauben zu erziehen kritisch zu sein und ihr weiß zu machen die Wahl zu haben, anstatt Sie sich mittels physischer Gewalt Untertan zu machen. Auch wenn ich denke, dass beides mit der Zeit zum scheitern verurteilt ist, so ist die eine Variante doch wesentlich eleganter, vorteilhaft und wahrscheinlich auch langlebiger als die andere.

Zitat von Lykurg:
Und das wäre... die Wissenschaft? Bild


Bravo :D

Lykurg
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Mi 2. Dez 2009, 17:42 - Beitrag #69

Desweiteren sind ja nicht nur die Finnen in Italien religionslos, ich selbst schreibe häufig in einem italienischen Atheistenforum, in dem diese Entscheidung als sehr positiv aufgenommen wurde.
Das glaube ich ohne weiteres. In einem Katholikenforum wäre das vielleicht anders gewesen. Bild Aber tatsächlich wäre weltanschauliche Neutralität staatlicher Institutionen sinnvoll, und da gebe ich dir bei Schulen letztlich recht. Nur würde ich als Einwanderer eben nicht darauf bestehen wollen. Wenn die Italiener das für sich beschließen, gut; und wenn es sein muß, sollen sie klagen - aber wie du vor ein paar Beiträgen formuliertest, sollte man es sich vorher überlegen, ob die Gegebenheiten eines Landes, in das man zu ziehen wünscht, einem Gewissensqualen bereiten, statt als Gast die Verhältnisse umkrempeln zu wollen.
@GG-Kommentar: Danke, sehr erhellend. Deswegen setzt mein Beleidigungsgedanke ja auch woanders an. ;)

Ben, möglich - aber bisher haben noch alle Religionen irgendwann ihre Anhängerschaft verloren und sind der Vergessenheit anheimgefallen... Und gerade die messianische Behauptung der Wissenschaft als wahrer Religion klingt mir eher nach Marxismus als nach Wissenschaft... Bild

e-noon
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Mi 2. Dez 2009, 18:24 - Beitrag #70

Hm, Lykurg, ich weiß nicht, ob ich dir da zustimmen kann. Die Finnin hat einem Anspruch, den der Staat ja bereits an sich selbst stellte (oder mittels EU zumindest ihm nicht widerspricht), zur Wirklichkeit verholfen; sie stellte damit sicher, dass sich ihre Kinder integrieren und wohlfühlen können, indem die staatlich garantierte Neutralität der Schule auch im Klassenzimmer gewahrt wurde. Etwas anderes wäre es gewesen, hätte einer der Schüler ein Jesusbildchen an die Pinnwand geheftet, und jemand anders Britney Spears oder meinetwegen Richard Dawkins daneben.

Etwas anderes ist es, wenn Eltern klagen, nicht um ihrem Kind die volle Teilnahme zu ermöglichen, sondern um es auszugrenzen. Wobei ich Befreiung vom Schwimmunterricht gar nicht mal so schlimm finde - schlimm finde ich, dass es nur für Muslime so gemacht wird, in Bezug auf Schwimmen, Sport oder Klassenfahrten. Dürften alle Schüler Gewissensgründe geltend machen, um Sport zu schwänzen oder sich frei zu nehmen - ich hätte kein Problem damit. Für mich war Sport immer eine Qual, sicher mehr als für so manche freigeklagte Muslime. Auch im Fall Italiens wurde ja gleiches Recht für alle hergestellt - und nicht Sonderrechte für Atheisten.

Lykurg
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Mi 2. Dez 2009, 18:52 - Beitrag #71

Richtig ist wohl, daß sie damit dem Gesetz zu seiner Erfüllung im Wortverstand verholfen hat. Allerdings gibt es recht häufig Übergangsbereiche, in denen sich Praktiken halten, die so gesetzlich nicht unbedingt vorgesehen sind, aber den nationalen Gepflogenheiten eines Landes entsprechen. Das muß nicht gut sein, immerhin hebelt es die Institutionen aus - allerdings ermöglicht das auch - Beispiel: die Umgehung von Vorschriften etwa zur Nahrungsmittelherstellung - den Erhalt regionalen Brauchtums entgegen der Widrigkeiten einer globalisierten Welt. Bild
Nein, ist schon richtig.

Zum zweiten Absatz bin ich mir jedenfalls mit dir absolut einig. Bild

e-noon
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Mi 2. Dez 2009, 20:11 - Beitrag #72

Zitat von Lykurg:Richtig ist wohl, daß sie damit dem Gesetz zu seiner Erfüllung im Wortverstand verholfen hat. Allerdings gibt es recht häufig Übergangsbereiche, in denen sich Praktiken halten, die so gesetzlich nicht unbedingt vorgesehen sind, aber den nationalen Gepflogenheiten eines Landes entsprechen. Das muß nicht gut sein, immerhin hebelt es die Institutionen aus - allerdings ermöglicht das auch - Beispiel: die Umgehung von Vorschriften etwa zur Nahrungsmittelherstellung - den Erhalt regionalen Brauchtums entgegen der Widrigkeiten einer globalisierten Welt. Bild
Nein, ist schon richtig.

Niemand wird dazu gezwungen, Äppelwoi zu trinken ]Zum zweiten Absatz bin ich mir jedenfalls mit dir absolut einig. Bild[/QUOTE]
Das ist ja schon mal gut ^^

Maglor
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Mi 2. Dez 2009, 22:33 - Beitrag #73

Die Forderung nach Gleichberechtigung von Minaretten und Kirchtürmen ist durchaus eine nette Idee. :rolleyes:
Im Falle Deutschlands bedeutet sie aber, dass Minarette vom Vater Staat, in erster Linie Kommunen, finanziert, denn eben die sind in den meisten deutschen Ländern für Unterhalt, Renovierung usw. der Kirchtürme zuständig.
Schuld uralte Verträge, die die Kirchenbaulast den Kommunen als Rechtsnachfolgern des grundherrlichen Adels auffordern. In republikanischen Zeit muss eben der Bürgermeister die ritterliche Rolle des Kirchturm-Stifters einnehmen.
Wenn nun die islamischen Gemeinden spitzfindig genug wären, würde sie genau dies fordern. Bislang geben sie sich mit Stiftungsgeldern von Saudi-Arabien und den Emiraten zufrieden. Geld von der Bundesrepublik würden sie bestimmt auch nehmen. Das wäre auch eine prima Anpassung an den ortsüblichen, laizistischen Aufbau von Staat und Gesellschaft! :crazy:
Die genaue Verbändelung von Staat und Kirche in der Schweiz ist mir leider unbekannt geblieben. Sie scheint von Kanton zu Kanton verschieden.
Vielleicht ging es den Schweizern mit ihrem Moschee-Turm-Verbot auch nur um die Entlastung des Fiskus oder um den Erhalt eines staatlichen Monopol auf Tempelbauten.

Lykurg
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Di 8. Dez 2009, 13:55 - Beitrag #74

Maglor, Voraussetzung dafür wäre doch die Einrichtung einer größeren Stiftung durch muslimische Grundherren, die dann säkularisiert und vom Staat übernommen werden. Wenn das vorkommt, meinetwegen - ansonsten sehe ich keinen unmittelbaren Bedarf. Bild

Lesenswert fand ich aber auch diesen Artikel der NZZ - er sieht einen diffusen, von den Medien unterdrückten Volkszorn, der sich auf ungünstigem Feld entladen habe.

Maglor
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Di 8. Dez 2009, 20:44 - Beitrag #75

Zitat von Lykurg:Maglor, Voraussetzung dafür wäre doch die Einrichtung einer größeren Stiftung durch muslimische Grundherren, die dann säkularisiert und vom Staat übernommen werden...

Bitte: Auch Kölner Grundstück des "Kalifatsstaats" steht dem Bund zu. Januar 2006 :crazy:

Der verlinkte Artikel ist äußerst feinsinnig. Tatsächlich scheint eine pragmatische Betrachtung von sogenannten Islam-Problemen nicht gefragt.

Lykurg
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Mi 9. Dez 2009, 01:10 - Beitrag #76

Amüsant, formal erfüllt das tatsächlich die von mir genannten Kriterien, aber wer daraus ableitet, der Kanzlerstaat müsse nun dort (nicht) errichtete Gebäude für den Kalifatsstaat erhalten, muß ein Schelm sein. Bild

Ja, die NZZ ist auch keine ganz schlechte Zeitung. Der Artikel übersieht allerdings, daß das meistgelesene deutsche Klopapier die genaue Gegenposition vertritt und latent ausländerfeindliche Berichterstattung betreibt. Der breite Volkszorn entgegen einer intellektuellen Oberfläche könnte durchaus damit zusammenhängen.

Maglor
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Mi 9. Dez 2009, 20:37 - Beitrag #77

Ja, von einer verborgenen Islamfeindlichkeit kann nicht die Rede sein.
Das leidige Problem ist, dass sich der mutmaßlich intelligentere Teil der Medienwelt eben Schönrederei betreibt, ideologisch verblendete Multi-Kulti-Meinungen verbreitet und kleinste Formen der Kritik nach linkem Muster Rassismus oder Faschismus nennt. Ein andere Teil legt eben die gleiche Einseitigkeit in Form von Islamophobie an den Tag.
Objektivität und Pragmatismus fehlen leider. Kann man nicht das Thema genauso behandeln, wie jedes andere auch? Aber vielleicht geschieht ja gerade das.
Die akukte Zwangsehe- und Ehrenmordproblematik um Deutschland lebende türkische Yeziden geht z.B. in der allgemeinen Islam-Zentriertheit unter, ebenso wie die Tatsache, dass der größte Diktator und Kriegsverbrecher der Gegenwart baptistischer Konfession ist. Ebenso wird natürlich übersehen, dass der heilige Krieg und das Martyrium existenzieller Bestandteil des Lebensentwurf eines salafitischen Muslims ist...
Das eigentlich beeindruckende an den westlichen Medien, der Politik und so weiter, ist aber wie leicht, sie sich doch erpressen lässt und leeren Drohungen aus arabischen Wüstennestern nachgibt.

e-noon
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Mi 9. Dez 2009, 21:06 - Beitrag #78

Eine Premiere: Auch wenn ich nicht weiß, wer der baptistische Diktator sein soll, stimme ich Maglor in allen Punkten zu.

Jetzt, wo das Problem erkannt ist... was kann man machen? :confused:

Lykurg
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Do 10. Dez 2009, 02:48 - Beitrag #79

Maglor meint vermutlich den liberianischen Exdiktator Charles Taylor, einen Baptistenprediger, der Jesus auch mal zum Staatspräsidenten ernannte.
Nur ein Zehntel von Taylors illustrem Bodycount hat Robert Mugabe bisher zuwege gebracht, dabei sind allerdings die Opfer der von ihm verschuldeten Hungersnot, seiner Intervention im Kongo und seiner Repressalien im Inneren nicht mitgerechnet.

Ansonsten ebenfalls volle Zustimmung (ich hatte dies Aha-Erlebnis allerdings schon in #52^^)

Für weniger Aufgeregtheit?

Maglor
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Do 10. Dez 2009, 23:11 - Beitrag #80

Robert Mugabe ist immerhin Afrikas dienstältester Diktator, er regiert schon seit fast 30 Jahren Zimbabwe, gehört aber anders als Charles Taylor zum marxistischen Lager und ist daher der große Buhmann.
Naja, militärische Abenteuer im Kongo sind doch eigentlich nichts besonders. Fast alle Staaten der Region in militärische Abenteuer im Kongo verwickelt. Eigentlich ist das für zentralafrikanische Staaten das normalste auf der Welt, dass man Truppen in den Kongo schick oder auserwählte Rebellen unterstützt.
Die Sache mit Jesus als Staatspräsidenten Liberia und Vorgesetzten von Erzbösewicht Taylor ist mir leider entfallen. So was wurde irrwitzigerweise auch in den westlichen Medien nicht so breit getreten wie z.B. die Einführung der Scharia in Nigeria, die ja immer wieder als das Ereignis in den Nachrichten auftaucht. (Vergleichbar nur noch mit den somalischen Islamisten, denen auch noch die somalische Piraterie angedichtet wird.)
Aber schauen wir uns doch mal den wahren Krisenherd an: Die Demokratische Republik Kong (ehemals Zaire). In den Kongo-Kriegen um die Jahrtausendwende, von Insidern auch "afrikanischer Weltkrieg" genannt, verwickelten sich gleich mehrere dutzend Staaten und zahlreiche Rebellen-Armeen. Ein wahrer Hexen-Kessel, quasi das Schlachtfeld der Jetztzeit. Doch gerade einmal 10% der Kongolesen sind Muslime.
Oder ein anderes damit zusammen hängendes Beispiel: In Ruanda gab es vor dem Völkermord an den Tutsi fast keine Muslime. Im Verlauf der 90er Jahre, verloren die christlichen Kirchen wegen ihrer Verstrickung in die Ereignisse immer mehr an Prestige, was einen Aufstieg des Islam begründete, mittlerweile 5 - 12% der Bevölkerung.
Ein Überangebot an Minaretten ist offensichtlich nicht den Gipfel von Krieg und Greuel verantwortlich.

Vielleichte sollte man die Feindbilder überwacht werden, aber die Forderung ist gänzlich unrealistisch. Das Problem ist erkannt. Aber die meisten Menschen sind ja für Argumente nicht offen und beharren auf vorgefassten Positionen oder besser in altbekannten Denkmustern. Aufklärung wäre sicher ein Ansatz. Vielleicht sollte man auch einfach die Bischöfe und jüdischen Zentralräte, Politiker usw. aus der ganzen öffentlichen Diskussion verbannen und nur noch Peter Scholl-Latour das Wort erteilen, der im gleichen Trot sein abgeklärtes Bild der Welt verbreitet, das kein Licht am Ende des Tunnels erkennen lässt.
Vielleicht sollte wir angesichts der Greueltaten, die im Namen Jesu Christi an der afrikanischen Westküste geschehen sind, entsprechende Gotteshäuser ausräuchern. Aber alles halb so wild, Charles Taylor frisst ja keine kleinen Kinder. Oder vielleicht doch? :crazy:

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