Das weiße Band

Spielfilme, Serien, Soaps, Comedy und alles was es im Kino und Fernsehen gibt.
blobbfish
Listenkandidat
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 3022
Registriert: 26.01.2003
Di 29. Dez 2009, 22:53 - Beitrag #1

Das weiße Band

Soeben begutachtet, was meint denn das Auditorium hier? Ich bin noch ein wenig unentschlossen, da er eine Palme bekam, habe ich ein bisschen erwartet, aber es schien mir eher einfach ein s/w-Film zu sein. Eine leicht düstere Stimmung wie ich sie erwartete blieb aus, das ist ungewohnt für einen derartigen Film, mag aber, in Anbetracht der Zeit und Zeitspanne wohl schon treu.

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Di 29. Dez 2009, 23:06 - Beitrag #2

Kopie meiner Rezension von letzter Woche:

Meines Erachtens ist Haneke mit dem "Weißen Band" tatsächlich ein großartiges Werk gelungen. Mit exzellentem Epochengefühl erzählt er eine spannende und vielseitige Geschichte, die ihre großen gesellschaftlichen Themen im Mikrokosmos behandelt. Und das, ohne dabei allzu direkt zu belehren, denn die Deutungen ergeben sich aus den Ereignissen und Figuren selbst.
Sehr hoch rechne ich Haneke dabei an, dass er dieses Mal auf Spielereien und Meta-Manöver (direkte Zuschaueransprache etc.) wie in anderen seiner Filme verzichtet hat, die waren zwar sonst stets gerechtfertigt, hätten der Geschlossenheit und Glaubwürdigkeit dieses Werkes aber nur geschadet.
Etwas gestört hat mich lediglich das für meinen Geschmack etwas zu sehr betonte "Whodunit"-Element, das meines Erachtens von den wichtigeren Aspekten ablenkt.
Aber auch damit - einer der bemerkenswertesten Filme des Jahres.

Inhaltlich wird der Film oft rein als moralisierende Vorwegnahme des Nazi-Faschismus interpretiert, ähnliche Analysen der Kaiserzeit-Gesellschaft gab es aber etwa mit Heinrich Manns "Der Untertan" schon damals und können somit nicht rein auf Hitler-Erklärungs-Simplifizierungen reduziert werden.

Daran anschließend konkret @blobbfish:
Die Düsternis steckt hier nicht im Noir-Stil in der Atmosphäre, sondern in den Köpfen und Handlungen der Figuren. Das Dorf mag noch so idyllisch und oft sonnendurchflutet sein, in der Gesellschaft sieht es dennoch düster und grausam aus.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mi 30. Dez 2009, 00:11 - Beitrag #3

Ich habe ihn vor etwa einem Monat gesehen und war sehr fasziniert. Erfreulich gegen eine Whodunit-Lesart gerichtet fand ich sowohl, daß das Geschehen praktisch ohne Folgen bleibt, als auch die bewußte Unschärfe der Erzählung. Der Lehrer meint am Anfang, er wisse nicht, ob er sich richtig erinnert - und schon in diesem Offkommentar weist er indirekt auf den folgenden Krieg hin, die Deutung auf Keimzelle einer Gewaltgesellschaft ist damit sogar im Film angesprochen.
Mir ist selten in einem Film so stark (teilweise manieriert?) die Kameraführung aufgefallen (auch durch Abwesenheit - in der Leichenwaschungsszene) - sehr eindrucksvoll auch die Beleuchtung und die aufkommende Enge (am Anfang viele Außenaufnahmen, später immer gedrängterer Raum, bis der Erzähler 'entkommt'). Die darstellerischen Leistungen haben mich großenteils überzeugt, etwa die Schüchternheit und Natürlichkeit des jungen Paares, aber besonders auch die Figur des Pastors.

Zwei Sachen erinnere ich als leicht störend im Sinne der 'Authentizität' des filmischen Erzählens: den fehlenden bzw. falschen Dialekt (bewußt gemacht dadurch, daß der österreichische Verwalter drin rumlief, und mindestens eines der anderen Kinder auch ein paar mal österreichisch sprach)
und, als eine Winzigkeit, den viel zu guten Knabenchor in der Dorfkirche (da haben sie einfach eine Aufnahme vom Band genommen).
Inhaltlich wird der Film oft rein als moralisierende Vorwegnahme des Nazi-Faschismus interpretiert, ähnliche Analysen der Kaiserzeit-Gesellschaft gab es aber etwa mit Heinrich Manns "Der Untertan" schon damals und können somit nicht rein auf Hitler-Erklärungs-Simplifizierungen reduziert werden.
Traitor, wie meinst du das? Ich denke auch nicht, daß man den Film auf diesen Aspekt reduzieren kann, er ist unter anderem auch eine allgemeine Parabel auf Folgen von psychischer und physischer Gewalt in der Erziehung, immerhin ist die gewählte zeitliche Positionierung doch kaum ein Zufall. Durch den Ausklang zu Beginn des ersten Weltkriegs, für den die Kinder noch zu klein sind, wird eine direkte Spur gelegt (auch die Schauplatzverlagerung nach Norddeutschland spielt hier mit, die sonst mögliche Lesart in Richtung auf österreichische Phantomschmerzen werden damit bewußt ausgespart).

Traitor
Administrator
Administrator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 17500
Registriert: 26.05.2001
Mi 30. Dez 2009, 14:00 - Beitrag #4

Ja, es gab einige ganz explizite Anti-Whodunit-Elemente. Meines Erachtens aber doch auch ein paar zuviele Pros. Ich unterstelle Haneke sicher nicht, diesen Aspekt gezielt zu verfolgen, höchstens ein bisschen zur Publikums-Verwirrung, aber er hat ihn nicht ganz konsequent genug unterdrücken können. Eigentlich ist die Interpretation klar, dass es gar keine kriminalistische Auflösung geben soll, dennoch bietet der Film sich noch zu sehr dafür an, genau diese mit umfangreichen Theorien zu suchen. (Siehe z.B. das imdb-Forum, das zwar generell nicht von allzu hoher Intelligenz durchsetzt ist, hier aber ziemlich signifikant diesem IMHO falschen Ansatz zuneigt.)

Der Verwalter war vermutlich explizit als Zugewanderter gedacht. Ich kann mir, ohne historisches Wissen darüber zu haben, auch gut vorstellen, dass dies auf derartigen Gütern eine recht weit verbreitete Praxis war, um den Mann für die Zahlen und Ordnung schön distanziert zu den Einwohnern, denen er so manche Unerfreulichkeit zu vermitteln hatte, zu halten.
Bei einem Kind ist mir Österreichisch nicht explizit in Erinnerung, war es zumindest eines des Verwalters, oder ein ganz unpassendes?
Die Dorfureinwohner selbst waren unrealistisch dialektfrei, ja, aber das ist ein mir durchaus genehmes Zugeständnis an den modernen Zuschauer. Wenn man Indianer, Römer und Klingonen auf Deutsch hören darf, dann ist es störend, eigene Landsleute nicht zu verstehen. Wobei das bei den Brandenburgern hier vermutlich auch nicht ganz so schlimm gewesen wäre wie oft mit Bayern, Österreichern oder Plattdeutschlern.

Sicherlich ist das Motiv der Saat für den Faschismus in den Kindern das dominante, es wegzudiskutieren ist nicht mein Ziel. Jedoch haben einige Kritiker und Zuschauer Haneke dafür kritisiert, ein eindimensionales "die Nazis waren ein Resultat ihres Erziehungsstils" zu vertreten. Aber Haneke zeigt nicht nur eine kranke Erziehung, er zeigt auch eine kranke Ehemoral, ein krankes Wirtschaftswesen, ein krankes Ständewesen, eine kranke Religion. Eine kranke Gesellschaft an sich in der Gesamtschau. Und die Idee, dass diese autoritäre Gesellschaft den autoritäten Charakter formt, ist nicht eine nachträgliche "Hitler-Erklärerei", sondern, wie ich mit dem Mann-Beispiel zu zeigen versuchte, eine sich inhärent anbietende Analyse der Kaiserzeit-Gesellschaft.

Der Schauplatz in Norddeutschland ist für mich auch nicht nur eine Verlagerung, sondern macht das Gezeigte besonders klar, da in der nüchterneren Gesellschaft dort die Strukturen weniger traditionell-volkstümlich verbrämt hervortreten.

Lykurg
[ohne Titel]
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 6865
Registriert: 02.09.2005
Mi 30. Dez 2009, 15:27 - Beitrag #5

Dahingehend gebe ich dir recht, der Film erzählt entlang dieser Begebenheiten, und es läßt sich kaum vermeiden, auch die Tätersuche mitzudenken. Daß diese Frage oder vielmehr die Gegebenheiten, das Lebensgefühl, die Gewalt den Lehrer nicht losgelassen haben und zwingen, noch im Alter den Bericht abzustatten, ist ja auch gewissermaßen Ursache des Erzählens.

Ja, das war beim Verwalter explizit und paßte auch gut, aber ich habe vage in Erinnerung, daß das Kind, bei dem es mir sonst noch auffiel, keines von seinen war - ist aber auch nicht so wichtig. Das Verständnisproblem insbesondere bei plattdeutscher Mundart (auch beim märkischen Platt) sehe ich auch - Untertitelung stört natürlich, aber ein bißchen authentischer hätte man es schon machen können, auch um die sozialen Unterschiede zu verdeutlichen. In Schule, Herrenhaus und Kirche wäre sowieso Hochdeutsch Pflicht gewesen, für den Arzt hätte das auch gepaßt, damit hätten im Wesentlichen die Szenen bei der Bauernfamilie schwerer verständlich gewesen, und da hätte ich es wahrscheinlich besser gefunden. Naja, Marktzugeständnis.

Daß in dem Film weit mehr drin ist als eine eindimensionale Nazi-Erklärung, sehe ich natürlich genauso. Die Linie reicht von der späten Kaiserzeit über Weimar hinweg bis in die frühe Bundesrepublik, die auch noch so einiges an erstaunlichen Texten hervorgebracht hat.
Daß auch der norddeutsche Schauplatz mehr und anderes zu bieten hat, stimmt, insbesondere durch die protestantische Mentalität und ihre vieldiskutierten Folgen im Vergleich zum katholisch-basierten Faschierten. Bild

blobbfish
Listenkandidat
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 3022
Registriert: 26.01.2003
Mi 30. Dez 2009, 17:44 - Beitrag #6

Die Kameraführung- und Perspektive ist mir auch aufgefallen, die teilweise wirklich sehr kleinen und engen Behausungen wurden gut eingefangen und teilweise, z.B. bei von Lykurg schon angesprochen Leichenwaschung, durch die Schauspieler induziert. Es war schon faszinierend wie doch eigentlich breite Leinwand durch die Akteure verkleinert wurde, nicht indem sie selbst den Platz nahmen, sondern dadurch, dass der Schatten das Bild einfach kleinschnitt. Im kleinen Steinwegkino wurde das durch die fluchtperspektivische Gestaltung noch verstärkt, der Preis sind dann aber klar offene Landschaftsszenen, die einfach nur klein und meist weit weg sind.

Traitor, grundsätzlich habe ich eben aufgrund des Trailers erwartet, dass es düster wird, Leichen, ein harter Winter und Kriegsbeginn legen das ja auch nahe. Nun hatten aber weder der Winter noch der Krieg richtige Auswirkungen gezeigt. Das ist ja ok, war nur unerwartet. Ich fand das Dorf im übrigen nicht gerade idyllisch o. dgl., nur zweitweise Anfangs, aber da waren ja auch jedermanns Probleme nicht benannt. Schöne Momente machten sich wirklich rar, außer dem Ernte-Dank-Fest und dem ganz kleinen Pfarrersjungen (mit den Tieren) sind mir jetzt auch keine in richtig Erinnerung.

Die Synchronisation ist bei mir auch negativ hängen geblieben. Die knarzenden Böden waren wirklich schön, aber wenn geredet wurde, so war es wirklich stets hochdeutsch, außer bei genannten Ausnahmen. Ein realitätstreues Platt hätte man nicht nehmen müssen, aber weg vom Hochdeutsch gerne. Ob in der Schule eine Pflicht Hochdeutsch zu sprechen bestand weiß ich nicht, womöglich gelte das praktisch auf dem Lande weniger. Es fehlt ja auch das Kontrollorgan und der dort derzeitig Lehrer erschien mir, als würde er das womöglich eingeschränkt tolerieren.


Zurück zu Filme, Kino & TV

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 4 Gäste

cron