Welches Buch lest ihr gerade? (II)

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Traitor
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Mi 21. Okt 2009, 22:19 - Beitrag #261

Zuletzt:
Neil Gaiman & Michael Reaves - Interworld
Ein Jugendlicher lernt, zwischen Parallelwelten zu wechseln, und schließt sich einer interdimensionalen Organisation an, die komplett aus zig seiner eigenen Doppelgänger besteht, um alle Welten vor einer riesigen Magier-Verschwörung zu retten.
Eine sehr nette Kollage bekannter Motive, als Jugendbuch in Tiefe und Stil etwas limitiert, aber doch mit der typischen Gaiman-Kreativität und flott zu lesen.

Gerade angefangen:
Terry Pratchett - Nation
Scheint auf eine Art Alternate History hinauszulaufen - Anfang des 20. Jahrhunderts (oder so) steht Großbritannien vor dem Zusammenbruch durch eine Epidemie, der letzte Thronerbe lungert irgendwo in der Südsee herum, und dann verschiebt sich während einer großen Naturkatastrophe der Fokus erstmal auf einen jungen Insulaner dort. Mal sehen.

Kalessin
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Fr 23. Okt 2009, 00:04 - Beitrag #262

Ich lese im Moment aktiv 'Carpe Jugulum' vom Pterry und ... weniger aktiv einen Band mit Kurzgeschichten von Haruki Murakami, den ich mir aus Versehen aus der Bücherei ausgeliehen habe. "Blind Willow, Sleeping Woman", wenn ich mich recht entsinne.
Carpe Jugulum ist.. Pterry und daher toll. Und recht spanndend für einen Pterry (finde ich).
In Blind Willow, Sleeping Woman habe ich erst eine Geschichte angefangen und sie hat das typische Murakami-feeling. So etwas.. extrem Ruhiges, wo die seltsamsten Dinge passieren könne oder stehen können und irgendwie.. nicht seltsam wirken. Oder einen nur sehr leicht irritieren, wo sie das normalerweise extrem täten. Ich kann es schlecht beschreiben, aber das ist etwas, was ich auch schon bei Banana Yoshimoto gefunden habe, und was ich ganz toll finde. Wenn ich Murakami gelesen habe, lege ich das Buch weg und bin sehr ruhig, auf einem so tiefen Level, dass mich auch kaum etwas aus der Ruhe bringen kann.

Ipsissimus
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Di 27. Okt 2009, 13:38 - Beitrag #263

Cormac McCarthy

Die Straße


im Norden dessen, was einmal die USA waren. Ein Mann, etwa 40jährig, sein Sohn, etwa 8jährig, die Straße, ein Einkaufswagen mit ein paar Habseligkeiten, ein Revolver mit 2 Patronen. Um sie her ausgebrannte Städte und Dörfer, niedergebrannte Wälder, verbrannte Erde. Alles ist von einer Aschenschicht überdeckt; statt Schnee fällt Asche vom Himmel. Schon seit Jahren.

Die Menschheit steht am Rande der Auslöschung.

Alle Lebensmittel sind bis auf mikroskopische Reste längst aufgestöbert und verbraucht. Daraus resultiert ein sehr einfaches Weltbild, die Guten gegen die Bösen, mit unmittelbar plausiblen Grenzlinien: Die Guten sind die paar Überlebenden, die sich weigern, auf die einzige verbliebene Nahrungsquelle zurückzugreifen, und lieber verhungern. Die Bösen sind die Kannibalen.

Der Mann schleppt sich und seinen Sohn die Straße entlang nach Süden und der Küste zu; welcher Küste bleibt unklar, sie ist die ferne Utopie, der alle Hoffnung gilt, obwohl im Inneren die Ahnung wühlt, dass es nichts mehr hoffen gibt. Nach Süden, um der Kälte des Winters, sei er atomar oder sonstwie, zu entkommen. Um sie herum nichts, buchstäblich nichts, außer grauer Asche. Gelegentlich durchqueren sie alte Siedlungen, längst aufgegeben und leergesucht, noch viel seltener treffen sie auf Menschen. Immer ist die Frage: gut oder böse? Alle Gründe für ihr Handeln sind nur noch auf diese zwei Aspekte reduziert; für Feinheiten bleibt kein Platz. Plötzlich aufflammende Gewalt, schnelle Flucht, immer am Rande des Aufgebens, denn Kraft haben beide schon lange keine mehr.

Das Ende? Selbst die Hoffnung weist nur noch auf eine Zukunft in der Asche.


McCarthys Meisterwerk ist zuviel für mich; ich musste ihm die Empathie verweigern und konnte es nur intellektuell, kalt, lesen.

In "Malevile" von Merle geht es um eine ähnliche Thematik. Aber in Malevile ist etwas los; die Figuren haben noch realisierbare Wünsche, alles ist extrem schwierig, aber vieles ist eben doch nicht unmöglich. Sie haben Auseinandersetzungen über sinnhafte Sachverhalte; sie kämpfen, verlieren mal und gewinnen mal.

In "Die Straße" ist die einzige Frage "frisst du mich oder entkomme ich dir noch einmal?" Das Leid ist Hintergrund geworden; es muss nicht mehr thematisiert werden, es steht nicht zur Debatte, es ist die konstante und alles beherrschende Größe. Alles ist grau, selbst das Schlottern in der Kälte, die nassen Füße, die heranziehende Lungenentzündung, der nächste Gewaltausbruch ... alles nur noch ein weiteres Schulterzucken. Lapidarste Gespräche, iss, nimm, gib, schlaf, lauf. Folgerichtig auch nicht durch Anführungszeichen gekennzeichnet, sie sind es nicht wert.

Der Titel des Romans könnte auch lauten "Über die Bedeutungslosigkeit zweier Patronen", oder auch einfach nur "Grau".

Verheerend gute Literatur, verheerend traurig.
Nicht an einem fröhlichen Tag lesen^^

Traitor
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Di 27. Okt 2009, 14:13 - Beitrag #264

Das klingt so interessant, dass ich bereits überlege, es mir zu bestellen. Es gibt nur so viele Ausgaben, dass ich noch überlegen muss. Sehr irritiert bin ich von der Reclam-Version, bei einem erst 2 Jahre alten Buch? :wzg:

Derweil "Nation" fertig. Die Parallelwelt ist leider nur Hintergrund, über viele angeschnittene Details erfährt man überhaupt nichts. Hauptsächlich geht es um die Insel, auf der nach einer großen Flutwelle die wenigen Überlebenden eines ganzen Archipels zusammenfinden und eine neue Gesellschaft aufbauen müssen, angeführt von einem zweifelnden, aber starken Jungen und einem schiffbrüchigen "Trouserman-", also Engländer-Mädchen. Eine sehr starke Geschichte über das Erwachsenwerden sowohl der einzelnen Figuren als auch ihrer Kultur, mit starker Charakter- und Gedankenzeichnung und sehr kreativem Ende.

Ipsissimus
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So 8. Nov 2009, 14:17 - Beitrag #265

Cormac McCarthy

Kein Land für alte Männer

endlich habe ich den Film verstanden^^

der Film orientiert sich sehr eng am Buch, folgt ihm eigentlich sklavisch genau, lässt aber die im Buch ausgeführte entscheidende Schnittstelle zwischen dem Mittelteil und dem Ende einfach weg. Damit wird im Film der Eindruck erweckt, Moss (der das Geld gefunden hat) wird von Chigurh (dem "mysthischen" Killer) getötet. Das ist aber gar nicht der Fall. Die Motivation Chigurhs wird sehr viel deutlicher, und auch, dass er und der Sheriff vom Wesen her beinahe der "dunkle" und der "helle" Zwilling sein könnten.

Ach ja, der Sheriff: ich bin mir nach wie vor unschlüssig, ob seiner Abdankung ein echtes Problem zugrunde liegt, oder sie einfach nur eine gehobene Form des Lamentierens ist.

Das Buch ist sehr, sehr gute Lektüre, eine lakonisch dargelegte Philosophie des Alltags in Extremsituationen; es macht den Wegfall der zentralen Stelle im Film umso schwerer verständlich.

Ipsissimus
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Mi 11. Nov 2009, 13:29 - Beitrag #266

A.E. Van Vogt

Die Expedition der Space Beagle


Back to the roots; die vier Erzählungen, die in den späten dreißiger Jahren unter dem gemeinsamen Übertitel "Die Weltraumexpedition der Space Beagle" in der Zeitschrift "Astounding Science Fiction" erschienen, wurden vom Autor 1956 zu einem Roman zusammengefasst und dafür inhaltlich ergänzt. Es handelt sich um Urgestein des Genres; auch wenn es vor van Vogt schon Werke der Gattung "Space Opera" gab, hatte keines davon den Bekanntheitsgrad der "Space Beagle" und schon gar nicht deren Vorbildfunktion auf eine ganze Generation von Science Fiction-Schreibern erreichen können. Und noch "Alien" ist eine Verbeugung vor van Vogt; die Geschehnisse aus dem ersten Film sind praktisch nichts anderes als eine geringfügig ausgebaute und auf eine Protagonistin zugespitzte Fassung der dritten Geschichte "Albtraum in Scharlach" (original "Discord in Scarlet") - selbst die Körperform des Aliens entspricht van Vogts Schlilderung^^

Den Texten ist die Herkunft van Vogts aus dem Bereich Herz-Schmerz-Romanen deutlich anzumerken, sie sind temporeich, mit ständig wechselnder Perspektive und Betonung starker Emotionalität geschrieben. Ihre größte Stärke ist ihr überbordender Erfindungsreichtum, der sie auch heute noch beinahe modern wirken lässt - etwas besseres als einen "Anti-Akzelerationsantrieb" hat Science Fiction auch heute noch nicht zu bieten, um Millionen von Lichtjahren zurücklegen zu lassen, weder vom Konzept noch von der Bezeichnung her^^

Ihre Schwäche besteht in der rundum anthropozentrischen Perspektive, die darin angelegt ist. Van Vogt hat später, in "Die Kinder von Morgen" bewiesen, dass er das deutlich subtiler kann - in der Space Beagle ist davon nichts zu merken. Und so kommt es, dass "Coeurl", "Ixl" oder "Anabis" nicht einfach xenomorphe Lebensformen sind, sondern bösartige Wesen, die sich ihrer Bösartigkeit bewusst sind. Es ist ungefähr so, als würden wir Menschen uns anhand der Angst charakterisieren, die Schweine empfinden, wenn wir sie auf die Schlachtbank führen. Van Vogts Außerirdische (mit einer Ausnahme) weiden sich an den Qualen, die sie ihren Opfern zufügen, schwelgen in Vernichtungs- und Beherrschungsgelüsten, sie sind das klassische Böse, das versteht, was es dem Opfer antut und im Prinzip die Welt auch mit dem Moralsystem des Opfers bewertet, aber drauf pfeift, was damit über das Böse selbst ausgesagt ist.

Die eine Ausnahme sind die Rilm, eine Rasse von Vogelwesen, deren Kontaktversuche freundlich gemeint sind, aber anfänglich irrtümlicherweise als Angriff ausgelegt werden, was erst durch das entschiedene Agieren des einzigen Nexialisten an Bord erkannt wird.

Ach ja, der Nexialismus^^ eine von Van Vogts Lieblingsideen, die er in vielen seiner Romane in immer neuen Spielarten vorstellt, am Eindringlichsten wahrscheinlich in der NullA-Trilogie. Nexialismus ist noch kein NullA, aber auf dem Weg dahin. Man würde sein Anliegen heute als "interdisziplinäre Zusammenarbeit" auffassen; der Nexialismus ist demgegenüber allerdings einen Schritt weiter, als er die Wissenschaft vom interdisziplinären Austausch aller Wissenschaften ist, sein Gebiet also mit den Mitteln der Wissenschaft systematisch ausbaut. Diese "angewandte Ganzheitslehre" (eng angelehnt an Korcybskis General Semantics) war damals wohl noch eine faszinierend neue Idee.

Fazit: vergnügliches Abtauchen in die gar nicht so vergangene Frühphase moderner Science Fiction, falls nicht großartige literarische Ansprüche angelegt werden

Traitor
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Mi 11. Nov 2009, 21:15 - Beitrag #267

E. E. Smith' Skylark und Lensmen dürften ähnlich vorbildhaft, aber noch ein paar Jährchen älter (1928 und 1934 vs. 1939) als die Space Beagle sein.
Alle drei habe ich derzeit wartend im Regal rumstehen... ;)

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Do 12. Nov 2009, 00:20 - Beitrag #268

Die Geheimbünde: eine kulturgeschichtliche Analyse

Der Band vermittelt solide Fakten, referiert neuere Forschungen, blickt aber auch auf Verschwörungstheorien und analysiert positive und negative Bilder geheimer Bünde als ein Stück Kulturgeschichte.Seit den Mysterienvereinen der Antike haben geheime Gesellschaften und Bünde Eingeweihte und Außenstehende fasziniert. Das Spektrum ist breit: Illuminaten, Freimaurer, Rosenkreuzer, daneben politische (Carbonari) und kriminelle (Yakuza, Triaden, Mafia) Gruppen. Geheimgesellschaften wurden als ideale Orden verehrt, oder als Bedrohung gefürchtet. Wichtig ist die Trennung von Fakten und Spekulationen. Aber auch fiktive Geheimbünde wie die Rosenkreuzer des 17. Jahrhunderts sind ein Stück Kulturgeschichte. Der Band vermittelt solide Fakten, referiert neuere Forschungen, blickt aber auch auf Verschwörungstheorien und analysiert positive und negative Bilder geheimer Bünde als ein Stück Kulturgeschichte. Mit reichen Literaturangaben.

Maglor
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Do 12. Nov 2009, 19:57 - Beitrag #269

Franz Hutsch: "Exportschlager Tod. Deutsche Söldner als Handlager des Krieges", 2009.
Ein wirklich aktuelles Buch, dass sich mit einem der problematischsten Phänomene der gegenwertigen Kriege beschäftigt. Es geht um die Privatisierung des Krieges, um Söldner, kämpfende Truppenteile, die nicht zur Armee sondern zu privaten Dienstleistern gehören. Mal ein paar Dige, die in der Tagesschau und den Blättchen, die ich so lese, übersehen. Wie etwa gerade der schmutzige und gefährliche Teil des Krieges in Afghanistan und im Irak auf Söldner ausgelagert wird und wie eng Söldner und ordentliche Soldaten zusammenarbeiten. Daneben werden auch die ausländischen, insbesondere westlichen Hilftruppen der Taliban unter die Lupe genommen und Parallelen zu den Söldern auf den der anderen Seite gezogen.
Besonderes Augenmerk gilt hier naürlich deutschstämmigen und deutschen Söldnern und "Gotteskriegern". Einzelne Fallbeispiele werden geschildert. Wie ganz normale deutsche Jugendliche (mit und ohne Migrationshintergrund) zu Islamisten und schließlich als Hilfstruppen der Taliban im Kampf gegen die NATO werden. Wie ein deutscher Söldner die Truppen des afghanischen Warlords Dostum quasi als Offzier ausbildet und führt, und mehr oder minder bei der Ermordung von bis ca 6000 gefangenen Taliban seinen Auftrag erfüllt. Gefallene deutsche Söldner im Irak-Krieg. Deutsche Kopfgldjäger auf der Jagd nach Osama bin Laden... oder auch deutsche Söldner im Auftrag der UNO. :rolleyes:
Eine Lektüre, die sich wirklich gelohnt hat. Die fehlenden 50 Seiten, werden wohl in Kürze ihrer Bestimmung zugeführt. ;)

Akut
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Mo 7. Dez 2009, 17:20 - Beitrag #270

Max Goldt - Ä ! :cool:

Lykurg
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Do 4. Feb 2010, 19:46 - Beitrag #271

Walter Kempowski: Weltschmerz. Fast zu ernst (1995)
Episodenhafte Erzählungen einer Kindheit im dritten Reich, dazwischengemischt die Beschreibungen von Alltagsgegenständen, vor allem Kinderspielzeug. Hochgradig symbolische Geschichtchen voller verdeckter Anspielungen auf eigene Erlebnisse, auf Literatur und auf die ewig menschlichen Themen. Bemerkenswert schlecht lesbar aufgrund der Kürze der Geschichten, die ziemlich unzusammenhängend wirken, auch wenn sie es nicht sind.

Walter Kempowski: Heile Welt (1998)
Roman eines Dorfschullehrerdaseins in den 60ern, zu dem insbesondere das Aufeinanderprallen von Reformpädagogik, bäuerlicher Tradition und braunen Überbleibseln gehört, die das Dorf zu einer nicht ganz so heilen Welt machen, wie der Titel anzudeuten scheint.

Jared Diamond: Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen (2006)
beschäftigt sich mit dem Umgang mit natürlichen Ressourcen, anhand von Fallstudien meist von Inselvölkern. Eindrucksvolle Beispiele sind darunter, sowohl was das Scheitern betrifft (natürlich die Osterinsel, aber auch Grönland, Haiti (im Gegensatz zur Dom. Rep.) u.a.), als auch zum Gelingen (Tikopia, der geniale Fall einer kleinen Insel, auf der durch rigide Geburtenkontrolle und geschickte Intensivbewirtschaftung die Bevölkerung über viele Jahrhunderte stabil geblieben ist). Anstrengend allerdings der starke Wiederholungscharakter des Buches, das einen praktisch nötigt, seitenlange Passagen zu überschlagen.

(zwischendurch aus aktuellem Anlaß ein paar Texte von Herta Müller)

Arno Schmidt: Schwarze Spiegel (1950)
Tagebuchartige Erzählung des Überlebenden eines zu Beginn der Erzählung 1960 schon fünf Jahre zurückliegenden Atomkriegs (siehe Entstehungszeitpunkt...), der praktisch alles menschliche Leben ausgelöscht und weite Landstriche unbewohnbar gemacht hat. Der stark an Schmidt selbst angelehnte Protagonist entwickelt einen ziemlich schwarzen Humor und kommt ohne die Menschheit hervorragend klar. - Eigenartige Erzählung, sehr dicht angefüllt mit literarischen Reminiszenzen, sprachlich voller Neologismen, gedrängte, knappe Sätze, durchkomponiert bis ins letzte Detail.

Johann Gottfried Schnabel: Die Insel Felsenburg (1731-43)
Ein Schiffbrüchigenpärchen gründet auf seiner Insel einen Staat, bestehend aus der Vielzahl ihrer Nachfahren. Mischung aus Robinsonade, Piratengeschichte, großer sozialer und religiöser Utopie, außerdem natürlich gewaltiger barocker Schinken.

Maglor
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Do 4. Feb 2010, 21:23 - Beitrag #272

Von Jared Diamond habe ich auch mal eine interessante Dokumentation gesehen zu einem ähnlichem Thema gesehen. Durchaus ansprechend.

Ansonsten bin ich gerade an der autobiografischen Familien-Saga "Wilde Schöne" von Jung Chang. Die Autorin erzählt die Geschichte ihrer Großmutter, Mutter und ihre eigene im China des 20. Jahrhunderts, immer wieder unter Beleuchtung der damaligen politischen Lage. Von Science-Fiction Fantasy habe nun endgültig genug, die Chinesen sind viel außerirdischer und merkwürdiger, nicht nur während der maoistischen Kultur-Revolution sondern schon danach. (Die Kultur-Revolution liest sich stellenweise schon wie postapokalyptische Episiode, in der die Ordnung scheinbar aufgehört hat zu existieren.) Wer findet denn Klingonen oder Vulkanier noch merkwürdig, wenn erst von den chinesischen Traditionen gelesen?
Wirklich einfach faszinierend und manchmal auch ungemein rührend.
Davor habe ich von Jung Changs Mao-Biografie gelesen. Da kommt es einem noch so vor, als wäre Mao der Freak, der ein Land verdorben hat. Nun weiß ich endlich, dass viele Unarten Maos ja eigentlich ganz normal sind.
Immerhin ist ja China China. Wozu brauchen den Frauen Füße, wenn es Sänftenträger gibt?

Lykurg
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Fr 5. Feb 2010, 00:20 - Beitrag #273

Von Jared Diamond habe ich auch "Arm und reich", das die Ursprungsbedingungen von Hochkulturen analysiert (z.B. zur Verfügung stehende Getreidearten; domestizierbare Tiere; Krankheiten etc.) und daraus erklärt, warum so viele Hochkulturen im "Fruchtbaren Halbmond" entstanden sind (eigentlich eine leicht zirkuläre Argumentation Bild ). Da geht es aber noch sehr viel weniger um Ökosysteme als in "Kollaps".

An Chinesenbiographien hat mich Y.C. Kuans "Mein Leben unter zwei Himmeln" beeindruckt; darin besonders die Schilderung der Kulturrevolution.

Lani
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Fr 12. Feb 2010, 11:18 - Beitrag #274

Hab's zwar gestern gelesen, aber Traitors Bitte kann ich einfach nicht widerstehen. :P

"Shutter Island" von Dennis Lehane
Inhalt: Im Ashecliffe Hospital für psychisch Kranke auf Shutter Island wird eine Patientin vermisst. US-Marshal Teddy Daniels und sein neuer Kollege Chuck Aule werden mit der Aufklärung des Falls beauftragt. Kurz nachdem sie ihre Ermittlungen begonnen haben, bricht ein Hurrikan los und sie sitzen auf der Insel fest...

Meinung: Beklemmend und spannend sind die ersten Wörter, die mir zu dem Buch einfallen. Weglegen wollte ich es nicht, also hab ich's gelassen und einfach in einem Schwupps durchgelesen [wurde einmal gezwungen unterbrochen, aber naja. ^^]. Das Einzige was mich stört, ist, dass einige Dinge etwas vorhersehbar sind. Andere wiederrum nicht, sodass man sich zeitweise zwar seinen Teil denkt, der dann eventuell auch bestätigt wird - und dann wieder nicht.
Ich "musste" auf die Filmausgabe [also Filmcover und ein paar Bildchen] zurückgreifen, da die Andere erst in 5-8 Tagen lieferbar gewesen wäre und ich so lange nicht warten wollte. Sieht aber auch nicht schlecht aus, die Bilder hätte man allerdings nicht mitten in ein Kapitel quetschen müssen. (:
So schwer dürfte es bis auf ein paar Kleinigkeiten nicht zu verfilmen gewesen sein. Meine einzige Befürchtung ist, dass der Film etwas übertrieben geworden ist, ich denke da an unnötig viel Dunkelheit oder Schreckszenen. Aber das kann man auch leider erst ab dem 24.02. beurteilen.

Traitor
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So 7. Mär 2010, 00:34 - Beitrag #275

Ohje, was kam denn nach Nation noch so alles? "Gedächtnistraining für hoffnungslose Fälle" war es wohl leider nicht...

Derzeit dann nach Ipsissimus' Empfehlung: Cormac McCarthy - The Road
Anfangs fand ich den etwas postmodernen Stil noch leicht befremdlich (Dialoge ohne Anführungszeichen, grammatikalisch teils etwas seltsam), aber das hat sich nach derzeit der Hälfte schon längst gelegt. Ansonsten - es ist hart, es ist konsequent, es ist atmosphärisch, es ist ehrlich. Ein Meisterwerk, ja, ganz definitiv.
Auch für mich ist es dabei so intensiv, dass das Grauen meist über das eigene Empfindungsvermögen hinausgeht und so nur noch gesehen, nicht völlig verstanden werden kann. Aber das kurze unglaubliche Glück in all diesem Grauen, als sie den Bunker finden, das kam schnurgerade durch diesen Mantel hindurch.

Padreic
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So 7. Mär 2010, 23:51 - Beitrag #276

ich habe neulich McCarthys - No Country for old Men gelesen. Auch eine feine Sache.

Noch feinere Sachen (zumindest für mich) sind allerdings Naookos Lächeln von Murakami und das Glasperlenspiel von Hesse (letzteres für ersteres in den Schlusskapiteln allerdings unterbrochen). Nach dem Hesse kommt wohl Lovecraft dran.

Ipsissimus
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Mo 8. Mär 2010, 13:31 - Beitrag #277

Axolotl Roadkill, Helene Hegemann, Ullstein 2010 // Strobo, Airen, Verlag Sukultur, 2009

die Hegemann hätte wohl gerne wie Burroughs in "Auf der Suche nach Yage" gekonnt, sie konnte aber nicht. Dass sie von Airen und vielen anderen abgeschrieben hat, wurde öffentlich ja schon ausführlich diskutiert, aber diese Selbstbefriedigung des Literaturbetriebs will ich lieber selbigem überlassen.

"Axolotl Roadkill" ist darüber hinaus aber auch ein schlechtes Buch. Damit meine ich nicht die unzähligen Stilbrüche - das ist fast selbst schon wieder Stil, wenn auch bei Faulkner und andern abgekupferter Stil. Aber dieses Buch hat nichts eigenes. Inhaltlich ist Burroughs um Dimensionen besser - die Hegemann schreibt zwar immer wieder davon, wie reflektiert "Mifti", ihr alter ego im Buch, doch sei, aber tatsächlich kotzt Mifti den Lesern selbst in ihren reflektiertesten Passagen einfach nur ihren pubertären Wahn und Größenwahn vor die Füße. Delirium und Sperma im Mund haben für mich noch nicht per se etwas mit Literatur zu tun, und die Darstellung innerer Verlorenheit ging mir schon deutlich stärker unter die Haut, etwa bei Virginia Woolf oder Sylvia Plath.

Formal merkt man dem Buch die Kollage an; leider folgt die Kollage aber keinem mir ersichtlichen Zweck. Mag sein, es ist bei neuerer Jugendliteratur zuviel verlangt, der Form einen Zweck abzuverlangen; wo dies aber nicht gegeben ist, wird es für mich sehr schnell sehr belanglos. Möglicherweise will die Hegemann mit den Sprüngen in der Kollage die Sprünge der Psycho von Mifti wiedergeben. Wenn dem so ist, ist es misslungen.

Fazit "Sex sells", und im Falle 17Jähriger Mädels, die im Rahmen angeblich hoher Kunst über Oral- und Analverkehr fabulieren, noch allemal. Reich-Ranicki hat sich für mich damit als ernstzunehmender Kritiker erledigt.


"Strobo" kommt demgegenüber deutlich differenzierter daher. Die Welt, die darin beschrieben wird, das Berliner Milieu der Kokser und Techno-Freaks, ist nun meine Welt so gar nicht, aber Airen bringt sie in einer Weise nahe, dass sie greifbar wird, so dass die Katastrophen der Helden nachvollziehbar werden und nicht zum mehr oder weniger willkürlichen Gestammel pubertären Wahnwitzes geraten. Auch kein wirklich gutes Buch im Vergleich zu Burroughs, aber ein deutlich höheres Niveau als Axolotl Roadkill.

Maglor
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Mo 8. Mär 2010, 20:36 - Beitrag #278

Wer liest denn auch schon Bücher aus der aktuellen Bestsellerliste oder überhaupt von noch lebenden Autoren.
Zur Zeit lese ich "Grundformen der Angst" von Fritz Riemann, wirklich eher entlarvend als erheiternd.

009
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Di 9. Mär 2010, 05:00 - Beitrag #279

Klein, Alexander (2006) Weblogs im Unternehmenseinsatz - Grundlagen, Chancen und Risiken

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Do 11. Mär 2010, 03:29 - Beitrag #280

Bah, die Hegemann :rolleyes: Ich verabscheue dieses Copy&Paste-Kind!



Ich lese im Moment "Mitternachtszirkus" von Darren Shan, im Zuge eines Lesezirkels in einem Forum. Und weil ich das Buch von einer Freundin erhalten habe und mich da ebenfalls fast dazu verpflichtet fühle ;) Leider bin ich noch nicht sonderlich weit, weil mich der sehr einfache Schreibstil und die kindlichen Akteure (sind ja erst zwölf, so viel ich mitbekommen habe) etwas abschrecken. Da kann natürlich niemand was dafür und ich werde auch weiterlesen, aber ... ich hab nicht einmal als Zwölfjährige Kinderbücher gelesen, daher fragt sich eine Stimme in mir: "Wieso auf einmal jetzt?!"
Zum einem: Ich wollte den Kinofilm sehen, aber der war binnen weniger Wochen wieder aus dem Kino und scheinbar so unerfolgreich, dass nicht einmal die Fortsetzung gedreht wird :/ Da mich die Geschichte um den Mitternachtszirkus aber doch interessiert, muss ich es auf dem klassischen Weg versuchen: Buch! Aber wie gesagt: Bisher kämpfe ich noch bei jeder Seite.



Um dann was für den "erwachsenen Teil" in mir zu haben, habe ich mit "Verblendung" von Stieg Larsson angefangen.
Grund? Ebenfalls der Film :D Von der Millenium-Trilogie hatte ich noch nie etwas gehört, bis zu dem Moment, wo der Trailer zum ersten Teil lief. Trailer gesehen, Film natürlich nicht. Mittlerweile gibt es ja die DVD, aber ich will vorher das Buch fertig lesen.
Dort bin ich ebenfalls noch nicht weit (erst vor kurzem gekauft und bisher nur auf der Zugfahrt gelesen), aber bisher ist es recht interessant.


[ Und bald kommen meine vier Wallander-Bücher "Die Hunde von Riga", "Die fünfte Frau", "Mörder ohne Gesicht" und "Die weiße Löwin", die dann auch so schnell wie möglich verschlungen werden! ]

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