Was, wenn jemand nur 4 Finger an der Hand hat? Ist er unnormal, oder krank, oder ist es eine Störung, oder gar eine Vorliebe sich mit 4-Fingrigkeit durchs Leben zu bewegen? Und würden wir anders beurteilen wenn jemand 6 Finger an der Hand hätte?
Ist 4-Finger-Joe behindert, weil ihm etwas fehlt und 6-Finger-Ede ein Wunderwerk, weil er etwas zuviel hat? Geht es um Nachteile oder Vorteile der Unnormalität?
Analogiebildungen gehen gerne in die Irre^^ wenn Joe mit 5 Fingern groß geworden ist und als 22jähriger im Krieg einen Finger verliert, wird er Probleme bekommen. Wird Joe mit 4 oder 6 Fingern geboren, wird er vielleicht später einmal was über den Phänotyp lernen, der 5 Finger vorsieht, aber trotzdem an seinem Genotyp nichts Falsches oder Nachteiliges erkennen.
Das aber nur nebenbei. In der Hauptsache: wenn Leute 13 Jahre alt werden, ohne eine besondere erotische Neigung zu dem einen oder anderem Geschlecht erkennen zu lassen, und dann fällt das Pendel bei den einen zum eigenen Geschlecht, bei den anderen zum anderen Geschlecht, warum sollten wir den einen Pendelfall als "normal" und den anderen als "unnormal" einstufen? Kontingenz arbeitet genau so: was nicht unmöglich ist und nicht erzwungen wird, passiert mal so und mal so.
Oder was ist mit Menschen, die eine Geschlechtsumwandlung machen lassen, weil sie überzeugt sind, im falschen Körper geboren zu sein? Ist das nun eine Phase oder ein genetischer Defekt? Sind solche Leute besessen oder "von Gott verlassen"? Geht es also um unsere Abneigung? Oder wonach richtet sich unsere Bewertung von Anderssein?
mit der Gottesannahme arbeite ich nicht, diesbezügliche Spekulationen überlasse ich gläubigen Menschen. Bei den zwei geschlechtsumgewandelten Menschen, die ich bisher kennengelernt habe, kann ich nur sagen, es war ein dreckiger Witz der Kontingenz, diese Menschen in den falschen Körpern in die Welt zu werfen. Es ist jedenfalls weder eine Phase noch a priori und als Standardvermutung ein genetischer Defekt. Vielleicht(!) ist es eine Mutation. Aber Mutationen sind wir alle.
MIR geht es weder um "unsere Abneigung" - dass ich mich diesbezüglich nicht vereinnahmen lassen, dürfte klar sein^^ - und noch nicht einmal um die Bewertung von Anderssein. Es geht mir einzig und allein darum, dass diese Menschen so sein dürfen, wie es ihrem Lebensgefühl entspricht, ohne dumm angemacht zu werden, indem z.B. versucht wird, ihnen nachzuweisen, dass ihr Lebensgefühl Folge einer Krankheit und allgemein unnormal sei.
Es gab und gibt mehrere Psychologen die behaupten, Homosexualität heilen zu können ...
außerhalb religiös-fundamentalistischer Kreise nicht
Pädophilie und Sodomie sind doch genauso Formen nicht selbst ausgeübter Sexualität und werden als abstoßend empfunden, liegt das im unreflektierten Umgang mit der eigenen Sexualität? Vielleicht haben viele Menschen doch ein sehr gutes und reifes Verhältnis zur eigenen Sexualität und sehen Hetero-Sex als erfüllende, einzig passende und ausreichende Art sexueller Erfüllung und Bereicherung ihres innigen Liebes-Erlebens. Und sie sehen gerade deswegen homosexuelle Praktiken als abstoßend, weil es nicht zu ihnen passt. Vielleicht ist das doch der Grund, warum Homosexuallität nicht nur abgelehnt, sondern oft auch abgewertet wird.
Pädophilie ist genauso wie "normale" Vergewaltigung keine primär sexuelle Problematik. Der Wille von Menschen wird gebrochen oder ausgehebelt, und das ist das Bösartige daran, selbst wenn die sexuelle Praktik, die dabei zur Anwendung kommt, "normal" sein sollte. "bösartig" ist aber auf einer anderen Ebene angesiedelt als "abstoßend".
Sodomie ist demgegenüber sehr viel schwieriger zu bewerten, vielleicht weil die Zahl der bekennenden Sodomisten so gering ist, dass kaum einmal die Vorstellungen der Sodomisten, sondern praktisch ausschließlich die Vorstellungen der "Normalen" über die Sodomisten zur Debatte stehen. Es kommt mir aber so vor, dass sich aus dem Empfinden der Widerwärtigkeit der Sodomie sehr viel mehr Erkenntnisse über die derartiges Empfindenden als über das Sosein von Sodomisten generieren lassen. Und über die Hybris, als Mensch auf einer kategorisch anderen Ebene als Tiere zu stehen.
Vielleicht haben viele Menschen doch ein sehr gutes und reifes Verhältnis zur eigenen Sexualität und sehen Hetero-Sex als erfüllende, einzig passende und ausreichende Art sexueller Erfüllung und Bereicherung ihres innigen Liebes-Erlebens.
das ist ein wesentlicher Aspekt dessen, was ich unter einem unreflektierten Verhältnis zur eigenen Sexualität verstehe - die Unfähigkeit oder Unwilligkeit zu der Einsicht, dass es sich bei dem,
- was Männern ihre sexuelle Praxis mit ihrer Partnerin ihnen und ihrer Partnerin oder
- was Männern ihre sexuelle Praxis mit ihrem Partner ihnen und ihrem Partner oder
- was Frauen ihre sexuelle Praxis mit ihrem Partner ihnen und ihrem Partner oder
- was Frauen ihre sexuelle Praxis mit ihrer Partnerin ihnen und ihrer Partnerin
bedeutet, plusminus individueller Schwankungen der Empfindungsfähigkeit genau dasselbe ist, genau dasselbe Glück spendet, und daher genau die gleiche Berechtigung hat.
Vielleicht liegt beim Abwerten der Unnormalität homoerotischer Sexualität primär einfache Menschenverachtung zugrunde?
im Prinzip meinen wir da wohl dasselbe. Sobald die Empfindung der Unnormalität nicht unmittelbar bei ihrem Auftreten hinterfragt wird, "riecht" es für meinen Geschmack nach Menschenverachtung. Da es für mich "Unnormalität der Homosexualität" nicht gibt, mache ich das eben am entsprechenden Empfinden fest. Normalität ist keine Kategorie, die bei der Bewertung sexuellen Empfindens oder sexueller Praxis irgend etwas zu suchen hat (auch bei Pädophilie besteht das Schlimme nicht darin, dass sie "unnormal" ist)
Vielleicht sollte man besser "Unnormalität" gegen "Anderssein" austauschen?
es wäre zunächst für kurze Zeit weniger verlogen als die Verwendung des Normalitätsbegriffs. Aber es steht leider zu befürchten, dass nicht viele Menschen gerne die Maske abnehmen und sich als xenophob outen. Wenn es gelänge, "unnormal" gegen "anders" im alltäglichen Sprechen zu ersetzen, würden wir nur allzuschnell die Konnotationsveränderung des Begriffes "anders" erleben.