Obdachlosen/Bettlern Geld geben?

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e-noon
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Di 13. Apr 2010, 16:17 - Beitrag #21

War Solidarität jemals etwas anderes als ein Wort?
Ja. Vor allem familiäre Solidarität (die im wesentlichen unsere Welt zusammenhält), aber auch gesellschaftliche, deutlich zu erkennen daran, dass auch geistig Behinderte immer besser versorgt werden, entgegen aller Nützlichkeitserwägungen.

ich glaube, den meisten Obdachlosen ist das Abhängigkeitsverhältnis scheissegal
Wahrscheinlich auch die Bevormundung (wenn es um Essen statt Geld geht).

Welche sinnvolle Maßnahme könnte man zugunsten der Obdachlosen und/oder Bettler einführen? Coachings?

Maglor
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Di 13. Apr 2010, 18:45 - Beitrag #22

Zitat von Ipsissimus:ein wirklich schönes Motto, oh Maglore^^ in die Sprache der ARGE und der Arbeitspolitik übersetzt hieße das wohl "einen Anreiz geben"^^ gemeint wäre natürlich die gute alte brutale Erpressung, bei ARGE zur Akzeptanz von Sklavenarbeit, in unserem Kontext hier zu systemkonformem Verhalten^^

Eigentlich wollte ich ja an der Stelle ja den klassenkämpferischen Begriff des Lumpenproletariats hören... bla, bla...
Ansonsten halte ich die brutale Erpressung des deutschen Sozialstaates mit sogenannten Wohngeld und die perverse Ausnutzung der Mittelloser durch die Lebensindustrie für zum Himmel schreienden Unrecht. So entzieht derböse Staat und die böse Industrie dem Volke nur der Möglichkeit Ablass für ihre Sünden zu finden. ]Ja. Vor allem familiäre Solidarität (die im wesentlichen unsere Welt zusammenhält), aber auch gesellschaftliche, deutlich zu erkennen daran, dass auch geistig Behinderte immer besser versorgt werden, entgegen aller Nützlichkeitserwägungen.[/QUOTE]
Das Problem der Obdachlosen ist, dass sie sich mit ihrer Familie unverschuldet oder verschuldet verkracht haben, mit dieser keinen Kontakt wünschen oder diese mit ihnen, oder sie haben gar keine Familie, was ungefähr das gleiche ist.

Ab einer gewissen Abnormität des Verhaltens fällt man eben aus dem Raster. Fliegt ist aus der Firma, der Wohnung, der Familie oder sogar aus dem Methadon-Programm. Wenn der Betreffende dann auch etwaige Resozialisierungs- und Therapie-Angebote verweigert oder durch das eigene Verhalten unmöglich macht, hat er ein Problem oder einfach keine mehr.

Zitat von e-noon:Welche sinnvolle Maßnahme könnte man zugunsten der Obdachlosen und/oder Bettler einführen? Coachings?

Optimal wäre Schauspielunterricht. Wie man körperliche Gebrechen vortäuscht, besonders unterwürfig und mitleiderregend bettelt und all die anderen Tricks der ausländischen Fachkräfte. Wenn deutsche Obdachlose erst die Kompetenz osteuropäischen Bettelmafia haben, haben sie auch wieder in den Innenstädten eine Chance.

e-noon
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Di 13. Apr 2010, 18:53 - Beitrag #23

Zitat von Maglor:Das Problem der Obdachlosen ist, dass sie sich mit ihrer Familie unverschuldet oder verschuldet verkracht haben, mit dieser keinen Kontakt wünschen oder diese mit ihnen, oder sie haben gar keine Familie, was ungefähr das gleiche ist.

Jup. Ich habe auch nur der allgemeinen Aussage widersprochen, dass familiäre Solidarität den meisten Obdachlosen nicht zugänglich ist, ist wohl mal klar.

Ab einer gewissen Abnormität des Verhaltens fällt man eben aus dem Raster.
Dann muss man halt die Abnormität in den Griff kriegen (oder sich damit arrangieren, was wohl zwangsweise häufiger der Fall ist). Welche Abnormitäten sind das konkret, an die du denkst?

Optimal wäre Schauspielunterricht. Wie man körperliche Gebrechen vortäuscht, besonders unterwürfig und mitleiderregend bettelt und all die anderen Tricks der ausländischen Fachkräfte. Wenn deutsche Obdachlose erst die Kompetenz osteuropäischen Bettelmafia haben, haben sie auch wieder in den Innenstädten eine Chance.
Und was machen dann die osteuropäischen Bettler?

Lykurg
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Do 15. Apr 2010, 15:36 - Beitrag #24

mit dem Konzept der strukturellen Gewalt ist offenbar nicht jedermensch konzeptuell vertraut, wenn er ihm auch alltäglich unterliegt^^ auch gesellschaftlich unabdingbare Entscheidungen können anders getroffen werden, als die Unabdingbarkeit verlangt
Ipsissimus, so wie ich strukturelle Gewalt verstand und verstehe, meint sie genau das, was ich mit meinem Beitrag ausdrückte, nämlich einen aufgrund von Entscheidungen oder sozialen Zielsetzungen vorhandenen allgemeinen Druck, der nicht aus differenzierbaren Einzelentscheidungen besteht, sondern seinen Effekt erst in deren Zusammenwirken entfaltet. Aus dieser Sicht sind die Träger der Einzelbescheide (=nicht -entscheidungen) auch nur sehr bedingt zur Verantwortung zu ziehen; die getroffene Entscheidung war kollektiv oder jedenfalls von außen bedingt. Und theoretisch ist es sicherlich möglich, diesen engeren Rahmen auch anders zu gestalten, allerdings unterliegen wir zugleich einem Metasystem, das eine nicht ökonomisch funktionierende Gestaltung längerfristig empfindlich sanktioniert.
War Solidarität jemals etwas anderes als ein Wort?

ich freue mich, dass du das mal so deutlich ausdrückst und den dahinterliegenden Sachverhalt offenbar doch anerkennst, auch wenn du ihn so oft bestritten hast^^
Nun, ich mag keine Worthülsen, oder jedenfalls nicht die falschen. Solidarität ist schon viel zu lange von interessierter Seite als ein Kampfbegriff eingesetzt worden, ohne damit mehr zu verbinden als einen Machtanspruch - dies hat ihn vollständig desavouiert. Und das ist ein Sachverhalt, den ich wohl nie bestritten habe. Bild - Familienzusammenhalt bezeichne ich in diesem Sinne nicht als Solidarität bzw. sehe darin jedenfalls fast so starke Bedeutungsspannen wie bei einem klassischen Homonym.
ich glaube, den meisten Obdachlosen ist das Abhängigkeitsverhältnis scheissegal
Es gibt genügend Menschen, die aus Stolz oder Scham keine Hilfe annehmen wollen. Für die meisten derjenigen, die die Abstiegsstufe der Obdachlosigkeit erreicht haben, dürfte dies aber tatsächlich keine so wesentliche Rolle mehr spielen. Und dann ist auch, wie e-noon zu Recht einwirft, gleichgültig, in welcher Form man hilft, bzw. man kann sich ethisch berechtigt und verpflichtet sehen, in der wirksamsten Form zu helfen.
wie so oft, wäre es unglaublich einfach, das teure Richtige zu machen^^ da ändern alle billigen falschen Alternativen nichts dran^^
Tja, mit Geld kann man bekanntlich alle Probleme lösen, insbesondere die des menschlichen Zusammenlebens und seiner Randphänomene. Nur schade, daß es nicht das Problem seiner selbst löst - oder vielleicht doch: mit genügend Geld hat man genug? - Dies führt uns nicht weiter. Wie so oft ist es eine Frage der gesellschaftlichen Prioritätensetzung (auf Maglors besonderen Wunsch in marxistischer Diktion vielleicht: Klassenkampf?); die Gesellschaft hat für sich zu entscheiden, einen wie großen Anteil ihrer Leistungsfähigkeit sie in die Hebung des Lebensstandards derjenigen stecken möchte, die über nennenswerte eigene Kräfte nicht verfügen. Dabei wird sie getrieben von der Sorge um ihre eigene Fortexistenz (die sie, so ließe sich ergänzen, noch nicht einmal sonderlich zu schrecken scheint, sieht man sich die derzeitigen Sozialhaushalte an).
Und was machen dann die osteuropäischen Bettler?
Das wäre für sie insofern eine partielle Verbesserung, als sie dann nicht von Schlepperbandenin den Westen verbracht, in Zellen bzw. Kellerlöchern gehalten und unter Schlägen zum möglichst effizienten Betteln und Abgabe ihrer Einkünfte gezwungen würden. Allerdings scheinen einige es dem noch schlimmeren Dasein in ihren Heimatländern vorzuziehen, was uns unerbittlich mit der Frage konfrontiert, ob wir das wollen, oder ob es sinnvoller wäre, Verbesserungen der Lebensbedingungen dort zu bewirken. Immerhin fördern wir aber mit dem Status quo Hotels und im Extremfall sogar Spielsalons, generieren also zusätzliche Steuereinnahmen. Bild

Amy
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Sa 22. Mai 2010, 21:14 - Beitrag #25

[quote="Ipsissimus"]ich halte es für anmaßend, für andere Menschen entscheiden zu wollen, wie die mit geschenktem Geld umgehen sollen]

Wäre ICH in einer Notsituation und hätte kein Geld, keine Nahrung, rein gar nichts, nur das, was ich am Körper trage, wäre es mir ehrlich gesagt egal, ob man mich bevormundet oder man mir allgemein hilft.
Ich kann aber auch damit leben, wenn ihr mir jetzt "eine schöne Fassade" vorwerft/zusprecht :rolleyes: Wenigstens tue ich etwas und bisher hat mich auch keiner der Obdachlosen beschimpft oder verflucht, weil ich ihm kein Geld gegeben habe.

Mittlerweile habe ich sowieso aufgegeben, irgendeine meiner Meinungen in diesem Forum wirklich zu verteidigen oder auch nur mitzuteilen. Schade darum, aber naja ;)

Amy

Lykurg
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Sa 22. Mai 2010, 21:58 - Beitrag #26

Wirklich schade und nicht der Sinn der Sache - auch wenn mich manche Äußerungen e-noons* ebenfalls sehr stören, bin ich mir sicher, daß niemand hier andere von der Diskussion ausschließen will.

Amy, gerade in diesem Thread fand ich deinen langen und wohlüberlegten Beitrag eine wirkliche Bereicherung.

__________
*bezogen auf religiöse Themen; Empathie ist was anderes. - Auch wenn es hier nur mittelbar darum ging, die Verbindung zum Parallelthread liegt auf der Hand.

NoePuuwai
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Do 10. Jun 2010, 02:46 - Beitrag #27

Zitat von Anaeyon:Klingt vielleicht alles recht Mitleidslos, aber seit ich unseren Dorfpenner gefragt habe, warum er immer draußen rumsifft und bettelt, und er meinte "Kein Bock nach Arbeit zu suchen" habe ich gewisse Vorurteile ^.^


Was soll der Obdachlose sonst sagen? Muss er sich vor jedem "dahergelaufenen" Passanten seelisch entkleiden? Er hat auch Würde, Stolz, Scham... Ihr habt in dem flüchtigen Gespräch kein Vertrauensverhältnis aufbauen können, was nötig ist, um über Niederlage und persönliche Pein sprechen zu können. Lieber schützt er sich durch solche und ähnliche Aussagen wie z.B. "Ich will das so". Das sind Abwehrsätze.

In dem Satz "Kein Bock nach Arbeit zu suchen" erkenne ich außerdem eine Energielosigkeit und ein Abfinden mit dem Schicksal. Vielleicht hat sich dieser Mann im bisherigen Leben angestrengt, aber nach einem Schicksalsschlag alles verloren. Nun fehlt ihm die Kraft sich wieder aufzurappeln, er bleibt einfach liegen. Denn er hat erfahren, dass alle Anstrengung ja doch nichts genützt hat. Ich, in seinem Fall, hätte dann auch "keinen Bock mehr auf gar nichts". Aber allen Passanten würde ich hinterherrufen: "Ich genieße die Freiheit!" ;)

Anaeyon
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Do 10. Jun 2010, 15:07 - Beitrag #28

Ich empfinde meine Antwort zwar im Nachhinein auch als zu hart (ich hatte Lust, etwas Negatives zu schreiben), aber auch du machst es dir ein bisschen leicht. Auch du verletzt mmn. seine Würde, indem du behauptest, zu wissen wie er was meint oder warum er was sagt.

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So 13. Jun 2010, 21:53 - Beitrag #29

Also ich gebe im Regelfall nichts, denn ich hab hier in Karlsruhe auch schon anderes erlebt:

Es gab mal eine Zeit, da ist immer so ein Pärchen durch die Straßen und auch die Straßenbahnen gelaufen, haben Flyer verteilt mit nem Babybild und dass es Herzkrank sei usw.
Als sie alle Flyer verteilt hatten sind die wieder RÜckwärst durch die Bahn gelaufen und haben ihren Beutel aufgehalten.
Und was beobachte ich? Viele Menschen ( vor allem ältere) geben ohne zu zögern ganze Eurostücke in den Beutel. 2-3 Tage später kommen die wieder, aber diesmal hat das Baby auf dem Flyer ne andere Krankheit.
Das ist hochkriminell. Eines Tages hat eine Frau in der Bahn dann mal gesagt, dass das verboten ist und dass sie die Polizei holen wird( vermutlich ist sie auch dahintergekommen). Ich hab die Bettler seither nie wieder gesehen.

Das ist mitunter ein Grund, warum ich kein Geld mehr aus der Hand gebe.( Ganz zu schweigen von den biertrinkenden Punks, die auch schon erwähnt wurden.

Ipsissimus
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Mo 14. Jun 2010, 10:07 - Beitrag #30

schwarze Schafe gibt es überall, warum sollten ausgerechnet Bettler und Obdachlose Bedürfnissen nach moralischer Vollkommenheit stärker gerecht werden als unsereins, die wir noch ein Dach über dem Kopf und jeden Monat Gehalt auf dem Konto haben? Ich finde es nur bedauerlich, auf der Grundlage von schwarzen Schafen der Herde Empathie und Hilfe zu verweigern, sofern der Wunsch, Empathie und Hilfe zu gewähren, überhaupt besteht, natürlich nur. Wenn der Wunsch aber gar nicht besteht, bedarf es auch des Verweises auf die schwarzen Schafe nicht, dann bedarf es lediglich des Selbstbewusstseins. Ansonsten läge die Vermutung doch recht nahe, dass wir einfach nur hartherzig sind, aber nicht so rüber kommen wollen.

Proxy_Blue
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Mo 14. Jun 2010, 13:49 - Beitrag #31

Ich weis, was du meinst aber ich halte es da sow ie mit Spenden auch, von z.B. Organisationen, die einen immer auf der Straße anreden:

Wenn ich jemandem mein Geld gebe, möchte ich auch wissen, was damit passiert. Und wenn das dann in Zigaretten oder Bier investiert wird, bin ich auch hartherzig und da der selben Meinung wie e-noon. Ein Bettler kann mir nicht versichern, was er damit tut, es sei denn, ich würde ihn beobachten. Dann eher noch als Alternative wie Amy vorgehen und direkt was zu essen kaufen.

Ipsissimus
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Mo 14. Jun 2010, 14:28 - Beitrag #32

nun ja, das ist das Szenario mit dem Selbstbewusstsein. In dem Fall braucht es eben nicht wirklich irgendwelcher Gründe.

Für mich selbst kann ich da auch nur sagen, manchmal gebe ich, manchmal gebe ich nicht, und beides folgt der Willkür meiner situativen Befindlichkeit und hat nichts mit dem Menschen zu tun, der da am Straßenrand sitzt.

Lykurg
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Mo 14. Jun 2010, 16:23 - Beitrag #33

Das ist ebenfalls Selbstbewußtsein, sogar ziemlich absolut gesetzt. Bild Bei mir kommt wohl beides zusammen, wobei ich mich schon frage, was diejenigen auf die Straße gebracht hat und inwieweit die Gabe ihnen nützen kann, da wieder wegzukommen.

Ipsissimus
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Mo 14. Jun 2010, 17:12 - Beitrag #34

ja natürlich ist das ein sich selbst als absolute Referenz auffassendes Selbstbewusstsein^^


ob irgendeine Gabe einen Obdachlosen wieder von der Straße runter holt? Ich weiß es nicht, aber im Grunde halte ich damit Privatpersonen für überfordert

Lykurg
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Mo 14. Jun 2010, 17:23 - Beitrag #35

Sicher, aber für mein schwaches Selbstbewußtsein ist die Frage, ob meine Gabe eher nützt oder eher schadet, ein hübsch schillerndes Kleidchen in den Siestastunden der Seelenergründung. Bild

Ipsissimus
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Di 15. Jun 2010, 10:48 - Beitrag #36

wobei die Kriterien, die du zur Beantwortung dieser Frage heran ziehst, in jedem Falle auch deine Kriterien sind, nicht die Kriterien des Obdachlosen^^

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Di 15. Jun 2010, 17:20 - Beitrag #37

Ich könnte mir vorstellen, wenn ich jeden Obdachlosen regelmäßig nach den Kriterien fragen würde, nach denen ich ihn bewerten soll (Maßstäbe können sich ja auch wandeln), würden die einen Bogen um mich machen. Und selbst wenn ich mich dazu entschließen könnte, nach ihren Kriterien zu urteilen, wäre es ja doch meine eigene Transformation dieser Kriterien und in jedem Fall letztlich meine Entscheidung...

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Mi 16. Jun 2010, 11:33 - Beitrag #38

Zitat von Anaeyon:Auch du verletzt mmn. seine Würde, indem du behauptest, zu wissen wie er was meint oder warum er was sagt.


Na, du übertreibst aber etwas. Ich bestreite, dass ich seine Würde verletzt habe. Ich bin auch nicht der Meinung, dass du ihn verletzt hast, sondern habe gezeigt, dass ein Mensch - aufgrund von Würde und Scham - sein Seelenleben schützt. Das Dahinterschauen hinter diese Abwehr ist mitfühlend. Einfühlungsvermögen statt Oberflächlichkeit - darum geht es. Anteilnahme und Mitmenschlichkeit werden als wohltuend empfunden und können manchmal mehr bewirken als Geld.

Zitat von e-noon:Welche sinnvolle Maßnahme könnte man zugunsten der Obdachlosen und/oder Bettler einführen? Coachings?


Diese Couchings, oder besser Therapien, müssten wohl erst noch erfunden werden. Ich denke eher an eine Kommune, die - ohne Leistungsdruck - Halt, Vertrauen und ein Gebrauchtwerden-Gefühl vermittelt und soziale Kompetenz verbessern lässt. Aber auch damit wird es immer noch schwierig sein.

Zitat von Ipsissimus:ob irgendeine Gabe einen Obdachlosen wieder von der Straße runter holt? Ich weiß es nicht, aber im Grunde halte ich damit Privatpersonen für überfordert


Deshalb sehe ich den Film "Das Streben nach Glück", in dem Will Smith sich aus der Obdachlosigkeit nach oben kämpft, als teilweise problematisch. Zu leicht vermittelt dieser Film den Glauben, mit großem Willen und Glauben an sich selbst, aus einem noch so großen Schlamassel raus und wieder hoch zu kommen. Damit werden Arroganz und Kälte vielleicht noch verstärkt, schnell wird geschlussfolgert: "Wer wirklich will, der kann es schaffen." Was macht jemand, der nicht so clever - wie im Film dargestellt - ist? Und die lang vorausgegangenen Ursachen, die einen Menschen den Glauben an sich selbst haben sterben lassen, werden komplett ignoriert.

Ipsissimus
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Do 17. Jun 2010, 11:03 - Beitrag #39

je schlechter ein Produkt ist, desto besser ist üblicherweise die Werbung dafür. Analog: je dramatischer die Probleme, desto drastischer fällt normalerweise die Gegenpropaganda aus. Es gibt keinen echten gesellschaftlichen Konsens in den USA zur nachhaltigen und tiefgehenden Linderung der Situation der Obdachlosen; das alte calvinistische Credo, wonach am weltlichen Wohlstand das Maß an Gottgefälligkeit der Betreffenden abgelesen werden kann, durchdringt die amerikanische Gesellschaft bis in die feinsten Verästelungen.

Von daher ist es schon beinahe trivial, wenn alle "Lösungen" dieses Problems auf die Eigenverantwortlichkeit der Betreffenden abzielen, "Eigenverantwortlichkeit" in der bösartigsten Bedeutung, die dieser Begriff nur haben kann: wenn du dich nicht selbst aus dem Schlamm heraus zu ziehen vermagst, dann verrecke, aber bitte unauffällig und leise.

In Hollywood-Filmen kommt das natürlich nicht so gut. Da demonstriert man lieber das Gegenteil, die Erfüllbarkeit des american dream für und von jedermann.

Jede Faser nichts als Propaganda.

Nebenbei, der auch bei uns zunehmend in Mode kommende Wirtschaftsliberalismus will und bewirkt nichts anderes als das Ende des Solidaritätsprinzips, auf der individuellen wie auf der gesellschaftlichen Ebene. Von daher werden sich alle Bedürftigen noch sehr, sehr warm anziehen müssen. Oder gleich verrecken. Unauffällig und leise.

Maglor
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Fr 18. Jun 2010, 23:09 - Beitrag #40

Für die Renessaince des Bettels und der Obdachlosigkeit gibt es neben dem Zuzug von Saisonarbeitern durch die offenen Grenzen noch eine weitere Erklärung: Den Rückzug des Staates und der Krankenkasse.
Vor Jahrzehnten wurde nicht kooperative psychisch Kranke und Drogenabhängige in irgendwelchen Betreuungseinrichtungen noch einfach mitdurchgeschleppt, auf Kosten der Krankenkasse. Heute sind die Krankenkassen nicht mehr dazu bereit für Therapie-Verweigerer und Dauerrückfallpatienten ohne Erfolgsaussichten irgendwelche größeren Leistungen zu erbringen. Nach einem nur wenige Tage andauernden Entzug werden die Patienten wieder auf die Straße gesetzt.
Das ist die eine Seite der Medaille.

Die andere hat in Österreich schon neue Blüten getrieben. Dort ist das Erbetteln von Almosen ab einem bestimmten Monatsverdienst einkommenssteuerpflichtig. Die Stadt Wien hat jüngst das "gewerbsmäßige" Betteln quasi als unerwünschtes Gerwerbe verboten.

Die Konsequenz aus dem Rückzug des Staates und der Sozialkassen ist praktisch eine neue Solidarität. Tafelvereine schießen aus dem Boden. Das ganze erscheint wie Amerikanisierung, private Stiftungen ersetzen den bescheidenen Wohlfahrtsauftrag von Staat und Sozialkasse.

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