


So eine fette Ohrfeige für die Schulreform hätte ich mir nicht träumen lassen!


Schade um von Beust, aber für die Unverschämtheiten, die er sich im Rahmen des Schulreformstreits erlaubt hat, hat er es leider verdient.
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So 18. Jul 2010, 23:32 - Beitrag #1 |
PARTY!!!
![]() ![]() ![]() So eine fette Ohrfeige für die Schulreform hätte ich mir nicht träumen lassen! ![]() ![]() Schade um von Beust, aber für die Unverschämtheiten, die er sich im Rahmen des Schulreformstreits erlaubt hat, hat er es leider verdient. |
Die rechten Christen führen keinen Krieg - Jacob Böhme
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Mo 19. Jul 2010, 01:16 - Beitrag #2 |
(aus dem WMIG) Sicher sagt er das (und ist deswegen ja auch vor dem Ergebnis an die Presse gegangen, damit es nicht verknüpft wird). Dementsprechend feiere ich ja auch nicht seinen Abgang, ihn betrifft nur der letzte Satz direkt. Bis vor ein paar Monaten hätte ich mir unbedingt gewünscht, daß er bleibt. Ich kann mir auch gut vorstellen, daß er ohnehin nicht mehr wollte. Aber er hat die Hamburger Union ziemlich an die Wand gefahren, große Teile der Stammwählerschaft massiv gegen sich aufgebracht. Die Initiative "Wir wollen lernen" stützte sich im Wesentlichen auf das Engagement des gehobenen Bürgertums, meist Eltern (in Kampagnen, Spenden etc.), auch wenn sich ein erheblicher Teil ihrer Wähler auch aus der Unterschicht rekrutierte. Das wird der Union bei der nächsten Wahl furchtbar auf die Füße fallen. Dazu kamen eben noch die von mir angesprochenen Äußerungen über die Reformgegner, sinngemäß u.a.: "Ihre lieben Kinder sollen nicht mit dem asozialen Pöbel lernen". Damit macht man sich in der eigenen Wählerschaft nicht unbedingt beliebt. Entsprechend stark wurde er vermutlich auch parteiintern unter Beschuß genommen, und mit den drei Desastern HSH Nordbank, Elbphilharmonie und Schulreform hat er wohl auch als Privatmann die Lust am Amt verloren. |
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Mo 19. Jul 2010, 09:57 - Beitrag #3 |
aus meiner Sicht ist das gesamte Schulsystem beginnend in den späten 70ern bedingt durch gesellschaftliche Entwicklungen in eine Schieflage geraten; ich mache das weniger an der Schulform als vielmehr an den pädagogischen Konzepten fest. Eine Schulform-Reform ist aus meiner Sicht daher Augenwischerei; die Ablehnung einer solchen Reform genauso. Beide "Lösungen" haben nichts mit dem Problem zu tun.
Von daher war mir das Ergebnis von vornherein Jacke wie Hose. |
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Mo 19. Jul 2010, 10:47 - Beitrag #4 |
@Ipsissimus: welchen pädagogischen Konzepten?
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Eine profunde Wahrheit ist eine solche, deren Gegenteil ebenfalls wahr ist.
"Dass es ein Vergessen gibt, ist noch nicht bewiesen; was wir wissen, ist allein, dass die Wiedererinnerung nicht in unserer Macht steht." (Friedrich Nietzsche) |
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Mo 19. Jul 2010, 11:24 - Beitrag #5 |
Darin bin ich ganz deiner Meinung, Ipsissimus. Daß Hamburg in Sachen Bildungswesen laut PISA ziemlich weit hinten liegt und auch sonst nicht gerade Glanzlichter vorzuweisen hat, ist eine Herausforderung, der sich die Politik zu stellen hat. Genau wie du sehe ich die Schulform, ob zweigliedrig, dreigliedrig oder was auch immer, nicht als das entscheidende an. Wesentlich wichtiger ist, wie es mit Inhalten gefüllt wird - die Ausbildung der Pädagogen, Evaluation der Schulen und vergleichbare Standards, an erster Stelle aber natürlich eine ausreichende Versorgung mit Lehrern und Lehrmitteln. Wenn etwa die Hamburger Grünen auf den Erfolg von Finnlands Gesamtschulen verweisen und ihn als Erfolgsbeweis der Gesamtschule an sich darstellen, dabei aber kein Wort darüber verlieren, daß dort auf Klassengrößen von vierzehn Schülern zwei Lehrer kommen, ist das ein Vergleich sehr unterschiedlicher Obstsorten. Bayern und Baden-Württemberg haben mit Dreigliedrigkeit Erfolg, Sachsen mit Zweigliedrigkeit - offensichtlich kommt es darauf nicht an.
Aber diese Argumentation hat sie dazu beflügelt, eine flächendeckende und äußerst aufwendige, übrigens auch teure, Reform in die Wege zu leiten, die auf Jahre hin alle inhaltlichen Überarbeitungen erschwert bis unmöglich gemacht hätte - und dies, bevor andere weitgreifende Reformprozesse (die der gymnasialen Oberstufe und des 12er-Abiturs, vor allem aber die Vereinigung von Gesamtschule, Hauptschule und Realschule zur "Stadtteilschule") abgeschlossen sind. Enorm viel Arbeitskraft wurde darauf verschwendet, Nebensachen zu überarbeiten und die Hauptsachen unangetastet zu lassen. Dabei wäre außerdem einiges zerstört worden. Die gebetsmühlenartige Wiederholung der gesteigerten Effizienz gemeinsamen Lernens für die Schwächeren konnte nie die Befürchtung ausräumen, daß für Lernstärkere daraus Nachteile entstehen. Und logischerweise wären die (jedenfalls wenn der finanzielle Hintergrund es zuläßt) verstärkt in Privatschulen abgewandert, statt sich den allgemeinen Irrsinn anzutun. (Rote und grüne Politiker zeigen ja in großer Regelmäßigkeit genau dieses Verhalten, wenn es um ihre eigenen Kinder geht). Nein, es war ein Scheingefecht, das hier geführt wurde, teilweise mit ideologisch verhärteten Fronten, aber die eigentlichen Ziele standen gar nicht zur Debatte, sie wurden instrumentalisiert. Und das hat mich eigentlich am meisten aufgeregt: Die Bürgerschaft hat in ihrem Entwurf mit einer längst nötigen Aufstockung der Lehrerstellen, Sanierung von Schulgebäuden etc. geworben, die völlig unabhängig vom System sind, diese aber mit der Systemfrage verknüpft. Auf dem Wahlzettel stand für den Entwurf der Bürgerschaft: "Ich bin für eine bessere Schule, die gerechter und leistungsfähiger ist." Das mußten also alle diejenigen mit Nein beantworten, die diese unsinnige Reform verhindern wollten, so auch ich. Das ist mir nicht leicht gefallen - ich meine, man hat mich zu einer politischen Lüge gezwungen, und ich denke, sehr viele haben es ebenso empfunden. Dazu kam eine große Werbekampagne der vereinigten Bürgerschaftsparteien (daß die CDU in Bildungsfragen mit der Linken einig ist, sollte einen schon genügend verwundern) - entsprechend nun der Initiator der Gegenkampagne: "Wir haben nicht nur das Parlament besiegt, sondern wir haben auch gesiegt trotz einer geballten PR-Maschinerie, die die Parteien und die Gewerkschaften und der Senat auf Kosten des Steuerzahlers zuweilen gegen uns aufgefahren haben." Obwohl schon das Volksbegehren im letzten Herbst fast die nötige Stimmenzahl für den Volksentscheid brachte (184k waren es im November, 240k hätten jetzt gereicht), hat die Bildungssenatorin weitergewurstelt, als wäre nichts geschehen, um Fakten zu schaffen. Schon das war eigentlich eine Unverschämtheit. Den Termin für den Volksentscheid hat man mehr als ein halbes Jahr nach hinten verlegt, und "ganz zufällig" in die Sommerferien. Dann hat man auch noch angefangen, die Eltern als egoistisch und sozial segregativ zu verunglimpfen. Jetzt, nach der Wahl, meinen Grüne, leider habe sich gezeigt, daß die Hamburger offenbar kein Interesse an Bildungspolitik haben. (Die Wahlbeteiligung lag mit fast 40% immerhin höher als bei der Europawahl. Außerdem sind 276.000 Neinstimmen im Volksentscheid angesichts der nur 74.000 grünen Wahlstimmen bei der letzten Bürgerschaftswahl auch nicht ganz wegzureden (die CDU hatte damals 330.000)). Nein, meines Erachtens entsteht jetzt die Gelegenheit, sich noch einmal gründlich darüber Gedanken zu machen, wie und in welche Richtungen sich das Bildungswesen entwickeln soll, ohne das Pferd vom Schwanz aufzuzäumen und die Systemfrage zum alles bestimmenden Fetisch zu machen. |
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Mo 19. Jul 2010, 11:35 - Beitrag #6 |
@ Padreic
auf einer allgemein-gesellschaftlichen Ebene die Neucharakterisierung weg von einer Bildungseinrichtung hin zu einer Ausbildungseinrichtung, damit einhergehend die Übernahme von Erziehungs- und Verwahrfunktionen. Parallel dazu die zunehmende Unterminierung des Differenzierungsaspektes: ich bin davon überzeugt, dass ALLEN Schülern und Schülerinnen gleiche Grundförderung auf hohem Niveau zukommen muss. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass etwas Wesentliches ohne Not aufgegeben wird, wenn nach einer gewissen Zeit nicht abgestuft differenziert wird und immer mehr zunehmend ungeeignete Schüler zum Abitur durchgeschleift werden. Parallel dazu habe ich den Eindruck massiver intra-pädagogischer Probleme. Schlagende Lehrer sind glücklicherweise weitgehend vom Tisch; leider wurde dabei das Kind mit dem Bad ausgeschüttet und den Lehrern mehr oder weniger alle Werkzeuge aus der Hand genommen, Kinder zu bändigen, wenn es nicht durch Bespaßung gelingt. Kommt hinzu, dass bestimmte Lehrinhalte keinen Spaß machen, sondern durch Drill erworben werden müssen, sonst sitzen sie nicht, wie Rechtschreibung, Grammatik und Grundrechnen. Ich arbeitete früher als Assistent an der Uni und "durfte" in dieser Eigenschaft auch Klausuren und Hausarbeiten korrigieren. Man sollte es nicht meinen, Abiturienten vor sich zu haben. Da waren Arbeiten mit bis zu 100 Fehlern auf einer Seite, und das über 20 Seiten. Fehlerfrei war keine. Und das in sechs Jahren, solange ich diese Stelle hatte. @ Lykurg d´accord |
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Mo 19. Jul 2010, 12:48 - Beitrag #7 |
Genau das, Ipsissimus! Schulen müssen im Rahmen des Vernünftigen die Möglichkeit erhalten, eigene Lehrkonzepte zu verwirklichen. Sie müssen offen für alle sein, durchlässig in beide Richtungen, aber eben auch hinsichtlich des Leistungsniveaus selektiv genug (um das häßliche Wort zu benutzen und sich anzueignen), um jeweils bedarfsgerechte Förderung bieten zu können. Denn die ist ein Anrecht der Schüler, und es ist eine Schande, wenn wir deren Zukunft verbauen. Zu den Zielen der nun verhinderten Schulreform gehörte u.a., das Sitzenbleiben, das für manche eine Möglichkeit darstellt, sich noch einmal zu bewähren, in jedem Fall aber ein elementares Druckmittel ist, abzuschaffen.
Noch eine Kleinigkeit zu meiner Wut über den Passus auf dem Wahlzettel: Es gab 3,2% ungültige Stimmen, bei der letzten Bürgerschaftswahl waren es dagegen nur 1%, obwohl damals jeder Wähler insgesamt sechs Kreuze machen mußte (und das Verfahren neu war). Das deutet für mich darauf hin, daß viele das auf dem Wahlzettel durchgestrichen oder etwas dazugeschrieben haben. |
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Mo 19. Jul 2010, 21:35 - Beitrag #8 |
Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden, bin ich doch ein vehementer Gegner der Vergesamtschulung. Hamburg betrifft mich zwar nicht direkt, aber als Signal dürfte die Abstimmung einige Wirkung haben.
Den Wahlzettel in dieser Formulierung halte ich für von Lykurg noch viel zu milde kommentiert, das ist ja wohl allerübelste Wählermanipulation auf Sowjetniveau. Ich bin mir auch recht sicher, dass diese Geschichte, wäre der Volksentscheid zuungunsten der Initiative ausgegangen, vor einige ziemlich hohe Gerichte gegangen wäre. Eine Parallele in kleinerem Umfang gab es letztes Jahr bei uns, als es eine stadtweite Abstimmung darüber gab, ob eine Hauptschule in eine Gesamtschule umgewandelt wird. Dort waren die Antwortmöglichkeiten äußerst geschickt mit doppelten Verneinungen konstruiert... (Übrigens die erste Wahl, bei der ich mich bisher enthalten habe, da ich eine so kleinteilige Entscheidung nicht als etwas ansehe, für das eine Volksabstimmung die richtige Methode ist.) Anscheinend liegt also in Deutschland ein grundsätzliches Problem mit der Formulierungsfreiheit der Wahlzettel bei Volksentscheiden vor. Vermutlich gibt es aber mal wieder niemanden, der das kleinstaatereiübergreifend neu regeln könnte... Zurück zu Hamburg, anscheinend sollen die sonstigen Reformen, insbesondere auch die Geldinvestititionen (woher kommen die übrigens?), unabhängig vom Ausgang dieser Abstimmung umgesetzt werden. Das macht also einerseits die Wahlzettelmanipulation noch dreister, spricht aber immerhin für den ernsthaften Verbesserungswillen der Regierung unabhängig von ideologischen Aspekten. Ipsissimus, wie erklärst du eigentlich die niedrige Wahlbeteiligung bei so einer Sachabstimmung? Sind das wie bei Parlamentswahlen auch zu großen Teilen bewusste Verweigerer, die hier also grundsätzlich ablehnen, dass ihre Kinder auf eine der vorgeschlagenen Schulformen gehen sollen, oder doch eher Desinteressierte? Zur Frage nach den grundsätzlichen Fehlentwicklungen im Bildungssystem stimme ich Ipsissimus und Lykurg partiell zu. Ja, es wurde zu viel auf Inhalte und Selektion verzichtet. Andererseits sind die Liberalisierungen aber meines Erachtens mitentscheidend dafür gewesen, eine halbwegs ausgeglichene Gesellschaft zu bilden, und nicht aus den 68ern einen Subkultur-gegen-Autoritäres-System-Dauerkrieg werden zu lassen. Das moderne Schulsystem ist für mich ohne Zweifel besser darin, jene, die es wollen, zu mündigen Bürgern zu erziehen - leider aber eben nur jene, die es wollen, während es bei den anderen so richtig versagt. Und schließlich bin ich nicht der Meinung, dass die Systemfrage völlig hinter der Lehrerausbildung, finanziellen/personellen Ausstattung und der Inhaltsphilosophie zurücksteht. Viele Konzepte lassen sich im einen oder anderen System gar nicht umsetzen, und manchen sozialen Phänomenen (z.B. Streber-Diskriminierung) lässt sich in einem Einheitssystem nur mit völlig unrealistischen Aufwendungen begegnen. |
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Di 20. Jul 2010, 00:22 - Beitrag #9 |
man müsste mal schauen, Traitor, ob die Wahlbeteiligung mit dem Prozentsatz der Eltern schulpflichtiger Kinder korreliert, Traitor; wenn nicht, lautet die Antwort wahrscheinlich einfach nur "ja", so traurig das wäre
das ist ja der zentrale Kritikpunkt, dass eben dieses System Elitenbildung auf der Grundlage sozialen Status und nicht auf der Grundlage erbrachter Lernleistungen unterstützt. Habe heute nachmittag zufällig ein Interview im Deutschlandradio Kultur gehört, mit dem Chef des Dortmunder Instituts für Schulentwicklung. Die gehen ganz klar davon aus, dass das beste System eines sei, bei dem alle Abschlüsse 10 Klassen gemeinsam unterrichtet werden, und nur, weil in Deutschland das "Gymnasien-Klientel" "Kampagnen-fähig" sei, müsse man darauf verzichten und sich mit 6 Grundschuljahren begnügen, die wohl im Laufe der Zeit Deutschland-weit immer mehr eingeführt werden, jedenfalls sind die Bestrebungen im Gange. |
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Di 20. Jul 2010, 11:59 - Beitrag #10 |
Ja, die von Traitor festgestellte Tendenz, in Volksentscheiden populistische Sprüche zu verwenden, habe ich leider auch schon beim letzten Volksentscheid hier 2007 feststellen müssen. Damals war es auch bei uns „nur“ eine doppelte Verneinung, dieses finde ich wesentlich dreister. Zugleich schimpfen die Verfechter der Primarschule landauf, landunter, die Initiative „Wir wollen lernen“ habe mit ihrem Namen etwas für sich reklamiert, was die andere Seite ja auch wolle – richtig, der griffige Name einer Initiative ist aber noch etwas ganz anderes als ein irreführender Wahlzettel, und da ist die Gegenüberstellung von klaren Aussagen (Initiative) und demagogischer Arglist (Bürgerschaft) nur allzu deutlich zu erkennen. Ich bezweifle aber, daß man mit einer Klage vor Gericht Erfolg gehabt hätte – ein gewisses Maß von Wählertäuschung ist nunmal leider eine Grundkonstante der Politik und kein Straftatbestand... (Und ich sehe schon an der Formulierung, wie stark mich diese Sache umtreibt und mein politisches Denken beeinflußt. Ich kann es nach wie vor nicht fassen, daß ein so großer Teil der Wählerschaft in der Bürgerschaft offensichtlich nicht repräsentiert ist, deren Entscheidung einstimmig war.) Das war bewußt ausgenommen worden, auch die Zusammenfassung von Haupt-, Real- und Gesamtschulen in Stadtteilschulen wird kommen und war nicht Gegenstand der Abstimmung. Daß Investitionen nötig sind, war ja allen klar, und die Entscheidung über die Stadtteilschulen längst gelaufen. Nur gingen die eigentlichen Pläne ja noch viel weiter, so sollte es ursprünglich keine Wahlfreiheit der Eltern geben, sondern nur eine verbindliche Schulzuordnung nach Wohnort und nach Zeugnis – die Wahlfreiheit, mit der die Bürgerschaft zuletzt sogar Werbung machte, kam erst auf massiven Druck der Initiative und angesichts ihres anfänglichen Erfolges zustande. Das stimmt wohl, allerdings hatte ja Ipsissimus (und ich sehe es genauso) Frontalunterricht nicht als alleinseligmachendes Mittel gesehen, sondern nur auf dessen Unverzichtbarkeit für bestimmte, eng zu begrenzende Aufgaben hingewiesen. Manches muß gelernt werden, anderes muß man sich erarbeiten. Und heutigen Schülern (jedenfalls den guten) fehlt es nach meiner Einschätzung nicht an Problemlösungskompetenzen, wohl aber an Kenntnissen. Die von Ipsissimus angeführte Rechtschreibschwäche ist nur ein Symptom - übrigens mit der dafür zu erheblichen Teilen verantwortlichen Rechtschreibreform wieder ein Fall, in dem ein bildungspolitischer Unsinn allererster Ordnung gegen den klaren Willen eines Großteils des Volkes handstreichartig an diesem vorbei durchgewinkt wurde. Offensichtlich meinen deutsche Pädagogen, einen Alleinvertretungsanspruch auf Wahrheit zu besitzen, der ihnen erlaubt, sämtliche demokratischen Spielregeln zu mißachten und das, was sie für richtig halten, durchzusetzen (siehe dazu das von Ipsissimus genannte Interview, eine bodenlose Frechheit, zu der mir nichts mehr einfällt). Möglicherweise ist das ein Rest der pädagogischen Ader und ihres Sendungsbewußtseins, das größenwahnsinnige Vertreter dieses Standes, sobald sie landesweite Kompetenzen erhalten, auf die Idee bringt, das Volk belehren und mit ihren klugen Maßnahmen beglücken zu müssen – merkwürdigerweise als Frontalunterricht am lebenden Objekt. Das ist richtig, natürlich wird es in einem Gesamtschulsystem sehr schwierig, exotische Fächer und Begabtenförderung aufrechtzuerhalten. Möglicherweise haben unsere klugen Pädagogen dazu ja auch noch eine Idee. Mit finnischen Klassengrößen ließe sich immerhin etwas bewirken, aber grundsätzlich halte ich das Gymnasium ebenfalls für den weitaus besseren Ansatz. Erst einmal freue ich mich, daß du auch dradio kultur hörst! Zur Stellungnahme dieses Pädagogen habe ich mich oben kurz geäußert – gegen diese Art der Durchsetzung an der Demokratie vorbei kann man eigentlich nur noch mit Gewalt reagieren – oder eine Partei gründen, was fast dasselbe ist. ![]() |
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Di 20. Jul 2010, 21:55 - Beitrag #11 |
Danke für den Kartenlink, Lykurg. Die gut zu beobachtenden Korrelationen mit der normalen Wahlbeteiligung und sozialen Indikatoren (Arbeitslosigkeit, Ausländeranteil) bei schwacher Korrelation mit sachbezogenen Indikatoren (Schülerzahl) spricht für mich doch sehr dafür, diese Abstimmung als Zeichen gegen die Interpretation von Nichtwählern als bewussten Protestlern zu werten.
Ich denke, diesen Schluss kann man aus der Abstimmung nicht ziehen. Eher spricht sie für mich dafür, dass die Schulpolitik für die meisten Wähler kein bestimmendes Kriterium bei der regulären Wahl ist. Wie leider auch die meisten anderen Sachthemen, Landeswahlen werden wohl vor allem nach farblichen und personellen Sympathien sowie nach aktueller bundesweiter Stimmungslage entschieden. Außerdem dürften ja einige Parteien in der Bürgerschaft sich bei dieser Reform anders verhalten haben, als bei der letzten Wahl versprochen - zumindest kann ich mir kaum vorstellen, dass bei euch CDU und FDP von selbst Gemeinschaftsschulen angestrebt hatten? Warum gerade letztere sich ihnen angeschlossen hat, verstehe ich auch nicht ansatzweise. Noch zur Politik: die Klagechancen gegen solche Wahlzettelmethoden sehe ich schon als zumindest nichtverschwinden an. Sicher würde man keine Wiederholung eines Volksentscheides erreichen, Wahlen werden ja fast nie annulliert. Aber eine Verpflichtung der Wahlleiter zu neutralerer Arbeit könnte ich mir vom BVG durchaus vorstellen. Und nun zum Bildungssystem an sich: Dabei ist die Wahlfreiheit für mich ein recht großes Übel. Schulzuordnung nach Wohnort lieber nicht, das ist veraltet. Aber Schulformzuordnung nach Zeugnis, wenn auch mit gewissen Ermessensspielräumen, halte ich für dringend geboten, um das Niveau der Gymnasien noch retten zu können. Andersherum kann man die Elternentscheidung auch als geschicktes Untergraben des gegliederten Schulsystems durch dessen Gegner ansehen... Und die verpflichtende Empfehlung nach Lehrerermessen wäre gerade ein Mittel gegen soziale Schichtenbildung im Bildungssystem, denn ohne Schulempfehlung schicken alle reichen Eltern ihre noch so dummen Kinder aufs Gymnasium, da sich das für ihren Stand ja so gehört, während sozial benachteiligte Eltern sich bei einem Wackelkandidaten im Zweifel nicht trauen, ihn auf die höhere Schule zu schicken. Geht es rein nach Leistung, ist das viel gerechter. Natürlich muss man sicherstellen, dass nicht einzelne Lehrer nach Willkür entscheiden, sondern eine vernünftige Beurteilung zustande kommt. Und es dürfen nicht nur die abgelieferten Noten beurteilt werden, sondern auch die gezeigten Potentiale müssen eingehen, um zum Beispiel durch Nichtmuttersprachlichkeit benachteiligten Spätstartern entgegenzukommen. Meine Aussagen zu Pauk-/Heitetei-Schule musst du nicht groß relativieren, sie waren ja schon als Relativierung zu euren gedacht, mit dem Mittelweg sollten wir uns alle ziemlich einig sein. Zu ehemaligen Lehrern, die sich in den Ministerien hochgearbeitet haben, habe ich eine sehr ähnliche Meinung wie du. @Ipsissimus: Zur Wahlbeteiligung siehe oben. Zur sozialen Elitenbildung bzw. -erhaltung im Schulsystem: Meines Erachtens läuft die ganze öffentliche Diskussion hierzu völlig falsch ab. Sicher gibt es ein paar Misstände innerhalb der Schulen, aber im wesentlichen sind es nicht die Schulen, die Bildungs- und damit Sozialstands-Differenzen einbetonieren. Es sind die Elternhäuser und sozialen Umfelder. Unser Schulsystem ist auf dem Papier nahezu perfekt sozial blind und nur nach Leistung und individuellem Verhalten richtend, und auch die meisten Lehrer bewerten meines Erachtens in der Praxis ziemlich fair nach Leistung und Verhalten, nicht nach Herkunft. Aber ein Kind aus sozial schwierigen Umständen kommt nunmal oft schon mit einer Anti-Schul-Erziehung an die Schule, oder erlernt diese Haltung während seiner Jugend von seinem Umfeld. Gegen diese Blockierkräfte das Potential aus einem Schüler herauszuholen, ist für die Schule sehr schwer. Damit sie es wirklich könnte, müsste sie viel mehr Einfluss auf das tägliche Leben der Schüler haben, und das ist wiederum für Kinder aus besserem sozialem Umfeld eine Zumutung. Man müsste also entweder, politisch derzeit völlig unvertretbar, hierbei sortieren, oder eben verstärkt Maßnahmen außerhalb der Schule vornehmen, bei denen ich in der verfahrenen aktuellen Situation aber auch keine All- oder auch nur Teilheilmittel sich anbieten sehe. |
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Mi 21. Jul 2010, 00:02 - Beitrag #12 |
@Traitor: so weit meine Kenntnisse reichen, ist es der Fall, dass die Empfehlungen für die weiterführende Schule nicht nur tatsächliche Leistungen, sondern implizit auch soziale Herkunft berücksichtigen. So wichtig der subjektive Eindruck der Lehrer ist, so sehr sind in ihm auch Vorurteile etc. enthalten. Es wird da halt auch das allgemeine Auftreten mit einbezogen, das durchaus auf von der realen Leistung unabhängige Weise von der sozialen Herkunft mitbestimmt wird. Un- oder halbbewusst wird oftmals vermutlich sogar noch das Auftreten der Eltern bei Elternsprechtagen mit berücksichtigt. Das ist aber eine Sache, die sich insgesamt nur schwer ändern lässt, da sie sich in den Köpfen auf un- oder halbbewusster Ebene abspielt. Quoten kämen in den Sinn, die sind mir jedoch eher zuwider....
Insgesamt ist es ein großes Problem geeignete Beurteiler von Schülerleistungen zu finden. |
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Mi 21. Jul 2010, 11:18 - Beitrag #13 |
es gibt da ja Untersuchungen und Umfragen zu, Traitor. Einflüsse von Namen und Kleidung der Schüler auf die Bewertung seitens der Lehrer, mit ziemlich eindeutigen und ernüchternden Ergebnissen hinsichtlich der "nahezu perfekten sozialen Blindheit" der Schulen. Die Schulen sind alles andere als black boxes, auf deren Innenbetrieb nichts von außen zugreifen kann.
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Mi 21. Jul 2010, 13:13 - Beitrag #14 |
Mit „nicht repräsentiert“ meinte ich einfach nur, daß der in der Abstimmung gezeigte Volkswille in der Bürgerschaft von niemandem vertreten wurde. Ich stimme dir zwar zu, daß Landeswahlen meist in der Bundespolitik untergehen, aber ich finde es schon bemerkenswert, daß in den Bürgerschaftsparteien offensichtlich niemand Gedanken darum gemacht hat, was es bedeutet, einen so großen Teil der aktiven Wählerschaft zu ignorieren. Wir hatten in Hamburg immerhin in den letzten fünfzehn Jahren schon zweimal kurzlebige, aber überaus erfolgreiche Themenparteien (Statt-Partei, Schill-Partei), meine „Drohung“ war also nicht ganz zufällig. Die FDP ist zur Zeit nicht in der Bürgerschaft, und war (neben der NPD ![]() Die CDU hat in ihrem Koalitionsvertrag massive Zugeständnisse an den grünen Koalitionspartner gemacht – neben der Primarschule auch den extrem teuren Bau einer Straßenbahnlinie nördlich der Innenstadt, die ebenfalls von einem Großteil der Bürger als unsinnig (und angesichts der zu engen, verstopften Straßen dort sogar massiv kontraproduktiv) abgelehnt wird. Ansonsten hätte man die Elbvertiefung nicht durchbekommen. Die Grünen waren damals ganz baff, was sie alles in den Schoß geworfen bekämen, insbesondere nachdem sie im letzten rotgrünen Senat kaum eine eigene Linie fahren konnten. Allgemein hieß es aber, wenn die Primarschule scheiterte, würde die Koalition zerbrechen; jetzt versucht man natürlich doch weiter zu lavieren.^^ Auch daher also die nach außen geschlossene Befürwortung durch die Union, intern war das wohl anders, vermutlich hat das zu von Beusts Rücktritt erheblich beigetragen. Ja und nein – ich teile deine Meinung insoweit, als man vermeiden sollte, Leute mit durchzuschleppen, die nicht dorthingehören. Davon habe ich wirklich genügend erlebt. Andererseits gibt es durchaus auch Fälle von Spät- oder Sonderentwicklung gerade bei Hochbegabten, die dafür sprechen, den Eltern auch eine Entscheidungsfreiheit zuzubilligen. Mein Bruder ist so ein Fall – da er ja eh alles konnte und ihr Unterricht ihn langweilte, schickte die Grundschulklassenlehrerin ihn regelmäßig allein ins Spielzimmer, und verweigerte ihm dann zuletzt die Gymnasialempfehlung. Ich kenne einen weiteren Fall in meinem Freundeskreis, in dem es auch nur die Eltern waren, die die – im Nachhinein einzig richtige – Gymnasiallaufbahn durchsetzten. Und sicher gibt es das auch bei Kindern mit Migrationshintergrund; insbesondere geflohene Akademiker müssen für eine dem (hoffentlich vorhandenen) geistigen Potential ihrer Kinder gemäße Schulform eintreten können, auch wenn die Kulturanpassung noch nicht vollständig vollzogen ist. Zustimmung zur Notwendigkeit einer differenzierten Leistungssteigerung bei unterschiedlicher Herkunft. Das ist politisch wirklich ein ganz heißes Eisen, niemand im Einheitsschullager wird zugeben wollen, daß entsprechend interessierte Eltern für ihre Kinder eventuell sogar doch besser sorgen können als der versammelte gute Wille der Lehrer. --- Die Dreistigkeit, die ich hinsichtlich vollendeter Tatsachen kritisierte, zieht offenbar weitere Kreise: Wie sich jetzt herausstellt, hat offenbar in der Schulbehörde niemand mit diesem Ausgang gerechnet, jedenfalls keine angemessene Vorbereitung stattgefunden. Es droht das große Chaos, schließlich sind umfangreiche Baumaßnahmen geplant bzw. durchgeführt worden, Lehrereinstellungen etc. darauf geplant worden, die davon ausgingen, überall im Stadtgebiet eine gegenüber dem status quo ante deutlich verringerte (!) Anzahl von sechsjährigen Primarschulen einzurichten. Ich finde es übrigens erstaunlich, daß die Schulsenatorin, die bei der Ergebnisverkündung wie schon beim Volksbegehren den Tränen nahe war, die Entscheidung also als Überzeugungstäterin auch sehr persönlich nimmt, nicht endlich auch die angemessenen Konsequenzen daraus zieht und zurücktritt. Das ist längst überfällig. |
Die rechten Christen führen keinen Krieg - Jacob Böhme
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Mi 21. Jul 2010, 14:35 - Beitrag #15 |
die Frage ist eben nur, ob es bezüglich der Begabten- oder Hochbegabten-Förderung wirklich auf die Schulform ankommt. ich sehe nicht, dass das Ausbildungsniveau eines Gymnasiums schon alleine deswegen und unvermeidbar besser wäre, weil es ein Gymnasium ist. Das ist allerdings eine Frage, die - obwohl sachlicher Klärung zugänglich - in Deutschland wohl eher über Ideologie entschieden wird, auf Seiten der Befürworter genauso wie auf Seiten der Gegner. Ohne die Ergebnisse der Pisa-Studien überbewerten zu wollen, bleibt doch festzustellen, dass fast alle höher als Deutschland platzierten Länder Gesamtschulen als Regelschulen auch für die höheren Abschlüsse vorsehen. Von daher hörte ich seitens der Befürworter nach Abschlüssen getrennter Ausbildungs-Gänge schon gerne bessere Argumente, denn die Schulform allein macht es meiner Ansicht eben nicht. Es ist bezogen auf Deutschland leider nur ein Faktum, dass Gymnasien die besseren Möglichkeiten gegeben werden, aber das ist nur ein organistorisches Problem und könnte nach einer Übergangszeit auch ganz anders aussehen.
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Mi 21. Jul 2010, 15:10 - Beitrag #16 |
Mag sein, ja - aber eben nicht unter vergleichbaren Bedingungen. Die Pisastudien 2000/2003 haben zudem im innerdeutschen Vergleich - bei aller Vorsicht betrachtet - flächendeckend festgestellt, daß Gesamtschulen schlechtere Leistungsniveaus erreichen als Realschulen. Die Untersuchung BIJU hat gezeigt, daß Gesamtschüler im Schnitt weniger Kompetenzen erlangen, als ihrer Intelligenz zufolge zu erwarten wäre, ihr Potential also nicht ausgeschöpft wird. Pisa hat aber sogar gezeigt, daß die Gesamtschule ihr eigentliches Ziel, die Integration und Förderung von Schülern mit Migrationshintergrund und Schülern aus bildungsfernen Schichten, schlechter erreicht als das Gymnasium (wobei hier der Aspekt der Präselektion einzuberechnen wäre). Die besseren Möglichkeiten bestehen sicherlich hinsichtlich der Schülerschaft. Wer etwas leisten will, geht aufs Gymnasium, und dort wird leistungsbezogen ausgesiebt. Die Gesamtschule muß dagegen alle, auch die schlechtesten Schüler, durchziehen (alles andere würde ja als Scheitern der Schulform gelten). Dafür hat sie aber ein Mehrfaches an personeller und finanzieller Ausstattung. Es ist unglaublich, wie hier in Hamburg sich die Gesamtschulen schon baulich von den Gymnasien unterscheiden - da ist die neue Sporthalle oder die Gebäudesanierung gar kein Problem, aber auch Unterricht mit zwei Lehrern regelmäßig möglich, während an meiner alten Schule des öfteren Stunden ausfallen mußten. Diese "besseren" Möglichkeiten sehe ich also nur sehr bedingt. Ich verstehe, daß es enorm schwer für Menschen wie Frau Goetsch ist, sich von Lebenslügen zu verabschieden - aber es wäre wirklich von Vorteil für das ganze Land, wenn die Pädagogen sich um Verbesserung der Unterrichtskonzepte, der Ausstattung, der Durchlässigkeit der Schulformen und der Qualitätssicherung der Abschlüsse kümmern würden, statt mit der Brechstange die gewachsenen Strukturen zu zerstören, um ein System einzuführen, von dem sie nicht schlüssig belegen können, daß es besser ist. ![]() |
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Mi 21. Jul 2010, 15:52 - Beitrag #17 |
die Frage wäre nur, ob das dem Konzept "Gesamtschule" anzulasten ist oder dem Umstand, dass die Ausstattung der Gesamtschulen deutlich hinter den Realschulen und Gymnasien zurückliegt. Es ist für mich jedenfalls nicht unmittelbar evident, dass Gesamtschulen, die auf vergleichbare Weise sieben wie Gymnasien, schlechtere Ergebnisse hervorbringen. Man kann im Prinzip nur sagen, der Auftrag der Gesamtschulen ist ein anderer als der von Gymnasien. Und das ließe sich ändern. Wenn nicht ... ja, wenn nicht dahinter eines der wirklichen Probleme unseres Schulsystems lauern würde. Es soll immer weniger Geld aufgewendet werden, für Lehrerqualifizierung, Schulausstattung und Lehrerzahl. Deswegen nimmt man in Kauf, dass das System der Regelschulen auf ein immer tieferes Leistungsniveau kalibriert wird, während die Eliteschulen sich durch stärkere Förderung profilieren können.
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Mi 21. Jul 2010, 19:01 - Beitrag #18 |
zur PISA-Studie: das muss man idT alles sehr differenziert betrachten. Es stellt sich erst einmal die Frage: was ist überhaupt eine Gesamtschule, sind da wirklich alle Schüler in den selben Kursen? Zumindest in Deutschland ist das ja, so weit ich weiß, nicht so. Zudem ist es ja z. B. in England so, dass zwar die Gesamtschule der Regelfall ist, für gute oder wohlhabene Schüler aber durchaus noch Privatschulen eine Möglichkeit darstellen. In Japan ist es ähnlich, zur Oberstufe sogar noch wesentlich extremer, da der Eintritt nur mit einer Aufnahmeprüfung erlaubt ist, deren Schwierigkeitsgrad natürlich von Schule zu Schule stark variiert. Wobei ich allzuschwere Aufnahmeprüfungen für kontraproduktiv halte...
Daneben ist es falsch, Deutschland nur mit den Ländern zu vergleichen, die besser abgeschnitten haben; man muss es auch mit den Ländern vergleichen die schlechter abgeschnitten haben. Z. B. sind in Italien die ersten 8 Jahre gemeinsam. Außerdem möchte ich Belege dafür sehen, dass die Aufwendungen für das Bildungssystem gesenkt werden. Zumindest wenn man ganz naiv z. B. das liest, drängt sich ein anderer Eindruck auf. Edit: und man darf natürlich nie vergessen, dass es äußerst entscheidend ist, welche Einstellung die Schüler und die Eltern zu Bildung haben. Da gibt es durchaus von Land zu Land Mentalitätsunterschiede... |
Eine profunde Wahrheit ist eine solche, deren Gegenteil ebenfalls wahr ist.
"Dass es ein Vergessen gibt, ist noch nicht bewiesen; was wir wissen, ist allein, dass die Wiedererinnerung nicht in unserer Macht steht." (Friedrich Nietzsche) |
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Fr 23. Jul 2010, 12:41 - Beitrag #19 |
es kann anhand der PISA-Studien aber zumindest erkannt werden, dass die Gesamtschule als Regelschule bis zum Abitur es nicht per se unmöglich macht, ein hohes Ranking zu erzielen; möglicherweise liegt es eben doch nicht an der Schulform, sondern an der dahinter liegenden Pädagogik und an der personellen und Lehrmittel-Ausstattung. Das Gymnasium als allein seligmachende Schulform für den Höheren Abschluss ist mir jedenfalls so suspekt wie jeder andere Alleinvertretungs-Anspruch auch.
Mensch unterlasse es im eigenen Interesse besser, Statistiken naiv zu lesen^^ Konkret heißt das, dass nicht die schiere Aufwendungshöhe relvant ist, sondern die Verteilung, und da wieder nicht die pauschale Verteilung sondern die Frage, wieviel welche Schule konkret bekommt und was sie mit dem Geld machen darf und macht. In meinem Bekanntenkreis sind einige LehrerInnen, auch von Gesamtschulen; wenn ich da höre, unter welchen Bedingungen die teilweise unterrichten müssen, wundert mich gar nichts. Das beweist natürlich alles und gar nichts. Ich glaube aber, dass die Frage des Gymnasiums in Deutschland erstens zu einer Glaubensfrage mutiert ist, und dass zweitens das gymnasiale System viel zu perfekt zur sozialen Abschottung verwendet werden kann, als dass es unhinterfragt bleiben dürfte. Und die Hamburger Initiative, soweit ich das verfolgt habe, unterliegt durch ihre Herkunft aus der gehobenen Mittelschicht zumindest dem "Anfangsverdacht"^^ dass Abschottung ein zentrales Motiv ihrer Aktion war. |
Wer bist du, dass du die Qual lindern kannst und es nicht tust ...
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Fr 23. Jul 2010, 13:34 - Beitrag #20 |
Ja! Ein Großteil der in der Initiative aktiven Eltern und der Sympathisanten wäre entsetzt darüber, wenn etwa ihre Kinder dazu gezwungen würden, auf eine Billbrooker Gesamtschule mit derzeit 98,7%igem Ausländeranteil zu gehen (siehe Karte oben). Dagegen würden sie sich ganz klar zur Wehr setzen, was man auch als Abschottung bezeichnen kann.
"Zum Glück" hätte die Reform ja "nur" für die, die sowieso im Einzugsbereich der Schule wohnen, und "nur" für sechs Jahre diesen Schulbesuch vorgeschrieben. Andererseits könnte man sich ja, wenn man einen Funken Sozialbewußtsein hätte, das den Hamburger Grünen offenbar fehlt, dann auch überlegen können, daß nur diejenigen, die es sich nicht leisten können, dort wegzuziehen, dann als Integrationshelfer dienen müssen (und dafür nicht unbedingt am besten geeignet sind). Also soziale Abschottung von oben auch dann, wenn das durchgekommen wäre - viel wirkungsvoller eigentlich, als die heute bestehende mit freier Schulwahl. Wie gesagt, ich finde es nicht notwendig, sich auf einen Systemstreit einzulassen. Meinen Beobachtungen zufolge können sich die Gesamtschulen in Hamburg, die ich von innen gesehen habe (zugegebenermaßen nur zwei) nicht über schlechte Ausstattung beklagen, im Gegenteil. Ich habe auch nichts gegen Koexistenz, denn meines Erachtens sind konkurrierende Systeme eher positiv in ihrer Wirkung zu sehen. Meines Erachtens liegt aber, wenn unbedingt ein vollständiger Wechsel zu einem Gesamtschulsystem herbeigeführt werden soll (dessen Notwendigkeit ich nicht einsehe - und nichts anderes wird ja offensichtlich mit der Primarschule bezweckt), die Beweislast auf der anderen Seite - und der schlagende Beweis für die höhere Leistungsfähigkeit von Gesamtschulen konnte in Deutschland innerhalb von vierzig Jahren, also mehr als einer Generation, nicht erbracht werden. Noch eines zur Parteipolitik: Der einzige CDU-Bürgermeister im traditionell roten Hamburg vor von Beust, Kurt Sieveking, kam 1953 mit dem Wahlversprechen, die damalige sechsjährige Grundschule abzuschaffen, an die Macht (hielt es auch ein). Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, daß sie nun (auch) aufgrund des Versuches, sie wieder einzuführen, sehr wahrscheinlich die nächste Wahl verlieren wird. Übrigens fordere ich weiterhin Frau Goetschs Rücktritt. ![]() |
Die rechten Christen führen keinen Krieg - Jacob Böhme
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