Welches Buch lest ihr gerade? (II)

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Traitor
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Sa 29. Mai 2010, 22:01 - Beitrag #301

Terry Pratchett - Unseen Academicals

Endlich wieder ein neuer Scheibenwelt-Band. Als Hardcover gab es ihn ja schon länger, ich warte aber üblicherweise auf die Taschenbuchausgabe. Amazon wollte mir die nach Vorbestellung erst am 19. Juni schicken, heute habe ich dann erfahren, dass es sie bei Bouvier/Thalia bereits gibt. Ich frage mich, was da los ist - hat Amazon mal wieder Streit mit den Verlagen und wird boykottiert?

Egal, nun habe ich es. Grundidee: Fußball auf der Scheibenwelt, primär aus der Perspektive der Unsichtbaren Universität. In deren altehrwürdigen Mauern scheint sich auch so einiges geändert zu haben, und sogar die 9 Mahlzeiten am Tag sind in Gefahr.

Ob das Thema so irre viel hergibt, bin ich mal gespannt. Der Ansatz "ich handele jedes wichtige Element der Rundwelt in einem Scheibenwelt-Roman ab" der letzten paar Bände gefiel mir nicht so richtig gut. Aber lustig wird es sicher wieder werden, und immerhin traut Pterry sich, an seiner Erfolgsserie immer wieder etwas zu verändern - mehr, als man von den meisten Autoren sagen kann.

Ipsissimus
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Mi 9. Jun 2010, 10:24 - Beitrag #302

Dmitry Glukhovsky

2034

der unvermeidliche Nachfolgeroman zu 2033, in nur lockerer Bezugnahme zu den Vorgängen in 2033

Der Roman ist deutlich besser als sein Vorgänger. Leider ist fünf mal null immer noch null. Außerdem hat 2034 mich nicht nur gelangweilt, sondern auch noch verärgert^^

Zum ersten, von Spannungsbögen und Charakterentwicklung hat Glukhovsky nach wie vor noch nie was gehört. 2034 liest sich immerhin deutlich flüssiger als 2033, was hauptsächlich dem Umstand zu verdanken ist, dass sowohl die Ausflüge in Staatstheorie deutlich in den Hintergrund treten als auch Stationsnamen der Moskauer Metro nur noch dann erwähnt werden, wenn die Station im Roman auch tatsächlich eine Rolle spielt (im Gegensatz zum ersten Roman, der sich stellenweise wie ein Auszug aus dem Streckennetz liest).

Sagte ich Charakterentwicklung? Wenn er denn wenigstens nur was von Charakterzeichnungen verstehen würde. Aber das Schicksal dieser Leute lässt mich so dermaßen kalt wie die Frage, ob eine Puppe hübsch angezogen ist oder nicht. Die Technik, der sich Glukhovsky bedient, ist nämlich die der gnadenlosen Klischeezeichnung. Ihr wollt nicht wirklich wissen, wie junge russsische Frauen aus Sicht junger russischer Männer sein sollen, zumindest diesem Buch zufolge.

Der einzige klarblickende Mensch in der Geschichte ist Hunter, und der ist böse. Also nicht wirklich, er weiß einfach nur, was die Sachen bedeuten und was man tun muss. Es gibt kein Heilmittel gegen die unheilbare, tödliche und hochinfektiöse Seuche - also isoliert man die Kranken, und wenn das nicht mehr geht, tötet man sie. Dass die Krankheit doch heilbar ist, wissen zwar ein paar andere Leute, aber nicht Hunter, und somit ist sein Verhalten im Prinzip völlig nachvollziehbar. Alle anderen sind nur zutiefst in ihren Seelchen erschrocken ob der Kompromisslosigkeit, aber es liegt ja auch nicht der Fortbestand der Menschheit auf ihren Schultern (was Hunter aufgrund der Geschichte völlig korrekt für sich annehmen muss). Dass Hunter sich täuscht, kann man ihm nicht anlasten, dazu müsste man ein Wörtchen mit den Guten reden, die zwar wissen, dass die Seuche heilbar ist, aber mit ihrem Wissen erst herausrücken, als alles längst zu spät ist.

Eine fürchterlich krude innere Logik, mit Akteuren, die - ausgenommen Hunter - im Zweiminutentakt zwischen himmelhoch jauchzend und abgrundtiefer Verzweiflung taumeln, beides auf der Grundlage von für die Situationen völlig irrelevanten Gefühlen oder Gedanken. Idioten in action^^

Gelegentlich dann doch einzelne Sätze, die mit dem Roman ein bisschen versöhnen könnten, wären sie denn ernst gemeint oder spielten sie eine Rolle. Die Selbstzerfleischung der Überlebenden, der Rückfall in feudalstaatliche Zustände auf kleinstem Raum. Aber kaum erwähnt, kaum horcht man auf, schon sind sie wieder weg und es tobt die Apologetik der Menschheit in den irrelevanten Emotionen dummer Leute, die nicht daran erinnert werden wollen, dass unter ihnen die Verantwortlichen für die Ausrottung der Menschheit überlebt haben. Aber selbst diese Kleinigkeit ist Glukhovsky nur einen Halbsatz wert.

na gut, abgehakt^^

Traitor
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Mi 9. Jun 2010, 20:21 - Beitrag #303

Ich finde es ja durchaus beeindruckend, dass du dich noch durch Band 2 quälst, nachdem dir schon der erste so wenig gefiel. Gibt es noch weitere Fortsetzungen, oder heißt "abgehakt", dass du dich jetzt wieder lohnenderem zuwenden kannst? ;)

Selbst habe ich den Pterry schon länger fertig, insgesamt sehr nett, da nicht rein auf Fußball konzentriert, sondern noch mit einer interessanten Nebenhandlung (kaum ohne Spoiler beschreibbar).
Im Anschluss habe ich aber erstmal keine Literatur im engeren Sinne in Bearbeitung.

Ipsissimus
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Do 10. Jun 2010, 10:41 - Beitrag #304

so weit ich weiß ist derzeit nichts von Fortsetzungen bekannt; dass 2034 ein eigentliches Ende habe, lässt sich aber genausowenig sagen wie bei 2033. Die jeweiligen Enden sind jedenfalls so konzipiert, dass mühelos beliebig viele weitere Romane drangehängt werden können. Von daher, möglich ist alles^^

Der Umstand, dass ich mich durch den 2ten Band auch noch durchgequält habe, ist wahrscheinlich nur auf ein irregeleitetes Gefühl von Interesse an dem Szenario zurückzuführen^^ ich liebe apokalyptische Szenarien, aber zumindest haben mich die beiden Bände gelehrt, dass ein Szenario noch keine Erzählung ist^^

Lykurg
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So 18. Jul 2010, 12:51 - Beitrag #305

Michael Ende: Die unendliche Geschichte
hat mich nach vielen Jahren doch wieder gefesselt trotz ihrer strukturellen Unzulänglichkeiten. Einige gute Ideen, was das Erzählen betrifft, außerdem stark gebrochene Figuren (mit denen man aber kein Mitleid empfindet!), dazu meines Erachtens ein ungünstiges Zeitmanagement, das streckenweise doch erhebliche Längen erzeugt, und bezüglich Auryn nicht alles stimmig. Naja.

(auf der Suche nach Geschenken etc. ganz versehentlich in der Hand behalten^^):

Cornelia Funke: Igraine Ohnefurcht

Eigentlich für etwas jüngere Leser gedacht, zeigt aber deutlich, was sie besser kann als Ende: eine elegant durcherzählte, geschlossene Handlung, in der jeder Handlungsabschnitt wesentlich zum Ende beiträgt, außerdem zwar nicht ganz perfekte, aber hinreißend geschilderte Figuren. ;)

Platon: Menon
Endlich weiß ich, wie man ein Quadrat halbiert! Sehr praktisch. Ich bin also nicht mehr verwirrt.

Stephen Galloway: The Cellist of Sarajevo

Bedrückende Erzählung um den Cellisten, der im belagerten Sarajevo trotz Mörserbeschuß und Heckenschützen einen Monat lang täglich im Freien Albinonis Adagio spielte, zum Gedenken an die Opfer des Krieges. Die Innensicht des Cellisten wird weitgehend ausgespart, stattdessen werden in seperaten Kapiteln die Perspektiven verschiedener Einwohner gezeigt, die quer durch die Stadt und um ihr Leben laufen, um Wasser zu holen, die Veränderungen, die die ständige Gefahr für den Einzelnen und die Gesellschaft bewirkt, Verzweiflung und das prekäre Glück des vorerst Überlebenden. Darunter ist auch die Perspektive einer jungen Scharfschützin - auf bosnischer Seite, die serbische Sicht fehlt komplett, hier ist ein sehr geschlossenes Feindbild gezeichnet. Nur quasi durch ihr Visier wird sichtbar, wie junge Männer es sind, die sie tötet - und erst durch die Musik wird einer der Feinde auch menschlich, und die Korruption und Grausamkeit auch der eigenen Seite offengelegt.

Thomas Mann: Joseph und seine Brüder

Meine Hauptlesebeschäftigung während der letzten zwei Monate - in meiner Ausgabe knapp 1400 Seiten, die es in sich haben wie keine andere seiner Erzählungen, eine unglaublich dichte, komplexe, aber bezaubernd schöne Sprache. Übrigens auch - mehr als irgendeines seiner Bücher, auch mehr als Felix Krull - hinreißend komisch in manchen Passagen, etwa die Verkaufsverhandlungen über den gefangenen Joseph oder das Teekränzchen bei Mut-em-enet, 'Potiphars Weib'. Ein wahnsinnig reichhaltiger Roman, meines Erachtens (und ich freute mich, das gerade auch von Daniel Kehlmann bestätigt zu lesen) sein gelungenstes Werk und einer der wichtigsten deutschsprachigen Texte des 20. Jahrhunderts (vielleicht direkt nach dem Grundgesetz). ;) Ich habe einen neuen Liebling, auch wenn es sicher lange dauert, bis ich das nochmal lese.

Walter Kempowski: Hundstage
'Krimi' um das Sommererlebnis eines Schriftstellers, der ein gewisses Mädchenproblem hat. Erstaunlich, wie stark und schonungslos Kempowski, der hier wieder sehr eng autobiographisch erzählt, auch die vielfachen Charakterschwächen, Egoismen, Irritation, aber eben sogar pädophilen Neigungen seines literarischen Gegenbilds darstellt - bis hin zum abstoßenden Zerrbild, aber auch irgendwo bemitleidenswert und bis ins letzte nachvollziehbar - ein schillerndes Vexierspiel, bei dem man sich immer wieder fragen kann, was davon er jetzt ist, und was nicht.
Deutlich ist der Roman auch eine Hommage und Anlehnung an

Vladimir Nabokov: Lolita
, das ich folgerichtig gerade lese. Die ebenfalls schriftstellernde männliche Hauptfigur, hier zugleich Ich-Erzähler, sieht sich naturgemäß kaum kritisch, kommt daher in der Darstellung weit besser weg als Kempowskis beschädigter 'Held'. Spannend an Lolita ist gerade diese Perspektivierung, die erst spät im Roman und nur gelegentlich eingestreut Lolitas Sicht wiederspiegelt, die eben nur sehr bedingt als Verführerin, in jedem Fall aber als Kind und Opfer von Vergewaltigung und jahrelanger Entführung gesehen werden muß, wie auch immer der Ich-Erzähler sich das schönredet. Eine ziemlich eklige Psyche also, auf die man sich hier einläßt, dabei glänzend erzählt, auch stark assoziativ und weniger pornographisch, als ich erwartet hätte (natürlich entsprach der Skandal darum auch den USA der 50er...)

Ipsissimus
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Di 20. Jul 2010, 12:37 - Beitrag #306

"Josef und seine Brüder" habe ich leider noch nicht gelesen, dafür den "Dr. Faustus", in dem ich bisher den Gipfel Mann´scher und letztlich deutscher Sprachbeherrschung sehe (und der gerade für Musikwissenschaftler noch einige echte Bonbons bereit hält). Steht beides auf der Agenda für das nächste halbe Jahr^^

Lykurg
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Di 20. Jul 2010, 13:12 - Beitrag #307

Doktor Faustus mag ich auch sehr gern, aber Joseph ist von der Sprache her noch ein Stück genialer (wenn man das überhaupt steigern kann) und greift naturgemäß auch ideengeschichtlich wesentlich weiter aus als Faustus, der mich passagenweise ein bißchen an Pfitzner erinnert. Bild
Das kann ein schönes halbes Jahr werden.

Padreic
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Di 20. Jul 2010, 20:38 - Beitrag #308

Joseph und seine Brüder habe ich vor langer Zeit einmal angefangen und nach ca. 100 Seiten abgebrochen. Die Sprache fand ich in der Tat äußerst bezaubernd; aber der Zauber von der Sprache allein hat mich nicht zu mehr als 100 Seiten getrieben.

Doktor Faustus - da ist meiner Erinnerung die Sprache nach schon deutlich anders. Ich stimme aber vollkommen zu, dass sie einen der vielen gelungenen Aspekte des Romans ausmacht - abgesehen von der Teufelsszene wie ich finde ;). Wie das Kindlein Echo spricht ist z. B. schlicht unglaublich. Sicherlich insgesamt eines der gelungsten und, gerade gegen Ende, auch mächtigsten Werke, die ich bisher gelesen habe...

Gerade bin ich gegen englische Literatur gedriftet und lese 'Jane Eyre'.

Lykurg
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Di 20. Jul 2010, 20:48 - Beitrag #309

Naja, es ist ja nicht nur die Sprache, auch die Ideen, zum Beispiel die Brunnenmetapher, die er durch den ganzen Roman zieht, das zyklische Geschichtsbild (stellenweise unheimlich ironisch dargestellt, etwa die 'fürsorgliche' Behandlung der Sklaven unter Joseph, oder das Zwangsläufige des Bruderfrevels) und überhaupt die Neueinkleidung der biblischen Mythen in das Gewand, das ihr eigentlich zukommt, das des genau berichteten Ungefähren.

Inzwischen habe ich Lolita durch und gerade angefangen mit

Leonie Swann: Garou. Ein Schaf-Thriller
(Nachfolgeband von Glenkill, das mir enorm gut gefallen hat)

Padreic
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Mi 21. Jul 2010, 00:04 - Beitrag #310

Das glaube ich dir ja alles gerne, Lykurg, aber ich denke, dass mein Geist nicht der richtige dafür ist, das zu würdigen.

Lykurg
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Mi 21. Jul 2010, 01:05 - Beitrag #311

Ich denke schon, daß er der richtige ist (welcher, wenn nicht der deinige?), aber es braucht vielleicht noch etwas Zeit und vor allem innere Ruhe. Im Prolog meint der Erzähler ja selbst, es zu lesen, sei eine Reise, die nicht in siebzehn Tagen, auch nicht in sieben Wochen zu bewerkstelligen sei. Probiere es doch in ein paar Jahren noch einmal (es müssen ja nicht gerade siebzehn und sieben sein). Die Figurensprache von Nepomuk, ja - das findet klar seine Parallelen, darüber hinaus wird die Sprachfähigkeit zum Thema. Joseph enthält ein paar Dialogszenen, die zu den dichtesten und stärksten Argumentationsketten gehören, die mir bisher so untergekommen sind.

Ich habe gerade die Hörbuchfassung neben mir liegen (Gert Westphal) - kaum zu glauben, daß das (30 CDs, 36 Stunden) ungekürzt ist.

Ipsissimus
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Mo 26. Jul 2010, 10:05 - Beitrag #312

Jakob Arjouni
Ein Mann, ein Mord
Diogenes, 1993

Arjouni ist mit seinen Kayankaya-Romanen ein Kleinod des deutschen Krimis gelungen, auf einer small scale meines Erachtens absolut vergleichbar mit einschlägigen Dürrenmatt-Romanen.

Kayankaya, dieser türkisch-stämmige deutsche Privatdetektiv, vereint Züge von Kommissar Bärlach, Philip Marlowe und einem depressiven Bulldozer. Von den meisten Türken nicht anerkannt, von den meisten Deutschen verachtet, verbeißt er sich im Großraum Frankfurt bei seinen wenigen Aufträgen immer wieder in die Fallstricke des organisierten Verbrechens, kommt korrupten deutschen Beamten genauso auf die Spur wie internationalen Menscherschlepperbanden oder dem kleinen Mord nebenan.

Keine ganz große Literatur, dafür reicht die sprachliche Virtuosität nicht, und durch die Beschränkung auf den Frankfurter Raum bleibt das Szenario sich auch immer gleich. Davon abgesehen bieten die mittlerweile 8(?) Bände enorm witzige, stets melancholische und in jedem Fall vergnügliche und hochintelligente Lektüre für jeden, der bei Krimis neben den kriminologischen Details auch Innenansichten der deutschen Gesellschaft nicht scheut. Und Arjouni unterlässt dabei, im Gegensatz zu Dürenmatt, den moralischen Zeigefinger.

Ipsissimus
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Fr 30. Jul 2010, 11:46 - Beitrag #313

noch ein paar ältere Trivia ausgepackt

Stieg Larsson

"Millenium Trilogie"

- Verblendung
- Verdammnis
- Vergebung


ach ja, seufz^^ wirklich schade, dass Larsson danach gestorben ist. Absolut ebenbürtig mit Mankell in seinen besten Romanen und zumindest in Sichtweite zu Nesser. Vielleicht kommt trotz des ganzen Nachlass-Hickhacks ja doch noch ein vierter Band, seine Lebensgefährtin hat dies zumindest als möglich angedeutet.


Hakan Nesser

Kim Novak badete nie im See von Genezareth

ich bete Kommissar van Veeteren ja an, aber dieser Roman, mit dem die Nach-van-Weeteren-Ära Nessers begann, ist einfach immer wieder unvergleichlich^^

Die Geschichte des des Ich-Erzähler beginnt in dessen früher Kindheit und deckt etwa 50 Jahre ab. Er begeht als Vierzehnjähriger einen Mord. Dieser Mord ist nach Ursache und Motiv völlig plausibel und aus der Situation heraus unvermeidbar. Wie er der Polizei entkommt, wie sein gesamtes Leben allerdings innerlich unabweisbar auf diesen Mord bezogen bleibt und wie er trotzdem glücklich wird - unglaublich faszinierend.


Janwillem van de Wetering

Der Commissaris fährt zur Kur

Ein alter angeschlagener Kommissar sollte eigentlich in Österreich in einem Heilbad weilen. Stattdessen ermittelt er auf seine eigene ungewöhnliche Art, vor Ort im Viertel, dem Rotlich-Bezirk von Amsterdam, bei den "Schwarzen" (wie sie von den Ermittlern genannt werden), die in den scheinbar (aber wirklich nur scheinbar) toleranten Niederlanden ihr Leben führen.

Auch Voodoo ist ihm nicht unbekannt und Onkel Wisi zeigt ihm, wie es geht^^

Ein faszinierender Roman um den Commissaris, dem Kommsissar, der ein Zenmeister sein könnte^^

(wenn man sich für die Commissaris-Romane interessiert, sollte man allerdings nicht mit diesem anfangen, das ist einer der späten)

Maglor
Karteizombie
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So 1. Aug 2010, 22:58 - Beitrag #314

Hermann Hesse: Das Glasperlenspiel
Eine Merkwürdige Fiction frei von Science und doch geht um dieses denkwürdige Spiel, welches ich vielleicht unebdingt lernen sollte, um der Welt ganz und gar zu entrinnen.

Bald bin durch und damit vielleicht endgültig ein Geisteswissenschaftler, wenn auch kein Kastalier, sicher aber einer jener unglücklichen Geistmenschen. :(

Ipsissimus
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Mo 2. Aug 2010, 10:24 - Beitrag #315

ach, ich empfand Joseph Knecht als gar nicht mal so unglücklich, und sogar mit einem ausgesprochen glücklichen Ende gesegnet^^


Heinrich von Kleist
Prinz Friedrich von Homburg
oder die Schlacht bei Fehrbellin. Ein Schauspiel
Suhrkamp Basisbibliothek, 5 Euro

ach ja, seufz ...^^ wie erzähl ich´s meinem Kinde^^

es waren einmal zwei junge Menschen, Friedrich - der immer nur Arthur genannt wurde - und Natalie. Und weil sie jung und verliebt waren, hätten sie eigentlich jede Menge Spaß miteinander haben können. Leider waren sie aber nicht nur jung und verliebt, sondern auch noch Adlige und lebten in einem - der Phantasie seiner Dichter nach zu urteilen - ausgesprochen naiven Zeitalter, in dem es - wiederum der Phantasie seiner Dichter nach zu urteilen - weniger darum ging, Spaß und Freude mit- und aneinander zu haben, sondern als Projektionsfläche für ungemein erhabene Gefühle zu dienen. Oder auch abgründige, je nachdem. Jedenfalls unendliche und ewige.

Dann gibt es noch den großen Kurfürsten, und wie bei den meisten Großen ist auch bei ihm Größe über die Länge seines Schwa ... pardon, die Anzahl seiner Kanonen und Soldaten definiert, und in dem Zusammenhang hatte er als lokale Macht wohl gerade einen der längs ... die meisten Soldaten. Und Kanonen. Und so verbrachte er seine Zeit, selig lächelnd, damit, sein Kanonenfutter zu verheizen, was alle die furchtbar edlen Damen und Offiziere in seiner Gefolgschaft ganz toll fanden, zumal sie selbst den Feind meist gar nicht oder nur von weitem zu Gesicht bekamen.

Friedrich, den alle nur Arthur nannten, war da keine Ausnahme; sein Problem bestand nur darin, dass er außer verliebt auch noch ein Traumtänzer war, und so bekam er in entscheidender Situation die Order des Alphawölfchens nicht mit, sich ein bisschen beim Kanonenfüttern zurückzuhalten, solange, bis das Wölfli die Order gab. Was folgte, gilt wohl als klassisch: Friedrich Arthur brach als General der Reiterei die Order in entscheidendem Moment, gewann dadurch letztlich die Schlacht für seinen Fürsten und landete vorm Kriegsgericht, weil er den Befehl eines absolutistischen Herrschers missachtet hatte, der sich dadurch in seiner Ehre als Feldherr und Stratege gekränkt sah, das Todesurteil als klare Folge.

Das Weitere - die Auseinandersetzung zwischen dem Kurfürsten und dem Prinzen einerseits und dem Kurfürsten und den restlichen Offizieren, die auf der Seite des Prinzen stehen, andererseits - ist womöglich noch hirnrissiger als das Bisherige: nachdem er kapiert hat, dass es dem Alten ernst damit ist, suhlt sich - glücklicherweise in Abwesenheit von Natalie - Arthur Friedrich erst mal, erhabene Gefühle hin oder her, in Todesfurcht, was wiederum den Kurfürsten "irritiert"; dessen Rückfrage beim Verurteilten, ob der das Urteil etwa als ungerecht empfinde, läutet dann die große Läuterung ein. Aber um es kurz zu machen, der Prinz wird zuguterletzt begnadigt, formal, weil er was einsieht, tatsächlich, weil der Kurfürst keinen Aufstand seiner Stabsoffiziere riskieren wollte. Alle haben sich am Ende wieder ganz toll lieb, schwelgen in erhabenen Gefühlen von größtmöglicher Abgehobenheit und sind geläutert. Und weil sie nicht gestorben sind, bekommt der Prinz möglicherweise auch noch seine Natalie, aber Teil 2 des Stückes blieb uns dankenswerterweise erspart. Möglicherweise sind beide zuletzt aber auch zu geläutert füreinander, es wird nicht ganz deutlich, ob sie nur noch schwelgen oder auch noch sowas wie wirkliches Leben im Kopf haben.

Versteht mich nicht falsch^^ das ist tolle Literatur und enorme Sprachbeherrschung. Aber ich bringe es nicht übers Herz, das Welt- und Menschenbild, das Kleist darin offenlegt, auch nur ansatzweise ernst zu nehmen. Ja, das ist 200 Jahre her. Trotzdem^^ Kleist schmiert da eine Gefühlsdümmlichkeit aufs Brot, die unerträglich ist, allen guten Absichten zum Trotz. Dass das zugrundeliegende Weltbild auf der vollständigen Bejahung des Absolutismus beruht, mag ich da schon fast gar nicht erwähnen, das Triefende dieses Dramas wäre in jedem Kontext unerträglich. Irgendwie ist mir völlig klar geworden, dass und warum Kleist im Selbstmord enden musste^^ an der eigenen Erhabenheit erstickt

Mein Deutschlehrer würde mir für so eine Analyse eine sechs gegeben und mich verbal ungespitzt in den Boden zu rammen versucht haben^^ Völlige Verkennung der Absichten und Ansichten Kleists, mangelnder Respekt, Größenwahn und so^^ Es steht zu befürchten, ich würde ihn danach auch nicht mehr ernst genommen haben^^

Traitor
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Mo 2. Aug 2010, 19:51 - Beitrag #316

"Erhabenheit" im schillerschen Sinne? Wenn ja, kriege ich die nicht so recht mit "Gefühlsdümmlichkeit" überein, habe ich sie doch eher als etwas rationales verstanden, eher "austere" als gefühlig. Wenn "Entrücktheit" aber ein halbwegs akzeptables Synonym wäre, verstünde ich vermutlich, was du meinst. Geht es in die Richtung?

Und so, wie du es beschreibst, klingen gewisse satirische Aspekte an (die Kanonenfütterei) - sind die Teil des Werkes, was wohl zu seiner Ehrenrettung beitragen könnte, oder nur Teil der kritisierend-interpretierenden Zusammenfassung?

Auf jeden Fall sehr amüsante Metalektüre. ;)


Eigenes Wblig: Zuletzt nur irgendwas vergessenes (SF? Hm....) und Pratchetts "Small Gods", ansonsten Zeitschriften.

Lykurg
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Mo 2. Aug 2010, 22:51 - Beitrag #317

Die von Ipsissimus kritisierte Kanonenfütterei wird im Werk kein Stück thematisiert, nein. Schon das Personenverzeichnis spricht in der Richtung eine deutliche Sprache - die einzige Figur, die nicht von Adel ist, ist "ein Wachtmeister" (die letztgenannte Nebenrolle). Bild Entsprechend wird nach der großen Schlacht - die etwa wie ein Feuerwerk beschrieben wird - auch nur ein einziges Opfer erwähnt, der Stallmeister des Kurfürsten, um den der Hof daraufhin fürstlich trauert.

Ja, Kleist war ein großer Träumer, und mit einer realistischen Darstellung gesellschaftlicher Zustände oder auch nur inneren Befindlichkeiten der Zeit hat das wohl ähnlich wenig zu tun wie sein Käthchen mit dem Mittelalter oder Penthesilea mit der Antike. Darum geht es ihm auch nicht; Kleists Figuren scheitern mit einiger Regelmäßigkeit an der gefühlten Unvereinbarkeit ihres naiven Idealismus mit einer rationaler agierenden Gesellschaft - die allerdings natürlich nicht als Lösung dargestellt wird, sondern im dysfunktionalen Ungefähren bleibt. Eine Lösung für die Probleme, die der Prinz von Homburg schon auf dramaturgischer Ebene aufwirft, ist nicht so einfach zu finden.

Ipsissimus
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Di 3. Aug 2010, 00:46 - Beitrag #318

sie, die Kanonenfütterei, wird nicht explizit thematisiert, sie ist nur implizit gegenwärtig in den Schlachtszenen, wenn z.B. "der Wrangel aus 12 Feuerschlünden auf den Hennings einwirkt" - 12 Kanonen gegen nur eine Person wären ein bisschen überzogen^^. Und sie ist implizit allgegenwärtig in der Wertegewissheit all dieser adligen Personen, die berufen sind, sich zumindest so fühlen, Kriege zu führen.

Ob es dieses "dysfunktionale Ungefähre" aber das der Gesellschaft, oder das des Kleist ist, dazu hege ich allerdings doch eine nachdrückliche Ansicht, Lykurg^^ alle diese hohen und höchsten Wahrvorstellungen, die er in seinen Gefühlen ahnungsvoll beschwört, sind wohl eher Ausdruck seiner eigenen Verstörtheit als der Gestörtheit seiner Gesellschaft - die wahrhaftig gestört genug war. Aber dahin dringt er ja gar nicht erst vor. Und eine Lösung der dramaturgischen Probleme ist eigentlich sehr einfach. Man darf dabei nur nicht versuchen, das Stück retten zu wollen.

nein, nicht im Schillerschen Sinne, Traitor, aber dazu mehr morgen. Jedenfalls hat Kleist nicht im Geringsten eine Satire im Sinn, er ist von "tödlichem Ernst" erfüllt^^

Lykurg
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Di 3. Aug 2010, 10:25 - Beitrag #319

Zwar ist klar, daß zwölf Kanonen für eine Person etwas viel sind, auch sonst wird immerhin vereinzelt von den Reitern gesprochen, aber generell stehen die Kommandanten absolut stellvertretend für ihre Heere. Entsprechend ist die zentrale Kategorie der Gehorsam: der der Heere zu den Heerführern scheint so absolut zu sein, daß man sie in eines setzen kann, dagegen ist der des Prinzen problematisch. Die Gegenkomponente zum Gehorsam ist der militärische Sieg - zwischen diesen beiden Punkten spielt sich das Stück ab, wenn man die verträumten und amourösen Passagen abzieht^^, an Verluste an Menschenmaterial wird jedenfalls kein Gedanke verschwendet. Aus dem Stück wird auch nicht deutlich, daß dieses Fehlen irgendwie beabsichtigt sei - höchstens die Prinzessin Natalie drückt mit ihrem "Ein schlechtrer wäre noch der Tränen wert" den Ansatz weitergehender Trauerbereitschaft aus, der aber nicht weiter thematisiert oder realisiert wird. (Gibt es denn keine 'schlechteren' Opfer?)

Kleist hat darauf offenbar weniger Wert gelegt als etwa Schiller oder Lessing. Wesentlich mehr Perspektive des 'Kanonenfutters', wenn auch eher als Kolorit denn als realistische Darstellung, bietet Wallensteins Lager; mehr Farbe haben auch Just und Paul Werner in Minna von Barnhelm, hier sind auch mehr Ansätze zur Verlustproblematik zu erkennen (Witwenversorgung etc.) - damit verglichen ist der Prinz von Homburg ein Ideendrama mit etwas verschwommener Idee. Bild Nein, ich halte ihn auch nicht für sein stärkstes Werk, das ist für mich klar der fürchterliche Kohlhaas - aber auch der zerbrochene Krug ist von seinen Ideen her reifer (wird nur als Komödie naturgemäß nicht ernstgenommen).

Ipsissimus
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Di 3. Aug 2010, 13:02 - Beitrag #320

ja, natürlich stehen die Kommandanten für ihre Heere; gerade deswegen erachte ich ja das Wort vom Kanonenfutter für berechtigt. Dass im Einzelfall auch ein Offizier stirbt, kann zwar nicht im Rahmen des Stücks, aber im realistischen Szenario für bedeutungslos gelten, wo auf einen solchen Offizier hunderte von einfachen Soldaten verrecken. Man weiß, wie in jenen Zeiten Schlachten ausgefochten wurden.

Ich kritisiere übrigens die Kanonenfütterei nicht, ich stelle nur fest, dass sie vorhanden ist, im anscheinenden Gegensatz zur Oberfläche der Handlung, bei der man den Eindruck erhalten könnte, die abgehandelten Situationen seien in ethischer Hinsicht tatsächlich diskutabel. Es handelt sich in Wirklichkeit um berufsbedingte Bösartigkeit der handelnden Personen, die da um der verfolgten Ziele willen in äußerster Gleichgültig gegenüber dem Schicksal ihrer Leute agieren. Das wollte ich nur herausstellen. Diese Adligen sind nicht edel, sie sind einfach nur mächtig^^

Auch glaube ich, dass der zentrale Konflikt nicht der zwischen Gehorsam und Ungehorsam ist - es wäre meines Erachtens verkehrt, dem Prinzen vorsätzlichen Ungehorsam vorzuwerfen. Der zentrale Konflikt ist der zwischen zwei Visionen - des Kurfürsten, der von einem Sieg träumt, in dem sich alle seine Pläne und Vorkehrungen aufs Beste erfüllen und bewahrheiten, und des Prinzen, der mit dem Herzen entscheidet, wann er angreift und wann nicht. Formal ist das natürlich Gehorsam versus Ungehorsam, psychologisch treten aber zwei fundamental verschiedene Auffassungen zum Wert von Rationalität und Gefühl gegeneinander an. Und um diesen Umstand herum ist ja auch die Lösung des Konflikts gebaut: erst in dem Moment, in dem der Kurfürst das Gefühl hat, der Prinz habe ein Einsehen, kann er ihn guten Gewissens begnadigen - ob er sich darin nicht getäuscht hat, bliebe noch zu klären, denn abgesehen vom Strafmaß liegt der Kurfürst meines Erachtens mit seiner Einschätzung der Person des Prinzen völlig richtig. Immer natürlich vorausgesetzt, man nimmt die Prämissen für den ganzen Mist ernst, was ich nur um der Diskussion willen tue^^

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