Welches Buch lest ihr gerade? (II)

Die Faszination des geschriebenen Wortes - Romane, Stories, Gedichte und Dramatisches. Auch mit Platz für Selbstverfasstes.
Lykurg
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Di 3. Aug 2010, 13:36 - Beitrag #321

Gemäß der Logik des Umgangs mit Einheiten würde ich annehmen, daß der Tod einer größeren Anzahl von Soldaten seitens des Kurfürsten erst dann zur Kenntnis genommen wird, wenn der der Offizier fällt und damit etwa "die Einheit Hennings" aufhört zu existieren. Bedauert wird daran dann der persönliche Verlust des geschätzten Offiziers und der rein strategische Verlust einer militärischen Einheit.
Man weiß, wie in jenen Zeiten Schlachten ausgefochten wurden.
Ja, man weiß es heute und man wußte es damals, daraus geht aber nicht hervor, ob das Publikum damals im Zusammenhang des Stückes darüber nachdachte, und ob der Autor wollte, daß es darüber nachdenkt. Ich bezweifle es massiv, meines Erachtens handelt es sich dabei nicht um eine Absicht des Stückes, auch wenn eine moderne Interpretation und Inszenierung kaum umhin kann, sich auch damit auseinanderzusetzen.

Richtig, ohne die Prämissen ernstzunehmen, ließe sich kaum darüber diskutieren. Ich wollte auch nicht behaupten, daß der Prinz vorsätzlich handelt, sondern im 'idealistischen' Überschwang, psychologisierend vielleicht auch durch den Streß seines Kommandos und dieser unerwartet verlaufenden Schlacht veranlaßt wird, dem Befehl zuwiderzuhandeln. Und tatsächlich will Kleist sehr sichtbar auf das Gegeneinander von Verstand und Gefühl hinaus, wie die anfänglichen Charakterisierungen von Prinz und Kurfürst zeigen, rein formal handelt es sich aber um einen Ungehorsam, dessen Sanktionierungsbedarf diskutiert wird. Dabei kommt dann auch beim Fürsten das Gefühl zum Tragen, abgewogen mit der verstandesmäßigen Verpflichtung gegenüber dem Gesetz bzw. gefühlsmäßig dem Vaterland.

Ipsissimus
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Mi 4. Aug 2010, 11:39 - Beitrag #322

es ist allerdings auch eine banale Erkenntnis, dass die Rezeption eines Werkes nicht notgedrungen entlang seiner Prämissen erfolgen muss; eine Metakritik kann auch dann zu gültigen Einsichten führen sein, wenn sie sich nicht auf die Grundlage dieser Prämissen stellt. Natürlich wäre es gegenstandslos, Kleist und anderen Autoren jenes kriegsverherrlichenden Zeitgeistes Kriegsverherrlichung und dergleichen vorzuwerfen - es ist nicht jeder ein Büchner; selbige nicht zur Kenntnis zu nehmen, hieße für uns heutige aber trotzdem, blind gegenüber bestimmten impliziten Aspekten des Werkes zu sein.

Traitor, möglicherweise ist Erhabenheit nicht der richtige Begriff, was ich meinte geht stark in Richtung "Dünkel". Allerdings begründet sich dieser Dünkel anhand der angeblichen Erhabenheit der Situationen und der Handlungen, obwohl es sich dabei im Kern um gemeines - heute würde man sagen: triviales - Töten handelt. Das heißt, die im Drama nur implizit vorliegende Diskrepanz zwischen dem Erregtheitsgrad sich selbst mit äußerstem Wohlwollen betrachtender, bedeutungszuweisender Gefühle und deren faktisch unappetitlichen, aber unhinterfragten Anlässen, erachte ich als Indiz dafür, dass Kleist realiter an Erhabenheit erstickt ist. Das Verhältnis zwischen Anspruch und Realität war für ihn wohl derart deprimierend, dass er den Anspruch nur durchhalten konnte, wenn er das Ende so schnell wie möglich herbeiführte.

Lykurg
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Mi 4. Aug 2010, 12:12 - Beitrag #323

Die Rezeption eines Werkes erfolgt völlig unabhängig von seinen durch Analyse zugänglichen Inhalten. Bild - Genau das meine ich ja mit der notwendigen modernen Auseinandersetzung mit dem Werk - da das Werk als Teil seiner Zeit zu verstehen ist, deren Differenz zu unserer offensichtlich ist (bzw. wo sie es erst auf den zweiten Blick erscheint, sichtbar gemacht werden mag). Spannend ist dann jeweils die Abweichung des Autors vom herrschenden Zeitgeist, wie du es zu Recht für Büchner anführst. Das gilt in beiden Richtungen, man könnte sich daher Gedanken machen, inwieweit Kleist ins andere Extrem fällt (jedenfalls mit Schiller und Lessing verglichen, soweit das geht; aber das waren ja auch andere biographische und auch geistesgeschichtliche Hintergründe).

Ipsissimus
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Do 5. Aug 2010, 11:34 - Beitrag #324

David Foster Wallace
Unendlicher Spaß
Kiepenheuer & Witsch Verlag; Auflage: 1., Auflage (24. August 2009)

der Kleist war eigentlich nur eine Unterbrechung für den Wallace, der auf 1646 Seiten daherflutet, von denen angeblich keine auch nur einen müßigen Satz enthält^^ bis jetzt habe ich 500 Seiten geschafft, Zeit für eine Zwischenschau. Ich mache es mir allerdings einfach und zitiere eine Amazon-Besprechung des Users Leseratte99, die in subtiler Form alle Warnungen enthält, die auch ich einem potentiellen Leser aufgrund der bisherigen Lektüre mitgeben würde^^

Für jede Frage, die Sie mit Ja beantworten können, erhalten Sie 1 Punkt:

a) Bei einem Roman schätze ich am meisten treffende Wendungen, die eine Situation, eine Landschaft oder ein Gesicht beschreiben - dies alles möglichst mit der Meisterschaft, wie man sie nur von alten Haiku-Meistern kennt.
b) Ich kann gut damit umgehen, wenn ich einen Autor lese, der über geradezu enzyklopädisches Wissen verfügt und davon rege, gezielt, manchmal aber auch redundant Gebrauch macht.
c) Das Fremdwörterbuch ist mein Freund.
d) Ein Endnoten-Apparat gehöhrt zu jedem modernen Roman.
e) Ich werde nicht gleich selbst depressiv, wenn es den Romanfiguren meist eher mies geht und sie sich selber und gegenseitig das Leben schwer machen (dauernd, ohne Ende).
f) Superrealistische Schilderungen von Erkrankungen oder Suchtproblemen stossen mich nicht ab, sondern wecken mein Interesse.
g) Auch Abhandlungen über Hornhäute, Hypersalivation, Erbrechen, pädophile Aktivitäten nach durchzechter Nacht, etc. können mich nicht schrecken.
h) Ich finde ein Roman darf durchaus die ganzen gesellschaftlichen Gepflogenheiten, das politische, wie das wirtschaftliche System über mehere 100 Seiten hinweg durch den Dreck ziehen - schliesslich ist es ja angebracht und Hauptsache: gut gemacht.

Hand aufs Herz, wenn Sie nicht mindestens auf 5 Punkte kommen, rate ich Ihnen vom Unendlichen Spass dringend ab. Ansonstens lesen Sie weiter und geniessen gleich vier Amuse-Bouche, frisch vom Herd des Chefs:

- "Er verfügt über jenen seltenen spinalen Sinn für die Schönheit des Gewöhnlichen, den Mutter Natur nur jenen gewährt, die das Gesehene nicht in Worte fassen können."

- "... im Sprechzimmer seltsam scharf, rein und süss gerochen, das olfaktorische Äquivalent von Neonlicht."

- "Wenn man auf einem belebten Stadtgehweg die Augen schliesst, klingen die Schritte all der Leute in ihren verschiedenen Schuhen zusammengenommen, als würde etwas von etwas Riesigem und Unermüdlichem und Geduldigem gekaut."

- "Das Fensterlicht im Zimmer verdunkelt sich zu dem Kaopectate-Ton, der schon immer die Kurz-vor-Sonnenuntergang-Tageszeit gekennzeichnet hat, ..."

Wer kennt im deutschen Sprachraum denn schon Kaopectate? Ich jedenfalls musste eine Website suchen, auf der man Bilder von Tabletten und Pillen findet, um mir den Kaopectate-Ton vergegenwärtigen zu können. Es hat sich gelohnt - Kaopectate wird oder wurde in der Darreichungsform durchscheinender Gel-Pillen von orange-bräunlicher Farbe verkauft - ... da kommt tatsächlich Abendstimmung auf.

Folgende Fragen sollten Sie mit einem herzhaften Nein beantworten können, sonst besteht die Gefahr, dass "Unendlicher Spass" für Sie nichts neues bereit hält (der Schwierigkeitsgrad steigt von Frage zu Frage leicht an):

Wussten Sie schon, dass ...

1) es Leute gibt, die sich so tief in die us-amerikanische Fernsehserie M*A*S*H verbeissen, dass selbst manische Wetten-Dass-?-Zuschauer noch etwas lernen könnten? (...)
2) das harmlos klingende Demerol eigentlich ein synthetischer Morphinersatz der Einstufung K-II, oder noch genauer Meperidinhydrochlorid ist? (Anmerkung 189, etwas populärwissenschaftlicher auch in Anmerkung 12)
3) Plutonium-239 schliesslich der Abfallfraktion UF4 beigemischt wird, die von Montpellier hochgepumpt wird? (823)
4) auch Sie bei einem Eschaton-Game froh wären, einen super Lobber (Tennis) auf Ihrer Seite zu wissen? (...)
5) Anmerkung b zu Anmerkung 39 nur wieder auf Anmerkung 304 verweist, worin wir auf zehn eng bedruckten Seiten u.a. den lang ersehnten Verweis (5) auf ein "Sektenbestimmungsbuch in Stichworten" erhalten? (1515)


Worum drehen sich denn die 1545 Seiten, 388 Anmerkungen, bzw. die 1480 Gramm Papier?

Wenn man früher mal menschliche Wärme mit einer aromatisch duftenden Pizza aus dem Steinofen hätte vergleichen können, dann hat man es aus Wallace' Perspektive heute wohl eher mit einem billigen Aldi-Fladen zu tun, der lieblos in der Mikrowelle zu einem bleichen, gefrierbrandigen, namenlosen Etwas aufgetaut wurde. Wallace gerät nun wirklich nicht unter den Verdacht irgendetwas schönreden zu wollen - wohltuend ist aber, dass kaum je etwas direkt angeprangert wird, die Figuren sprechen aus sich heraus und disseminieren (Fremdwörterbuch ist mein Freund) nicht einfach in Sprechblasen die Botschaften des Erzählers.

Während es in vielen Romanen sicher um Gefühle, Enttäuschungen, Liebe, Sex, Umweltprobleme und Erfolg geht, engt sich im Unendlichen Spass das Sortiment doch etwas ein. Natürlich kommen die heute gängigen Topoi auch alle irgendwie vor, doch der Fokus liegt auf: Drogen, dann nochmal Drogen, der Beschaffung von Drogen, dem Entzug von Drogen, dem Sprechen darüber, wie man an Drogen kaputt gegangen ist, dem cold turkey, dem Alltagsgebaren von Drogenabhängigen, die in der Meinung irren, sie hätten es noch im Griff, dem Alltag von ehemaligen Drogenabhängigen und aktuell Drogenabhängigen im sogenannten Ennet House, den Anonymen Alkoholikern und ihren Weisheiten, die zwar keine sind, aber dennoch geglaubt werden sollten, denjenigen die schon seit vielen vielen Jahren clean oder trocken sind und gerade deswegen irgendwie noch verrückter wurden, den total durchgeknallten Kanadiern, die sich in ihren Rollstühlen gegen die USA verschwören, ja die ganze O.N.A.N. mit letaler Unterhaltung überziehen wollen, die seinerzeit noch der verrückte Storch, alias Er Selbst, alias J.O.I. ausgebrütet hat. Wir erfahren von einem, der sich in seinem Wahnsinn darauf spezialisiert hat, jeweils ca. um 22:25 die Haustiere anderer Leute aufzuschlitzen und dies eigentlich nur, weil es ihm langsam zu monoton geworden ist, immer nur Katzen in einen Müllsack einzutüten.


Man muss das Buch einfach lieben oder hassen. Man wird abgestossen oder hineingesogen, man beginnt darin zu leben, gemütlich wird einem dabei nicht, aber man beginnt sich zu fragen, ob man die Welt nicht doch einen Tick mehr so sehen sollte, wie Wallace das getan hat. Und warum hat er es so gesehen? Es gibt keine konstruktive Kritik, es gibt keine Polemik oder Satire - denn die haben wahrscheinlich längst abgewirtschaftet; es gibt bittere Anekdoten über die Angehörigen von Figuren, schreckliche Zwänge, es gibt die Anmerkungen, die glatt als Pharmalexikon durchgehen können.

Es kann in diesem Roman vorkommen, dass sich ein Teenager deutlich mehr für die mathematischen Implikationen eines herunterfallenden Möbelbeschlags interessiert als für den staub-allergischen und fast tödlichen Anfall seines Erzeugers, nur wenige Zeilen vorher. Ein Spannungsbogen, der den ganzen Text überstreicht, damit wir als Leser dranbleiben, um quasi mit einer Karotte vor der Rübe durch diesen Folianten zu waten? Fehlanzeige. Figuren tauchen oft von dort auf, wo sie bald darauf wieder abtauchen: dem Nichts. Wer aber schon mal wissen wollte, wie sich eine ausgewachsene Depression von innen anfühlt, kommt ab Seite 99 bis 114 auf seine Rechnung. "... alles klingt scharf, ja, stachelig und scharf, als hätte alles, was man hört plötzlich Zähne." ... "Als wäre jeder Zelle und jedem Atom oder jeder Gerhinzelle oder was weiss ich so schlecht, dass sie kotzen will, aber nicht kann ..." Die Beschreibung der Depression von Kate Gompert ist brillant.

Ferner geht es um einen S.C.H.M.A.Z., also ein übernatürlich schönes Mädchen, das bei einem Säureangriff so richtig die Karte umdekoriert bekommt (sie hat noch Glück, dass sie nicht gleich völlig entkartet wurde), obwohl die Säure eigentlich ihrem spinnerten Dad gegolten hätte und sie dadurch ev. sogar noch schöner geworden ist, also sie eh schon war. Aber so ganz klar wird das nie und David F. Wallace können wir nicht mehr fragen, da er am 12. September 2008 im Alter von 46 suizidiert hat.

Dann natürlich Philosphie, Intention, Ideologie und die Rafinessen aller nach-joyceschen Bemühungen, die sich nur den Adepten der postmodernen Narrationstheorie erschliessen können. Dazu kann ich dann nichts mehr sagen und verweise nur auf http://www.unendlicherspass.de. Dort tobt der 100-tägige Krieg um das Schattenloch der Transeidetiker, die Anhöhen des Poststrukutralismus, die foucaultschen Kapillarmächte, die psychoanalytischen Resthoffnungen, etc. pp. Amüsant, mit Visualisierungen von Romanfiguren, Örtlichkeiten und Mandelbrotmengen. Hin und wieder finden sich auch geradezu erhellende Passagen (ja, auf dieser Website, wie auch im Buch).

Zu guter Letzt: manchmal habe ich mich gefragt, ob das Original (Infinite Jest) überhaupt an die deutsche Übersetzung von Ulrich Blumenbach herankommt. Danke für das geniale Deutsch.


ich kann nur dazu ermutigen, diese Warnungen ernst - und sich dann dieses phantastische Buch zur Brust zu nehmen^^ nur für Bildungs-Fanatiker, denen der Name der Rose oder das Foucaultsche Pendel zu einfach war, geeignet - oder für Leute, die sich dahin entwickeln wollen^^

Lykurg
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Do 5. Aug 2010, 13:56 - Beitrag #325

Ich hatte bei deren Erscheinen mit Spannung die Rezensionen der Übersetzung gelesen (sie wurde hymnisch gelobt - diese Rezension ist aber wesentlich besser und vor allem offenkundig von mehr Kenntnis des Werks geprägt als das, was ich las) - aber mir wurde schon damals recht deutlich, daß es wohl eher kein Buch für mich ist. Bei Gelegenheit vielleicht mal anlesen, aber da gibt es im Moment noch mehr... Dafür habe ich mir den Nesser geholt, und Arjouni gehört sowieso schon länger zu den von mir besonders geschätzten Autoren.

Ipsissimus
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Mo 9. Aug 2010, 10:42 - Beitrag #326

noch was Kleines zwischendurch, der Wallace entwickelt sich zu einem Halbjahresprojekt^^

Janne Teller
Nichts: Was im Leben wichtig ist.
Hanser, 2. Auflage, Juli 2010

Was hat eine Bedeutung? Der Gebetsteppich eines Moslems? Die Unschuld eines Mädchens? Der Finger eines Gitarre-spielenden Jungen? Der Kopf eines Hundes? Der tote Körper des kleinen Bruders? Das Leben eines Menschen?

Ein 14jähriger steigt aus. Er klettert auf einen Baum und traktiert von dieser "höheren Warte" aus seine ehemaligen Klassenkameraden mit Fragen und Bemerkungen, denen diese noch nicht gewachsen sind, Aussagen wie

"Nichts bedeutet irgendetwas im Leben. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun. Das habe ich gerade herausgefunden."

oder

"Alles ist egal. Denn alles fängt nur an, um aufzuhören. In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben. Und so ist das mit allem."

oder

"Das Ganze ist nichts weiter als ein Spiel, das nur darauf hinausläuft, so zu tun als ob - und eben genau dabei der Beste zu sein."

Seine Mitschüler sind verstört und sie beschließen, Pierre Anthon, so der Name des Jungen auf dem Baum, vom Gegenteil zu überzeugen. In einem alten Sägewerk bauen sie einen "Berg der Bedeutung". Das erste Mädchen muss dafür seine geliebten Sandalen opfern und darf das nächste Opfer bestimmen. Und so wächst der Berg: Werners Tagebuch, Husseins Gebetsteppich, Gerdas Hamster, der Sarg von Elises kleinem Bruder, Sofies Unschuld, der Finger von Johan, die Adoptionsurkunde von Li uvm. Die Kinder werden immer fanatischer und rücksichtsloser, ihre Opfer werden immer "bedeutender". Doch Pierre Anthon lässt sich davon nicht beeindrucken, und nachdem die Presse von der ganzen Sache Wind bekommt, ein großes New Yorker Museum bereit ist, den Berg der Bedeutung für eine irrsinnige Menge Geld als Kunstwerk zu kaufen und die Kinder sich darauf einlassen, lacht er sie aus.

Das Ende ist in mehrerlei Hinsicht tragisch.

Ein Jugendbuch, ganz klar, die Thematik wird weniger reflektiert - und schon gar nicht mit den Möglichkeiten eines Erwachsenen - sondern nur Fragen und Themen von Heranwachsenden dargestellt, die zu beantworten wohl auch manchem Erwachsenen schwer fallen würde.

Teller gibt auch am Ende keine wirkliche Antwort, wenn es nicht als Antwort gelten darf, dass sie zeigt, wie tragisch es endet, wenn mensch in manchen Dingen nicht Fünfe gerade sein lässt, wenn mensch sich zu tief in die Hineingeworfenheit des Menschen in sein Leben verbeißt, zu sehr in den Abgrund starrt, wenn zu sehr und zu gnadenlos mit hartem entweder-oder argumentiert wird, wenn die Schwächen von Menschen zu Katastrophen der Menschlichkeit umgedeutet werden. Das ist keine Antwort, die den Philosophen befriedigt, aber vielleicht die einzige, die jene Menschen, die überhaupt von solchen Fragen bedrängt werden, imstande versetzt, weiter zu leben. Dass solche Menschen in dem Grau, das damit für den Rest ihres Lebens aufgespannt ist, glücklich werden können, ist damit nicht behauptet; es ist, das Ende des Romans weiter gesponnen, auch nicht wahrscheinlich.

Eine vergnüglich-bedrückende Einführung in absoluten Nihilismus, vergnüglich, wenn mensch innerlich bereits weitergegangen ist, bedrückend, wenn mensch die Fragen, die er hegt, sich aber nie eingestanden hat, plötzlich so unverblümt vor sich ausgebreitet sieht.

Lykurg
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Mo 9. Aug 2010, 11:14 - Beitrag #327

Faszinierend an

Hakan Nesser: Kim Novak badete nie im See von Genezareth
, das ich auf deine Empfehlung hin gestern verspeiste, fand ich den extremen Reifungsprozeß des Ich-Erzählers, der, soeben noch Kind, die Liebe seines Lebens findet und für sie (und zur Rettung seines Bruders) tötet, noch bevor er ihr die Liebe zu gestehen wagt.
Nebenbei bemerkt die größte Häufung an Scheißhausaufenthalten*, die mir in Fiktion bislang untergekommen ist.

"der Wallace entwickelt sich zu einem Halbjahresprojekt^^" - Damit wäre Joseph vermutlich verschoben? Bild

Walter Kempowski: Sirius. Eine Art Tagebuch (1990)
K's Tagebuch des Jahres 1983, eingestreut Tagebuchausschnitte der Jahre 1973, 1962 u.a., außerdem Bemerkungen von 1990, dazu die üblichen Zitate aus fremden Biographien, aktueller Lektüre, Fotos etc. - Wichtige Auskünfte zum Entstehen mehrerer Romane, von denen einer, das vor kurzem gelesene "Hundstage", auf den Ereignissen des Sommers 83 basiert: Er hatte zeitweilig sechs Mädchen, wohl ca. zwischen 12 und 20, bei sich zuhause wohnen, zu denen er sich hingezogen fühlt - (Selbstkommentar: "Sexuell bin ich ein total kaputter Typ"). Außerdem ständig Träume von (nie stattgefundenen) Begegnungen mit Thomas Mann.

Giuseppe Tomasi di Lampedusa: Der Gattopardo
(1958)
- besser bekannt als "Der Leopard", die neue Übersetzung (2004?) gibt zwar das Wortspiel des Titels besser wieder, die Entscheidungen des Übersetzers erscheinen aber leider streckenweise wenig sprach- und stilsicher. Der Romananfang ist jedenfalls vielversprechend.

_____
*Begriff bewußt gewählt^^

Ipsissimus
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Mo 9. Aug 2010, 11:35 - Beitrag #328

na ja, mal sehen, ob ich zwei wohl ähnlich beanspruchende Romane parallel bewältige. Den Wallace kann ich nicht am Stück lesen; ob aber in die Unterbrechungen der Joseph hineinpasst, wage ich noch zu bezweifeln^^ damit wäre der verschoben (davon abgesehen, ein halbes Jahr ist vielleicht doch zu viel; ich schätze mal, dass ich in 2-3 Monaten durch bin, spätestens)

Lykurg
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Mo 9. Aug 2010, 21:07 - Beitrag #329

Der Teller klingt übrigens auch äußerst interessant, aber ich glaube, das mute ich mir nicht zu, Verstümmelungen kann ich nämlich ganz und gar nicht ausstehen (finde ich weit schlimmer als die Schilderung eines blutigen Mordes).

Milena
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Do 19. Aug 2010, 14:56 - Beitrag #330

Maskenball der Seele.....
Seelenarbeit mit dem schatten...
zu gerne, würde ich einen reinkarnationstherapeuten in meiner nähe ausfindig machen können.....

Aydee
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Sa 21. Aug 2010, 13:58 - Beitrag #331

Limit
von Frank Schätzing

skurile Geschichte, sofern man über die ersten 100-150 Seiten (kleingeschrieben :)) kommt. im Moment liest es sich als läse ich irgendwie zwei Geschichten, die eine spielt (noch) auf der Erde in China, die andere bereits im All auf einer supertoll modernen Raumstation. Auf dem Cover steht auch noch was von Mond. Mal schaun.

"Beide Geschichten" nett (ja mehr nicht im moment :)), aber ich flipper vor Aufregen was hier so "bahnbrechen und wahnsinnig interessant" (Empfehlung) sein soll, und vorallem wie die beiden Geschichten zusammenkommen. Und wo :)

http://www.stern.de/kultur/buecher/neuer-roman-limit-von-frank-schaetzing-eine-quaelend-langsame-reise-zum-mond-1512740.html

Traitor
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So 22. Aug 2010, 23:22 - Beitrag #332

Fred Hoyle - Element 79

Eine Kurzgeschichten-Sammlung von einem Autor, der primär als Astronom bekannt ist - als Präger des Wortes "Big Bang" und erbitterter Gegner dieses Modells. Die Geschichten in dem Band teilen sich auf in längere, inhaltlich interessante, stilistisch durchwachsene SF einerseits sowie in kurze, eher unmotiviert wirkende Episoden über Alltägliches bis Mystisches von Bergsteigerei bis zu Teufelspakten. Vielleicht also nicht so sonderlich geschickt zusammengestellt, aber aufgrund der SF-Ideen (u.a. unterirdische, Festkörper-Elektrizitäts-basierte Lebensformen auf dem Mars) ganz interessant.

Traitor
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Fr 3. Sep 2010, 19:31 - Beitrag #333

Ray Bradbury - The Illustrated Man

Noch eine SF-Kurzgeschichtensammlung. Am Anfang noch lose durch eine Rahmenhandlung zusammengehalten, wird dieser Vorwand sehr schnell fallengelassen und es gibt einfach Geschichte nach Geschichte. Die sind dafür sehr gut. Nicht von ganz so großer poetischer Kraft wie Bradburys Mars-Chroniken, aber immerhin mit Andeutungen dieser und voller sehr interessanter Ideen: Der Schwerpunkt liegt auf der Einsamkeit des raumfahrenden Menschen, aber es gibt auch einiges anderes. Besonders interessant die Geschichte über den endlosen, in den Wahnsinn treibenden Regen auf der Venus; die über Poe, Shakespeare und andere Autoren "abergläubischer" Werke, die im Exil auf dem Mars leben und sich dort verzweifelt mit ihren Schöpfungen gegen die irdische Vernunft und Verwissenschaftlichung wehren; und die über die kapitalistischen Erdlinge, die die Marsianer per quasi-ankh-morporkianischem "we can rule you wholesale" überwältigen.

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So 12. Sep 2010, 22:11 - Beitrag #334

Inzwischen

Walter Kempowski: Letzte Grüße (2003)

Der alternde Schriftsteller Alexander Sowtschick (dem Leser schon aus 'Hundstage' und 'Heile Welt' bekannt, darüber hinaus gibt es wiederkehrende Figuren aus 'Mark und Bein' u.a.) unternimmt eine Lesereise durch die USA, dabei stets verfolgt von Gedanken an den Tod, Erinnerungen an diverse Frauen und die schriftstellernde Konkurrenz, von der einige prominente Vertreter ebenfalls gerade auf USA-Reise sind ('Deutsche Wochen'). Tragikomischer Roman über die Literaturszene und das Abschiednehmen - er stirbt (ein bißchen sehr überinszeniert) am 9.11.1989 in seinem New Yorker Hotelzimmer, als er gerade die Fernsehbilder vom Mauerfall gesehen hat, überhäuft mit seinem Bargeld, das er gerade zählte, und wird tot aufgefunden von einem Kollegen, dem er hinterherreiste, ohne ihm je begegnet zu sein, und mit dem er dauernd verglichen wurde.

Steffen Möller: Vita Classica - Bekenntnisse eines Andershörenden (2009)

Der deutsche Kabarettist, der in Polen als kartoffeldeutscher Teilnehmer einer Fernsehserie und Moderator u.a. des 'Wetten-daß'-Äquivalents sehr bekannt wurde (auch geschildert in seinem Bestseller 'Viva Polonia') outet sich in diesem Buch als Klassik-Enthusiast und schildert seinen Werdegang als solcher - man kann viele Erfahrungen wiedererkennen, wenn auch deutlich überzogen in seinen Mimikri-Bestrebungen, bloß nicht als solcher erkannt zu werden - die gezogenen Parallelen sind offensichtlich, nicht unbedingt nachvollziehbar, aber jedenfalls in der Darstellung streckenweise sehr lustig. Übrigens ist erstaunlich, daß er nach seinen vielen gescheiterten Versuchen als Kabarettist - die er auf bitterböse Art selbst verreißt - es immer wieder neu versucht hat...

Jakob Arjouni: Ein Mann, ein Mord (1991)

Krimi um den Frankfurter Privatdetektiv Kemal Kayankaya, in diesem Fall Ermittlungen im Frankfurter Rotlicht- und Schleppermilieu um eine verschwundene thailändische Exprostituierte. Arjouni stellt an der Figur Kayankaya vielfältige Formen der Diskriminierung von Deutschen mit Migrationshintergrund trotz vollzogener Integration dar: Quasi als Paradebeispiel ist Kayankaya bei deutschen Eltern aufgewachsen. Die Formen, wie er sich u.a. gegen diverse Beamte zur Wehr setzt und behauptet, sind gruslig bis großartig - einen ganzen Krimi trägt das eben gerade, es handelt sich aber um eine Serie, von der ich vermutlich den nächsten nicht gerade morgen anlesen werde.

Albert Vigoleis Thelen: Die Insel des zweiten Gesichts (1953)

Thelens stark autobiographisch geprägter Roman spielt in den Jahren 1931 bis 1936 auf Mallorca, läßt dementsprechend Zeitelemente in die Handlung, eine etwas kompliziertere Dreiecksbeziehung, einfließen. Vor allem aber ist der Roman das Sprachkunstwerk eines ziemlich verrückten Thomas-Mann-Liebhabers, der zwar eine deutlich einfachere Syntax, aber ein extravagantes Vokabular sein Eigen nennt, gespickt mit glänzenden Ideen und Assoziationsketten - quasi ständiges Feuerwerk, auch viele Metakommentare zum Erzählen. Der erste Teil endet mit der Feststellung, nun würden ihn sicherlich viele seiner Leser verlassen, er schriebe aber für die wenigen, die jetzt dabeiblieben etc. - dementsprechend muß ich jetzt wohl wieder ran. Bild

Traitor
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Sa 18. Sep 2010, 21:15 - Beitrag #335

Zuhause:
Berti Brecht - Der Kaukasische Kreidekreis
In die Sammelausgabe wollte ich schon länger mal wieder reingelesen haben, und da nehme ich mir am besten mal direkt ein Stück vor, das sonst fast jeder kennt. Hinterher die Oper oder die Mutter? Mal sehen.

In der Bahn:
Robert Rankin - Waiting for Godalming
Hatte ich anno 2004 als ersten Rankin auf Deutsch gelesen. Ohne etwas von dem Autor gehört zu haben, hatte ich es primär gekauft, weil es eine Titelseite zum Selberbekleben (Sticker mitgeliefert) hatte. Dann war ich vom Inhalt angemessen irritiert und unterhalten genug, um ein gutes Dutzend weitere Bände zu lesen, und dachte mir nun, den Erstkontakt nochmal auf Englisch zu wiederholen.
Inhalt: der größte Privatdetektiv aller Zeiten (der sich genau an die Genrekonventionen hält, also seine Kapitel in der ersten Person erzählt und niemals außerhalb von Büro, Bar, Seitengasse und Hochhausdach arbeitet, sich andererseits aber auch nicht zu schade ist, Schleichwerbung für Zigaretten- und Alkoholmarken zu machen) untersucht den Mord an Gott (Will dessen dritter Sohn an das Erbe? War es Versicherungsbetrug? Und was sind die Motive der Witwe?), während parallel ein Dieb (ähem, "Relocator") an eine Droge kommt, mit der man Dämonen und Engel sehen kann, und die Machenschaften eines bösen Ministeriums untersucht. Aber vielleicht ist der Detektiv ja doch nur der größenwahnsinnige Bruder des anderen Hauptcharakters...
Das ist für rankinsche Verhältnisse fast noch wenig absurd, macht aber den üblichen Spaß, und ist auf Englisch auch kein seltsamer Stilbrei wie im Deutschen mehr, sondern absichtlicher Stilbrei.

Amy
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So 19. Sep 2010, 22:05 - Beitrag #336

Aktuell lasse ich mich von "Dead Until Dark" unterhalten, dank Charlaine Harris.

Traitor
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Fr 24. Sep 2010, 23:33 - Beitrag #337

F. Scott Fitzgerald - The Great Gatsby

Die Parallelklasse, die das damals als Schullektüre hatte, kam zu sehr gemischten Beurteilungen. Nachdem ihn dann einige hier sehr positiv besprachen, kam er doch endgültig auf die Liste, und jetzt komme ich auch endlich mal dazu. Als Ersteindruck zitiere ich mal Padreic, auch wenn es da um ein anderes Werk des Autors ging:
Zitat von Padreic:Der Wortreichtum ist einmal wieder beeindruckend (und auch teilweise erschreckend, da er Finger in die Wunden meiner Englischkenntnisse legt...)
Auch ich habe mehr Probleme als seit langem bei einem englischen Buch, wobei ich die tendentiell bei amerikanischen auch immer mehr habe als bei britischen. Aber keine wirklich ernsten, und als sehr stark wahrnehmen kann ich die Sprache locker. Zum Inhalt kann ich noch nichts sagen, Long Island und Roaring Twenties sagen mir aber auf jeden Fall schonmal zu.

Ipsissimus
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Do 30. Sep 2010, 10:31 - Beitrag #338

Håkan Nesser
Eine ganz andere Geschichte

btb, Mai 2010 (erste Auflage)

"Håkan Nesser hat in diesem Buch eine interessante Konstruktion entwickelt, die das bietet, was ein Kriminalroman haben sollte: Spannung, Suspense, eine interessante Geschichte, besondere Figuren und immer wieder überraschende Wendepunkte."
(Focus online)

"Ein faszinierender Krimi, intelligent konstruiert, gut geschrieben und mit hervorragenden Charakteren besetzt. Nesser in bester Form."
(Münchner Merkur)

nun ja, die die Verfasser obiger Zitate haben mit einiger Wahrscheinlichkeit ein anderes Buch gelesen als ich. Für mich ist "Eine ganz andere Geschichte" der schwächste Nesser, der mir je untergekommen ist. Ich könnte es auch deutlicher sagen und dann hieße das: eine Leser-Verarschung.

Kurzbeschreibung aus Amazon

"Die Bretagne im Sommer: Ein paar schwedische Touristen verbringen im Finistère ein paar vergnügte Urlaubswochen. Es ist eine zusammengewürfelte Gesellschaft: zwei Paare und zwei Einzelkämpfer, alles in allem sechs Leute, die freizeitbedingt miteinander Freundschaft schließen. Sie baden, sie essen, sie machen Ausflüge und flirten ein wenig über die Ehegrenzen hinweg. Und als die Ferien vorbei sind, trennen sich ihre Wege, wie das ja oft der Fall ist. Übrig bleiben ein paar vereinzelte Fotos, womöglich ein Gruppenbild, das ein oder andere Aquarell – und ein anonymes Tagebuch, das ihre Eskapaden schildert, wie sich später herausstellen wird, als die Tragödie bereits ihren Lauf genommen hat. Denn fünf Jahre später beginnt jemand, sie zu töten, einen nach dem anderen, wobei die Morde Gunnar Barbarotti, Inspektor in Kymlinge, jeweils zuvor brieflich angekündigt werden. Der Fall erregt große Aufmerksamkeit in den Medien, die Polizei steht naturgemäß unter Druck. Der Mörder indes spielt Katz und Maus mit den Ermittlern – und erscheint unbegreiflicher und unberechenbarer als je zuvor. Was ist damals in der Bretagne wirklich passiert? Und warum bekommt ausgerechnet Inspektor Barbarotti die Briefe?"

diese Beschreibung ist einigermaßen okay, wobei allerdings für den Leser tatsächlich schon recht früh, fast auf den ersten Seiten, einige wesentliche Aspekte der Geschichte klar werden, an denen sich auch durch die letztendliche Auflösung nichts ändert. Der springende Punkt ist die Auflösung. Sie erfolgt in einer deus ex machina-Weise - die Ermittler haben absolut keine Ahnung, was Sache ist, sind völlig verwirrt, im Prinzip ist die Ermittlung am Ende und kann genauso gut abgebrochen werden, und plötzlich, einfach so, aus dem Nichts heraus, erzählt dann einer von ihnen die Lösung. Er habe in dem anonymen Tagebuch ein von allen anderen übersehenes Detail gefunden, das ihn auf die Spur brachte.

Nur: das Detail wird nicht genannt; und da das Tagebuch im Roman vollständig wiedergegeben wird, sich aber auch beim Wiederlesen kein derartiges Detail findet, bleibt dem Leser im Prinzip nur, wie auch Barbarotti mit den Schultern zu zucken und "dem Alten" seine Geheimnisse zu lassen. Höchst unbefriedigend.

Daneben hat der Roman durchaus unterhaltsame Aspekte; die Einblicke in die private Situation Barbarottis sind doch recht vergnüglich.

Fazit, wenn es der erste Roman Nessers gewesen wäre, der mir in die Hände kam, wäre ich niemals zu einem Fan seiner Krimis geworden. Da es der bislang letzte war, gehe ich von einem Ausnahmefall aus und hoffe auf zukünftiges Besseres.

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Mo 11. Okt 2010, 01:58 - Beitrag #339

Paul Watzlawick
Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Wahn, Täuschung, Verstehen

[Klappentext]
Die Wirklichkeit - ein Messer ohne Klinge, an dem der Griff fehlt?
Paul Watzlawick klärt auf unkonventionelle und amüsnte Weise darüber auf, was die sogenannte Wirklichkeit tatsächlich ist. Denn sie ist keineswegs das, was wir naiv "Wirklichkeit" zu nennen pflegen, sie ist vielmehr das Ergebnis zwischenmenschlicher Kommunikation, was Watzlawick mit vielen verblüffenden Beispielen belegt.

"Dieses Buch sollte zur Pflichtlektüre für jene gemacht werden, die für alles eine Erklärung parat haben und sie als objektive Tatsachen anpreisen. Politiker, Soziologen, Theologen, Lehrer, aber natürlich auch Kritiker und Journalisten sollten sich Watzlawicks Buch unters Kopfkissen lebe." Rias Berlin

Der Klappentext verspricht mehr als das Buch meiner Meinung nach hergibt. Die "verblüffenden Beispiele" sind langatmig und nehmen bisher zu viel vom Buch ein (bin schon weit über die Hälfte hinaus). Zudem sind die Begrifflichkeiten nicht klar definiert, was zur Skepsis bewegt und eine vage Subjektivität hinterlässt. Besserwisser wird dieses Buch bestimmt nicht bekehren.
Aber wer weiß, was noch auf den letzten 100Seiten kommt...

Zitat von Traitor:Hinterher die Oper oder die Mutter? Mal sehen.

Die Oper! Die Mutter ist nach dem Kreidekreis noch bedrückender. Sehr schön auch "Der Jasager und der Neinsager" oder "Der gute Mensch von Sezuan"

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Mo 11. Okt 2010, 13:04 - Beitrag #340

meiner Ansicht nach wird Watzlawick ohnehin überschätzt. Das ist imo einfach nur so ein positivistischer Amerikaner, der glaubt, was verstanden zu haben, weil er ein paar Klischees zeichnen kann

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