Philanthrop, der ich bin, habe ich soeben in einem Schreibforum, in dem ich angemeldet bin, jemandem geholfen, der eine Frage zur Erzeugung von "Grusel" hatte. Derjenige wollte wissen, wie eine auf einer Halloweenparty erzaehlte Geschichte gruselig wirken koennte. Ich habe ihm ein Beispiel geschrieben, und da ich eine Viertelstunde dafuer aufgewendet habe, moechte ich das ganze auch hier posten. Man beachte, dass ich den Text in einem Schwung geschrieben und nicht ueberarbeitet habe und verzeihe daher etwaige Fehler und Unzulaenglichkeiten (Achtung Bescheidenheitstopos).
Was meint ihr? Gruselig oder nicht?
"Tu das nicht einfach als Geschichte ab."
Damons Gesicht wurde schlagartig ernst. "Mein Cousin ist Krankenpfleger in einer Klinik für Geistesgestörte. Vor einem Jahr wurde eine Frau eingeliefert, die nach dem Tod ihres Mannes wahnsinnig geworden war. Den ganzen Tag saß sie apathisch auf ihrem Bett, die schwarzen Haare eine ungewaschene Mähne und der früher sehr schöne Körper ausgemergelt und voller Kratzspuren. Sie sprach nicht, hat kaum was gegessen - aber jede Nacht um zwölf Uhr fing sie an zu schreien."
Er machte eine Pause, als wäre er nicht sicher, ob er weiterreden sollte.
"Und? Was soll daran unnormal sein? Verrückte schreien nun mal und machen auch sonst seltsame Sachen", sagte sein Kumpel und zuckte gelangweilt mit den Schultern.
"Seltsame Sachen, ja?", erwiderte Damon mit ungewohnter Schärfe. "Seltsame Sachen wie die, dass sie ihre Arme blutig biss, jede Nacht um zwölf? Sie hatte nicht einmal eine Uhr, weil man alle gefährlichen Gegenstände aus dem Zimmer entfernt hatte. Woher hätte sie die Uhrzeit wissen sollen?"
"Was weiß ich... vielleicht ein gutes Gespür..."
"Woran ist ihr Mann gestorben?", fragte eine junge Frau mit blonden Haaren.
Damon wandte sich ihr zu.
"Das wollte mein Cousin auch wissen. Er dachte, er könnte ihr vielleicht helfen, wenn er den Grund für ihre Hysterie kennen würde. In der Akte stand, dass die Frau ihn selbst umgebracht hatte. Eifersuchtsdrama, hieß es. Es waren also wahrscheinlich Schuldgefühle mit im Spiel. Mein Cousin blieb in dieser Nacht länger in der Klinik und forschte im Internet nach Zeitungsartikeln zu dem Fall. Und er fand mehr als genug. Offenbar hatte der Mann dieser Frau eine Affäre, und in der Mordnacht hat sie an dem Armband, das sie ihrem Mann geschenkt hatte, ein blondes Haar gefunden. Sie tat zunächst, als wäre nichts, doch dann hat sie ihn mit einem schweren Gegenstand – wahrscheinlich ein Kerzenleuchter – niedergeschlagen und… ihn getötet.“
Damon zögerte wieder, doch die blonde Frau in der Menge war dichter an ihn herangerückt und hing an seinen Lippen.
„Wie hat sie ihn getötet?“, fragte sie begierig.
Er sah sie an.
„Die Polizei war sich nicht sicher, wie es möglich war… doch scheinbar hat sie seine Handgelenke aufgebissen und ihn verbluten lassen. Er ist gegen Mitternacht gestorben“
Die Frau sah ihn weiter mit seltsam aufgerissenen Augen an.
„Mein Cousin konnte es nicht glauben, aber es passte zu ihrem Verhalten – die Schreie um zwölf Uhr nachts, die Verletzungen an ihren Handgelenken. Sie musste schrecklich unter ihrem eigenen Verhalten leiden und enorme Schuldgefühle haben, die sie gegen sich selbst wandte.
Mein Cousin stand auf und wollte endlich – es war schon nach elf Uhr nachts – nach Hause gehen, da hörte er Schreie und Türenschlägen. Er war sicher, dass die Frau wieder zu schreien begonnen hatte, und ging nachschauen – doch ihre Tür war offen. Er lief in den Raum, doch das Bett war leer, nur leichte Blutspuren auf dem Laken. Er lief wieder hinaus auf den Gang und sah gerade noch, wie die Frau sich am Ende das Korridors gegen die doppelt gesicherten Glastüren warf, die nach draußen führten. Sie hätte ihren Schädel zerschmettern müssen; stattdessen zerbrach das Glas und sie floh mit einem schrecklichen, triumphierenden Lachen. Mein Cousin hörte jetzt auch anderswo im Haus Schreie und rief nach Hilfe. Zwei Pfleger der Nachtschicht kamen angelaufen und auch verstörte Patienten, die schrien und mit den Zähnen klapperten und wild gestikulierten. Zusammen liefen die drei Pfleger in das nächstgelegene Zimmer, in dem eine junge Frau schrie und auf das zweite Bett in ihrem Zimmer zeigte: Eine blonde Frau lag mit weit aufgerissenen, leeren Augen auf den weißen Laken, die sich mit Blut färbten. Blut, das aus ihren Handgelenken strömte. In dieser Nacht – gegen zwölf Uhr – waren alle blonden Frauen in der Klinik durch das Zerfleischen ihrer Handgelenke getötet worden.“