David Foster Wallace
Unendlicher Spaß
Kiepenheuer & Witsch Verlag; Auflage: 1., Auflage (24. August 2009)
nachdem nunmehr die 1000er Grenze passiert ist, ein weiterer Zwischenbericht
Ursprünglich und für einige Zeit dachte ich, Wallace habe keine Geschichte zu erzählen und erzähle deswegen Geschichten. Zu diesem Eindruck trägt die erhebliche Atomisierung seiner Erzählweise bei, welche die wechselnden Passagen der bislang drei von mir festgestellten Stränge gnadenlos ineinander würfelt - wem der Begriff Aleatorik etwas sagt, hat einen guten Eindruck dessen, was Wallace macht (wobei ich, ohne es schon belegen zu können, allerdings den Eindruck habe, dass die Wallace´sche Vorgehensweise einer Pseudo-Aleatorik entspricht, dass die chaotische Mischung in Wirklichkeit strenger, nicht-stochastischer Gesetzmäßigkeit folgt, also vielleicht einer Art Serialität mit extremen Permutationen - nur ein Gefühl, ich bin ihm noch nicht auf die Schliche gekommen).
Wobei der Begriff der Atomisierung in zwei Richtungen weist, die angedeutete der Zergliederung der Abfolge in kleine und kleinste Handlungs- oder Reflexionsfragmente, und zudem eine Binnenstrukturierung der Einzelelemente, welche ins "Atomare" geht, ich könnte auch sagen, die Dinge werden - im buchstäblichen Sinne - "erschöpfend" detailliert abgehandelt: ein Tennisball etwa ist nicht einfach ein Ball, er hat einen Radius, ein Volumen, einen Dichtegradienten, eine Farbe, eine Konsistenz der Materialoberfläche, eines von etwa 2 Dutzend im Profitennis üblicher Muster der Nähte, zudem einen Hersteller, der Hersteller gibt ihm einen Markennamen, das Material hat eine chemische Zusammensetzung usw. usw. - und das macht er, wo immer sich eine Chance dazu gibt, gerne und ausgedehnt auch bei Psychopharmaka.
Drei Erzählstränge bisher:
1) die Ereignise in einem Tennis-Internat, in dem die Elite der ONAN-Nachwuchsspieler auf ihre Karriere in der Show, der weltweiten Profitour der Berufstennisspieler, vorbereitet werden (ONAN - Organisation Nord-Amerikanischer Nationen).
2) die Ereignisse im Umkreis von Spionage und Gegenspionage im Zusammenhang der Aktivitäten der extrem militanten Organisation "Les Assassins des Fauteuils Roulantes" und anderer (mit Ausnahme der "Front de la Libération du Québec" allerdings eher unbedeutender) terroristischer Organisationen im Kampf für die Unabhängigkeit Quebecs von den USA sowie ihrer geheimdienstlichen Gegenparts aus den Geheimdiensten der ONAN
3) die Herleitung und Untersuchung einiger Morde im Drogenmilieu der Nordost-USA, bei denen sich zunehmend herauskristallisiert, dass a) die Mörder selbst eher zufällig in die Situation gerieten, gemordet zu haben, dass aber b) die Situationen nicht zufällig aufgespannt sind, sondern sich über die Aktionen vor allem von 2) erklären.
Eine Metathematik des Buches ergibt sich aus der Einbettung aller Handlungen in Notwendigkeiten der Unterhaltungsindustrie, die dabei, durchaus selbstreferentiell, durch den Kakao gezogen wird, ohne dass dieser spaßig zu lesende Aspekt im geringsten spaßig zu nennen wäre, sobald man über der Komik den Inhalt erfasst.
Man gieße das ganze in eine überbordende Vielfalt der Beobachtungen und eine wirklich extrem komplexe Sprache, die sich aller, aber wirklich aller narrativer Techniken bedient, die es seit Mallarmé und Joyce zum Einzug in die Narrationstheorie gebracht haben. "Postmodern" - der Ausdruck vereinfacht die Sache in völlig unzulässiger Weise; was Wallace macht, ist durchaus eigenständig. Es ist eine ins Ungeheure übersteigerte Postmodernität, die in der Übersteigerung ihre eigene Transzendierung versucht - ich bin jedenfalls gespannt, ob es am Ende gelingt. Und nebenbei interessiert mittlerweile sogar, wie die drei Stränge zusammenfinden werden^^
der eigentliche Star des Buches ist jedenfalls die Sprache^^
/edit
um einen kleinen Einblick zu geben, worauf Leser sich einlassen müssen, folgende, eher simple Frage: was darf ein quadruplierender Agent wem sagen und wo liegen dabei seine wirklichen Loyalitäten?
Ein quadruplierender Agent ist einer, der von seinem Geheimdienst zu einem gegnerischen Dienst geschickt wird und dort den Überläufer spielen soll. Der gegnerische Dienst verwendet ihn wiederum zu selben Sache, er wird zu seinem ursprünglichen Dienst geschickt und soll dort wiederum den Überläufer spielen. Damit sich der gegnerische Dienst nicht wundert, wieso der ursprüngliche Dienst nicht auf dieselbe kluge Idee kommt, wird er wieder als Überläufer zum gegnerischen Dienst geschickt.
Was erzählt der Agent wann wem, unter der Maxime, dass er am Leben bleiben möchte?