Dalai Lama: Ex-Despot wird zum Superstar?

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janw
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Fr 11. Apr 2008, 23:17 - Beitrag #61

Wirklich eine verflixte Kiste, daß mensch so leicht im Exiltibeter-Lager gesehen wird, wenn man gegen Besetzung und Unterdrückung ist...ich mißtraue denen auch, habe nur bisher nichts gesehen, was darauf hindeutet, daß sie ernsthaft ins Mittelalter zurück wollen.
Der Demokratisierungs-Phantasie stehe ich auch skeptisch gegenüber - Demokratie setzt IMHO ein individualistisches Menschenbild voraus und ein Maß an Bildung, das es ermöglicht, sich selbst ein Bild von den angebotenen Konzepten zu machen, ohne auf die einflußnehmende Erklärung der Anbieter angewiesen zu sein. Streng genommen scheitert es schon bei uns daran.
Bleibt dann nur die Frage, welche anderer Weg sich bietet.

Zitat von Ipsissimus:Aber glücklicherweise geht es in Tibet ja nicht um Demokratie, sondern um Religionsfreiheit, die gefälligst ein Wert an sich zu sein hat, selbst wenn dafür 90% eines Volkes wieder in die alte Leibeigenschaft zurückkehren dürfen.

Nun, wenn Religionsfreiheit unter Meinungsfreiheit subsummiert würde, wäre sie ein Wert an sich - und natürlich würde sie erfordern, daß auch Nicht- oder Andersreligiosität erlaubt wäre]"Die korrupte Kommunistische Partei nutzt die Konflikte zwischen Tibetern und Han-Chinesen, um ihre Macht über beide zu erhalten"[/QUOTE]
wäre sicher ein weniger schwieriges Zitat, denn darauf könnte Hu mit neuen Anstrengungen zur Korruptionsbekämpfung reagieren, eines seiner Hauptthemen.
Ich weiß natürlich auch nichts konkreteres, aber mir kam es halt so vor, daß die Kritik an China sich doch eher im mit "gott, 'Lüge', das ist doch Redaktion der Wahrheit und notwendige Technik, wo gehobelt wird..." wegwischbaren Bereich bewegt. Größere Probleme bereitet mir die Frage, wie sich ein solcher Umgang mit Kritik mit der Gesicht-wahren-Ideologie vertrüge - hast Du da tiefere Einsichten?

Maglor
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Sa 12. Apr 2008, 13:55 - Beitrag #62

Mit Exil-Regierungen ist es eine merkwürdige Sache. Die "Dalai-Lama- Bande" harrt nun schon seit über 50 Jahren im Exil aus und hat natürlich unter dem Eindruck der indischen und auch der westlichen Demokratie eine ganz andere Entwicklung genommen wie die verbliebenen Tibeter.
Mag sein, dass der Dalai Lama das Zeug zum Juan Carlos hat und als königlicher Gutmensch die Demokratie in die Heimat bringt. Genauso gut könnte aber auch ein Unternehmen des Dalai Lama scheitern wie die Versuche des letzten afghanischen Königs sein Land nach der Herrschaft der Taliban zu einen, befrieden und mit einer Verfassung zu versehen.
Letztlich ist es auch die Frage inwieweit zwischen den Lamas in Tibet und jenem im Exil überhaupt noch Einigkeit herrscht. Sie kamen ja über ein halbes Jahrhundert ohne Oberhaupt zurecht, konnten sich dessen Kompetenzen aneignen und wollen diese vielleicht auch noch behalten.

Zur Religionsfreiheit:
Meines Wissens ist der tibetische Buddhismus in der Volksrepublik keineswegs verboten und Invasion und Kulturrevolution sind vorbei. Sprich teilweise bereits verfallene Klöster werden wieder besetzt. Die Religion und der Klerus sind lebendig und entwickeln sich weiter, man bedenke nur den Aufstieg der Nonnen in Tibet, die vor Einmarsch Rotchinas quasi bedeutungslos waren.
Wenn ich es richtig verstanden habe, ist es lediglich verboten, Bilder des Exil-Staatsoberhaupt aufzuhängen, anzubeten usw...
Wenn man also den Kult um den Dalai Lama unterlässt, können tibetischen Buddhisten ihre Religion genauso frei oder unfrei ausleben wie Konfuzianisten, Taoisten usw. Auf jeden Fall freier als Falung-Gong. ;-)

Und wenn es tibetischen Aufständler darum gehen einen alten Mann anbeten zu dürfen und Tibet von Han-Chinesen zu säubern, so können sie meiner fehlenden Solidarität sicher sein. :rolleyes:

janw
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Sa 12. Apr 2008, 20:59 - Beitrag #63

Nun, von Freiheit der Religionsausübung kann wohl wenig Rede sein in China, auch ohne Falun-Gong zu bemühen - die Klöster werden mit sicher regimetreuen Leitern besetzt, es herrscht Zensur und Spitzelsystem, den Kindern wird in der Schule die eigene Kultur suspekt gemacht, dürfen sie ihre Sprache jetzt mittlerweile sprechen? Ich weiß es gerade nicht.

[Sarkasmus]Man könnte eigentlich Herrn Hu beim Wort nehmen und sagen, daß die Vergabe der Spiele an China eine Einmischung in chinesische Angelegenheiten gewesen sei - und sie deshalb zurück nehmen.[/Sarkasmus]

Maglor
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So 13. Apr 2008, 09:21 - Beitrag #64

Schon mal darübernachgedacht, was Religionsfreiheit wirklich ist? ;)
[quote="Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UNO)"]Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit]
Um noch mal einen kleinen Seitenhieb gegen den Dalai Lama auszuführen: Konnte es im theokratisch-monarchistischen Tibet überhaupt so etwas wie Religionsfreiheit geben konnte? (Diese Frage kann als rhetorisch gelten!) :crazy:
MfG Maglor :rolleyes:

Ipsissimus
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Mi 16. Apr 2008, 15:36 - Beitrag #65

wäre ne interessante Analyse, welcher Wert Religion überhaupt zukommt, und welchen Wert Religionsfreiheit damit tatsächlich hat^^

Tibet jedenfalls wäre bei einer Restauration der alten Verhältnisse nach der gesellschaftlichen Wende in Nepal neben dem Vatikan der einzige verbliebene nichtsäkulare Staat weltweit; schaut man sich die Visionen US-amerikanischer Bible Belt'ler von einem theokratisch-evangelikalen US-Amerika an, weiß ich nicht wirklich, ob ich Religionsfreiheit wirklich so hoch achten will - zumal wenn man bedenkt, dass Religionsfreiheit eine Sache des Humanismus ist, also von den organisierten Religionen nur unter Schmerzen und als Zugeständnis an geänderte Machtverhältnisse respektiert wurde. Religionsfreiheit kommt nicht aus der Religion selbst, die vielmehr nur Nutznießer humanistischer Entwürfe ist, und das stimmt selbst dann noch, wenn man Religion auf allgemeine Weltanschauung ausweitet - statt "Freiheit ist die Freiheit des anderen" gilt in diesem ganzen Feld fast ausnahmslos "Freiheit ist meine eigene Freiheit".

Maglor
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Do 13. Jan 2011, 21:18 - Beitrag #66

Tibet ist har nicht so allein wie alle dachten. Tatsächlich gab es bis in die 70er noch eine zweites kleines buddhistisches (wenn auch nicht gottgleiches, sondern konstituionelles) Königreich im Himalaya, ein Tal der Ahnunglosen: Das Königreich Sikkim.
Bis ins 19. Jahrhundert war Sikkim in Abhängigkeit Tibtes, danach geriet es in die Abhängigkeit Britisch-Indiens. 1947 wurde Sikkim schließlich ein unabhängiger Staat. Zwischen China, Indien und dem früherem Tibet gelegen, existierte es als winziges Königreich, doch 1973 kam das Ende der Unabhängigkeit. Nach Unruhen im Königshaus marschierten indische Truppen in Sikkim ein. Seit 1975 ist Sikkim offiziell ein Teil Indiens.
Die Lepscha, Anfang des 20. Jahrhunderts noch die Mehrheit der Bevölkerung, sind heute 6 % der Bevölkerung aus.
Internationaler Protest gegen die Invasion Indiens blieb von China natürlich abgesehen aus.

Und warum gibt es wohl keine populäre Parole wie: Free Sikkim!
Und warum ist der Chogyal von Sikkim heute keine Superstar?

009
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Do 13. Jan 2011, 22:39 - Beitrag #67

Zitat von Maglor:Ich hätte ja gern mal die Gesichter und Reaktionen gesehen, wenn ein wiederauferstandender Erich Honecker oder Kaiser Wilhelm II. sich mit dem Regierungschef der Volksrepublik treffen würde. :crazy:


Nur ansatzweise kann da auf die verlegentlichen Äußerungen von Margot Honecker verwiesen werden. Die faselt zwar weiter im Sinne ihres Erichs, aber das löst hier schon in den Medien wie erst recht in der Politik offenbar keinerlei wirkliche Reaktionen aus.

Und waaaaah, Matrix, bitte, mein Hirn. Ich weiss ja, dass hier kein 2-Satz-Rumproll-Forum ist, aber nach dem kompletten Lesen dieses Threads komme ich mir wie in einer Vorlesung für Theologen vor, ich nix verstehen, aber interessant sein das.

Padreic
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Fr 14. Jan 2011, 11:35 - Beitrag #68

@Maglor: Der Fall Sikkim, obgleich auch eine unrechtmäßige Aneignung, scheint zumindest ein wenig anders gelagert zu sein als der tibetische. Nach Ausschreitungen scheint die Regierung Sikkims 1973 indische Hilfe gefordert zu haben, wonach die indischen Truppen die Kontrolle übernommen haben. Davon wurde wohl erst international wenig bekannt. 1975, nachdem es dann bekannt wurde, scheint es ein Referendum gegeben zu haben, dem indischen Staat als gleichberechtigter Bundesstaat beizutreten, was erfolgreich war. Wie sauber diese Abstimmung abgelaufen ist, ist natürlich fraglich, aber insgesamt sind da wohl die mangelnden internationalen Proteste halbwegs verständlich.

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Fr 14. Jan 2011, 17:00 - Beitrag #69

Die Sache mit dem "scheinen" ist umstritten. Klar ist nur, dass Indien seit 1950 die Rolle der britischen Schutzmacht übernommen hat und das Land nach und verschluckt hat. Die Frage, ob wirklich irgendwer indische Hilfe angefordert hat und ob die Volksbefragung ordentlich durchgefüht wurde, ist ausgesprochen zweifelhaft. Klar ist nur, dass der Wandlungsprozess Sikkims zu mehr Mitbestimmung usw. nicht fortgesetzt wurde. Die konstitutionelle Monarchie wich der Diktatur der Indira Gandhi. Die korrupte wie erfolglose Kriegsherrin geriet 1975 zunehmend in schlechte Presse und innenpolitische Gefahr. Daraufhin ließ sie quasi als Ablenkungsmanöver oder Ersatzsieg Sikkim besetzen; wenn schon nicht Bangladesch erobern, Pakistan ode China bezwingen, dann wenigstens Sikkim. Dann führte sie für ein paar Jahre des Ausnahmezustand ein und herrschte autokratisch, nun auch über Sikkim.

Daneben spielt wahrschienlich noch die geopolitische Rolle Sikkims eine Rolle.
Indien und China befinden sich im andauernden Konflikt. Die Grenzführung ist bis heute unklar und irgendwann versuchte Mao die Revolution zu exportieren. In den 1960er Jahre kam es zu Invasionsversuchen der Rotchinesen, späten unterstützen sie kommunistische Guerilla (Naxaliten), die bis heute weite Teile Indiens terrorisiert. Sikkim war Teil dieses Grenzgebietes.
Ob China politische Unstimmigkeiten in Sikkim zur Invasion genutzt hätte, ist unklar. Eine Beseitigung der konstitutionellen Monarchie und Ersetzung durch eine Gandhi-Autokratie, mag Sikkim vielleicht vor schlimmeren bewahrt haben, dafür gib es aber keinen einzigen Anhaltspunkt, der über plumpe Unterstellung hinausgeht. Die Phase der großen chinesischen Agression in alle Richtungen (vor allem nach innen) war in den 1970ern schon vorbei.

Warum Sikkims Untergang niemanden interessierte: Indien ist doch einer von den guten, und nicht China. :crazy:

janw
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Fr 14. Jan 2011, 20:58 - Beitrag #70

Naja, einen gewissen Unterschied sehe ich da schon, die Inder haben nicht planmäßig und gezielt und die Kultur der Menschen dort zerstört, die Priester getötet oder eingekerkert, die Tempel zerstört, die Sprache verboten, aktiv ihre Leute dorthin geschafft zwecks geplanter Minorisierung der Einheimischen, fortgesetzt bis heute.

Maglor
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Mo 17. Jan 2011, 23:45 - Beitrag #71

Eine kleine Gemeinsamkeit besteht durchaus:
Die Chinesen haben geplant und zielgerichtet, nach ihrer Weltsicht revolutioär ihre eigene Kultur zerstört, die Tempel vernichtet, die Menschen umgebracht ...
Nicht anderes geschah in Tibet, als es chinesisch wurde.

Indira Gadhi baut in Sikkim die Meinungsfreiheit und die Beteiligung gewählter Volksvertreter an der Gestaltung des Landes beseitigt. Für nichts anderes sorgte sie zur gleichen Zeit in den schon länger zu Indien gehörenden Provinzen.

Sicher: Die Errichtung einer autoritären Gandhi-Kratie ist natürlich nur ein Bier-Cola-Mischgetränk verglichen mit dem purem Spiritismus des Maoismus. :crazy:

Die durch Han-Chinesen ist ein weltweites Phänomen. In Singapur oder Malaysia ist der han-chinesische Bevölkerungsanteil noch höher als in Tibet. Dort scheint niemand das Problem erkennen zu wollen. Ganz anders im Heimatland: Dass es so viele Han-Chinesen auf der Welt gibt, hat China schon lange erkannt. amnesty internaitional weist etwa auf die Praxis der Zwangssterilisation bei Han-Chinesen hin, was durchaus Merkmale eines Völkermordes trägt. Tibeter und andere Minderheiten dürfen hingegen mehr als ein Kind in die Welt setzen.
Und das die Sprache der Tibeter verboten ist, scheint mir eine pure Fehlinformation.

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