Esperanto (und andere Plansprachen)

Das Forum für allgemeine Diskussionen! Alle Themen, die nicht in andere Bereiche passen, können hier diskutiert werden.
Ipsissimus
Dämmerung
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 10251
Registriert: 29.10.2004
Di 25. Jan 2011, 13:06 - Beitrag #1

Esperanto (und andere Plansprachen)

angeregt durch die Diskussion über "zwanzigeins" und Bemerkungen über die Wünschenswertheit einer rationalen Umgestaltung von Sprache erinnerte ich mich daran, dass es ja schon eine ganze Reihe von Sprachneuentwicklungen gab (sog. Plansprachen), deren bekannteste wohl Esperanto sein dürfte, die genau diesen Anspruch einer logischen Sprachstruktur erheben, bzw. mit diesem Ziel entwickelt wurden.

Habt ihr euch schon mal mit Esperanto oder einer der anderen Sprachen beschäftigt, vielleicht sogar aktiv erlernt? Und in welchem Maße haltet ihr das Ziel einer Rationalierung von Sprache überhaupt für wünschenswert und darüber hinaus für erreichbar?

Das Problem von Esperanto, so merkwürdig das klingen mag, ist gerade der Umstand, dass es eine lebende Sprache ist. Lebende Sprachen entwickeln sich aber nicht präskriptiv weiter, die realen Sprecher entziehen sich in signifikantem Anteil präskiptiven Setzungen, solange, bis Verstöße gegen Setzungen in den Sprachkorpus übergegangen sind und sich jede präskriptive Grammatik, die dagegen vorgeht, nur lächerlich macht. Und wenn das schon ein Problem bei einer Plansprache ist, kann man sich vorstellen, dass es bei einer natürlichen Sprache, die von einem wesentlich stärkeren Ausgangsgrad nichtrationaler Anteile betroffen ist, beinahe gegenstandslos ist, die Sprache rationalisieren zu wollen.

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Di 25. Jan 2011, 13:27 - Beitrag #2

Ich habe Esperanto mal gelernt, oder eher, mir die Grammatik angesehen. Soweit ich mich erinnere, war diese Sprache nicht unbedingt wesentlich einfacher zu erlernen als andere Sprachen, was man sich ja hätte erhoffen können. Ich weiß nicht, ob die Mischung aus romanischem, germanischem und slawischem Wortschatz eine gute Idee war. Wenn es darum ginge, eine möglichst (global) einfache Sprache zu erfinden, wäre dies wohl Italienisch von der Aussprache her, und Chinesisch von der Grammatik her. Das müsste sich doch machen lassen...

Generell sehe ich es aber wie du, Ipsi, es ist unmöglich, eine Sprache in einem Guss zu erfinden und dann so zu belassen, täglich werden neue Wörter (und Gegenstände) erfunden, Sprecher bringen ihre bisherige Sprache ein, oder auch neu erlernte Fremdsprachen, Werbung, Schriftsteller, Jugendliche, Sms-schreiber bemühen sich stets, andere, innovative Wendungen zu (er-)finden. Ich habe dann auch recht schnell aufgehört, Esperanto zu lernen, teilweise war es mir zu nah an Latein, teilweise war mir der Sinn davon nicht ganz klar, denn in welchem Land hätte ich Esperanto sprechen können?

Sprachreformen dagegen finde ich in geringem Maße sinnvoll. Mussolinis Sprachreformen haben einiges bewirkt (was nicht heißen soll, dass ich diese spezielle Maßnahme gutheiße, sonst ende ich noch wie die Italiener mit ihrem "quando c'era lui..."). Manzoni hat in EINEM bombastischen literarischen Werk die Sprache des kommenden Jahrhunderts, das moderne Italienisch, mehr oder weniger erschaffen, indem er sich auf das moderne Florentinisch mit Schwerpunkt auf überregionalem Vokabular stützte. In Norwegen gibt es bis heute zwei Schriftsprachen und keine Standardaussprache, es gibt nur Dialekte; in Anbetracht von nur 5 Millionen Sprechern hielte ich es für angebracht, zumindest die Schriftsprache zu reformieren, sinnvollerweise sich auf Bokmal zu einigen, das von 85% der Bevölkerung verwendet wird. Skandinavien ist ohnehin ein Fall für sich, untereinander herrscht ein hoher Grad an Verständnis zwischen Norwegern und Schweden und Norwegern und Dänen, man könnte sich also auf eine Sprache einigen (lange Zeit wurde auch in Norwegen nur Dänisch geschrieben), aber das muss ja nicht sein, solange in Skandinavien jeder Englisch kann.

Demzufolge: Kleine Reformen innerhalb einer Sprache ja (insbesondere Zahlwörter!!! Insbesondere Französisch!!! In Belgien ist das auch schon geschehen mit "Nonante"); Zusammenlegung von Dialekten in einer Standardsprache ja; Zwangskompletterneuerung i.S.v. deutscher Rechtschreibreform oder Purisierung im Sinne der französischen Sprachbehörde eher nein.

Im Übrigen ist es, wurde mir gesagt, ohnehin ein Irrtum zu glauben, dass die meisten Menschen nur eine Sprache sprechen würden; die meisten Menschen sind, global gesehen, bilingual oder plurilingual. Insofern würde ich mir eine Entwicklung hin zu einem (dann leider wohl vereinfachten) Englisch als Standardzweit- und Weltsprache wünschen; dann wäre auch egal, wenn in irgendeinem Bergdorf mit 50 Sprechern noch Quastuhalani gesprochen wird, solange Englisch auch verstanden wird.
Sinnvollerweise wäre diese Sprache dann tatsächlich eine lebendige Sprache wie Englisch und sinnvollerweise gäbe es jedes wichtige Dokument in jeder Sprache auch auf Englisch, ebenso wie Filmuntertitel (nur) auf Englisch und Nachrichten auf Englisch. Nicht als Zwang, natürlich, aber als stetige Alternative.

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4281
Registriert: 25.12.2001
Di 25. Jan 2011, 20:25 - Beitrag #3

Ich bin für babylonische Verwirrung und gegen Plansprachen. Die sind mir zu flach. :crazy: (Das Wortspiel will ich euch an dieser stelle nicht ganz entdecken, sondern vielmehr darauf verweisen, dass er sich nur Kemmer antiquierter Bedeutungen offenbart.)
Ach so, ich bin dagegen. Ich mag Archaismen, nicht nur die Vokabeln an sich, sondern auch eine veraltete Semantik und Grammatik - zum Beispiel auch die Erwähnung des Genitiv-Objekts hinter dem Gedankenstrich.
Mittlerweile neige ich zu einem alternativen Sprachpurismus, indem es z. B. um die "richtige" Grammatik des Dialekts geht, gerade wenn diese der Schulgrammatik entgegengesetzt ist. Solche kleinen Fehler wie etwa ein Bäcker in Kassel der unter der Bezeichnung "Wecken" allen Ernstes Milchbrötchen und die Krebbeln als Berliner verkauft. Schlimm, schlimm dieser Sprachverfall.

Eine einheitliche Sprache für alle wird es nie geben. Englisch als Weltsprache existiert ja auf dem Papier bereits. Jedoch hat sich in weiten Teilen der Welt ein Pidgin-Englisch mit eigener oder fehlender Grammatik entwickelt, welches mit den derben Dialekten der Insel keineswegs ein Dialektkontinuum bildet.
Im Grunde geht da etwas verloren. Die alten schönen Sprachen und Dialekte weichen einem verflachten Slang, einem ungrammitischen Kauderwelsch, einer Pidgin-Sprache.

janw
Moderator
Moderator

Benutzeravatar
 
Beiträge: 8488
Registriert: 11.10.2003
Di 25. Jan 2011, 22:23 - Beitrag #4

Zitat von Ipsissimus:Habt ihr euch schon mal mit Esperanto oder einer der anderen Sprachen beschäftigt, vielleicht sogar aktiv erlernt? Und in welchem Maße haltet ihr das Ziel einer Rationalierung von Sprache überhaupt für wünschenswert und darüber hinaus für erreichbar?


Ich habe vor Jahren einmal einen Stand einer Esperanto-Vereinigung in der Stadt gesehen und mir deren Unterlagen angesehen.
Ich fand die Idee interessant, fand es reizvoll, wie verständlich einige der Sprachbeispiele schienen, aufgrund ihrer Ableitung aus verallgemeinerten Grundmustern von Einzelsprachen, aber es zu lernen, hat die Begeisterung nicht gereicht. Wozu auch, wenn man mit Englisch und Händen und Füßen, vorheriger Einstimmung auf die jeweilige Sprache sowieso! eigentlich gut zu recht kommt...?

Letztlich halte ich das Ansinnen der Entwicklung einer Einheitssprache auch für wenig erfolgversprechend, wenn nicht bedenklich, da Sprache in meinen Augen immer in Beziehung zu Kultur und Geschichte der Sprechergemeinschaft steht, diese in Teilen reflektiert, in jedem Falle einen Schlüssel dazu darstellt.

Eine Rationalierung von Sprache läuft in meinen Augen zwangsläufig auf einen Verlust dieser Schlüsselfunktion hinaus und darauf, den kulturellen Memen einer Sprechergemeinschaft ihr Ausdrucksmittel zu nehmen.
In diesem Sinne würde ich erwarten, - das wäre einmal zu untersuchen - daß Esperanto durch den Gebrauch in einer sich kulturell entwickelnden Sprechergemeinschaft an Rationalität verliert. Allerdings dürfte dies de facto relativ langsam geschehen, da Esperanto nur als community-interne Zweitsprache von ansonsten in ihre regionale Sprachumgebung eingebetteten Sprechern dient.

Maglor
Karteizombie
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4281
Registriert: 25.12.2001
Mi 26. Jan 2011, 22:46 - Beitrag #5

Ein literarisches Beispiel für eine wegrationalisierte Grammatik ist das Neusprech aus Orwells 1984.

Vereinfachung macht angeblich doof oder doof macht Vereinfachung? :crazy:

009
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2000
Registriert: 10.07.2009
Mi 26. Jan 2011, 23:14 - Beitrag #6

Würdet ihr auch für SMS oder Twitter herausgebildete Verkürzungen auf im weiteren Sinne Teil eine Plansprache sehen?

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Do 27. Jan 2011, 13:30 - Beitrag #7

Nein. Sms-Sprache ist das Gegenteil einer Plansprache. Plansprache heißt, eine oder mehrere Personen entwickeln eine Sprache komplett und vollständig mit Regeln und Wörtern, und bieten anderen an, diese zu lernen. SMS-Sprache dagegen entsteht in der Regel im Gebrauch, ist regional verschieden, entwickelt sich aus einer bestehenden Sprache heraus, je nach Bedarf, und die einzelnen Sprecher entscheiden, was sie für sich verwenden und was somit weitergegeben wird... hier liegen somit die entscheidenden Merkmale für eine natürliche Sprachentwicklung vor.

009
Lebende Legende
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 2000
Registriert: 10.07.2009
Do 27. Jan 2011, 13:48 - Beitrag #8

Sh, ok. Aber wenn ein paar Schüler bei einer Projektwoche zB eine SMS-Sprache mit Regeln usw. entwickeln, die schriftlich festhalten und sie dann anderen anbieten, dann wäre es wohl auch eine mindestens teilweise Plansprache.

e-noon
Sterbliche
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 4576
Registriert: 05.10.2004
Do 27. Jan 2011, 16:42 - Beitrag #9

Ja, weitestgehend. Je nachdem, ob sie die voellig frei erfinden oder irgendwelche Ableitungen machen, die nn fuer nein u.ae.

blobbfish
Listenkandidat
Lebende Legende

Benutzeravatar
 
Beiträge: 3022
Registriert: 26.01.2003
Do 27. Jan 2011, 18:32 - Beitrag #10

Ich sehe das im Grunde ähnlich wie Maglor, auch wenn meine sprachliche Kompetenz sicher nicht so groß ist wie die von Maglor, oder als wie die von Maglor. Übrigens, wo er die Krebbeln erwähnt, Google findet jetzt schonmal zwei Ergebnisse zu "Rotzkrebbeln", da ist letztens (tm) einer dazu gekommen. Der Verfall ist hier klar, denn Rotzberliner darf man natürlich nicht sagen.

Ein Problem das auch eine Plansprache hat, ist das des Inhalts, also die Bedeutung von Begriffen und Grammatik, die ohnehin regional verschieden sein wird. Bei einer konsequenten alleinigen Muttersprache würde sich das wohl ausmerzen, bilingual aufwachsende hätten aber schon Probleme auf den Konsens aufzuspringen.

Wie steht es eigentlich im die literarischen Fähigkeiten von Plansprachen?

Achso, ich habe natürlich auch keine Plansprache gelernt. Das wäre auch viel zu langweilig, da einfach.


Zurück zu Diskussion

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 1 Gast