"Zwang funktioniert"

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Ipsissimus
Dämmerung
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Mi 26. Jan 2011, 11:13 - Beitrag #1

"Zwang funktioniert"

http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,741314,00.html

Die amerikanische Juraprofessorin Amy Chua über das Drillen ihrer Töchter, den strengen chinesischen Erziehungsstil und das Verbrennen von Kuscheltieren als Lernanreiz

SPIEGEL: Frau Chua, Ihre Töchter Sophia und Louisa durften nie bei Freunden übernachten, nie Freunde mit nach Hause bringen und sich nie ihre Hobbys selbst aussuchen. Werden Sie von Ihren Kindern gehasst?

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Chua: Ich hoffe nicht! Mir war es wichtig, dass Sophia und Lulu fließend Mandarin und Englisch lernen und dass sie nur Einsen nach Hause bringen. Sophia konnte mit 18 Monaten das Alphabet. Während andere Kinder lernten, von eins bis zehn zu zählen, habe ich ihr die Grundrechenarten und Dezimalzahlen beigebracht. Als sie drei war, las sie Sartre. Natürlich wollte ich, dass meine Kinder Hobbys haben - aber nicht so etwas wie Handarbeit, die zu nichts führt, sondern etwas Sinnvolles und Schwieriges, mit Potential für Tiefe und Virtuosität.


das Interview wird sehr explizit

Was haltet ihr davon? Neuer Erziehungsstil mit Chance auf Behebung unserer Schulmisere? Typische Überspanntheit überehrgeiziger Eltern auf Kosten ihrer Kinder? Überbleibsel traditioneller aber obsoleter Vorstellungen? Zeitgeistigkeit?

Lykurg
[ohne Titel]
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Mi 26. Jan 2011, 11:42 - Beitrag #2

Stimmt, das hatte ich mir gestern auch fasziniert angesehen.
Typische Überspanntheit überehrgeiziger Eltern auf Kosten ihrer Kinder? Überbleibsel traditioneller aber obsoleter Vorstellungen? Zeitgeistigkeit?
Das alles trifft es meines Erachtens nicht, meines Erachtens sondern handelt es sich ursprünglich im Wesentlichen um kulturelle Differenz - wir haben beim Schüleraustausch u.a. miterleben können, wie dort Kleinkinder im Musikunterricht gedrillt werden. Als Beispiel zu asiatischen Methoden (und in diesem Fall nicht als extremer Einzelfall, sondern systematisch gegeben) ebenfalls ein SpOn-Artikel zu Südkorea. Sartre mit Drei ist allerdings reichlich abgefahren und geht in gewisser Weise darüber hinaus, mir scheint, hier ist ein Syntheseprozeß zu beobachten.

Auf das Freizeit-, Selbsterfahrungs- und Freiheitsideal der westlichen Erziehung ist das natürlich ein Maximalangriff (übrigens gleichermaßen auf das rundumbehütete moderne wie auf das zwischen Paukschule und freiem Sich-selbst-Überlassen oszillierende Konzept des (vor)vorigen Jahrhunderts). Zeitgeistgemäß ist jedenfalls, die Fragen neu zu stellen. Die ältere Tochter hat übrigens angesichts der hitzigen Diskussion die Erziehungsmethoden ihrer Mutter öffentlich verteidigt. Daß aber an diesem Druck auch viele zerbrechen und auf der Strecke bleiben, blendet sie offenbar recht erfolgreich aus (wie im Interview).

e-noon
Sterbliche
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Mi 26. Jan 2011, 13:16 - Beitrag #3

Zwang in der Erziehung muss natürlich sein. Man muss sein Kind zwingen, nicht vors Auto zu laufen, auch wenn es das will. Man muss es zwingen, sich die Zähne zu putzen. Die Frage ist, in welchem Maße und mit welchen Methoden Zwang eingesetzt wird.

Kinder so früh unter Leistungsdruck zu setzen, finde ich nicht gut. Damit meine ich den Druck, sich beweisen zu müssen, gute Noten bringen zu müssen, über eine relativ gute Note nicht zufrieden sein zu können. Das sollten Kindergartenkinder oder Grundschüler so noch nicht haben. Wenn es sich von selbst entwickelt, im Sinne von Konkurrenz unter den Kindern (und nicht von Seiten des Schulsystems erzwungen), dann ist das ja nicht schlimm, eher ein gutes Zeichen, würde ich sagen.
Von Kindern früh Leistung zu fordern, finde ich jedoch in Ordnung. Nicht mit absurden Drohungen wie "ich verbrenne deine Kuscheltiere"; allein die Behauptung, irgendwelche persönlichen Gegenstände der Kinder zu verbrennen, finde ich schon unglaublich aggressiv. Aber dennoch so, dass Kinder schon früh verstehen, dass sie zwar immer Liebe und Hilfe bekommen, dass aber nicht alles im Leben umsonst ist, und sie sich bestimmte Privilegien erarbeiten müssen. Man kann durchaus von einem Kind verlangen, ein Instrument zu erlernen, und das tägliche Üben an eine Fernseherlaubnis oder einen Kinobesuch knüpfen. Aber ihm Kontakte mit Freunden zu verbieten, finde ich nicht nur grausam, sondern auch noch kontraproduktiv - es sei denn, man legt in der Erziehung auf "social skills" überhaupt keinen Wert. :rolleyes:

aimless
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Mi 26. Jan 2011, 15:26 - Beitrag #4

Wenn ein Kind in der Mathematik oder beim Klavierspielen richtig gut ist, bekommt es Anerkennung. Daraus entsteht Befriedigung - und schließlich Glück. Ein gesundes Selbstwertgefühl ist der Schlüssel zum Glück. Und das erreicht man nur durch Herausforderungen und Leistung.

Die Anerkennung stellt hier wohl ein wesentliches Problem dar. Was ist, wenn ein Kind keine Anerkennung erhält?
Das eigene Glück ist vollkommen abhängig von außen. Wenn ein Kind keine Anerkennung bekommt, ist es nicht einmal mehr in der Lage aus sich selbst heraus glücklich zu sein, da es gelehrt bekommen hat, dass man nur geliebt werden kann, wenn man etwas leistet.
Die chinesische Erziehung ist in dieser Hinsicht auch ein Selbstzweck, denn je mehr das Kind leistet, desto mehr haben auch die Eltern geleistet. Chinesische Kinder sollen die Fähigkeit der Eltern widerspiegeln.

Das Übernachten bei Freunden wird meiner Meinung nach falsch dargestellt. Das Verbot bei anderen Übernachten zu dürfen ist mehr Ängsten geschuldet, dass dem Kind im fremden Haushalt etwas passieren kann. Weshalb wohl auch die Freunde bei ihr übernachten dürfen, aber nicht andersrum..

Was soll eine 3-jährige eigentlich mit Satre anfangen?

Maglor
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Mi 26. Jan 2011, 22:35 - Beitrag #5

Die chinesische Tradtition an sich ist anders als die unsere.
Hierarchie, Ordnung, Pflicht, Untertänigkeit wurden im alten China besonders geschätzt. Symbolisch wurde dies durch die Unterwerfungs-Geste des Kotau, die tiefe Verneigung auf den Knieen, ausgedrückt. Die Mandarin machten Kotau vor dem Kaiser, die Männer vor ihrem Vorgesetzen, die Frauen vor ihren Männern, die Kinder vor ihren Eltern. Sie verneigt bis ihre Gesichter den Boden berührten, jeden Tag.
Die konfuzianische Tradition betont gar nicht so sehr die Liebe der Eltern zu den Kindern, sondern die altchinesische Familienromantik legt den Schwerpunkt auf den Respekt der Kinder vor den Eltern und die Pflicht der Kinder für die Eltern zu sorgen.
Siehe auch "Kindliche Pietät"

Inwiefern hier noch die Lehren von Meister Kong fortwirken mag ich nicht zu beurteilen. (In der Volksrepublik spielen diese Tugenden wieder entscheidende Rolle, nachdem sie während der Kulturrevolution ein wenig außer Rand und Band gerieten, als Mao ihr einziger Vorsitzender und Vater war.)
Dass ostasiatische Einwandererkinder in den USA überdurchschnittliche Erfolge in Sachen Bildung erzielen ist ein seit Jahren bekanntes Phänomen - oder vielleicht doch eher ein gepflegtes Klischee.

009
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Mi 26. Jan 2011, 22:49 - Beitrag #6

Als nette Notiz am Rande sei das von Ipsissimus mitzitierte "Anzeige" erwähnt., Dieser Kommerz aber auch immer rund überall...

Amknüpfend an e-noon finde ich diese absurden Drohungen auch schädnlich in der Weise, dass ich zu bezweifeln wage, ob die Eltern entsprechenden Umgang mit ihnen durch ihre Vorgesetzte gut heissen würden. Statt absurde Drohungen geschickt erwählte Belohnungen einzusetzen, erscheint auch mir zielführender wie menschlicher.

Nichtsdesotrotz ist bei mir in solchen Sachen auch immer das - zugegeben unterlegene - Gefühl, es mag denen zwra nicht so gut gegangen sein, aber dafür können sie was - während es gerade in unserer Kultur auch manche geben mag, denen es nicht gut geht/ging, und die dennoch nichts wirklich erreicht haben. Unzweifelhaft heiligt hier der Zweck die Mittel aber gerade nicht.

fanvarion
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Mi 26. Jan 2011, 23:14 - Beitrag #7

Da fällt mir nur eins zu ein.

Ein Zitat von Michal Ende
Wenn wir ganz und gar aufgehört haben, Kinder zu sein, dann sind wir schon tot.

Gruß fanvarion

009
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Do 27. Jan 2011, 02:07 - Beitrag #8

Im Spiegel wird ein online von mir gerade nicht auffindbarer Artikel des Handelsblatt erwähnt, nachdem Manager zunehmend Angst vor asiatischen Konkurrenten haben, u.a. wegen dem strengen Erziehungssystem.


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