Kein Grundrecht auf umfassenden Schutz vor Straftaten

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Mo 14. Feb 2011, 18:19 - Beitrag #1

Kein Grundrecht auf umfassenden Schutz vor Straftaten

In seinem lawblog verweist RA Udo Vetter auf einen aus seiner Sicht hervorragenden Artikel des Verfassungsblogs mit der Überschrift [url=Es gibt kein Grundrecht auf Schutz vor Straftätern]Es gibt kein Grundrecht auf Schutz vor Straftätern[/url].

In m.E. sehr allgemeinverständlicher Art zeigt dieser Text, das & warum das Grundrecht die Freiheit des einzelnen so stark betont wie auch betonen muss, um sie tatsächlich zu garantieren und nicht dem Staat eine in ihren negativen Auswirkungen wohl kaum unterschätzbarer Möglichkeit bzw. gar Pflicht zu geben, die FReiheit der Bürger zu beschneiden, um (in der Theorie) größtmögliche Sicherheit herzustellen.

Erstaunlich bis erschreckend, wie bei der Frage eine Landesjustizministerin, immerhin selber Volljuristin, in dieser Frage doch komplett falsch liegt.

Maglor
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Mo 14. Feb 2011, 21:01 - Beitrag #2

Och, fast alle Gesetzesentwürfe werden von Volljuristen verbockt, auch die verfassungswidrigen. Mich wundert da eigentlich gar nichts.

Zitat des Bundesverfassungsgerichts zu den deutschen Rechtstraditionen:

[INDENT]Jede gesellschaftliche Ordnung ist darauf angewiesen, sich vor gefährlichen Straftätern zu schützen. Als Mittel der Prävention kamen seit dem Mittelalter neben der Unterbringung auf unbestimmte Zeit die Todesstrafe, Galeerensklaverei oder Deportation zur Anwendung. Mit dem Aufkommen der Gefängnisstrafen wurden rückfällige Straftäter zu langen Haftstrafen und Zwangsarbeit verurteilt. Auch das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von 1794 eröffnete darüber hinaus in der Vorschrift des § 5 II 20 die Möglichkeit, Hangtäter über die Dauer der Freiheitsstrafe hinaus in Haft zu behalten.

Ende des 19. Jahrhunderts vertrat eine "moderne" Strafrechtsschule die Idee von Strafe als täterbezogenem Mittel der Abschreckung, Besserung und Sicherung und entwickelte ein dualistisches Sanktionensystem. Danach muss die Strafe zwar an der Schuld orientiert bleiben, ist aber durch ergänzende Maßnahmen zu vervollständigen, soweit sie Präventionsbedürfnisse nicht hinreichend befriedigen kann. In Deutschland wurde das zweispurige Sanktionensystem - wenn auch in unterschiedlicher Ausgestaltung - in alle Entwürfe zu einem neuen Strafgesetzbuch zu Beginn des 20. Jahrhunderts und in der Weimarer Republik aufgenommen.

Eingang in das Strafgesetzbuch fand schließlich das zweispurige Sanktionensystem mit dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl I S. 995 - Gewohnheitsverbrechergesetz). [...]

Nach 1945 blieb das Gewohnheitsverbrechergesetz von 1933 im Wesentlichen unangetastet. Die Regelungen über die Sicherungsverwahrung wurden ebenso in das Strafgesetzbuch von 1953 übernommen wie § 2a RStGB.
[/INDENT]

Eine interessante Chronologie des Fortschritts. Frnz Gürtner war übrigens nicht nur Volljurist, sondern auch noch Doktor der Juristerei. An seiner Qualifikation als Reichsminister der Justiz bestehen keine Zweifel.
Der 24. November 1933 war übrigens mitten in der avandgardistischen Phase der Weimarer Republik.
Ansonsten: Ja, natürlich, die Menschen haben ein Recht auf Galeerensklaverei, Deportation und den anderen Nippes, wenigstens Knast für immer. :crazy:

Ipsissimus
Dämmerung
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Di 15. Feb 2011, 15:55 - Beitrag #3

Frau Merk legte dabei in erfrischender Offenherzigkeit dar, wie sie die Konstellation der Sicherungsverwahrung verfassungsrechtlich wertet: Da gebe es “zwei Rechte, die in Kollision zueinander geraten” – einerseits das Recht des Täters, nicht über das Maß seiner Schuld hinaus eingesperrt zu bleiben. Und andererseits gebe es da das Recht der Bevölkerung auf Sicherheit.

Ja, und diese beiden Grundrechte müsse man dann halt gegeneinander abwägen, nicht wahr? Das kann dann halt mal so ausgehen, mal anders. Sozusagen von Verfassungs wegen.

....

Da geriet die CSU-Dame aber bei Christoph Möllers an den Richtigen.

Es sei mitnichten so, belehrte Möllers die oberste Rechtspolitikerin des Freistaats Bayern, dass hier zwei Grundrechte miteinander kollidieren. “Das wäre das Ende.” Die Pflicht des Staates [fett von Ipsissimus] aus Art. 2 II 1 GG, das Leben seiner Bürger zu schützen, sei keineswegs etwas, das mit dem Recht des Bürgers [ebenso] aus Art. 2 I GG, frei sein zu dürfen, auf gleicher Ebene kollidiert. “Das Grundgesetz kennt keine Sicherheit, sondern nur Freiheit und Unfreiheit.” [ebenso]

Es war schön zu sehen, wie die Ministerin die Gesichtszüge entglitten.

Das, sagte sie, nachdem sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte, sei ja doch wohl – hoffentlich – eine wissenschaftliche Mindermeinung.

Nö, sagte Christoph Möllers. Das sei eigentlich ziemlich unumstritten.

.....

Grundrechte sind zuerst und zuvörderst dazu da, den Staat auf Abstand zu halten. Um den Mörder auf Abstand zu halten, gibt es das Strafrecht und das Polizeirecht und das Strafvollzugsrecht, lauter mächtige und wirkungsvolle rechtliche Instrumente. Aber nicht meine Grundrechte.
yeah^^

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Di 15. Feb 2011, 16:22 - Beitrag #4

Danke für das Herausarbeiten dieses Zitates, das liest sich komakt, klar, eindrucksvoll.

Solange es am BUndesverafssungsggericht in Karlsruhe noch genügend Richter gibt, die ua. diese Frage so klar, eindeutig, alternativlos in ihrer Bewertung sehen, muss man sich um die wesentlichen Grundwerte dieses Staates nicht sorgen.

Nur eben mit den ganzen "kleineren", für betroffene gewiss leicht auch sehr bedeutenden, Problemen - und der - ichsagmal - leider bestehenden Qualifikationsmängeln bei erschreckend vielen in Politik und Verwaltung.


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