Zitat von Ipsissimus:warum aber sollte ein gebildeter Rezipient, der um solche Zusammenhänge weiß und die Zurückweisung des Künstlers ohnehin antizipiert, sich auf die Deutungsvorgaben des Künstlers einlassen? Gäbe er damit nicht einen Teil seiner Mündigkeit ab?
Ein so gebildeter Rezipient würde sich natürlich auf keine Deutungsvorgaben einlassen, aber das Problem aus Sicht des Künstlers ist, daß viel Unbildung durch die Museumsgänge pilgert, und daß diese oft genug durch Journalisten ihre Löcher füllen lässt. Meine Haltung zu Journalisten ist ja bekanntermaßen durch ein gerüttelt Maß an Skepsis geprägt^^
Künstler könnte sich daraufhin der Journaille verweigern, dann würde dies aber auf ihn zurückfallen, wie Hockney seine Zurückgezogenheit durch die Journaille zum Kern seines Soseins und Schlüssel zu seinem Werk gemodelt wird. Spielst Du nicht mit uns, wirst Du gespielt^^
Das heißt, daß Künstler sich sicher sein kann, daß seine Kunst auf ihn zurück geführt werden wird, je "aneckender", umso mehr als Hinweis auf vermeintlich in ihm Steckendes, ihn grundlegend Prägendes, Charakterisierendes gedeutet.
"Ist Kunst vor solch einem Hintergrund überhaupt möglich?" könnte man fragen, Kunst als Ausdrucksform, die mehr will als in Farbe oder Form geronnene Stimmung oder dargestelltes Konkretum zu sein, sondern den Betrachter zu betreffen.
[quote="e-noon"]Die Haltung ist paradox, der Künstler möchte, dass ein Kunstwerk Irritation auslöst, die für ihn aus seiner Biographie erwächst und sich hierin ausdrückt, aber diese Irritation soll vom Betrachter dann gerade nicht mit der Biographie verbunden werden? Die einzige Möglichkeit dazu ist wohl, dem Betrachter die eigene Biographie nicht zugänglich zu machen. Selbst, wenn man sich entsprechende Kommentare verbitten würde, wenn ich, sagen wir, eine Skulptur einer Frau mit einem Loch im Bauch sehe und weiß, dass die Künstlerin eine Fehlgeburt hatte, dann ziehe ich zwangsweise die Verbindung, so unangenehm diese Verletzung der Intimsphäre der Künstlerin dann auch (möglicherweise für beide Seiten) ist. Es wird schwer, Kunst mit autobiographischem Bezug zu schaffen, ohne etwas von sich preiszugeben]
Für den Künstler ist es eine Zwickmühle, er weiß, daß keine Kunst im luftleeren Raum entsteht, zugleich aber ist sein eigenes Sosein und entsprechendes Biographisches
Privatum, sein Schutz ist Selbstschutz, und ihm wohnt die Gefahr inne, daß schon der Gedanke, es könnte existieren, den Betrachter vom Werk, seiner eigenen Betroffenheit, ablenkt.
Die Skulptur einer Frau mit einem Loch im Bauch wird automatisch Assoziationen in Deiner Richtung wecken, auch ohne Wissen um entsprechendes Biographisches, auch ohne derart Vorliegendes.
Zeitlose Kunst, ist das nicht überwiegend anonyme Kunst?