Hmm, rückblickend sehe ich nicht mehr, was genau ich damit meinte. Überzeitliche Aktualität vielleicht ein bißchen in der
Gelehrtensatire die Darstellung der Voraussetzungen eines akademischen Werdeganges, eher noch allgemeinmenschliches. Der Text ist vielen Dingen gegenüber recht drastisch, ähnlich den beiden letzten, die ich gefressen habe...
Thomas Bernhard: Goethe schtirbt (2010)
Schmaler Band mit vier Erzählungen, deren erste, die titelgebende, Goethes letzte Lebenstage etwas abweichend von der Wirklichkeit beschreibt: der alte Dichter ist besessen von dem Wunsch, (Ludwig) Wittgenstein zu begegnen - stattdessen erhält er nur jede Menge Möglichkeit, über seine eigene Unzulänglichkeit zu reflektieren, Bemerkungen, die allerdings im wesentlichen von seinen verschiedenen Sekretären untereinander mitgeteilt werden. - Die weiteren Erzählungen befassen sich mit einer Montaignelektüre, der besonderen Grausamkeit von Gebirgsspaziergängen mit gestrickten roten bzw. grünen Wollstrümpfen, und mit der Hoffnung, Österreich möge endlich niederbrennen. Alle vier sind typische Bernhard-Texte voller bösartiger Polemik, besonders der letzte liest sich rauschhaft und enthält besonders wohldosierte Gemeinheiten, ohne allerdings die Geschlossenheit seiner Romane zu erreichen.
Deshalb gleich im Anschluß
Thomas Bernhard: Holzfällen (1984)
Der Roman beschreibt den Verlauf einer künstlerischen Abendgesellschaft im Haus der Auersbergers, die vom Ich-Erzähler monologisierend kommentiert werden. Unversehens gerät der Leser in den Sog einer gewaltigen Schimpftirade gegen die Wiener Gesellschaft und vor allem scheinbares Kunstinteresse, die sich über 300 Seiten erstreckt, ohne wesentlich mehr zu erzählen als auf der ersten Seite dargestellt wird - das aber in glänzendster Weise dramatisiert und durchgeformt; ständige Wiederholungen, die jedesmal Variationen und absurde Steigerungen beinhalten. Witzig fand ich auch, wie sehr der Autor völlig indirekt (!) meine Erwartungen erzeugte und erfüllte, z.B. fand ich auf Seite 170, allmählich könne mal etwas passieren, und ein oder zwei Seiten später ging plötzlich die Handlung los; meine Neugier auf persönliche Details zur Erzählerfigur wurde genauso jeweils etwa eine Seite nach ihrem Aufkommen gestillt, mein zunehmender Ekel vor deren Selbstverliebtheit führte sofort zu einer entsprechenden Selbstreflexion im Text uvm. - das fand ich als Leseerlebnis sehr, sehr eigenartig.
Spannend als Hintergrund der Literaturskandal um Gerhard Lampersberg(er), das literarische Vorbild, der zunächst gegen die Veröffentlichung des Buches klagte, die Klage aber zurückzog.
Zuvor
Aimee Bender: The Particular Sadness of Lemon Cake (2010)
Die Geschichte eines Mädchens, das zu Anfang des Buches, mit neun Jahren, eine übernatürliche Fähigkeit in sich entdeckt: Sie schmeckt in Nahrungsmitteln die Emotionen und Gedanken dessen, der sie zubereitet hat. Das macht sie über die Jahre eher fertig, weil sie darüber ziemlich viele Dinge mitbekommt, die sie nicht wissen möchte, deswegen jedes Essen fürchtet und sich zu einer Neurotikerin entwickelt. Die titelgebende Traurigkeit zieht sich aus mehreren weiteren Gründen durch den Roman, der in ihrem Aufwachsen auch eine schön erzählte, zugleich aber reichlich defizitäre Familien- und Liebesgeschichte schildert.
Emily Brontë: Wuthering Heights (1847)
Über drei Generationen erzählte Geschichte zweier Familien voller Trostlosigkeiten und Grausamkeit in einer wilden Landschaft; wesentlich das Geschehen um das Findelkind Heathcliff, der sich in den Besitz beider dazugehörigen Herrenhäuser bringt und erst durch seinen etwas Deus-ex-Machina-artigen Tod die verbliebenen Nachkommen ein glückliches Ende beschert. Sehr spannende Erzählweise, vermittelt aus den pseudotagebuchartigen Notizen eines Außenstehenden, der sich die Geschichte großenteils von einer alten Dienerin erzählen läßt (mit eingestreuten Binnenerzählungen) und in gewissem Maße selbst daran Anteil hat, ein ziemlich komplexes Spiel im Spiel.
(vorher Brecht: Herr Puntila und sein Knecht Matti; Das Leben des Galilei)