Deutschland ohne gültiges Wahlgesetz

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Fr 17. Jun 2011, 11:03 - Beitrag #1

Deutschland ohne gültiges Wahlgesetz

http://www.sueddeutsche.de/politik/kein-gueltiges-wahlgesetz-in-deutschland-die-schande-des-parlaments-1.1109514

Ab 1. Juli gibt es in Deutschland kein gültiges Wahlgesetz mehr. Das Parlament hat die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts missachtet, ein neues zu schaffen. Sollte also die Regierung Merkel platzen, fallen die Fetzen ins rechtlich Bodenlose, es würde eine Bundestagswahl stattfinden, der Legitimität und Legalität fehlen.

Die Regierung Merkel muss bis zu ihrem regulären Ende, bis 2013 halten: Nicht deswegen, weil sie so gut ist, sie ist es nicht; nicht deswegen, weil sie so stabil ist, sie ist es nicht. Auch nicht deswegen, weil sich die Koalitionäre so gut verstehen; sie tun es nicht. Diese Koalition ist, wie jeder weiß, ein Bündnis nicht auf Gedeih, sondern auf Verderb. Es ist die wohl trübsinnigste Koalition, welche die Bundesrepublik je hatte, und die Früchte ihrer Politik sind meist ungenießbar. Einen Baum, der solche Früchte trägt, würde man umhauen.

Aber mit dieser Regierung geht das nicht. Selbst wenn Angela Merkel den Schröder machen und wie er vorzeitig Neuwahlen erzwingen wollte, wie dieser es 2005 getan hat - es ginge nicht: Es gibt nämlich vom 1. Juli an kein gültiges Wahlgesetz mehr, auf dessen Basis ein neuer Bundestag gewählt werden könnte. Und vor 2013 wird das neue Wahlrecht anscheinend nicht fertig. Das Parlament hat die Anordnung des Bundesverfassungsgerichts missachtet, bis zum 30. Juni 2011 ein neues, verfassungskonformes Wahlgesetz zu schaffen. Wenn die Regierung Merkel platzt, fallen die Fetzen also ins rechtlich Bodenlose.

009
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Fr 17. Jun 2011, 23:50 - Beitrag #2

Das ist schon ein echt beschämender Zustand, aber die Verfassungskonstruktion Deutschlands mag auch das in m.E. gerade noch erträglicher Weise abzufedern (Quelle wie oben; Hervorhebung von mir):

Man stelle sich also vor, es würde eintreten, was nicht eintreten darf: der Bundespräsident käme 2011 oder 2012 in die Situation, den Bundestag auflösen und Neuwahlen anordnen zu müssen. Er könnte die Auflösung des Parlaments mit einer Frist verbinden, um ihm noch Zeit zu geben, schnell ein Wahlgesetz zu erlassen. Wenn das nicht klappt, müsste auf der Basis des alten, verfassungswidrigen Gesetzes gewählt werden. Wenn man großes Glück hätte, wären die Mängel des Gesetzes angesichts des Wahlergebnisses nicht relevant, weil Überhangmandate bei der neuen Regierungsbildung keine Rolle spielen. Wenn man dieses Glück nicht hat, würde eine eklatant verfassungswidrige Regierung gebildet.

Der verfassungswidrig gewählte Bundestag würde als Erstes ein Wahlgesetz machen müssen. Das Verfassungsgericht würde diesen Bundestag nach geraumer Zeit in die Wüste schicken, aber feststellen, dass das von diesem beschlossene neue Wahlgesetz Gültigkeit hat und auf dessen Basis nun neu gewählt werden muss. Schon in einem frühen Urteil, das 1951 in den Wirren um die Bildung des Landes Baden-Württemberg gefällt wurden, hat Karlsruhe entschieden, dass Rechtsakte auch eines verfassungswidrig gewählten Parlaments gültig sein können.

Das mag schon sein - aber das alles wäre ein einziger Albtraum. Um ihn zu vermeiden, würde Karlsruhe wohl schon früher eingreifen: Nach einer vom Bundespräsidenten angeordneten Neuwahl würden die Richter, auf die Verfassungsbeschwerde eines Wählers hin, ein neues Wahlrecht formulieren - im Wege der verfassungskonformen Auslegung des alten Wahlrechts plus Vollstreckungsanordnung. Auf der Basis solchen Richter-Rechts könnte dann gewählt werden.


Da ich (als juristischer Laie - warum hat die Matrix eigentlich keine in dem Bereich wirklich firme?) stark annehme, das neben den Wählen auch bisherige Abgeordnete und Kandidaten vor das Bundesverfassungsgericht ziehen könnten, sollten die Karlsruher Richter in so einem Fall zwischen Beschluß Neuwahl durch Bundestag und tatsächlichem Wahltermin hinreichend schnell ein rechtmäßiges Wahlrecht zusammenzimmern können.

009
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So 19. Jun 2011, 03:14 - Beitrag #3

Zwar ist (noch?) keine Einigung in Sicht, aber wie dieser Spiegel-Artikel zeigt, gibt es immerhin Aktivitäten in Berlin, die auf ein neues verfassungskonformes Wahlgesetz abzielen.

Maglor
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Di 21. Jun 2011, 11:35 - Beitrag #4

Die Überhangsmandate bevorteilen in erster Linie die beiden alten "Volksparteien" CDU, CSU und SPD, die bei jeder fast alle Direktmandate erhalten.
Der Abstand zwischen den Ergebnissen der Erst- und Zweit-Stimmen wird seit Erstarken der kleinen Parteien seit den 90ern aber immer größer. Nachwievor gewinnen SPD und die Union fast alle Wahlkreis mit ihren Direktkanidaten, aber bei den Zweit-Stimmen bekommen sie nur noch 20 bis 30 %. Es wird also, wenn der Trend anhält, immer mehr Überhangsmandate und zwischen dem Zweit-Stimmen-Ergebnis und der Zusammensetzung des Bundestages einen immer geringen Zusammenhang geben.
Die SPD und die Union dürften von der verfassungswidrigen Regelungen profitieren.
Daher gibt z. B. zwischen FDP und CDU auch keine einfache Einigung bei dem Thema. Die Interessen sind zu unterschiedlich.
Es läuft daher wahrscheinlich auch eine noch komplizierte Regelung hinaus, eine Art Flickwerk aus Reform und Erhalt der Überhangsmandate irgendwo am Rande der Verfassungswidrigkeit, vom Wähler nicht mehr zu durchschauen.

Stein des Anstoßes ist das sogenannte negative Stimmgewicht.

Ähnliche Regelungen gibt es bei den unterschiedlichen Landtagswahlen. Ob diese Wahlgesetzt jetzt auch verfassungswidrig sind, ist unbekannt.

janw
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Di 21. Jun 2011, 12:00 - Beitrag #5

Im Grunde ist es eine Farce, das Wahlgesetz von Vertretern jener Organisationen ausarbeiten zu lassen, die von dessen jeweiliger Ausgestaltung direkt profitieren werden. Das wäre IMHO eine Aufgabe für ein unabhängig zusammengesetztes Gremium unter Leitung des Verfassungsgerichtes oder für dieses selbst.

Lykurg
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Di 28. Jun 2011, 14:23 - Beitrag #6

Das Parlament ist bei uns nun einmal für Gesetzes- und Verfassungsänderungen zuständig, janw; derartiges Expertenräten (oder per Notverordnung dem Bundespräsidenten^^) anzuvertrauen, ist für mich ein weiterer Schritt weg von den Spielregeln, die ich mir vorstelle. Expertengremien als Berater sind schön und gut, aber die Entscheidungen müssen schon von legitimierten Volksvertretern getroffen werden. Und das sind sie eindeutig auch schon nach bisherigem, trotz der Verschiebungen durch Überhangmandate.

Daß man aber jetzt erst, am Ende der gesetzten Frist, intensiv über die Frage nachdenkt, ist bedauerlich. Vielleicht geht es einigen tatsächich um ihre Mandate und Zukunftsperspektive. Trotzdem sehe ich wenig Handhabe, das in die Hände anderer zu legen, ohne damit zugleich größere Veränderungen durchzuführen als eigentlich beabsichtigt.

janw
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Di 28. Jun 2011, 14:57 - Beitrag #7

Das Problem ist aber, daß es sich beim Wahlrecht um Regeln handelt, welche die Abgeordneten selber betreffen. Um ein von wirtschaftsnahen Politikern gern benutztes Bild zu gebrauchen, werden die Frösche gefragt, um deren Teich es geht. Bei Personalfragen vergleichbarer Wirkung gehört es hier und da immer noch zum guten Ton, sich bei eigener Betroffenheit zu enthalten.

Von daher halte ich diese Frage für eine, die aus dem direkten Zugriff von Parteipolitikern heraus gehalten werden sollte - weil ich nicht an deren durchgehende Enthaltung glaube und wenn es doch so kommen sollte, die Frage nicht zu lösen wäre? - weil sie derart grundlegend die Legitimität der Volksvertretung bestimmt, daß sie aus dem Ruch der Einflussnahme heraus gehalten werden muss.
Nicht zu Unrecht hat man die Verfassung von einer Verfassunggebenden Versammlung erstellen lassen und wird der Bundespräsident eben nicht allein von Abgeordneten gewählt (wenn auch für mich noch von zu vielen)

Wenn ein Abgeordneter durch ein zu Unrecht entstandenes Überhangmandat ins Palament gekommen ist, dann ist er für mich eben nicht legitimiert. Im Grunde besteht derzeit permanenter Rechtsnotstand, weil der Bundestag aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes nicht durchweg legitimiert ist.

Im Grunde wäre das mal ein Fall für ein Abgeordneten-Überhang-wiki.
Wann melden sich die ersten dadurch benachteiligten Kandidaten?

Lykurg
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Di 28. Jun 2011, 15:55 - Beitrag #8

Der Parlamentarische Rat war schon deswegen für das Grundgesetz verantwortlich, weil es den Bundestag noch nicht gab und noch nicht geben konnte. Interessanterweise gibt es hier aber historische Präzedenzfälle, so durften die Mitglieder der Konstituante, also der verfassunggebenden französischen Nationalversammlung 1789, nicht Mitglieder der gesetzgebenden Nationalversammlung ab 1791 werden.

Für Veränderungen am bestehenden System gibt es aber klare Regeln innerhalb des Grundgesetzes - sowohl für einfache Änderungen (parlamentarische Zweidrittelmehrheit) als auch für die Ersetzung durch eine Verfassung (per Volksabstimmung). Da ein weiteres Element hinzuzunehmen, finde ich fragwürdig (und es müßte seinerseits erst parlamentarisch legitimiert werden, was wohl kaum durchkommt, es sei denn, man putschte).

Den Zusammenhang zur Wahl des Bundespräsidenten sehe ich nicht so direkt, das sind schließlich auch von den Landesparlamenten bestimmte Vertreter; und seine realpolitische Bedeutung ist (zumindest nach Absicht des Grundgesetzes) ja ohnehin gering.

Das Mehrheitsverhältnis im Bundestag wäre (obwohl es mit zZt 22 mehr Überhangmandate gibt als je zuvor) ohne diese nicht anders.

009
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Di 28. Jun 2011, 21:12 - Beitrag #9

Zitat von janw:Im Grunde besteht derzeit permanenter Rechtsnotstand, weil der Bundestag aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes nicht durchweg legitimiert ist.

Jein - denn hätte das BVerG wirklich schwerwiegende Mängel erkannt, hätte es die Nichtigkeit des Wahlrechtes ab Urteilsspruch veründet oder/und wegen verfassungswidriger Wahl den aktuellen Bundestag aufgelöst und Neuwahlen angeordnet.

Traitor
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Mi 29. Jun 2011, 22:41 - Beitrag #10

Ich bin ja nach wie vor für die ersatzlose Abschaffung der Erststimmen. Ein reines Verhältniswahlrecht ist nunmal die einzige Variante, die jede Form von regionalen Stimmungleichgewichtungen und pathologischen Stufeneffekten verhindert.
Als milderen Schritt wäre es angemessen, die Erststimmen rein auf die innerparteiliche Sitzverteilung anzurechnen, also eine lokal gewichtete Listenumsortierung vorzunehmen.
Oder noch milder, vollständiger Überhangsausgleich bis zu einer gewissen Deckelung der Gesamtabgeordnetenzahl, darüber Verfallen der Überhänge.

Die CDU-Variante ist aber eine der schlechtestmöglichen Detailkorrekturen, die nur die Negatives-Stimmgewicht-Pathologie abstellt, meinem Verständnis nach aber im Gegenzug noch massivere Abweichungen vom Zweitstimmenergebnis erlaubt.

@009 und Jan: Mit Sicherheit sollte nicht das Verfassungsgericht im Alleingang ein neues Wahlrecht beschließen, das wäre eine krasse Kompetenzüberschreitung und Verletzung der Gewaltenteilung. Jans unabhängiges Gremium wäre höchstens dann legitim genug, wenn es in einer Sonderwahl vom Volk gewählt würde, dann könnte man aber auch gleich über eine Handvoll Wahlrechtsentwürfe direkt abstimmen lassen. Und natürlich müsste man für beide Varianten auch erstmal das Grundgesetz ändern, auf herkömmlichem, parlamentarischem Wege.
Nein, das Problem muss schon im Rahmen der etablieren Regeln gelöst werden. Aber noch besteht ja eine gewisse Hoffnung, dass der Bundesrat sich ausnahmsweise mal als produktiv erweist und auf einen weniger gepfuschten Kompromiss hinwirkt.

Zur Frage des akuten Rechtsnotstands: Ich hatte das Verfassungsgericht so interpretiert, dass es eine pragmatische Linie fährt und keine rückwirkende Delegitimierung sieht, da der pathologische Fall noch nie eingetreten ist. Kann man machen.

janw
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Do 30. Jun 2011, 23:31 - Beitrag #11

Zitat von 009:Jein - denn hätte das BVerG wirklich schwerwiegende Mängel erkannt, hätte es die Nichtigkeit des Wahlrechtes ab Urteilsspruch veründet oder/und wegen verfassungswidriger Wahl den aktuellen Bundestag aufgelöst und Neuwahlen angeordnet.

Ich halte die Tatsache, das das BVerfG es anders gemacht hat, eher für eine Unterordnung der rechtlichen Lage unter den Belang des Politbetriebs, eine Frage der Abwägung. Für mich in dem Punkt zu schwach.
Die eingeräumte Frist bedeutet nur, daß das Verfassungsgericht dem Politbetrieb eine eigene Lösung des bestehenden Rechtsproblems zutraut und ihm dafür eine gewisse Zeit einräumt. Der Rechtsbruch besteht trotzdem.
In jedem Falle läuft die aktuelle Debatte für mich nicht auf eine wirklich akzeptable Lösung hinaus, und das liegt für mich wesentlich an dem systemischen Webfehler, daß jene das Wahlrecht gestalten, die dadurch selbst betroffen sind. Eine derartige Praxis ist ziemlich einmalig in unserem Rechtssystem, in dem sonst regelmäßig auf Trennung der Normierungsinstanz von der von der Norm betroffenen Instanz geachtet wird - das Diätensystem stellt so gesehen eine weitere Ausnahme dar.

Natürlich müsste eine unabhängige Wahlrechtskommission durch das GG legitimiert sein, aber die dafür nötige Verfassungsänderunge wäre eben vorzunehmen.

Traitor, die Erststimmen sorgen für eine regionale Gleichverteilung der Volksvertretung, jeder Wahlkreis ist somit vertreten und damit hat jeder Bürger einen Abgeordneten, der für seine Region "zuständig", ansprechbar ist, im Verhältnis zu den Listenkandidaten, bei denen Ballungsräume möglicherweise stärker vertreten sind als ländliche Räume und bevölkerungsreiche Bundesländer stärker als bevölkerungsarme Länder. Von daher wäre ich eher für eine Deiner milden Lösungen.

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Do 30. Jun 2011, 23:50 - Beitrag #12

Ich glaube (hoffe^^), das die Richter am Bundesverafssungsgericht zuallererst nur auf die juristische Einschätzung der vorgelegten Fälle scheuen und wenn nur mit großem Abstand auch einbeziehen, wie das juristisch sich ergebende Urteil unter dem Aspekt Pragmatismus, Belange des Politbetriebes usw. wirkt.
Mit manchen "teuren" Urteilen hat das BVerfG m.E. schon gezeigt, das es nicht durch reale/realpolitische Folgen davon abgehalten wird, der mögichst reinen Lehre unserer Verfassung zur Umsetzung zu verhelfen.

Insofern bleibe ich dabei, man hat die Problematik des Wahlrechtes erkennt, erkennt aber offensichtlich keine dadurch entstandenen Verwerfungen bei der letzten Bundestagswahl und spielt den Ball zurück nach Berlin. Und wenn die sich was neues ausgedacht haben, kann es doch wieder sein, das es wem nicht gefällt und das BVerfG erneut entscheidet.

Es ist manchmal gleichermaßen faszinierend, wenn es vom BVerG eben entweder Urteile der Art "So geht es nicht, neu machen, wie genau verraten wir nicht, aber machts gut, weil sonst würden wir es doch wieder ablehnen wenn einer klagt" oder Urteile der Art "Das geht so nicht, Neuregelung, dabei sind diese konkreten, aus der Verfassung abgeleiteten Vorgaben, zu berücksichtigen".

Traitor
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Do 30. Jun 2011, 23:53 - Beitrag #13

Eine derartige Praxis ist ziemlich einmalig in unserem Rechtssystem, in dem sonst regelmäßig auf Trennung der Normierungsinstanz von der von der Norm betroffenen Instanz geachtet wird
Gewaltentrennungsverletzende Praktiken gibt es durchaus noch einige, etwa die de facto gesetzesäquivalenten Ministerialverordnungen (hohe Exekutive spielt Legislative), Gesetzesuminterpretation betreibenden Richter (Judikative spielt Legislative) oder Durchsuchungen ohne richterliches Gutachten (niedere Exekutive spielt Judikative). Dass die Legislative ein Gesetz erlässt, dass die Legislative betrifft, ist dagegen ja eigentlich gar kein Bruch der Gewaltentrennung, sondern eher von "checks and balances", die in Deutschland meines Wissens nicht entsprechend fundamental festgeschrieben sind. Aber das Verfassungsgericht übernimmt ja immer noch die Gegenkontrolle derartiger Gesetze, sodass die Legislative hier eh nur arg beschränkte Souveränität hat. Sogesehen tritt die Legislative hier eher nur als Gesetzesformulierungsdienstleister auf, die echte Entscheidung trifft doch eine andere Gewalt.

Traitor, die Erststimmen sorgen für eine regionale Gleichverteilung der Volksvertretung, jeder Wahlkreis ist somit vertreten und damit hat jeder Bürger einen Abgeordneten, der für seine Region "zuständig", ansprechbar ist, im Verhältnis zu den Listenkandidaten, bei denen Ballungsräume möglicherweise stärker vertreten sind als ländliche Räume und bevölkerungsreiche Bundesländer stärker als bevölkerungsarme Länder.
Wahlkreise sollten ja idealerweise nach konstanter Wählerzahl konstruiert sein, quantiative Missrepräsentationen sollte es also nicht (systematisch) geben. Dass sich Direktabgeordnete ihrem Wahlkreis oder Herkunftsland direkt verpflichtet fühlen, halte ich, wie schon in älteren Threads ausgeführt, für äußerst unwünschenswert, da Bundestagsabgeordnete eben keine regionale Vetternwirtschaft befördern sollten, sondern das Wohl ganz Deutschlands ihr oberstes Ziel sein sollte.

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Mi 25. Jul 2012, 12:59 - Beitrag #14

Zum Glück wurde die von der Koalition verbrochene Minimal-Neuregelung heute vom Verfasssungsgericht wieder als unzureichend gekippt.

Das Urteil geht mir aber wiederum nicht weit genug, insbesondere das Festlegen einer
zulässige Höchstgrenze von etwa 15 Überhangmandaten

erscheint mir als völlig willkürlich und schwer vermittelbar. (Im technischen Sinne begründet werden sie es schon irgendwie formaljuristisch haben, bei Gelegenheit mal nachlesen.) Es ist gut, dass sie diesmal auch explizit die Wirkung der Überhangmandate kritisieren und nicht nur deren technische Pathologien, aber sie nur um einen Faktor 2 zu kappen, anstatt sie ganz abzuschaffen oder (fairer Kompromiss) in den Rundungsfehlerbereich (1-2) zurückzudrängen, ändert doch eben nichts am Verzerren der Verhältniswahl.

Maglor
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Mi 25. Jul 2012, 22:18 - Beitrag #15

Beim Wahlgesetz geht es letzten Endes um die Verteilung der Macht.
Die strittigen Überhangmandate begünstigen die traditionellen Volksparteien.
Im Grunde es vorhersehbar, dass der fade Kompromiss aus Mandatenschacherei und geheuchelter Karlsruhe-Hörigkeit so enden musste.

Im September 2013 ist übrigens Bundestagswahl. :rolleyes:
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Traitor
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Mi 17. Okt 2012, 20:31 - Beitrag #16

Gerüchteweise soll nun eine überparteilich getragene Änderung kommen, mit der ein kompletter Überhangs-Ausgleich eingeführt wird. Das ist sehr viel konsequenter als der vorherige Bastelversuch sowie einfacher und damit vermittelbarer als einige vernünftige, aber recht komplexe Alternativvorschläge. Allerdings auch teurer, denn es wird, wenn die CDU nicht plötzlich ihre Dominanz einbüßt, eine ganze Menge Neuparlamentarier aus den anderen Fraktionen geben. Ein Wunder, ein Wunder!

Maglor
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Do 25. Okt 2012, 21:42 - Beitrag #17

Der neuerliche Versuch deckt mal wieder die wahren Werte unserer Parlamentarier auf.
Der komplette Ausgleich der Überhangsmandate führt zu einer Erhöhng der Abgeordnetenzahl. Der unfare Vorteil der beiden großen Parteien wird zwar ausgeglichen, aber den verfassungswidrig gewählten Mandatsträger bleibt der Weg zur Wiederwahl offen und sie müssen künftig nicht ihre Nebeneinkünfte zum Beruf machen. Ihre Pfründe bleiben gesichert.


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