Zivil- und Wehrdienst nach dem Ende der Wehrpflicht

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So 19. Jun 2011, 11:36 - Beitrag #1

Abgetrennt aus einem Wiederbelebungsversuch dieses Altthreads - Traitor

Irgendwie hat sich die (Um-)Frage nun durch Zeitablauf und die zwischenzeitliche politisch-gesellschaftliche Entwickung als obsolet erwiesen. Es wäre eher fragwürdig ;-) welche - ich sag bewusst neutral - Auswirkungen das Ende des an den Wehrdienst gekoppelten Zivildienst insbes. für das soziale System in Deutschland hat.
Ganz frewillig Dienst leisten werden vermutlich doch weniger Personen als zum Zivildienst herangezogen wurden - somit dürften vielen zuvor Zivildienstplätze bietenden Organisationen nun Arbeitskräfte fehlen bzw. diese vermutlich teurer kommen als die Zivis bisher.

Lykurg
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So 19. Jun 2011, 14:15 - Beitrag #2

Das würde ich auf jeden Fall abtrennen. Daß wir über die tatsächlich erfolgte Abschaffung der Wehrpflicht bisher keinen eigenen Thread hatten, dürfte daran liegen, daß die Überlegungen in der Richtung schon seit so vielen Jahren liefen und diskutiert wurden; die inzwischen feststehende Zielrichtung Bundesfreiwilligendienst ist aber jedenfalls ein bisher anders (und nicht gerade in diesem Thread) diskutierter Aspekt.

Wie das tatsächlich funktioniert, wird sich zeigen müssen (bisher berichten anscheinend vor allem rheinische Regionalmedien in der Sache) und die Umstellung sicher ein paar Jahre zur Etablierung brauchen, immerhin der Bekanntheitsgrad wird als Erfolg gewertet; aber ob das genügend Leute machen werden, sehe ich auch ziemlich skeptisch. Außerdem dürfte eine stärkere Einordnung in gern und ungern erbrachte freiwillige Leistungen ergeben, wo Zivis aufgrund der Pflicht und größeren Zahl auch mehr abdecken konnten/mußten.

Maglor
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So 19. Jun 2011, 17:29 - Beitrag #3

Nach Wegfall der Pflichten muss man die Jobs attraktiver gestalten.
Im Falle der Bundeswehr wird man, denke ich, an der Festanstellung in den unteren Rängen nicht vorbeikommen. Dass Zeitsoldatentum ist keine wirklich dauerhafte Perspektive. Die meisten, die sich in der Vergangenheit hierfür entschieden, taten es, weil sie nach Ableistung der Wehrpflicht kurzfristig keine Chancen mehr sachen. Der freiwillige Wehrdienst hingegen ist genauso eine Sackgasse wie die Wehrpflicht. Man muss schon gezwungen werden, um da mitzumachen. Wenn natürlich einfache Soldaten auch eine Aussicht auf lebenslange Beschäftigung und eine echte Altersvorsorge hätten, würde die Bundeswehr sicher auch deutlich mehr Freiwillige finden.

Gleiches beim Zivildienst: Ohne angemessene Bezahlung und soziale Sicherheit wird sich da niemand finden. Na gut, es gab auch immer ein paar Freiwillige, die ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr absolvierten, nur war ihre Zahl immer gering. Manche suchten ein Jahr Abenteuer in der weiten Welt. Für andere war es nur die Wartschleife zwischen Schule und Universität oder Ausbildung.

Ipsissimus
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Mo 20. Jun 2011, 16:30 - Beitrag #4

na ja, das Zeitsoldatentum kann ja durchaus mit einer Berufsausbildung gekoppelt sein und war in der Vergangenheit ab einer gewissen Dienstdauer ohnehin mit einer Einstellungsgarantie im Öffentlichen Dienst gekoppelt. Wenn das so bleibt, wären da durchaus Perspektiven

Maglor
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Mo 20. Jun 2011, 20:45 - Beitrag #5

Das ist aber schon lange mehr. Früher kamen die ausgedienten Zeitsoldaten einfach beim Bundesgrenzschutz unter. Das ist heute aber nicht möglich. Bei der Bundespolizei braucht keinen 08-15 zur stupiden Partroille mehr.
Früher war die Bundeswehr großzügig, was Führerscheine für LKWs und Busse betrifft. Fasst jeder Zeitsoldat verließ den Bund mit allen denkbaren Führerscheinen und konnte überall als LKW- oder Bus-Fahrer unterkommen. Heute leistet sich die Bundeswehr diesen Luxus nicht mehr.
Zeitsoldatentum ist eine Sackgasse. Einige treibt es heute in die fadenscheinige Security- und Türsteherszene. Nur die besten dürfen als private Söldner im Irak, Afghanistan und Co "arbeiten".
Die meisten müssen mit Ende 20 noch mal ganz von vorn anfangen. Der Bundzahlt jedoch ene Umschulung. Problematisch ist natürlich, dass fast alle Zeitsoldaten wurden, weil sie gar keine andere berufliche Perpektive hatten. Mit einer paar mehr oder minder ernsten Kriegstraumata darf sich der abgewrackte Zeitsoldat bei der Niedrig-Lohn-Branche oder gleich beim Arbeitsamt einreihen.
Der zurzeit von der Politik angepriesene Laufbahn, ist glaube ich Zeitsoldaten werden Kindergärtner.

Ipsissimus
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Di 21. Jun 2011, 09:01 - Beitrag #6

hm, der Sohn meines Schwagers konnte bislang als Z12 eine komplette Berufsausbildung als Telekommunikations-Elektroniker mit Meister machen und erhält in ein paar Jahren eine Anstellung bei einem Ministerium. Ich weiß natürlich nicht, wie allgemeingültig das ist, aber es scheint zumindest teilweise noch immer so zu funktionieren.

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Di 21. Jun 2011, 09:57 - Beitrag #7

Auch zu Zeiten des Zivildienstes gab es schon begehrtere Stellen (sozusagen mit Warteliste) und andere Plätze, die leer blieben - teils sicher auch, da anscheinend mehr Stellen eingerichtet wurden, als es tatsächlich Zivis gab. Ob die sozusagen durch geburtenschwache Jahrgänge, unerwartet viele Ausmusterungen oder durch geringe Verweigerungsraten unter den tauglich gemusterten "verlorengingen" weiss ich nicht.
Dafür scheint sich mir ein Teil der Problematik langsam entwickelt zu haben, da durch die steten Verkürzungen von Wehr- und somit auch Zivildienst die Zivis immer kürzer tatsächlich eingesetzt werden konnten und dadurch bei anspruchsvolleren Stellen das Verhältnis zwischen nötiger Schulungs- und tatsächlicher Einsatzzeit sich verschlechterte.

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Do 23. Jun 2011, 20:43 - Beitrag #8

Wie ich im KStA lese, scheint es heftigste Anlauf-, Organisations- und Konzeptionsschwächen zu geben. So gibt es keine einheitliche Anlauf-/Informationsstelle (was wird/wurde eigentlich aus dem Budesamt für den Zivildienst?), auch wirkt das nebeneinander von Bundesfreiwilligendienst sowie freiwilligem ökologischen und sozialen Jahr doch eher verwirrend. Komplexer wird es dann auch noch dadurch, das für die letzteren die Länder zuständig sind, während ersterer Bundeshoheit ist.
Hmmh, da fällt mir nur noch ein :crazy: zu ein.

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Sa 2. Jul 2011, 05:52 - Beitrag #9

Eine mE erstaunliche Information leitet sich aus einem Artikel von n-tv ab:
"Nicht nur an das Chillen denken"
Der Freiwilligendienst lahmt

Der Bundesfreiwilligendienst kommt in der Gesellschaft nicht recht an. Erst 3000 statt der erwarteten 35.000 Freiwilligen finden den Weg zu den Wohlfahrtsverbänden. Die Arbeit zehntausender Zivis können sie nicht ersetzen. "Wir werden in ein Loch fallen", heißt es beim Paritätischen Wohlfahrtsverband. Man wird sich über die Runden retten müssen.

[...]

35.000 Menschen jährlich sollen sich freiwillig melden für den Dienst an der Gesellschaft. Nicht einmal 3000 Verträge wurden bislang abgeschlossen und Familienministerin Kristina Schröder lässt die Zahl 35.000 jetzt als Zielmarke für das kommende Jahr festlegen. Sie räumte ein, dass das Engagement der Freiwilligen die Arbeit der Zivis nicht werde vollständig ersetzen können.

[...]

Der Sozialstaat werde zwar nicht zusammenbrechen, die Bedürftigen würden es aber dennoch zu spüren bekommen. Bislang hatten jährlich etwa 60.000 junge Männer in Pflegeeinrichtungen gearbeitet, deren großes Gut Zeit war. Sie hatten Zeit für Gespräche am Krankenbett, konnten auf schwierige Kinder eingehen, die besonderer Zuwendung bedurften, oder – wie Schneider sagt – den "Rollstuhl einfach mal in die Sonne schieben".
Wenn ich das richtuig deute, gab es zuletzt 60.000 Zivis jährlich allein in Pflegeeinrichtungen, für den Bundesfreiwilligendienst war mit 35.000 Menschen wenig mehr als die Hälfte als Ziel angesetzt, welches mit aktuell nicht 3.000 unter Vertrag genommenen auch deutlich verfehlt wird.
Oder kurz: der Wechsel von Zivildienst zu Bundesfreiwilligendienst sorgt dafür, das von den bislang 60.000 Zivis nur 5% durch freiwillig Dienst leistende ersetzt werden. Entweder die hatten alle nicht wirklich was zu tun oder es wird zu steigenden Personalkosten oder einbrechenden Leistungsangebot der Pflegeeinrichtungen kommen.

Lykurg
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Sa 2. Jul 2011, 07:39 - Beitrag #10

Das finde ich nicht sonderlich überraschend. Von den wenigsten meiner Freunde und Bekannten, die Zivildienst gemacht haben, kann ich mir vorstellen, daß sie das freiwillig gemacht hätten; bestenfalls im Nachhinein, da sie der Überzeugung waren, etwas Sinnvolles getan zu haben, was sie ausfüllte und ihnen was zurückgab, das ist aber eine Einsicht, die erst währenddessen kommt und so auch nicht zu vermitteln ist - denn ob es 'funktioniert', läßt sich wohl kaum im Voraus sagen. Dazu kommt aber noch, daß die derzeitigen Schüler und Studienanfänger seitens Staat, Gesellschaft und Medien so sehr auf Geschwindigkeit gedrillt werden, dazu gedrängt werden, so schnell wie möglich ihre Ausbildung zu machen und sich einen Beruf zu suchen, daß viele noch nicht einmal mehr Auslandsaufenthalte einzuschieben wagen, geschweige denn einen Freiwilligendienst, dessen Notwendigkeit sie nicht sehen und zu dem sie keine Lust haben. Auch finanzielle Anreize können hier nur bedingt etwas erreichen, es ist eine Bewußtseinsfrage. Der ntv-Artikel denkt insofern auch bemerkenswert zu kurz, wenn er die De-Maizière-Aussage "Es ist gut, wenn Du überhaupt was tust und nicht nur an die Karriere oder an das Chillen denkst." in der Überschrift auf "Nicht nur an das Chillen denken" reduziert. Das Problem ist hier ein selbstgeschaffenes.

Daß es teurer würde, war ebenfalls zu erwarten, schließlich ist eine staatliche Zwangsmaßnahme nicht an Marktpreise gebunden, die natürlich höher sind als die Entlohnung für Zivis oder das Taschengeld für die jetzigen Freiwilligen (350 €; fraglich, wieviele Arbeitslose dafür zu gewinnen sind). Vieles wird nicht mehr leistbar sein, andererseits gab es natürlich auch sprichwörtlich viele Zivistellen, auf denen fast nichts getan werden mußte; davon werden aus Kostengründen nun viele wegfallen oder zusammengefaßt werden. Das Problem hätte sich bewältigen lassen, wenn man die Wehrpflicht durch ein allgemeines Dienstjahr ersetzt hätte; allerdings handelt es sich dabei um einen so schwerwiegenden Eingriff in die persönliche Freiheit der Lebensgestaltung, daß ich erhebliche Zweifel daran habe, daß derartiges wünschenswert gewesen wäre. Aus eben diesem Grund war ja die Abschaffung der Wehrpflicht für mich unumgänglich, die Notwendigkeit hierfür war nicht mehr gegeben. Inwieweit das aber für den Zivildienst anders ist, wird sich zeigen; ich rechne zwar nicht mit einem flächendeckenden Einbruch, aber daß vielerorts Leistungen zurückgehen, etwa die Betreuung in Kindergärten, Krankenhäusern und Pflegeheimen schlechter wird, liegt auf der Hand.

janw
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Sa 2. Jul 2011, 12:52 - Beitrag #11

Ich sehe in der Bezahlung eines der großen Probleme beim Freiwilligendienst. Sie liegt unter dem Hartz IV-Satz - wie ich das System kenne, wird sie dann darauf angerechnet werden, weil der/die Betreffende für die Dauer des Dienstes ja nicht für den Arbeitsmarkt zur Verfügung steht - und unter dem Betrag für Minijobs, wie soll damit eine Lebensführung mit Miete usw. möglich sein?
Vielleicht wäre es sinnvoll, ihn als "bedingtes Grundeinkommen" für ein Jahr zu gestalten, mit sagen wir 1500 Euro im Monat. Wobei das wieder damit kollidieren wird, daß in den relevanten Beschäftigungsbereichen die Löhne des Fachpersonals teils darunter liegen, von der haushaltstechnischen Bezahlbarkeit einmal abgesehen.
Aber letztlich wird sich an dieser Frage entscheiden, was aus dem Dienst in der Praxis wird.

Maglor
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Sa 2. Jul 2011, 13:56 - Beitrag #12

Eine Hartz-Berechtigung für die mutmaßliche Zielgrupe besteht nicht.
Ein eigenständiger Hartz-IV-Anspruch besteht erst ab dem 25. Lebensjahr. Die Heranwachsenden erhalten lediglich als "Kinder" Hartz-IV-Leistungen, wenn die Eltern ebenfalls Hartz-IV bekommen. Bei Erwerbslosigkeit oder geringfügiger Beschäftigung müssen die Eltern ihren Kindern Unterhalt zahlen, der Staat springt in der Regel nicht ein.
Das Sozial-System lässt daher Dumping-Löhne für Heranwachsende durchaus zu.

Bei der Kostendeckelung im Gesundheitswesen sind Dumping-Löhne ohnehin faktisch notwendig. Es gibt bereits ausgebildete Altenpfleger, die unter Hartz-IV-Satz arbeiten. Die Freiwilligen werden wohl nie mehr bekommen als die Fachkräfte. Besser man ändert die Lohnpoliti der Branche. Mit dem Bundesfreiwilligendienst wird man die Löcher im Gesundheitswesen nicht stopfen können, eher mit unterbezahlten Hilfskräften aus Transnistrien.


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