Der größte Männerclub der Welt

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
Ipsissimus
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Mi 6. Jul 2011, 16:31 - Beitrag #1

Der größte Männerclub der Welt

http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,772246,00.html

Asiens Bevölkerung wächst, allerdings mit drastischer Schräglage. Denn der wirtschaftliche Fortschritt hat eine grausame Folge: Immer mehr weibliche Föten werden abgetrieben. Schon jetzt fehlen dem Kontinent mehr als 160 Millionen Frauen. Der Preis dafür: Prostitution, Menschenhandel, Gewalt.

...

Eine kanadische Studie geht dem medizinischen Fachblatt "The Lancet" zufolge davon aus, dass in den vergangenen zehn Jahren in Indien bis zu sechs Millionen weibliche Föten abgetrieben wurden. In Zukunft dürften es noch mehr werden. Indiens Premierminister Manmohan Singh spricht von einer "nationalen Schande" und fordert einen "Kreuzzug zur Rettung der Mädchen".

Die Schande reicht weit über Ländergrenzen hinaus. Hvistendahl zufolge lassen in ganz Asien vor allem reiche Städter mit Zugang zu medizinischer Versorgung abtreiben, wenn per Ultraschall festgestellt wurde, dass das Kind kein Junge ist. Dabei hätten die systematischen Abtreibungen ein weitaus größeres Ausmaß als das Töten von Mädchen kurz nach der Geburt. Auch die "Lancet"-Studie belegt, dass es sich entgegen weitläufiger Überzeugung nicht um ein Problem armer, ungebildeter Schichten handelt. In Indien falle das Jungen-Mädchen-Verhältnis stärker zugunsten von Jungen aus, je gebildeter die Mütter seien.

...

Lykurg
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Mi 6. Jul 2011, 18:22 - Beitrag #2

Sehr facettenreicher Artikel für ein umfassendes Problem... wobei die von dir zitierte Passage natürlich nur ein Teilaspekt ist.

Einerseits befremdet mich die Schuldzuweisung der zitierten Forscherin:
Hvistendahl wirft dem Westen vor, durch das Propagieren von Bevölkerungskontrolle seit den fünfziger Jahren zu dem Problem beigetragen zu haben. In ihrem gerade erschienenen Buch "Unnatural Selection" beschreibt sie, dass Länder wie China und Indien ein langsameres Bevölkerungswachstum als Schritt zur wirtschaftlichen Entwicklung sehen und deshalb niedrigere Geburtenraten fördern.
Höchstwahrscheinlich hat sie recht damit, daß der Westen hier einen wesentlichen Einfluß ausgeübt hat, auch wenn die Einkindpolitik in ihrer Radikalität genuin chinesisch war und auch in vielen nichtwestlichen Kulturen traditionelle empfängnishemmende Mittel bekannt sind und verwendet werden. Darüber hinaus scheint mir aber auch die damalige Politik rückblickend und auch weiterhin, um das schöne Wort zu zitieren, alternativlos - denn die sonst inzwischen herrschenden Hungersnöte und der Ressourcenverbrauch wären gewaltig. Nicht die Bevölkerungspolitik ist der Fehler, sondern die geringere kulturelle Wertschätzung der Frau - in dieser Hinsicht ging offenbar die chinesische Kulturrevolution nicht weit genug bzw. endete zu früh (und ich hätte mir nie vorstellen können, daß ich das einmal schreiben würde). Bild

Kraß finde ich aber auch die Hinweise auf gehäuft durchgeführte Geschlechtsumwandlungen im Säuglingsalter (in Indien).
Sie sollen umgerechnet bei bis zu 300 Mädchen für jeweils umgerechnet 2000 Euro Geschlechtsumwandlungen vollzogen haben. Betroffen sind vor allem Krankenhäuser in der Stadt Indore. Die Ärzte rechtfertigen die Eingriffe damit, sie hätten die Operationen lediglich bei Kindern vorgenommen, die "mit geschlechtlichen Abnormalitäten" zur Welt gekommen seien.
Es fällt mir schwer, abzuwägen, ob ich das abstoßender finde als eine geschlechtsbedingte Abtreibung...

Maglor
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Mi 6. Jul 2011, 18:47 - Beitrag #3

Der Vorwurf an den diffusen "Westen" ist daneben.
China entschied sich 1979/1980 für die Ein-Kind-Politik. Zu dem Zeitpunkt war das Land noch völlig isoliert.
Es gab auch im "Westen" niemals eine Propagierung der Abtreibung. Die Abtreibung ist nach wie vor umstritten, in einige "westlichen" Ländern nahezu verboten. Es gab höchstens eine Verhütungs-Propaganda, aber das ist ja etwas ganz anderes.

Interessanter finde ich, dass die Abtreibungen von Mädchen in Indien quasi illegal ist, es aber keine funktionierende Strafverfolgung hierfür gibt.
Ich sehe da ein schwerwiegenderes Problem. Hier fördert die Einführung moderner Technik die Auslebung althergebrachter Wünsche.
Ich habe viel über China im 20. Jahrhundert gelesen. Das Aussetzen, Verkaufen oder gar Töten von Säuglingen war in China eigentlich nie etwas ungewöhnliches. Dass Eltern über ihre Kinder oder Männer über Frauen wie ein Stück Vieh verfügen, hat schon eine gewisse Art von Konfuzius- oder Mao-Logik.

Die indische Tradition kennt zum Glück eine Lösung des Frauenmangel-Problems: Hijra
Ist vielleicht auf eine traditionelle Begründung für die Geschlechtsumwandlung von Knaben.

Asien ist eine fremde Welt. Kinder im europäischen Sinne gibt es dort erst seit wenigen Jahren und zwar nur in den Kleinfamilien der aufstrebenden Mittel- und Oberschicht.
Seit der Einführung der Ein-Kind-Politik unterbleibt meist die Ausbeutung der Kinder. Die neuen Einzelgänger werden nach europäischen Muster verhätschelt.

Ihr vielleicht noch ein Beispiel konfuzianischer Kinder-Verachtung:
Das 12. Beispiel kindlicher Pietät
Guo Ju 郭巨: Wollte sein Baby begraben, um seine Mutter zu retten.

009
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Mi 6. Jul 2011, 19:18 - Beitrag #4

Und in Indien gilt eine Tochter als teuer, da die Eltern bei ihrer Hochzeit eine Mitgift zahlen müssen, das Kind aber nach der Hochzeit zur Familie ihres Mannes zieht - während ein Sohn später für die Eltern sorgt. Mehr Bildung und ein höheres Einkommen würden dieses Problem schon beheben, lautet die Schlussfolgerung meistens.
Ob es das wirklich ist? Mädchen dann nur für die, die genug Vermögen haben/aufbauen, um die Mitgift zahlen und sich im Alter von anderen versorgen zu lassen? Mehr Bildung für mehr Einkommen oder um dieses "Brauteltern zahlen Mitgift"-Regel zu durchbrechen?

Der nächste Abschnitt dann:
Doch die US-Journalistin macht nicht die alten Bräuche in armen Schichten für das Ungleichgewicht verantwortlich, sondern beschreibt das Missverhältnis als "Auswuchs des ökonomischen Fortschritts". Der wirtschaftliche Aufschwung in vielen asiatischen Ländern, besonders in China und Indien, den beiden bevölkerungsreichsten Ländern der Welt, hat dazu geführt, dass sich immer mehr Frauen eine Ultraschalluntersuchung leisten können - und sich für einen Abbruch der Schwangerschaft entscheiden, wenn der Fötus ein Mädchen ist.
Das belegt doch geradem, das auch vermögendere an den regeln festhalten, dafür Abtreibung statt Aussetzung oä..

Aber die Folgen sind wirklich erschreckend
Prostitution, Menschenhandel, höhere Mordrate Die Folgen sind Forschern zufolge gravierend: In Regionen mit Frauenmangel nimmt Prostitution zu. Viele Männer, schreibt Hvistendahl, würden in Asien inzwischen für eine Ehefrau bezahlen, sie also kaufen. Dealer entführten und verschleppten Frauen, es gebe einen regelrechten Menschenhandel von Vietnam nach China, aber auch nach Taiwan und Südkorea, ebenfalls Länder mit besorgniserregendem Frauenmangel. In Indien habe man festgestellt, dass die höchsten Mordraten nicht dort verzeichnet würden, wo die ärmsten Menschen lebten, sondern in den Gegenden mit dem größten Männer-Frauen-Ungleichgewicht.

Lykurg
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Mi 6. Jul 2011, 19:36 - Beitrag #5

Maglor, der Verweis auf Guo Ju ist interessant und wirklich exotisch (wie auch einige der anderen Tugendmuster Bild) - und als du auf Hijra verwiest, dachte ich zunächst, was sollen Hindus bzw. Buddhistinnen in Mekka?^^ Allerdings scheint mir Hijra eher ungeeignet als Begründung, es sei denn, für eine allgemeine kulturell konnotierte Flexibilität im Umgang mit dem biologischen Geschlecht. Aber das läßt sich kaum beurteilen, finde ich.

009, die erhöhte Kriminalitätsrate in männlich dominierten bzw. von Frauenmangel betroffenen Gesellschaften ist typisch, ja. Möglicherweise wäre es interessant, mal wieder^^ eine tendenziell matriarchale Gesellschaft mit dem umgekehrten Prinzip zu konstruieren.

Naturgemäß würde ein System im Sinne von "reichere Familien bekommen Mädchen" nicht funktionieren, selbst wenn man es staatlich durchzusetzen versuchte. Die Aussteuer ist in besseren Kreisen entsprechend höher, so daß Mädchengeburten in allen Schichten unerwünscht sind.

009
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Mi 6. Jul 2011, 19:53 - Beitrag #6

Eben drum sollte es- wie auch immer - die Lösung sein, die Geburt eines Mädchens nicht zum finanziellen Ruin werden zu lassen, um derartige Geschlechtsverhältnisverschiebungen zu verhindern.
Seltsam, und unstatistisch zugegeben, das ich an Servicepersonal bei chinesischen Restaurants überwiegend bis ausschließlich Frauen erinnere.

Maglor
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Mi 6. Jul 2011, 20:28 - Beitrag #7

Vieles in Asien ist exotisch, befremdlich, ja erschreckend.
Indien:
Witwenverbrennung
Tempelprostitution minderjähriger
China:
Konkubinen
"Männer werden nur schlecht, wenn sie reich werden, aber Frauen werden nur reich, wenn sie schlecht werden." Chinesisches Sprichwort

Wer erfolgreich ist, hat zu Hause eine Frau, die ihn bekocht, außerhalb eine, die ihn bewundert, beim Essen eine, die gut aussieht, und in der Ferne eine, die ihn vermisst." Chinesische Lebensweisheit

Traditionelle Kindstötung im vorrevolutionärem China
Bevölkerungsgeschichte und Bevölkerungpolitik in China: Ein Überblick
"Ca. 10 - 25 % der neugeborenen Mädchen starben durch Infantizid, Vernachlässigung; in Krisenzeiten waren hiervon auch Knaben betroffen. Dadurch erreichte die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt nur Werte zwischen 25-35 Jahren; 5jährige hingegen mit rund 40 weiteren Lebensjahren rechnen."
Quellen-Link

In Form der Khusra existiert der geschlechtsverwandelte Mann auch in Pakistan, also in einer islamischen Gesellschaft. Sie stehen dort ncht nur irgendwo zwischen Mann oder Frau, sondern stellen auch ein Art Mischwesen zwischen Prostituierter/m und Derwisch.
Muslimische Khusras pilgern wahrscheinlich auch nach Mekka. ;)
Pakistan hat übrigens auch ein Männerüberschussproblem gleicher Ursache.

009
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Mi 6. Jul 2011, 20:41 - Beitrag #8

Spätestens mit dem Wissen wäre es sehr spannend, zu erfahren, wie aus diesem Kulturkreis stammende, die aber zugleich auch das Problem des "Männerclubs" verstehen, es dann lösen würden bzw. was diesen an möglichen Lösungsansätzen einfällt.

Traitor
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Mi 6. Jul 2011, 21:04 - Beitrag #9

Die Empörung westlicher Medien hat etwas fragwürdiges. Wieso sind Abtreibungen im individuellen Rahmen in Ordnung (was zumindest in Deutschland als Mehrheitsmeinung angenommen werden kann), wenn sie von fremden Kulturen systematisch und mit einer bestimmten Zielrichtung vorgenommen werden, aber verdammenswert? Ist ein "eine Tochter wäre zu teuer" eines indischen Paares wirklich verwerflicher als ein "ein Kind, egal welchen Geschlechtes, ist zu teuer / zu unbequem" eines westlichen Paares?

Die gesellschaftlichen Auswirkungen zeigen natürlich eindeutig, dass ein Problem vorliegt. Das ist der Kindermangel an sich hierzulande aber bekanntermaßen auch. Also auch kein grundlegender Verdammungsgrund.

Den Relativismus mal beiseite schiebend, stimme ich aber natürlich mit allen überein, dass das ein großer Misstand ist. Ihn durch kurzfristige Programme, egal ob Anreize oder Strafen, beheben zu wollen, kann wohl nur scheitern - es sei denn, die Regierungen gingen mit ähnlicher Motivation und Konsequenz an die Sache heran wie bei Chinas Ein-Kind-Programm. Dass wirtschaftlicher Fortschritt und direkter wie medialer Kontakt zu westlichen Vorstellungen die Gesellschaften so transformieren, dass sich diese Probleme herauswachsen, dürfte wohl auch nicht zu hoffen sein, denn der Effekt hätte längst eintreten sollen. Am aussichtsreichsten wären also wohl langfristig angelegte soziale Umgestaltungsprogramme der jeweiligen Regierungen, also kombinierte Bildungs-, Anreiz- und Zwangsmaßnahmenkampagnen, um beispielsweise das Mitgiftsystem umzugestalten.

009
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Mi 6. Jul 2011, 21:21 - Beitrag #10

Zitat von Traitor:Die Empörung westlicher Medien hat etwas fragwürdiges. Wieso sind Abtreibungen im individuellen Rahmen in Ordnung (was zumindest in Deutschland als Mehrheitsmeinung angenommen werden kann), wenn sie von fremden Kulturen systematisch und mit einer bestimmten Zielrichtung vorgenommen werden, aber verdammenswert? Ist ein "eine Tochter wäre zu teuer" eines indischen Paares wirklich verwerflicher als ein "ein Kind, egal welchen Geschlechtes, ist zu teuer / zu unbequem" eines westlichen Paares?
Ich vermute, nicht der einzige zu sein, der beim individuellen Rahmen durchaus etwas genauer Entstehungsgeschichte der ungewollten Schwangerschaft und Motivlage des Abbruchs benötigen, um zu entscheiden, ob/in welchem Ausmaß das in Ordnung ist.
In Asien sorgt diese spezielle Art der Familienplanung für auf die gesamte Gesellschaft wirkende Effekte; die Abtreibungen in Deutschland beispielsweise dürften von Motivlage wie Auswirkung in der Regel individualistischer sein.

Lykurg
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Do 7. Jul 2011, 00:51 - Beitrag #11

Zitat von 009:Ich vermute, nicht der einzige zu sein, der beim individuellen Rahmen durchaus etwas genauer Entstehungsgeschichte der ungewollten Schwangerschaft und Motivlage des Abbruchs benötigen, um zu entscheiden, ob/in welchem Ausmaß das in Ordnung ist.
Dem schließe ich mich an. Ein grundsätzliches Einverständnis jedenfalls nicht. - Dafür bin ich im Bezug auf das Servicepersonal in chinesischen Restaurants anderer Meinung bzw. kann das statistisch mindestens ein Stück weit ausgleichen, wenn auch vielleicht nicht überkompensieren. ;)

Maglor, die anderen Aspekte, die du jetzt nanntest, waren mir bekannt, sogar über die Khusra hatte ich neulich was gelesen^^ - aber daß da traditionelle Vorstellungen mit den neuen technischen Mitteln eine merkwürdige Allianz eingehen, ist schon ein Grund für Unbehagen.

Traitor, ich sehe noch einen massiven Unterschied darin, ob die Gesellschaft schrumpft oder ob sie einen starken Männerüberschuß produziert. Das in Staaten mit einem Überschuß an unzufriedenen jungen Männern entstehende Konfliktpotential richtet sich nach innen oder außen, ist diesbezüglich das genaue Gegenteil einer rapide alternden Gesellschaft.

Ipsissimus
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Do 7. Jul 2011, 10:04 - Beitrag #12

der Kern des aus westlicher Sicht Bestürzenden an diesen Traditionen und Praktiken kann wohl darin gesehen werden, dass wir darin dezidierte Auffassungen über den konkreten Wert konkreter Menschen, auch ungeborener finden, die auf das Verdikt "wertlos" oder "nur als Verkaufsobjekt von Wert" hinauslaufen, und das in vollem Ernst, mit allen Konsequenzen. Das läuft einer vereinheitlichten Moral im Sinne von allgemeinen Menschenrechten vollständig entgegen. Wenn wir nun bedenken, dass das die Menschen sind, auf deren Märkte wir streben, erwächst daraus Unsicherheit: Da stehen uns Menschen gegenüber, die im vollen Ernste und ohne jeden Kompromiss mit unseren Vorstellungen anders sind.

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Do 7. Jul 2011, 21:19 - Beitrag #13

@009, Lykurg: Und zählt auch bei den Asiaten der individuelle Rahmen?

Zitat von 009:die Abtreibungen in Deutschland beispielsweise dürften von Motivlage wie Auswirkung in der Regel individualistischer sein.
Ein großer Anteil folgt aber sicher dem generellen Motiv "Kinder sind unbequem", das nicht sonderlich erhabener als "Mädchen sind teuer" zu sein scheint.

Zitat von Lykurg:Traitor, ich sehe noch einen massiven Unterschied darin, ob die Gesellschaft schrumpft oder ob sie einen starken Männerüberschuß produziert. Das in Staaten mit einem Überschuß an unzufriedenen jungen Männern entstehende Konfliktpotential richtet sich nach innen oder außen, ist diesbezüglich das genaue Gegenteil einer rapide alternden Gesellschaft.
Es sind sehr verschiedene Probleme, ja. Ob der Männerüberschuss aber wirklich fundamental schlimmer ist, bin ich mir aber nicht sicher. Prinzipiell könnte ich mir sogar Gesellschaften vorstellen, die ihn in einen Vorteil umzuwandeln verstehen, etwa in der Vergangenheit für Entdeckungsreisen im großen Stil, oder in der Moderne theoretisch für vielleicht ethisch fragwürdige, aber für den Staat produktive, Bergbau-. Produktions- oder Wissenschafts-Ghettos.
Die realistischere Variante ist aber natürlich das "Verheizen" per Krieg, Kriminalität oder Terrorismus, und das ist sicher ein Problem, das von Rentnern und Rentnerinnen weniger droht.
Dennoch sehe ich auch mit dieser Perspektive den Männerüberschuss als das kleinere Problem gegenüber dem Jugendüberschuss an sich vieler Länder an. China dürfte das interessanteste Beispiel sein, da es Vergreisung mit Männerüberschuss kombiniert, Männer und Jugend also dekorreliert zu analysieren erlauben könnte.

@Ipsi: Maglor brachte ja bereits zum Ausdruck, dass die Mädchen-Aussortierung nur ein Aspekt weitaus breiterer Menschenwertauffassungsdiskrepanzen ist. Sicher aber einer der radikalsten.

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Do 7. Jul 2011, 22:35 - Beitrag #14

Zitat von Traitor:@009, Lykurg: Und zählt auch bei den Asiaten der individuelle Rahmen?

Ein großer Anteil folgt aber sicher dem generellen Motiv "Kinder sind unbequem", das nicht sonderlich erhabener als "Mädchen sind teuer" zu sein scheint.
Das müssten wir die einzelnen abtreibenden Asiatinnen fragen^^ So sie denn aus individuellen Gründene ntscheiden, nicht dem gesellschaftlichen Druck folgen, ändert sich die Motivlage, die in mein Urteil einfliesst gewiss stark, ich kann mir eher vorstellen, die Abtreibung nicht als gut, aber doch als mind. infinitesimal weniger schlimm einzustufen.
Was die Motive zum abtreiben sind, eine spannende, gewiss intrivial erhebbare Frage - weil ich eine Differenz zwischen auch in zugesichert anonymer Befragung geäußertem und in der Frau/dem Paar ggf. wirklich handlungsentscheidendem Motiv nicht ausschließen will (soziale Erwünschtheit, Scham usw. können da wohl ihre Wirkung haben).
Generell ist "Kinde sind unbequem" gewiss, ein "ich kann Kind nur auf eine Art gerecht werden, die ich gewiss nicht lang und gut genug zu leben fähig bin" ist einerseits gar nicht so weit weg davon, wirkt aber doch schon sehr anders.

Lykurg
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Do 7. Jul 2011, 23:15 - Beitrag #15

Wie genau meinst du das, Traitor? Es gibt Gründe, aus denen ich eine Abtreibung in frühem Stadium rechtfertigen kann, etwa Vergewaltigung, oder aber schwerwiegende Behinderung des Kindes, wenn erheblicher Anlaß zur Annahme besteht, daß die Umstände, unter denen das Kind aufwächst, diesem nicht gerecht werden. Diese Gründe gelten selbstverständlich auch für Asiatinnen. Allerdings erkenne ich die kulturrelativistische Gefahr darin; möglicherweise ist für eine indische Mutter die Geburt einer Tochter 'schlimmer' als die eines schwerbehinderten Jungen und traumatisierender als eine Vergewaltigung, und würde dazu führen, daß das Kind mißhandelt wird? Aber dann müßte nach meinem Verständnis hier unbedingt ein Umbruch stattfinden bzw. sich fortsetzen.
Es sind sehr verschiedene Probleme, ja. Ob der Männerüberschuss aber wirklich fundamental schlimmer ist, bin ich mir aber nicht sicher. Prinzipiell könnte ich mir sogar Gesellschaften vorstellen, die ihn in einen Vorteil umzuwandeln verstehen, etwa in der Vergangenheit für Entdeckungsreisen im großen Stil, oder in der Moderne theoretisch für vielleicht ethisch fragwürdige, aber für den Staat produktive, Bergbau-. Produktions- oder Wissenschafts-Ghettos.
Die realistischere Variante ist aber natürlich das "Verheizen" per Krieg, Kriminalität oder Terrorismus, und das ist sicher ein Problem, das von Rentnern und Rentnerinnen weniger droht.

Warum Männer für Wissenschaftsghettos prädisponiert seien, solltest du mir mal genauer erklären, Traitor. Bild Generell sind die von dir genannten Verwendungen aber sicher sinnvollere Ansätze als der Kriegseinsatz, außer unter sehr speziellen Umständen.^^ Bei weitergehender Technisierung könnte man möglicherweise auch damit Rentner beschäftigen? Obwohl - EDV-Kompetenz... Bild
Dennoch sehe ich auch mit dieser Perspektive den Männerüberschuss als das kleinere Problem gegenüber dem Jugendüberschuss an sich vieler Länder an. China dürfte das interessanteste Beispiel sein, da es Vergreisung mit Männerüberschuss kombiniert, Männer und Jugend also dekorreliert zu analysieren erlauben könnte.
Lohnender Gesichtspunkt, ja. Allerdings sehe ich aufgrund der Ausnahmeklauseln und zunehmenden Aufweichung der Ein-Kind-Politik eher tendenziell als tatsächlich eine Vergreisung; die Geburtenrate in China ist erst 1993 unter 2 gefallen und liegt seit 1996 konstant bei 1,8. Bei uns wurden diese Werte 1970/72 unterschritten, so dramatisch sah man das damals aber wohl noch nicht.

Ipsissimus
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Fr 8. Jul 2011, 13:37 - Beitrag #16

http://www.sueddeutsche.de/geld/reden-wir-ueber-geld-sexsklavinnen-seit-meiner-zeit-im-bordell-bin-ich-tot-1.1117514

Oh, an das Entkommen dachte ich nie. Wohin hätte ich gehen sollen? Ich bin erst geflohen, als der Bordellbesitzer meine Freundin erschoss. Sie war elf Jahre alt und wurde an so viele Kunden verkauft, dass ihr Körper nicht mehr konnte. Der Bordellbesitzer rief uns zusammen. Er sagte, keiner dürfe sich verweigern. Dann erschoss er sie, einfach so. Sie saß neben mir. Ihr Gehirn und ihr Blut spritzen auf mich. In dem Moment beschloss ich, eine Waffe zu besorgen und ihn umzubringen. Ich war 13.

Maglor
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So 9. Dez 2012, 15:09 - Beitrag #17

Zitat von Lykurg:Maglor, der Verweis auf Guo Ju ist interessant und wirklich exotisch (wie auch einige der anderen Tugendmuster)

Bei kompleter Ansicht der Legende ergibt sich ein anderes Bild.
Die Geschichte ähnelt in ihren Motiven der biblischen Legende von Abraham und Isaak sowie dem Märchen vom Sterntaler.

[INDENT]Guo Ju war ein armer Mann und konnte nur mit Mühe und Not seine Familie ernähren. Sein kleiner Sohn und seiner Schwiegermutter teilten sich ihr Essen, doch es reichte nicht für beide. Da sagte seine Ehefrau: "Können wir nicht uns unseren Sohn, begraben um meine Mutter zu retten." Guo Ju tat wie im Geheißen und wollte seinen Sohn begraben, um seine Schwiegermutter zu retten. Er hob also das Grab seines Kindes aus, fand jedoch in der Erde einen Kessel voller Gold. So wurde seine Tugendhaftigkeit belohnt und hatte genug Gold, um seine Familie zu ernähren.[/INDENT]

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So 9. Dez 2012, 15:31 - Beitrag #18

Danke Maglor, da war ich Lykurg noch Antworten schuldig...

Wie genau meinst du das, Traitor? Es gibt Gründe, aus denen ich eine Abtreibung in frühem Stadium rechtfertigen kann, etwa Vergewaltigung, oder aber schwerwiegende Behinderung des Kindes, wenn erheblicher Anlaß zur Annahme besteht, daß die Umstände, unter denen das Kind aufwächst, diesem nicht gerecht werden.
Damit würde ich dich im Abtreibungsliberalitätsspektrum recht weit auf der restriktiven Seite vermuten, weiter als den von mir angenommenen deutschen Standardkonsens - ein "ich bin erst 20 und habe noch keinen guten Job und keine Lust auf Verantwortung" bei gesundem (noch recht jungen) Fötus scheint ja mehrheitlich als hinreichender Grund anerkannt zu sein, von dir aber wohl sehr definitiv nicht? Aber das gäbe dann schon fast einen generellen Abtreibungs-Thread ab, der vielleicht auch als Grundlage für den Postnatal-Thread relevant wäre.

möglicherweise ist für eine indische Mutter die Geburt einer Tochter 'schlimmer' als die eines schwerbehinderten Jungen und traumatisierender als eine Vergewaltigung, und würde dazu führen, daß das Kind mißhandelt wird?
So extrem ist es vermutlich nicht, sonst wäre der Jungenüberschuss sicher noch viel extremer.

Warum Männer für Wissenschaftsghettos prädisponiert seien, solltest du mir mal genauer erklären, Traitor. ;)
Nicht Männer an sich, aber überzählige Männer. ;) Wenn man die nerdigsten Männer wegghettoisiert, dann wird weder der Ausgeglichenheit der sozialen Interaktionen noch der Volksfortpflanzungsrate ein nennenswerter Abbruch getan. ;)

Ach ja, und @009, der ja auch pünktlich wieder da ist: im Westen gibt es halt auch einen gesellschaftlichen Druck "wenn man jung ist, kriegt man noch keine Kinder" oder "wenn man Karriere will, kriegt man keine Kinder", auch da ist kein fundamentaler Unterschied zur asiatischen Situation.
Deine Umformulierung ist für den ehrenwerteren Teil der Betroffenen gut, aber sicher nicht für alle.

Lykurg
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Di 11. Dez 2012, 11:46 - Beitrag #19

Nach einigem Überlegen habe ich die Antwort dann doch hierhin ausgelagert, weil meine Position keine genuin asiatische ist. Bild

Maglor, zu deinem Abraham/Isaak-Verweis: Neulich stieß ich irgendwo - leider die Quelle schon wieder vergessen - auf eine moderne Fassung der Erzählung, die mich absolut umgehauen hat. Darin sieht Abraham das Lamm zwar, beharrt aber auf seinem göttlichen Auftrag, seinen Sohn zu töten, den er auch ausführt - es endet dann sinngemäß: "und so geht es weiter bis zum heutigen Tag." (nur wesentlich besser formuliert, in dieser Weise hätte es mich auch nicht so beeindruckt^^).

e-noon
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Di 11. Dez 2012, 12:28 - Beitrag #20

Passender wäre doch angesichts der antifeministischen Tendenz die Parallele zu Aeneas:

In mythologischen Erzählungen nach Homer wird von der Rettung des Aeneas aus dem untergehenden Troja und seiner Reise nach Westen berichtet. Zusammen mit seinem Vater Anchises, den er auf seinen Schultern trägt, und seinem Sohn Askanios kann er aus dem brennenden Troja entkommen. Auch das Palladion kann er mitnehmen, aber seine Frau Krëusa verliert er.

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