Zensus 2011

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Traitor
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Do 21. Jul 2011, 22:51 - Beitrag #1

Zensus 2011

Und, wer wurde schon gezenst?

Nach der tollen Sozialwahl steht derzeit die nächste bürokratische Sonderveranstaltung an. Deutlich sinnvoller, aber auch deutlich aufwendiger und theoretisch auch deutlich kontroverser, wenn letzteres auch weitgehend versickert ist.

An sich bin ich ja ein Freund umfangreichen statistischen Materials und sehe, hinreichende Anonymisierung vorausgesetzt, kein grundsätzliches Problem mit Volkszählungen, wie viele es hineininterpretieren.

Die Umsetzung scheint aber doch mal wieder eher semiprofessionell geraten zu sein, den Brief mit der Besuchsankündigung für heute habe ich doch tatsächlich schon gestern erhalten. Da wäre es fast angemessen gewesen, erstmal herauszufinden, worin eigentlich die Sanktionen bei Verletzung der so oft betonten "Auskunftspflicht" bestehen sollen. Da man sich aber auch den Zettel aushändigen und die Daten dann sogar online abgeben kann, habe ich es bei einer mündlichen Beschwerde belassen und letztere Option gewählt. Sobald ich mir mal die Zeit dafür genommen habe, folgt ein Bericht über Fragen- und Datenaufnahmesoftware-Qualität.

Lykurg
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Fr 22. Jul 2011, 13:32 - Beitrag #2

Schon spannend, wie sich die öffentliche Wahrnehmung da verschoben hat. Gegenüber den Dingen, die viele freiwillig einem unkontrollierten Nutzerkreis preisgeben, sind die vom statistischen Bundesamt erhobenen Daten recht harmlos (zumindest solange kein Abgleich mit Finanzämtern etc. durchgeführt wird; genau das wäre aber im Zusammenhang mit der individuellen Steuernummer ein mächtiges Werkzeug zur Überprüfung der Vollständigkeit). Ich vermute, die Steuernummer steht nicht auf dem Bogen? ;)

Frauen zwischen 15 und 75 sollen nach der Zahl ihrer lebend geborenen Kinder gefragt werden - ich frage mich, wie es zu dieser zeitlichen Eingrenzung kommt.

Das späte Eintreffen der Ankündigung ist absurd, man könnte meinen, die hätten die Daten nicht im Griff. Nichtantreffen des Befragten dürfte entsprechend oft vorkommen; wenn du die Befragung online ausfüllst, sehe ich das Problem auch nicht.

janw
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Fr 22. Jul 2011, 15:34 - Beitrag #3

Ich habe den Bogen auch online ausgefüllt, der Termin für eine Nachbefragung wurde rechtzeitig mitgeteilt und lief gut ab.

Tjaja, über die gewandelte Wahrnehmung der Datensammelei habe ich auch öfters nachgedacht, es hat sich etwas geändert, von der Haltung "meine Daten gehören mir" hin zu einer verbreiteten Gleichgültigkeit. Vielleicht steht sie in einem Zusammenhang mit der abnehmenden Beteiligung an politischen Abstimmungen, insgesamt also mit einem abnehmenden Interesse an allgemein politischen Themen, wenn es nicht um die Autobahn durch den eigenen Vorgarten geht.
Parallel dazu werden natürlich bereitwillig Daten an Wirtschaftsunternehmen gegeben, ohne Kontrolle, wie diese damit umgehen, und sei es für eine Tauschbörse für Sammelbildchen. Aber vielleicht ist das eher ein Schichtenproblem, vielleicht gehen nur bestimmte gesellschaftliche Gruppen mir ihren Daten so bedenkenlos um.
Eigentlich ein Thema, das einmal demographisch untersucht werden sollte.

Die Frage nach der Kinderschar wäre IMHO mal eine Beschwerde an den Gleichstellungsbeauftragten wert, warum wird derlei nicht bei Männern abgefragt?

Lykurg
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Fr 22. Jul 2011, 16:28 - Beitrag #4

pater semper incertus... Bild Darin sehe ich keine Diskriminierung, die Information sollte nur einmal erhoben werden, um Doppelungen zu vermeiden; und wenn man sich entscheidet, dann doch logischerweise eher für die Frau.

Ich bin mir nicht so recht sicher, inwieweit das schichtspezifisch ist; vielleicht gibt es in der Unterschicht eine höhere Bereitschaft dazu, Daten preiszugeben, aber es könnte auch eine Altersfrage sein, dazu natürlich die politische Orientierung (und nicht nur der Grad des Interesses).^^

janw
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Fr 22. Jul 2011, 19:15 - Beitrag #5

Nun, ich finde es schon relevant zu wissen, wie viele der Kinder aus zerbrochenen Beziehungen oder Nicht-Beziehungen stammen, die Bedeutung eines Vaters als Elternteil ist lange unterschätzt worden, und das Phänomen, daß Männer sich aus der Verantwortung stehlen, hat IMHO auch eine sozialpolitische Relevanz.

Nun, in meinem weiteren Umfeld hat der Datenklau der Fußballbildertauscher die zu Erwartenden erwischt, wobei allerdings in dem Falle soziale Herkunft und Schichtenzugehörigkeit nicht mehr gleich sind. Nichtintellektualität steigt auf...

Traitor
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Sa 23. Jul 2011, 00:15 - Beitrag #6

@Lykurg: Nein, die Steuernummer steht nicht drauf, und auch sonst überraschend wenig konkretes und relevantes. Ich hatte ja ehrlich gesagt deutlich weiter gehende Fragen erwartet. Mehr zur finanziellen Situation, mehr zur Wohnung (oder geht das alles über den Vermieter?), genaueres zur Familie.

Irritierenderweise gab es überhaupt keine Fragen dazu, ob man Kinder hat.

Zur späten Ankündigung: Anscheinend ist hier ein einzelner Mitarbeiter sowohl für das Briefverschicken als auch die Hausbesuche verantwortlich. Da ist das kein Wunder. Arbeitsteilung kennt die zuständige Behörde wohl nicht.

@Jan: Ich halte die Volksbefragung für harmlos, weil das alles Daten sind, die der Staat eigentlich eh schon hat, und es nur darum geht, den Bestand zu korrigieren und aufzufrischen. Natürlich könnte man einen fehlerhaften Bestand für "sicherer" als einen exakten halten, aber eine echte Aufgabe bisher privater Informationen sehe ich da nicht.

Nun noch eine Liste Detailgemeckere nach dem Ausfüllen, von technischen bis inhaltlichen Mängeln. Manche nicht ernst gemeint, die meisten aber schon.
  • Der Aktivierungscode für's Online-Ausfüllen ist dämlich formuliert, großes I und kleines l sind nicht zu unterscheiden.
  • Infotext: "Bei der Adresse ist die Anschrift anzugeben, an der Sie der Erhebungsbeauftragte angetroffen hat." Und wenn man den Herrn zufällig vorher oder nachher in der Eisdiele getroffen hat? ;)
  • Warum zum Geier brauchen sie meine Telephonnummer? An der ist nun wirklich nichts relevantes zu statistieren.
  • Wenn man in Frage 7 zugegeben hat, juristisch einer "Religionsgesellschaft" (Privatneologismus?) anzugehören, darf man danach nicht mehr Frage 8 ausfüllen, zu welcher Religion man sich "bekennt". Also auch nicht aussagen, dass man sich zu nichts bekennt. Implizit wird also angenommen, dass jedes Kirchenmitglied auch Christ ist (bzw. analog für andere Religionen). Ich bin schon auf die Artikel gespannt, die einen überraschenden Boom christlichen Bekenntnisses in Deutschland aus dem Zensus ableiten, weil sich plötzlich zig Millionen wieder bekennen und viel weniger Leute atheistisch sind...
  • Bei den Frage, ob man selbst, Mutter oder Vater "nach 1955 in das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugezogen" ist, wird auch im Infotext nicht definiert, ob "zuziehen" einen anderweitigen vorherigen Wohnsitz erfordert - sprich, ist es nicht eigentlich auch ein Erstzuzug nach Deutschland (und in die Welt an sich) nach 1955, wenn man erst 1956 oder später wurde? ;)
  • Warum werden Schule, Beruf etc. nur für die "Woche vom 9. bis 15. Mai 2011" abgefragt? Anscheinend irgendeine Stichtagsregelung, auf die der Datenbestand zurückgerechnet werden soll. Aber damit handeln sie sich doch völlig überflüssige statistische Fluktuationen ein, weil die Woche für einige Leute zufällig nicht repräsentativ ist. Wieso nicht "Was war ihr Beschäftigungs-/Schul-/wai-Zustand im Großteil des bisherigen Kalenderjahres"?
  • "Haben Sie einen allgemeinbildenden Schulabschluss? Ja, Nein, Noch nicht". Ich vermute signifikant überhöhte Antwortzahlen für "Noch nicht", da keine aktuellen Anstrengungen dahingehend verlangt werden, und über den n-ten Bildungsweg ja prinzipiell jeder irgendwann nochmal einen Abschluss nachholen könnte, und viele diese Variante dann sicher aus Stolz angeben.
  • Bei sämtlichen Beschäftigungsfragen werden nur Standardformen akzeptiert, mein Fall (Student, nicht erwerbstätig im juristischen Sinne, aber mit Einkommen) ist sicher nicht das einzige Exotikum, das nicht erfasst wird.


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