Schmerzensgeld für Gäfgen

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Lykurg
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Mo 15. Aug 2011, 17:02 - Beitrag #21

Selbstanzeige ist ein klassischer mildernder Umstand. Mag sein, daß damit der kalkulierte Rechtsbruch gefördert wird, aber würde ein Selbstanzeige-Fall mit einem abschreckenden Urteil geahndet, wäre das auch nicht die Kombination, die man haben will. Schlimmer geht's immer - würde sein Verhalten intern gedeckt und eben nicht öffentlich verhandelt, würde sich niemand an der Causa stören. Das wäre aber schlechter.

Verstoß gegen das Grundgesetz ist mir als Verhaftungsgrund allerdings nicht völlig klar. Man kann Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erheben, aber so direkt ginge es nicht.

janw
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Mo 15. Aug 2011, 20:20 - Beitrag #22

Naja, es läuft in diesem Falle aber schon auf eine faktische Konsequenzenlosigkeit für Daschner hinaus - die Geldstrafe wurde als Verwarnung unter dem Vorbehalt erlassen, daß er sich ein Jahr straffrei verhalte.
Dafür, daß er einen Untergebenen verleitet hatte, gegen eines der elementaren Grundrechte unserer Verfassung zu verstoßen.
Das ist für mich zu wenig im Sinne einer Sühne für den Unrechtswert der Tat, gerade auch, weil die von Daschner behauptete Notlage nicht bestanden hatte, und vor dem Hintergrund des bei Polizei nach wie vor bestehenden Corpsgeistes.

Zitat von Lykurg:Verstoß gegen das Grundgesetz ist mir als Verhaftungsgrund allerdings nicht völlig klar. Man kann Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erheben, aber so direkt ginge es nicht.

Nach Art. 20 Abs. 4 GG ist Widerstand gegen die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung zulässig:
„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Aber stimmt natürlich, es gilt für die Ordnung an sich, nicht für den Einzelverstoß.
Allerdings könnte man hierin schon eine Rechtslücke sehen, durch die die Verfassung nicht wirklich wirksam gegen Verstöße durch Amtsträger geschützt wird.

Traitor
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Di 16. Aug 2011, 10:59 - Beitrag #23

@Ipsi: Meinst du uns oder die Öffentlichkeit? Die von mir geforderte "individuelle Bestrafung" hätte eine schärfere sein sollen, die Abschreckung ist ja gerade meine Kernforderung. Aber ja, in der Öffentlichkeit wurde das Urteil abgesehen von genereller Empörung "oh, der böse Folterer, der kommt so billig weg" nicht inhaltlich genug kritisiert. Pensionsentzug halte ich hier übrigens für eine ungeeignete Strafe, da damit das vorherige, mutmaßlich tadellose, Arbeiten des Polizisten durch die einmalige Bestrafung negiert wird. Eine Dienstentfernung und empfindliche Strafe, gerne sogar eine Freiheitsstrafe, aber danach sollten die Ansprüche aus vorigen Dienstjahren erhalten bleiben.

@Jan:
Wenn es nur eine gesetzliche Norm gäbe, nach der in gewissen harten Fällen mal leichtes Nachhelfen zulässig wäre, der Beamte von seiner persönlichen Einstellung aber den Grundrechten verpflichtet wäre, was sollte dann gelten?
Dann sollte er sich der Folter(-drohung) selbstverständlich enthalten. Je nach persönlicher Gewichtung von Täterschutz und Eigenpositionsschutz entweder passiv durch Abziehenlassen vom Fall, sodass ein folter(-droh-)freudigerer Kollege übernimmt, oder aktiv durch Dranbleiben und Nichtanwenden mit nachfolgendem Disziplinarverfahren wegen Nichtnutzung im Extremfall zugelassener Mittel.

"Naja, es läuft in diesem Falle aber schon auf eine faktische Konsequenzenlosigkeit für Daschner hinaus - die Geldstrafe wurde als Verwarnung unter dem Vorbehalt erlassen, daß er sich ein Jahr straffrei verhalte.
Dafür, daß er einen Untergebenen verleitet hatte, gegen eines der elementaren Grundrechte unserer Verfassung zu verstoßen.
Das ist für mich zu wenig im Sinne einer Sühne für den Unrechtswert der Tat, gerade auch, weil die von Daschner behauptete Notlage nicht bestanden hatte, und vor dem Hintergrund des bei Polizei nach wie vor bestehenden Corpsgeistes.

Zitat:
Zitat von Lykurg
Verstoß gegen das Grundgesetz ist mir als Verhaftungsgrund allerdings nicht völlig klar. Man kann Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erheben, aber so direkt ginge es nicht.

Nach Art. 20 Abs. 4 GG ist Widerstand gegen die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung zulässig:
Zitat:
„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

"Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung" ist hier schon sehr weithergeholt. Damit könnte man allerhöchstens den Richtern kommen, die Grundrechtsverstöße als Lappalie beurteilen. ;)

Ipsissimus
Dämmerung
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Di 16. Aug 2011, 11:51 - Beitrag #24

das eigentliche Problem, Traitor, sind weder Gäfgen noch Daschner, sondern besteht aus einer Mentalität, die überhaupt auch nur erwägt, Folter als Mittel gegen Personen einzusetzen.

In dieser Hinsicht fehlen mir seitens der Polizei klipp und klare Stellungnahmen, dass man gegebenenfalls unter allen Umständen auch gegen eigene Kollegen vorgehen und diese notfalls auch mit Gewalt hindern wird, schlimmstenfalls im Nachhinein nachdrücklich ermittelt ohne Ansehen der Person. Nicht weniger verlange ich von einem Amtsträger, der geschworen hat, diese Verfassung zu schützen. Ich befürchte nur, dass es einen polizeilichen Konsens gibt, der darauf hinausläuft, dass man in gewissen Situationen nicht so genau hinschauen wird. Und dem muss gewehrt werden, selbst wenn Gäfgen darüber noch zum Millionär werden sollte. Weil es nicht um Gäfgen geht.

Daschner hat sich übrigens nicht selbst angezeigt, er hat in einem Aktenvermerk seine Vorgehensweise niedergelegt und die Staatsanwaltschaft über seine Vorgehensweise informiert. So sonderlich empört war die Öffentlichkeit auch gar nicht; es gab einige Kritik, aber mehrheitlich eher Zustimmung für die Zivilcourage Daschners. Klare Signale tun daher not, an die Öffentlichkeit wie auch an die Polizei. Zumindest letzterer muss klar sein, dass sie nicht einfach so davon kommt.

janw
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Di 16. Aug 2011, 21:14 - Beitrag #25

Ja, die Mentalität ist das Problem. Eine Mentalität, die auch dazu führt, daß kritische Beamte im Dienst gemobbt werden.

Für mich ist aber die Fixierung auf die Verfassung ein bisschen trügerisch, letztlich müssen die Grundwerte IMHO zum geistigen Wesensmerkmal, zum mind set der Beamten zählen, wenn wirklich etwas gewonnen werden soll gegenüber jenem österreichischen Generalstaatsanwalt Johannes Meißner, der 1940 an den damaligen Justizminister schrieb:
"Heute sieht ein Volk, daß Tötungen von Menschen stattfinden, für die kein Gesetz eine Grundlage bietet, und daß trotzdem die Justizbehörden nicht einschreiten. Dadurch leidet Ansehen und Ehre der Richter und Staatsanwälte... Ich bitte Sie daher, Herr Reichsminister, Ihren ganzen Einfluß aufzubieten, damit jene gesetzlosen Tötungen gesetzlich geregelt oder eingestellt werden. Es geht um die Ehre der Justiz".

Traitor
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Fr 19. Aug 2011, 13:28 - Beitrag #26

@Ipsissimus: Ja, die Mentalität ist das Grundproblem, aber Mentalität kann man nicht bestrafen, daher kann nur ein Exempel eine Abschreckungswirkung entfalten, wenn überhaupt.
Ein Problem dürfte auch sein, dass es keine echt unabhängige Institution gibt, die in so einem Fall Deckung und Unterstützung von Vorgesetzten untersuchen könnte. Interne Dienstaufsicht etc. dürften ja den von dir (und auch mir) vermuteten Konsens teilen.

Ipsissimus
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Fr 19. Aug 2011, 13:46 - Beitrag #27

Leute von der interne Dienstaufsicht gelten oft als "Kameradenschweine". Das garantiert natürlich nichts, zeugt aber, dass es immerhin eine gewisse Diskrepanz zwischen ihnen und der normalen Polizei gibt. Wenigstens etwas, wenn auch gewiss nicht ausreichend.

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