Schuldenkrise und politische Kultur in den USA

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
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Do 15. Sep 2011, 16:58 - Beitrag #1

Abgetrennt aus "China kauft europäische Staatsanleihen und finanziert unseren Wohlstand " - Traitor.

Dabei hätten die usa doch nun eine so einfache Möglichkeit, ihre Probleme anzugehen - Verbreiterung der Einnahmebasis und Einführung einer Krankenversicherung.
Stärkere Besteuerung höherer Einkommen und von Kapitaleinkünften.

Obama verhandelt in meinen Augen zu viel mit den Republikanern, anstatt es einfach immer wieder zu versuchen mit seinen Gesetzentwürfen, notfalls könnte er den Notstand ausrufen und sie dann direkt durchdrücken.
Vielleicht die Tea Party Movement auf die Liste terroristischer Organisationen setzen, was sie IMHO ist.

- Es tut mir leid, aber ich musste einfach mal meiner Frustration Ausdruck verleihen über das, was sich dort abspielt. -

Lykurg
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Do 15. Sep 2011, 18:11 - Beitrag #2

Brrr...

Sicher haben sie (nach unserem Verständnis) bizarr niedrige Spitzensteuersätze und umfangreiche Abschreibungsmöglichkeiten bzw. Schlupflöcher, die naturgemäß vor allem Wohlhabenden zugutekommen, mehr noch als bei uns, und das will schon was heißen. Es wäre auch in meinen Augen unbedingt erforderlich, diese beiden Punkte anzugehen (wie auch bei uns zumindest letzteren, was erhebliche Freiräume schaffen würde). Trotzdem sind Notverordnungen kaum ein gangbarer Weg dazu; er muß das Volk für sich gewinnen. Eigentlich sollte die historische Situation günstig sein, um den Leuten klar zu machen, daß es so nicht weitergeht. Sollen die am rechten Rand sich doch gegenseitig zerlegen, ich denke nicht, daß gerade er den Republikanern Schützenhilfe gegen ihre Abspaltung geben sollte.

Schade allerdings, daß (laut Artikel) das Spiel über Bande so wirkungsvoll verpuffte, wenn auch eigentlich wenig überraschend, dem Großteil der Bevölkerung ist außenpolitisches Geschehen wohl mehr oder weniger gleichgültig.

janw
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Do 15. Sep 2011, 18:45 - Beitrag #3

Lykurg, ich habe den Eindruck, daß es dort überhaupt keine Rolle spielt, was die Bevölkerung denkt, und derzeit ebenso wenig Möglichkeiten für Obama gibt, die Bevölkerung auf seine Seite zu bekommen: Das ganze Prozedere wird zwischen Senat und Repräsentantenhaus ausgehandelt, und die Bevölkerung ist viel zu sehr mit der Bewältigung der persönlichen Krisenauswirkungen beschäftigt, um auf die Straße zu gehen, und die Leitmedien (Fox-Konzern) sind sowieso auf Seiten der Republikaner.
Sie machen den Leuten jeden Tag weis, daß jede Form von staatlicher Absicherung Sozialismus sei.

Gut, Obama könnte eine Redetour durchs Land machen, um die Leute zu überzeugen. Ob's etwas bringen würde?

Maglor
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Do 15. Sep 2011, 18:55 - Beitrag #4

Bezeichnend finde ich die unterschiedliche Finanzpolitik der USA und Griechenlands, beide Länder stehen ja vor den gleichen Problem, nur im unterschiedlichem Maßstab.

Den USA werden die Kredite hinterher getragen, Obama pocht auf einem durch Neuverschuldung getragenen Konjunkturprogramm.
Zur gleichen Zeit in Griechenland: Massive Sparmaßnahmen, Lohneinbußen, wirtschaftliche Depession - die Europäische Nachbarländer fordern weitere Einsparungen und besiegeln damit nur Griechenlandsschicksal. Die Sparmaßnahmen führen ja direkt in den wirtschaftlichen Niedergang und zur Massenarbeitslosigkeit und damit zu Steuerausfällen und höheren Sozialausgaben.

Einen Ausweg aus der Schuldenfalle hat aber weder Amerika noch Griechenland gefunden. Die Aufwärtsspirale ist für die jeweilige Bevölkerung natürlich besser als die Abwärtsspirale. Die Aufwärtsspirale ist natürlich teurer - aber egal so lange der Chinese oder wenigstens ein japanischer Rentenfond zahlen. :crazy:

janw
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Do 15. Sep 2011, 21:15 - Beitrag #5

Naja, Amerika muss am Laufen bleiben, soll doch keiner am Kapitalismus zweifeln^^

Ipsissimus
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Fr 16. Sep 2011, 10:09 - Beitrag #6

na ja, China hat sich ja bereits als Großkreditgeber für Europa empfohlen, gegen unbedeutende Zugeständnisse unsererseits natürlich^^ vielleicht dürfen wir doch zu einer Neubewertung der Ereignisse vom 4. Juni 1989 kommen, oder streichen Begriffe wie Tian'anmen gleich aus den Enziklopädien^^

ich denke, die USA sind das beste Beispiel dafür, dass eine pauschale Pressefreiheit genauso problematisch ist wie Zensur. Aber dass Obama die Europäer auffordert, mit ihrer Schuldenkrise endlich fertig zu werden, ist schon apart. Soviel Humor hätte ich ihm gar nicht zugetraut^^

Padreic
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Fr 16. Sep 2011, 12:50 - Beitrag #7

@janw: ich glaube nicht, dass es keinen interessiert, was die Leute denken. Meinst du, die Stärke der Tea-Party-Bewegung ist ein reines Politphänomen ohne Rückhalt in der Bevölkerung? Durch Vorwahlen und was auch immer wird, denke ich, die Meinung der Bevölkerung mindestens so stark abgefragt in den USA wie hier. Eine quasi-Diktatur zu fordern, erscheint mir zumindest eine überraschende Wende.
Die Medienentwicklung in den USA macht mir tatsächlich auch Sorge; zu viel ist in der Hand von zu wenigen Konzernen konzentriert, es gibt zu wenig unabhängige Medien, die aufwendige Qualitätsberichterstattung wird zurückgefahren. Es ist aber, glaube ich, nicht berechtigt, die US-Medienlandschaft generell als rechtslastig abzuurteilen. Im Vergleich zur hiesigen ist sie das vermutlich schon, aber das "objektive Merkmal" der Rechtslastigkeit wäre der Vergleich zu Politik und Gesellschaft (man kann schlecht seine eigene Ansicht zur Richtschnur machen). Als ich nach Belegen für die Rechtslastigkeit der US-Medien suchte, stieß ich dabei auf eine Studie der UCLA von 2005 (hier die deutsche, etwas parteiischere Fassung, hier die Version von der UCLA-Homepage). Zusammengefasst ergibt sie, dass zwar der Fox-Sender zum Teil rechtslastig ist, ebenso wie die Washington Times, insgesamt die Medienlandschaft aber als linkslastig zu sehen ist (darunter z. B. im besonderen das Wall Street Journal, die New York Times oder auch Nachrichtsendungen auf NBC). Der Begriff der Linkslastigkeit ist hierbei nicht an unserem Begriff davon orientiert, sondern eben am Durchschnittswähler und den Kongressabgeordneten.

Zum Vergleich von Griechenland und den USA: die Situation ist nur in ihrer Schuldenlast vergleichbar. Die Gründe für die Schuldenlast sind deutlich andere. Man muss in den USA sehen, dass wesentliche Gründe für die Staatsverschuldung in den teuren Kriegen und der Steuergesetzgebung liegen; im Prinzip hat die USA eine Wirtschaft, mit der man auch wesentlich besser fahren könnte. In Griechenland liegt es mehr in den hohen Ausgaben für öffentlich Bedienstete und dem hohen Staatsbetrug. Das zeigt zumindest, dass man die beiden Fälle nicht ganz über einen Kamm scheren kann....

Ipsissimus
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Fr 16. Sep 2011, 13:23 - Beitrag #8

Der Begriff der Linkslastigkeit ist hierbei nicht an unserem Begriff davon orientiert, sondern eben am Durchschnittswähler und den Kongressabgeordneten.
da scheint mir ein zentrales Problem benannt zu sein; Demokraten und Republikaner sind in den USA bis auf Einzelfälle gar nicht anhand unserer Vorstellungen von links und rechts unterscheidbar. In Europa wird den Demokraten oft eine aufgeklärtere Haltung als den Republikanern unterstellt, aber das ist weitgehend unberechtigt. Nicht, dass die Republikaner als aufgeklärt gelten dürfen^^

janw
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Fr 16. Sep 2011, 20:19 - Beitrag #9

Padreic, ich meinte, daß es eher belanglos ist, was die Leute denken, nicht, daß es keinen interessiere - die Meinung der Bevölkerung hat schlicht keine Chance, politisch gestaltend zu wirken jenseits der bereits strukturell etablierten Machtverhältnisse. Die Tea-Party-Bewegung ist sicher kein Polit-Phänomen, sie wird getragen von traditionell republikanisch orientierten Bevökerungsgruppen vornehmlich im Mittleren Westen. Diese Leute sind irgendwie in der Lage, sich kurzfristig zu lautstarken Kundgebungen zusammen zu finden und so den Eindruck zu vermitteln, sie repräsentierten etwas in der Nähe eines Mehrheitswillens der Bevölkerung.
Die Demokraten haben derzeit kein vergleichbares Sammelbecken bzw. sind nicht in der gleichen Weise mobilisierbar - was IMHO auch soziale Gründe haben dürfte.
Letztlich orchestrieren die Teeversenker also nur das Gezerre, das sich zwischen dem Senat und dem Repräsentantenhaus und dem Präsidenten eh abspielen würde.

Im Grunde bliebe Obama IMHO nur der Weg einer Tour durch die Demokraten-Gegenden, insbesondere jene Gebiete, in denen die Menschen von seinen Reformen stark profitieren würden. Aber da wäre eben auch die Frage, wie dies medial verarbeitet würde - und da ist das Fernsehen und hier Fox wohl der Kanal mit der größten Reichweite.
Es geht darum, welche Medien mit welchen Inhalten die meisten Leute erreichen, und da spielen, denke ich, die Infotainment-Formate eine größere Rolle als Nachrichtensendungen, nicht zu vergessen die Radiosender, die offenbar sehr auf Seiten der Republikaner stehen. Die Washington Post und das Wallstreet Journal haben wohl einen deutlichen Schwerpunkt an der Ostküste, und auch dort eher begrenzte Durchdringung.

Was die Durchsetzung der Ziele betrifft, bin ich natürlich auch für demokratisches Prozedere, andererseits halte ich eine zumindest grundlegende soziale Absicherung für eine moderne Gesellschaft für unabdingbar, vielleicht sogar lebensnotwendig im Sinne einer Systemstabilität.
Wie viele Obdachlose kann sich eine Gesellschaft leisten, Menschen, die auf der Straße sterben, weil sie sich keinen Arzt leisten können? Dazu deren Kinder...

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Fr 16. Sep 2011, 23:28 - Beitrag #10

janw, Padreic wies schon zu Recht darauf hin, daß es mit NBC einen landesweiten und mehrere regionale Fernsehsender gibt, die deutlich links von Fox angesiedelt sind, und die Positionierung von Fox innerhalb der USA durchaus hinterfragt wird, es gibt sehr deutliche Stimmen gegen deren Lügen- und Hetzkampagnen - Blogs und Netzzeitungen nicht zu vergessen, etwa die Huffington Post als äußerst einflußreiches kritisches Blatt, und das selbstverständlich ohne regionale Begrenzung. Außerdem gibt es dort eine ausgeprägte Tradition unabhängiger Radiosender mit sehr bunten Positionen, natürlich teilweise extrem konservativ, aber eben auch anderes.

Im Moment scheinen die Auseinandersetzungen zwischen den republikanischen Kandidaten nur leider die Öffentlichkeit mehr zu interessieren als die Meinung des Präsidenten. Auch mit noch so vielen Überlandreisen (die viel Zeit kosten, die für andere Dinge fehlt) lassen sich weniger Leute erreichen als mit einer Fernsehansprache. Aber wenn dieses Mittel versagt... ungünstig.

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Sa 17. Sep 2011, 13:35 - Beitrag #11

So schlecht sieht es für Obama doch gar nicht aus, die Tea Party scheint den Republikanern in der Öffentlichkeitsmeinung eher zu schaden, sodass die bürgerliche Mitte bei den nächsten Wahlen eher zu den Demokraten tendieren dürfte. Eigentlich muss er also nur irgendwie bis zur nächsten Machtverschiebung im Kongress überleben und könnte dann seine Programme durchziehen. Das hängt aber natürlich noch stark von der Kandidatenkür der Republikaner ab, gegen die meisten derzeit diskutierten Figuren dürfte Obama locker gewinnen, Überraschungen sind aber nicht ausgeschlossen.

Das Problem der Medienlandschaft ist wohl weniger, dass die großen Massenmedien alle zusammengerechnet rechtslastig wären, sondern eher Lokalzeitungen und Lokalradios, die die gefestigt rechte Mehrheit bestimmter Gegenden zementieren, etwas, wozu die "Linken" kaum Pendants haben, höchstens die internetaffine Stadtjugend. Strukturell haben die Republikaner dadurch seit langem die bessere Position, die Demokraten brauchen schon außerordentliche Mobilisierungseffekte, wie zuletzt Obama, um eher knappe Siege zu erringen.

Nebenbemerkung:
Zitat von janw:Wie viele Obdachlose kann sich eine Gesellschaft leisten, Menschen, die auf der Straße sterben, weil sie sich keinen Arzt leisten können? Dazu deren Kinder...
Dass dies ein falsches Vorurteil ist, ist tatsächlich einer der wenigen positiven Aspekte des amerikanischen Gesundheitssystems. Eine Grundversorgung für Mittellose ist durchaus gewährleistet, wenn auch auf niedrigerem Niveau hierzulande. Sowohl mit einem (sehr beschränkten) staatlichen Programm als auch, wohl wichtiger, privaten, karitativen Gratis-Krankenhäusern. Das große Problem des Gesundheitssystems dort sind arbeitende Unter- und Mittelschicht, die an ihren Rechnungen ersticken und dadurch der Rest ihres Lebens zusammenbricht.

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Mo 19. Sep 2011, 11:32 - Beitrag #12

Dass dies ein falsches Vorurteil ist, ist tatsächlich einer der wenigen positiven Aspekte des amerikanischen Gesundheitssystems. Eine Grundversorgung für Mittellose ist durchaus gewährleistet, wenn auch auf niedrigerem Niveau hierzulande. Sowohl mit einem (sehr beschränkten) staatlichen Programm als auch, wohl wichtiger, privaten, karitativen Gratis-Krankenhäusern.
das kommt mir wie eine sehr euphemistische Darstellung der Situation vor, bzw. sie trägt ihre Widerlegung bereits in sich selbst: Wenn die Grundversorgung Mittelloser zum allergrößten Teil auf privaten Schultern liegt, ist das gerade kein Ruhmesblatt für das amerikanische Gesundheitssystem. Darüber hinaus hängt die Effektivität dieser Versorgung für Mittellose sehr stark davon ab, ob die Leute in der Nähe von Städten oder auf dem Land leben; ich habe gerade gestern erst einen Beitrag über mobile Kliniken in den USA (im DLF) gehört. Da gibt es riesige Gebiete, in denen die Klinik einmal im Jahr für drei Tage kommt, irgendwo an einem zentralen Fleck steht und es den Leuten überlassen bleibt, wie sie 100 Meilen und mehr zurücklegen, um hin zu kommen, oder wie sie übernachten können. Und wer in den drei Tagen nicht dran kommt, weil die Schlangen etwas länger sind als früher die Einkaufsschlangen in DDR-Läden, wenn es Bananen gab, na ja, der kommt halt nächstes Jahr wieder, egal ob er eine Nierenkolik hat oder Zahnschmerzen oder sonst was. Und diese Situation betrifft locker ein Drittel der US-Bürger; wirklich sicher davor ist nur der kleine Teil, der sich Privatpatiententum leisten kann.

Ipsissimus
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Di 20. Sep 2011, 12:19 - Beitrag #13

Italien darf auch mal^^

http://www.stern.de/politik/ausland/schuldenkrise-ratingriese-stuft-italiens-kreditnote-herab-1729725.html

Die US-Ratingagentur Standard & Poor's hat die Kreditwürdigkeit Italiens herabgestuft. Das Land werde bei der langfristigen Bonität fortan mit der Note "A" statt "A+" bewertet, teilte Standard & Poor's mit. Grund seien "die sich abschwächenden Wachstumsaussichten" und die Einschätzung, dass die derzeitige Koalition die Fähigkeit Roms einschränke, entschlossen auf die Schuldenkrise zu reagieren.


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