Libyen

Das aktuelle politische Geschehen in Deutschland und der ganzen Welt sowie wichtige Ereignisse der Weltgeschichte.
janw
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Mi 14. Sep 2011, 21:59 - Beitrag #141

Maglor, ich denke auch, daß die Nennung der Scharia als Rechtsquelle eher wenig aussagt, die Scharia kann als Begründung für eine talibaneske Rechtsordnung dienen, wie auch für alle möglichen rechtsstaatlichen Ordnungsentwürfe.

Die derzeitigen Gewaltakte waren in meinen Augen zu erwarten, in einem zusammengewürfelten Rebellenhaufen lässt sich eine diesbezügliche Disziplin nicht durchgehend durchsetzen, erst recht nicht, wenn erlittenes Leid Triebfeder des Rebellenseins ist und solcherart getriebener Rebell mit den Grausamkeiten des Gegners konfrontiert wird, dazu männlicher Heißsporn ist...
Es entschuldigt das nicht, macht es aber vielleicht verstehbar.

Gegenüber den Söldnern könnte ein gewisser Rassismus hinzu kommen, der nach meinem Eindruck in der arabischen Welt gegenüber den Schwarzafrikanern zu herrschen scheint, vielleicht auch ausgedrückt in den Geschehnissen in Darfur und früher in der Versklavung der Schwarzen.
Ob es diesen Rassimus in der Form gibt, weiß ich nicht, es wäre eine nähere Betrachtung wert. Vielleicht ist das Problem der Söldner aus Niger usw. auch einfach nur, daß sie auf der falschen Seite standen und dort für Geld die Dinge getan haben, die Gaddafis Leute besser nicht selbst tun wollten.
Wie wäre es, diese Söldner als Flüchtlinge in Europa aufzunehmen?

Maglor
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Mi 14. Sep 2011, 22:17 - Beitrag #142

Laut Amnesty International kam es zu willkürlichen Verhaftungen, Lynchmorden und Massentötung durch die Rebellen. Ausländer und dunkelhäutige Lybier werden Opfer willkürlicher Gewalt. Ein Drittel der durch die verhafteten angeblichen Gaddafi-Anhänger sind Ausländer. Die meisten inhaftierten Ausländer sind Arbeitsmigranten.
Gaddafis Söldner Armee scheint ein Machwerk der Propaganda zu sein.

Bei den tatsächlichen Hilfstruppen Gaddafis handelt es sich vor allem um Tuareg aus dem Tschad und dem Niger, die seit Jahrzehnten mit dem Regime zusammenarbeiten. Es handelt sich nicht um Schwarzafrikaner im eigentlichen, sondern um echte Berber, die einst den Sklavenhandel der Sahara kontrollierten. Diese "Tuareg-Rebellen" - natürlich handelt es sich um Muslime - sind aber nicht die wilden Kongo-Neger mit Viagra-bedingtem Dauerständer, die die westliche Propaganda in den dunkelsten Farben ausmalte. Dieser Rassismus ist offensichtlich nicht auf Nordafrika beschränkt, die Angst vorm schwarzen Mann wurde auch hier geschürt.

Zur Darfur-Verknüpfung: Klar ist, dass Gaddafi lange Zeit offiziell auf Seiten der Dschanschawid stand und die Terrorisierung Darfurs eben durch ehemalige Söldner Gaddafis (Islamische Legion) erfolgte, durchaus im Rahmen der nichts ganz unrassistische panarabischen und panislamische Kampagne Gaddafis.

Lykurg
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Do 15. Sep 2011, 11:13 - Beitrag #143

Ein hübscher Artikel zur Mehrdeutigkeit war heute in der Welt; die eine Passage daraus kam mir gar irgendwie magloresk vor^^
Wenn deshalb vor wenigen Monaten Bernard-Henri Lévy sein Libyen-Engagement mit dem Argument stützte, in Bengasi habe er die Trikolore wehen sehen, und er habe es einfach als unerträglich empfunden, diesen Ort Gaddafis Truppen als Massakerfeld zu überlassen, dann müsste zumindest diese Frage erlaubt sein: Wehte in den letzten Jahrzehnten die französische Flagge nicht verlässlich in unmittelbarer Nähe nahezu jeder Schurkerei im dekolonisierten Afrika - von der Krönung des Kannibalenkaisers und Giscard-d'Estaing-Freundes Bokassa bis zu den Ausbildungslagern der ruandischen Interahamwe-Miliz, als diese für den Tutsi-Genozid 1994 trainierte?

Ipsissimus
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Do 15. Sep 2011, 12:40 - Beitrag #144

Ja, weil er damit Freiheitsgrade erhält, zu erkennen, wie dumm und falsch es ist, seine Frau zu unterdrücken.
wenn das denn ein Automatismus wäre^^ sehr viel wahrscheinlicher ist, dass er das erhaltene Geld dafür einsetzt, sich Werkzeuge zu kaufen, die ihm helfen, die Unterdrückung noch besser abzusichern

Fast alle islamischen Staaten nennen in ihrer Verfassung die Scharia als Rechtsgrundlage. Über die tatsächliche gesellschaftliche oder politische Lage eines Lades sagt dies rein gar nichts aus.
und wieviele arabisch-islamische Staaten kennst du, in denen nachhaltig was für Menschenrechte und, spezifischer, Rechte für Frauen getan wird? Hinsichtlich Libyen lasse ich mich gerne überraschen, aber ich wäre schon überrascht, wenn sie mich überraschen würden^^

Mutmaßliche Verbrechen der Rebellen und der Übergangsregierung haben nichts mit der Scharia oder ihrer Haltung zum Islam zu tun
das war auch nicht die Problemstellung. Was in Kriegs- und Übergangszeiten passiert, geschenkt. Eine ganz andere Sache ist es aber, wenn es daran geht, eine dauerhafte Verfassung einzurichten

Wie wäre es, diese Söldner als Flüchtlinge in Europa aufzunehmen?
möchtest du eine große Zahl hochtrainierter Killer und Kriegsverbrecher bei uns aufnehmen? Dass diese Menschen derzeit zu den Unterlegenen eines Krieges gehören, bedeutet nicht, dass sie vor und in diesem Krieg nicht mitgehauen und mitgestochen hätten. Damit sind die Übergriffe auf sie noch lange nicht gerechtfertigt, aber auch dann, wenn sie zu uns kämen, wäre ihr Platz in Gefängnissen. Die aber sind bereits voll genug.

Die Sache wurde endgültig verbockt, als die Grenzen mit dem Lineal festgelegt und dadurch Ethnien zusammen gezwungen wurden, die sich auf den Tod nicht ausstehen können. Daher und überhaupt stehen die früheren europäischen Kolonialherren sicher immer noch in einer Reparationsschuld gegenüber den alten Kolonien. Ich bezweifele allerdings, dass die Sachlage mittlerweile noch so einfach ist, aufgrund der Vielzahl von Kriegen, Säuberungen, Militärputschs und dergleichen, dass es einfach nur darum gehen kann, die Seite zu unterstützen, die gerade blutet. Dort haben alle Seiten zugleich geblutet und Schuld auf sich geladen. Unsere heutige Politik dort folgt diesem Muster, ist also Flickschusterei. Wenn wir denen wirklich HELFEN wollten, müssten wir mit dem gesamten Afrika eine Vision entwickeln, wie sie eigentlich leben wollen und - more important - können. Warum schlägt dort z.B. niemand vor, die Grenzen nach ethnischen und anderen wichtigen Sachverhalten auszuhandeln und neu zu gestalten? Nicht weil uns Ethnien so wichtig sind, sondern weil ihnen ethnische Zugehörigkeit so wichtig ist.

Lykurg
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Do 15. Sep 2011, 14:08 - Beitrag #145

Die einfachere Alternative (denn Gebietsabgaben dürften sehr oft zu Ressourcenkonflikten führen, Darfur ist ja nur ein Beispiel dafür, wie sowas dann aussieht) sind gestärkte supranationale Organisationen wie die OAU, die im Idealfall auch Instrumente zu friedlicher und demokratischer (bzw. zumindest 'regulärer') Machtausübung in den Mitgliedsländern bieten sollte und den Ethnien grenzübergreifende Plattformen bieten könnte. Interessant ist allerdings in diesem Zusammenhang, wie wenige der Mitgliedsländer derzeit dort suspendiert sind (Libyen etwa hätte demzufolge gerade eine stabile, legitime Regierung aufzuweisen).^^

Ja, die Frage einer Aufnahme von Ex-Söldnern in Europa sehe ich genauso wie Ipsissimus - oje! Da gibt es wirklich Menschen, die unsere Hilfe in größerem Maße verdient hätten. Und selbst wenn es sich bei einigen bzw. vielen von ihnen, wie von Maglor dargestellt, statt um Söldner um Gastarbeiter und Opfer rassistischer Übergriffe handelt, wird es sehr schwierig, Europa zur Fluchtburg der 'rassisch' Verfolgten der Welt zu machen, damit dürfte es sehr schnell sein Gesicht ändern und selbst ein Ort werden, von dem viele fliehen wollen...

Maglor
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Do 15. Sep 2011, 18:26 - Beitrag #146

Zitat von janw:Wie wäre es, diese Söldner als Flüchtlinge in Europa aufzunehmen?

Ob Söldner oder nicht, die Position der EU ist seit Jahren bekannt: Besser ist es, ein Afrikaner wird in Libyen eingesperrt oder erschossen, als tot oder lebendig am Strand von Lampedusa angespült.
Grundsätzlich gibt da das Problem, dass Teile der Ausländer z. B. die aus Ogaden - Äthiopien - vertriebenen Somali nicht mehr in die Heimatländer aus denen sie vor Jahren vertrieben, nicht mehr zurückgehen können. Displaced persons nannte man solche Gruppen in Europa 1945. Eine Repatrierung bedeutet vielleicht auch den Tod.
Lykurgs, Befürchtung, Europa könne sein Gesicht verlieren ist schon selten eitel. Libyen hat 7 Millionen Einwohner, davon 1 Millionen Ausländer. Es gibt dort nicht besonders viele Ureinwohner und doch wollen wir es diesem Land zumuten, dass alle Flüchtlinge Afrikas an den Fluten des Mittelmeeres halt machen. Nordafrika ist dünn besiedelt - abgesehen von Ägypten. Die Europäische Union hat hingegen eine halbe Milliarde Einwohner. Wo besteht hier bitte die Gefahr der Überfremdung?

Zitat von Ipsissimus: und wieviele arabisch-islamische Staaten kennst du, in denen nachhaltig was für Menschenrechte und, spezifischer, Rechte für Frauen getan wird? Hinsichtlich Libyen lasse ich mich gerne überraschen, aber ich wäre schon überrascht, wenn sie mich überraschen würden^^

Wenn du auch ein Vergleich bzgl. der Menschrechte abzielst, so vergleiche faierweise den islamischen Sudan mit dem christlichen Äthiopien, die Türkei mit Armenien oder Georgien, Kasachstan mit der Mongolei, Bangladesch mit Indien, Albanien mit Serbien ...
Viel Spaß ^^

Zu Libyen: Seit den 80ern werden dort Frauen als Wehrpflichtige eingezogen und an der Waffe ausgebildet, mit den entsprechenden Menschenrechtsverletzungen. ;)

Padreic
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Fr 16. Sep 2011, 12:16 - Beitrag #147

@Ipsissimus: Die Lage in Libyen ist nicht die gleiche wie die in Afghanistan mit der Taliban. Der Krieg in Afghanistan gegen die Sowjets wurde von islamischer Seite von Anfang an auch als heiliger Krieg geführt, für den viele Freiwillige auch von weit hergeholt wurden; das scheint in Libyen anders zu sein, da Gaddafi ja auch selbst Muslim ist - wie Maglor bereits erwähnte, hat auch er die Scharia als Rechtsgrundsatz proklamiert. In Afghanistan war die Situation auch noch zusätzlich verschärft dadurch, dass vielen der Dschihadisten die Rückkehr ins Heimatland verwehrt wurde. Was man aber auf jeden Fall aus dem Afghanistankonflikt lernen sollte, ist, dass man den Kämpfern des Krieges eine friedliche Perspektive (mitsamt Einnahmequellen) geben muss, wenn man ein Land nachher friedlich haben will. Und dass man nicht umhin sollte, sanften Einfluss auf das Ideenchaos nach einer Revolution zu nehmen.

Lykurg
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Fr 16. Sep 2011, 12:26 - Beitrag #148

Dem stimme ich unbedingt zu. Dazu kommen aber noch weitere Punkte - Afghanistan ist ziemlich unwegsam und hat gut die vierfache Bevölkerungszahl, ist also deutlich unübersichtlicher und schwerer zu kontrollieren, dazu kommt die starke Zentralstruktur, die Gaddafi eingerichet hatte, im Gegensatz zu jahrzehntelanger Bürgerkriegserfahrung und Multipolarität in Afghanistan - und eine dann doch deutlich abweichende Kolonialgeschichte, weniger problematische Nachbarländer, Nähe zu Europa etc.

Maglor, die Söldner in Libyen wären vielleicht noch nicht einmal das Problem (obwohl ich auch das schon recht relevant finde; eine große Zahl Gewalttäter hierher zu holen, ist mE keine gute Idee). Es würde sich dabei aber außerdem nur um einen Türöffner für unzählige weitere Konflikte und Übernahmen handeln. Keine gute Idee.

Ipsissimus
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Fr 16. Sep 2011, 13:17 - Beitrag #149

... so vergleiche faierweise den islamischen Sudan mit dem christlichen Äthiopien ...
ist schon klar, Maglor, natürlich bietet das Christentum keine Garantie für Menschenrechte. Du weißt ja, eine meiner Kernthesen lautet, dass Europa nicht wegen des Christentums ein einigermaßen erträglicher Platz, ist sondern trotz des Christentums, was einigermaßen gelang, weil es hier eben das Korrektiv der Aufklärung gegeben hat. Mit dem Bezug auf die arabisch-islamischen Länder wollte ich einfach nur den Kontext des Themas wahren.


Padreic, wenngleich die Lage nicht dieselbe ist, lassen sich meines Erachtens doch Parallelen erkennen. Genauso wenig wie heute in Libyen waren damals in Afghanistan die Rebellen eine homogene Gruppe mit einheitlicher Motivlage. Genau wie heute in Lbyen wäre es damals in Afghanistan den Rebellen sehr viel schwieriger geworden, mit dem Feind fertig zu werden, hätten sie nicht massive Unterstützung seitens der Nato oder USA erhalten. Und hinsichtlich Afghanistan ist Geschichte, dass sich unter der Decke der talibanischen Machtübernahme eine Warlord-Kultur entwickelt hat - gleiches steht in Libyen zu befürchten und wahrscheinlich auch bevor.


Lykurg, deinen letzten Satz halte ich für entscheidend. Europa muss sich aus meiner Sicht zwar seinen historischen Verantwortlichkeiten, vor allem seiner historischen Schuld stellen, aber die arabisch/afrikanischen Probleme müssen vorrangig in Afrika durch die dort lebenden Menschen selbst gelöst werden, mit aller dafür notwendigen Unterstützung durch uns. Es kann nicht um eine Entmündigung gehen; wir dürfen Hilfe leisten, diese Menschen aber nicht an einen Dauertropf binden.

Und damit das gelingt, damit diese Probleme wirklich behoben und nicht in alle Ewigkeit nur diskutiert werden, müssen erst mal wirklich alle Aversionen und deren Hintergründe auf den Tisch. Ein einfacher Tuareg muss genauso gehört werden wie ein Atomsklave aus dem Niger, der Tutsi wie der Hutu oder ein Kindersoldat aus dem Kongo, muss der einander entgegen gebrachte Hass erst einmal in kontrollierter Form offen ausgedrückt werden dürfen, damit alle diese Kraftlinien in einer eventuellen Lösung tatsächlich gelöst werden und nicht nur Pappmaschee über dauerhaft weiter schwärende Wunden geklebt wird.

Es muss, mit anderen Worten, ein Wunder geschehen^^

Traitor
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Do 20. Okt 2011, 20:58 - Beitrag #150

Hussein hatte sein Erdloch, Bin Laden seinen Wohnblock, Gaddafi hat nun sein Abwasserrohr. Libyer, NATOler und Neutrale jubeln, mit seinem (bedauerlich, aber wohl verständlich, inszenierten) Tod werde der Restbürgerkrieg nun schnell enden. Das ist die eine Möglichkeit, durch Desillusionierung seiner Anhänger. Die andere ist aber der bekannte Märtyrereffekt. Um die Wahrscheinlichkeiten abzuwägen, fehlt mir wie üblich die Einsicht in libysche Strukturen, tendentiell würde ich dort aber etwas weniger Fundamentalismus erwarten und somit doch eher optimistisch zu einem baldigen Ende der offen kriegerischen Handlungen, wenn auch sicher nicht aller internen Feindseligkeiten, tendieren.

Lykurg
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Do 20. Okt 2011, 23:25 - Beitrag #151

Ich vermute aufgrund wohl kaum tieferer Einsichten, daß der größte Teil der Weiterführung der Kämpfe auf Gaddafis beiseitegeschafftem Vermögen beruhte (übrigens zuletzt fast schon auf beiden Seiten^^), und es dementsprechend nicht mehr lange dauern sollte, da jetzt Sinn und Finanzierung zugleich wegbrechen. Gaddafi wollte bis zum Tod kämpfen, das hat er erreicht; wieviele Anhänger ihm darin wohl folgen wollten? Ich habe so meine Zweifel. Diverse hochrangige Vertreter des Regimes hatten sich ja schon früher ins Ausland abgesetzt; ihre Chancen auf Rückkehr dürften sie auch selbst eher als mäßig einschätzen.

Ipsissimus
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Mo 24. Okt 2011, 00:31 - Beitrag #152


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Mo 24. Okt 2011, 10:16 - Beitrag #153

Siehe Padreic und Maglor zuvor - das war absehbar und ändert ersteinmal wenig. Das tatsächliche Rechts- und Staatssystem wird länger brauchen, um sich herauszukristallisieren, und diese Festlegung hat darauf erstmal noch keinen großen Einfluss.

Ipsissimus
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Mo 24. Okt 2011, 11:00 - Beitrag #154

ja, das ist immer die Hoffnung, dass es nicht so schlimm kommt. Wie in Ägypten^^

Maglor
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Mo 24. Okt 2011, 18:17 - Beitrag #155

Scharia ist nur so eine Worthülse. Folklore, nichts weiter. Jeder muslime Politiker würde behaupten, seine Politik entspräche frt Scharia, wenn er mit mit Muslimen spricht, spricht mit jedoch mit Westlern, wird er das blanke Gegenteil behaupten.
Im übrigen bin ich der Ansicht, dass die Errungenschaften der Islamischen Revolution von 1969 keineswegs einfach so aus der Welt geschafft werden können - insbesondere die gesellschaftlice Entwicklung ist nach 40 Jahren moderner Diktatur nicht ohne weiteres ausradierbar.
Der Weg zurück ins Mittelalter ist jedoch nicht verschlossen. Man bräuchte ein entsprechendes Terror-Regime mit Sittenwächtern usw. Hierfür fehlt es aber noch an Infrastruktur. Das Beispiel Tschtscheniens zeigt jedoch, dass die verrohende Macht des Krieges selbst aus harmlosen Proletarien wieder stolze Mullahs und Mujaheddin machen kann.

Besonderen Ulk vermittelt Hillary Clinton:
[INDENT]"Jeder, der Teil des alten Regimes war und an dessen Händen kein Blut haftet, sollte sicher und in ein neues Libyen miteinbezogen sein."[/INDENT]
Als gäbe es in Libyen irgendeinen, der kein Blut an den Händen hätte.
Der Bürgerkrieg wurde auf beiden Seiten mit äußerster Brutalität geführt - und es bleibt offen, ob es nicht so weiter geht. Gaddafi ist sicher nicht das einzige Lynch-Opfer.
Die geografischen und tribalen Schwerpunkte von Rebellion und Gaddafi-Anhängerschaft unterstützen nur eine System der Rache und Vergeltung. In den Zeitungen sieht man den Triumph der rohen Berbern, wie sie Schätze an sich reißen und ihre verhassten Feinde zu Tode quälen und Leichen wie erlegtes Wild als Trophäe ausstellen.
Dies alles wird nicht ungesühnt bleiben.

Bizarr klingt auf dieser Spiegel-Artikel über die zerstörte Stadt Sirt.
Der Familienvater steht nun vor dem nichts und fürchtet immer noch die Plünderer.
Das bizarre Detail: Das nun offenbar wehrlose Opfer blickt auf militärische Vorgeschichte mit Einsätzen in Somalia, Sudan und Ägypten zurück. Für ihn ist es offensichtlich nicht der erste Bürgerkrieg, wohl aber der erste in der Heimat.
Ein Großteil der libyschen Männer dürfte Kriegs- und Kampferfahrungen in Somalia, Tschad, Niger, Sudan usw. haen und immer ausreichende Grundverohung und Abgeklärtheit verfügen - beim Austeilen wie beim Einstecken.

Ipsissimus
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Mi 26. Okt 2011, 11:49 - Beitrag #156

das beruhigt hinsichtlich der Perspektiven natürlich nicht wirklich^^

Ipsissimus
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Do 27. Okt 2011, 16:28 - Beitrag #157

http://www.zeit.de/2011/37/Libyen/komplettansicht

Wer sich mit den Prinzipien des internationalen Rechts befasst, steht ratlos vor dem Unisono des öffentlichen Beifalls für die Intervention der Nato in Libyen. Vergangene Woche mischte sich unter die Berichte über die Konferenz in Paris wie beiläufig die Meldung, der Bürgerkrieg habe seit dem Eingreifen des Westens 50.000 Menschenleben gefordert. Auf die Siegeslaune in Paris warf das keinen Schatten. 50.000 Opfer eines Krieges, der allein aus dem Ziel, solche Opfer zu verhindern, seine Legitimation zu beziehen vorgab! Und kein Hauch eines Zweifels daran, dass die Intervention ein glänzender Erfolg und ihre Legitimität schon deshalb fraglos sei.


beeindruckende Darlegung, auch im Weiteren

Maglor
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Do 27. Okt 2011, 21:14 - Beitrag #158

Perfect War - keine Verluste für Frankreich, USA, Belgien, Oman usw.

50.000 nichtige Ameisen. Da bleiben ja noch übrig 6.410.000 überlebende Libyer übrig.
0,78 % der Gesamtbevölkerung wären demnach getötet, ermordet, gefallen ...

Da Übertreffen 3 Monate Libyen beim stupiden Body-Cont den Afghanistan-Feldzug von 2001 oder die Irak-Invasion von 2003 um ein vielfaches.

"Wir können uns nicht damit aufhalten, zu zählen, wie viele wir getötet haben"
Heute[2003], vier Monate nachdem Präsident Bush den Krieg [im Irak] für beendet erklärt hat, wissen wir deshalb nur eines exakt: 159 Koalitionssoldaten fielen bis zum Ende des Irakkrieges. Im besetzen Nachkriegsirak hat sich diese Zahl inzwischen mehr als verdoppelt. Alles andere ist eine Annäherung. So zählte das unabhängige Team von Iraqbodycount.net bis zu diesem 19. September [2003] mindestens 6131 tote Zivilisten und höchstens 7849. ... Die Irakische Freiheitspartei, eine Oppositionspartei unter dem Hussein-Regime, gibt dagegen nach eigenen Recherchen 38.278 Tote an.

Der Irak hat jedoch vier mal so viele Einwohner wie Libyen!
Eine wirklich beachtenswerte Leistung.
Mein Respekt gilt allen Libyern, die im Moment Massengräbern ausheben.

janw
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Do 27. Okt 2011, 22:54 - Beitrag #159

Ich vermute mal, daß Prinzipien ähnlich gelagerte Zipperlein wie Visionen sind, und wer die hat...^^

Man könnte einwenden, daß die Opferzahl auf die Widerständigkeit der Gaddhafi-Anhänger zurückzuführen sei, also leider nicht zu vermeiden, zudem im Falle eines Nichteingreifens der Nato eine ebenfalls große Opferzahl unter den dann niedergeschlagenen Aufständischen zu erwarten gewesen wäre.
50000 Opfer plus Freiheit statt xtausend plus Fortdauer der Despotie...

Die größte Hypothek der Widerstandsbewegung ist IMHO die zu vermutende Ermordung Gaddhafis und die Unterbindung einer neutralen Untersuchung seines Todes.

Ipsissimus
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Fr 28. Okt 2011, 09:33 - Beitrag #160

doch ging es beim Nato-Einsatz erklärtermaßen gerade darum, diese Opferzahlen gar nicht erst entstehen zu lassen, zumindest war es das, was man die dumme Konsumentenschaft internationaler Nachrichten glauben lassen wollte. Dass es außerhalb der Hirne wohlmeinender Idealisten zu keinem Zeitpunkt darum ging, ist auch klar. Und dass die Relation "Krieg führen um Tode zu vermeiden" immer mehr zum Running Gag jeglicher Kriegspropaganda gerät, wohl auch.

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